Klassenkampf statt „Sozialpartnerschaft“: Verschiebungen und Umwälzungen in den KV-Landschaften

Als vielfach letztes zuhandenes „Pro-Argument“ für die „Sozialpartnerschaft“ bzw. „sozialpartnerschaftliche Lohnpolitik“ wird die in Österreich gut etablierte und international in der Tat ausnehmend hohe Kollektivvertrags-Abdeckung von rd. 98% ins Treffen geführt. Nur gründet diese vorrangig in der gesetzlichen (‚Pflicht-‘)Mitgliedschaft beinahe sämtlicher Unternehmen in der Wirtschaftskammer und besitzt auch unter den „sozialpartnerschaftlichen Verhältnissen“ Österreichs eine bloß historisch „geliehene Stabilität“, worüber unser nunmehr 8. Teil zu einer marxistischen, linken Kritik an der „Sozialpartnerschaft“ handelt. 

Die Kollektivvertrags-Deckungsrate ist mithin auch im Musterland der „Sozialpartnerschaft“ nicht vor Angriffen, Unterlaufungs- und Aushebelungsversuchen gefeit. Ihre Stabilität hängt sonach denn auch viel stärker vom traditionell hohen Organisationsgrad der Gewerkschaften ab. Nach deutschem Vorbild, einer massiven Austrittswelle der „ArbeitgeberInnen“ aus den Tarifverbänden in den letzten Jahren und damit einhergehender Erosion der Tarif-Abdeckung (von nur noch 45% oder max. 52%), werden auch in Österreich Stimmen nach einer sog. „Tariföffnung“ immer lauter, um damit das Kollektivvertragssystem zu unterlaufen, die Regulierungen von den Branchen auf die Ebene der Betriebe zu verlagern und hierdurch die Gewerkschaften zu schwächen.

Ein erster geballter, institutioneller Vorstoß der „Arbeitgeber“ eine Bresche in die Branchen-Kollektivverträg zu schlagen, fand 2012 mit der Aufspaltung des Metaller-KVs in sechs Teilkollektivverträge statt. Den Gewerkschaften gelang es seitdem zwar noch, in allen nunmehrigen Teilkollektivverträgen dieselben Lohnabschlüsse zu erzielen. Die Aufspaltung des österreichischen „Leit“-KV’s abzuwenden, gelang aber, „Sozialpartnerschaft“ hin, „Sozialpartnerschaft“ her, nicht (mehr). Zu Recht verordnete der ÖGB den Vorstoß des Fachverbands Maschinenbau und Metallwarenindustrie (FMMI) denn auch öffentlich als eine Gefährdung des Kollektivvertragssystems.2016 folgte mit dem Beschluss des Drucker-Arbeitgeberverbands „Druck & Medientechnik”, keine Kollektivverträge mit der Gewerkschaft mehr verhandeln zu wollen, die nächste Frontalattacke auf das KV-System. Und erst letztes Jahr stand der Kollektivvertrag der Journalisten und Journalistinnen auf der Kippe, nachdem der „Verband Österreichischer Zeitungen“ (VÖZ) den Kollektivvertrag zunächst schlicht aufkündigte.

Dieser weitere, jüngste Vorstoß war denn auch beileibe nicht nur ein Affront gegen die Beschäftigten der Branche und Gewerkschaftsbewegung im Land, sondern zugleich ein Warnsignal das zeigt, dass die Gewerkschaftsbewegung gegen die immer aggressivere Gangart der Unternehmerverbände und deren unterschiedlichen Vorstöße zur Aushebelung des heimischen Kollektivvertragssystems mit geballter Kraft und Antworten in Einbeziehung und Mobilisierung der Beschäftigten gefordert ist, wollen wir nicht wie die sprichwörtliche Maus vor der Schlange erstarren. Sollte es misslingen den ersten tiefen Kerben in die Kollektivvertragslandschaft Einhalt zu gebieten, ja sollten in längerer Frist etwa Beispiele wie jenes der Druckerei-Unternehmensverband unter Österreichs Kapitalfraktionen gar „Karriere machen“, dann droht ein ähnlicher Flächenbrand wie über die letzten Jahrzehnte bei unserem Nachbarn. Und parallel hierzu findet auf breiter Front zu alledem die etwas „leisere“ KV-Flucht in „billigere“ Tarife statt.

Einschnitte und Kernschmelzen im europäischen Kollektivvertragssystem

Wohin die sozialreaktionäre Reise und der tarifpolitische Backlash geht, ließ sich schon zur Zeit der Aufkündigung des Drucker-KV – noch Jahre vor der jüngsten Corona- und Wirtschaftskrise, an Fahrt gewinnenden digitalen Transformation und im Auge stehenden Konjunkturflaute des Metropolenkapitalismus – der EU-Krisenpolitik im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 sowie Euro-Krise 2010/11 ablesen: In Portugal fielen schon damals nur noch weniger als 300.000 Beschäftigte unter den Schutz eines Kollektivvertrags. In Spanien spülte vorhergehende Dezentralisierung der Lohnverhandlungen satte 7,4 Millionen Arbeitende aus ihren bisherigen Tarifverträgen.

Eine ähnliche Entwicklung überrollte seinerzeit auch Italien. In Rumänien sank aufgrund noch radikalerer Einschnitte die KV-Abdeckung von 98% (2011) auf ledigliche mehr knapp 36%. In Griechenland wurde das Tarifsystem und Arbeitsrecht regelrecht zertrümmert. Und in Frankreich peitschte die Regierung Manuel Valls‘ schon damals per Rückgriff auf den Ermächtigungsartikel der französischen Verfassung unter Umgehung des Parlaments per Dekret einen Radikalumbau der Arbeitsrechtsgestaltung durch, der den traditionellen Stufenbau der Rechtsordnung geradezu auf den Kopf stellte. Unter der Doktrin des Gesetzesartikels „Umkehrung der Hierarchie der Normen“ erhielten Vereinbarungen auf Betriebsebene den Vorrang vor Branchen- und Flächenkollektivverträgen, ja sogar vor dem Arbeitsgesetz. „Jedem Unternehmen sein eigenes Arbeitsrecht“, so brachte es ein Kommentator auf den Punkt. Was seinerseits beiher wiederum drastisch vor Augen führt: es braucht nicht einmal immer Figuren von rechts-außen zur, mindestens anlassbezogenen, „Ausschaltung des Parlaments“ um den „revolutionären Schutt“ hart erkämpfter Errungenschaften wegzuräumen. Zeitgenössische Führungs-Figuren der europäischen Sozialdemokratie tun’s im Falle ebenso.

Die Gangart des Kapitals wird entsprechend auch in Österreich immer härter. Die Stimmen und Aktivitäten nach Unterlaufung bis Umwälzungen der etablierten KV-Landschaft werden zunehmend unverfrorener, um damit unsere Arbeits- und Lebensinteressen auszuhebeln und die Gewerkschaften zu schwächen. Und ehemalige „Pfeiler“ der „Sozialpartnerschaft“ wie etwa die Industriellenvereinigung, verstehen sich heute, wie die einschlägige Literatur (vgl. insbesondere etwa Ferdinand Karlhofer) schon seit langem aufweist, weniger als ein österreichisch-„sozialpartnerschaftlicher“ Verband denn als europäischer Verband oder eine Lobby-Organisation auf österreichischer und europäischer Ebene. Da helfen auch keine fehlplatzierten Nostalgien aus dem für die Gegenwart schon lange aus der Zeit gefallenen Benya-Sallinger-Fotoalbum. 

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