Klassenkampf statt „Sozialpartnerschaft“: EU, Euro-Regime und Global Governance

Mit dem (EG/)EU-Beitritt 1995 und der Teilnahme an der Währungsunion seit 1999 ging zugleich ein gravierender Einschnitt in die institutionellen und realpolitischen Möglichkeiten resp. ein darin objektiv eingeschriebener Bedeutungsverlust der „Sozialpartnerschaft“ sowie ein tief greifender nationaler wirtschafts-, konjunktur- und beschäftigungspolitischer Kompetenzwegfall einher, der dem gewerkschaftlichem Ringen wie „sozialpartnerschaftlichen“ Ausbaldowere (Spielraum akkordierter Gestaltung) enge Zügel anlegte, die Klassenkräfteverhältnisse massiv zugunsten des Kapitals verschob, und den Neoliberalismus gleichsam zum supranational verfestigten Staatsgrundgesetz erhob. Womit wir uns im nunmehrigen 6. Teil unserer Artikelserie zur marxistischen, linken Kritik an der „Sozialpartnerschaft“ auseinandersetzen.

EU und Euro-Regime

Die EU-Mitgliedschaft, so auch Emmerich Tálos und Tobias Hinterseer, „hat nicht nur [einschneidende] institutionelle Konsequenzen für die Sozialpartnerschaft, sondern tangiert substantiell deren Einflussmöglichkeiten: Eine Reihe von Politikfeldern, deren materiell-inhaltliche Gestaltung traditionell wesentlich durch Kompromisse der Dachverbände und auf dem Weg ihrer Akkordierung mit der nationalen Regierung bestimmt wurden, unterliegen nunmehr entscheidungsmäßig dem Reglement der EU, Abstimmungen zwischen den österreichischen Verbänden und der Regierung spielen damit nur mehr eine eingeschränkte Rolle. Ein zentrales Kennzeichen der Sozialpartnerschaft, die Interessenabstimmung, ist grundsätzlich … nur noch im Vorfeld europäischer Entscheidungsprozesse, nämlich bei der mitgliedstaatlichen Positionierung möglich.“ Eine „unmittelbare Einbindung in und die akkordierte Mitgestaltung von [Willensbildungs- und] Entscheidungsprozessen“ ist damit auf breiter Front und an den zentralen Stellschrauben passé.

Dazu kommt: Die zudem parallel vorherrschende, naive gewerkschaftliche Sichtweise einer gesellschaftspolitisch neutralen Währungsunion wiederum, verkennt die strukturellen Zwänge die vom Euro ausgehen. Der Euro ist nicht bloß eine Währungsumwandlung, sondern schlägt seinen Teilnehmern drei der vier zentralen makroökonomischen Regulierungen aus der Hand: die Wechselkurspolitik, die Zinspolitik und (über die Maastricht-Kriterien, den Fiskalpakt, den Sixpack und den Two-Pack) die Budgetpolitik (verschärft noch um die im Euro-Kontext in die Verfassung geschraubte nationale „Schuldenbremse“ und den neuen österreichischen Stabilitätspakt). Letztere sind angesichts Wirtschafts- und Coronakrise zwar vorübergehend suspendiert. Aber eben nur vorübergehend. Sobald „Maastricht“ und der „Fiskalpakt“ wieder vollauf in Kraft gesetzt werden, bricht der ihnen eingeschriebene Verteilungskonflikt in seiner ganzen Brisanz und Tragweite auf. Die wirtschaftspolitischen Regulierungsinstrumente und makroökonomischen Anpassungen im Euroraum und in Österreich verlagern sich daher vorrangig auf die Lohnpolitik und jene Politikbereiche, die die Lohnpolitik mittelbar beeinflussen, allem voran die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Wenn heute in der EU allerorten Lohnflexibilität und Lohnsenkungen eingefordert werden, ist das nicht zuletzt eine direkte Folge des Euro und seiner Konstruktion.

Nicht zufällig beanspruchte und sicherte sich die EU-Kommission mit Ausbruch der globalen Finanz und Wirtschaftskrise 2008denn auch einen immer stärkeren Einfluss auf die Lohnpolitik der Mitgliedsstaaten. Nach ihren brachialen – bis zur Zerschlagung deren Kollektivvertragssysteme gehenden – Interventionen in die Lohnpolitik der südeuropäischen „Krisenländer“ Griechenland, Portugal und Spanien, aber auch jener in Irland, Rumänien oder Italien, nahm sie mit ihrem nachfolgenden „Entwurf zur Reform der Eurozone“ sogleich die Tarifautonomie auf EU-Gesamtebene ins Visier. Um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die Währungsunion zu vertiefen, so der damalige Plan, sollen in allen Euro- und möglichst auch EU-Ländern „Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit“ gegründet und etabliert werden. Diese aus sattsam bekannten „unabhängigen Experten“ gebildeten Gremien wiederum, sollten „zu einer stärkeren Eigenverantwortung für die notwendigen Reformen auf nationaler Ebene“ betragen und die Verbesserung der „Wettbewerbsfähigkeit“ überwachen. Im Fokus stand darin neben Faktoren wie Produktivität und Innovationsstärke allem voran die „Lohndynamik“. Mit diesem Plan ging es ans Eingemachte gewerkschaftlicher Kernkompetenz.

Die Löhne sollten darin mittels genannter Wettbewerbsräte in EU-weit institutionalisierter Lohnspirale nach unten gedrückt werden. Aus dem beständigen Vergleich der Arbeitskosten, hätte es dann den „unabhängigen Experten“ oblägen, den Kollektivvertragsparteien die ultimativen „Leitlinien“ und „Richtschnüre“ für die KV-Runden vorzugeben (verbrämend als „Empfehlungen“ deklariert).

Damit würde nicht allein das lohnpolitisch miserabelste Land zum Maßstab der Lohnentwicklung erkoren sowie das je deregulierteste nationale Arbeitsrecht zum Orientierungspunkt im Rahmenrecht erhoben, sondern die bis bislang auch seitens Brüssel weitgehend anerkannte und teils sogar vertraglich abgesicherte Tarifautonomie – sprich: Nichteinmischung staatlicher bzw. europäischer Institutionen in die Lohnverhandlungen und Lohnfindungssysteme (Branchen-Kollektivverträge) – aufgekündigt. Ausgehebelt durch von jedweden demokratisch bestimmten Institutionen „strukturell unabhängigen“ Wettbewerbsräten, in ebenso rein angebotsorientierter-neoliberaler wie knallharter Verpflichtung gegenüber den maßgebenden Profitinteressen.

Die sozialen Verwüstungen des dadurch in Gang gesetzten institutionalisierten Lohndrucks, der Abwärtsspirale der Löhne und Gehälter, sowie des Drucks auf die Arbeitsbedingungen und ihrer rigorosen Flexibilisierung wären verheerend. Dem bereits seit Jahren beharrlich verfolgten Unterfangen der EU-Kommission, die Lohnverhandlungen zu „dezentralisieren“, also von den Branchen-Kollektivverträgen stärker auf die Betriebsebene zu verlagern, wäre zunehmend schwerer Einhalt zu gebieten. Couragiertere gewerkschaftliche Forderungsprogramme sowie ihrer Durchsetzung einhergehender Kampfmaßnahmen verfielen de facto überhaupt schon im Ansatz der Delegitimation.

Darin liegt zugleich: Ohne konsequente Klassenkämpfe und einer scharfen Konfrontation mit der EU, ihren Institutionen und dem Euro-Regime gibt es keine Möglichkeit der Durchsetzung einer grundlegenderen gesellschaftlichen Wende.

Daran ändert auch die mit viel Trara 2022 auf den Weg gebrachte neue EU-Mindestlohnrichtlinie eines europäischen Mindestlohns von 60% des mittleren nationalen Einkommens nichts. Natürlich ist sie den NiedriglöhnerInnen der EU eine willkommene Maßnahme als zumindest Tropfen auf den heißen Stein. Aber angesichts verbreiteter Löhne und Gehälter mit denen Millionen in der Union kaum oder nicht mehr über die Runden kommen, zumal noch vor dem Hintergrund der Hochinflationswelle, reichen 60% des Medianeinkommens natürlich mitnichten hin, um deren „Working poor“ und Armutslage zu begegnen. Einen „Paradigmenwechsel“ für ein „soziales Europa“ können darin denn auch nur mit Blindheit Geschlagene oder Apologeten ausmachen. Zumal, und das ist für den hiesigen Zusammenhang noch gravierender, die Richtlinie im Prinzip indes nichts am grundsätzlichen Lohngefälle in der Union von 2,41 Euro in Bulgarien (2023) und Mindestlöhnen von 13,27 Euro bis 14,86 Euro in Holland bzw. Luxemburg ändert.

Europäische „Sozialpartnerschaft“ light?

Unbeirrt dieser radikal veränderten Rahmenbedingungen zuungunsten der Arbeitenden und Gewerkschaften halten letztere bedingungslos an ihrer „sozialpartnerschaftlichen Symbiose“ mit dem Kapital fest. Die Institution der „Sozialpartnerschaft“ hat sich denn auch trotz der einschneidenden Veränderungen der Verhältnisse mit dem EU-Beitritt Österreichs und zunehmendem Oberwasser wie offensiverer Gangart der „Arbeitgeber“-Vertreter als erstaunlich stabil erwiesen. Diesem unbeirrten politischen, ideologischen und institutionellen Festhalten an der „Sozialpartnerschaft“ korrespondiert auf EU-Ebene die in den, 1999 gegründeten, „makroökonomischen Dialog“ gesetzten Hoffnungen als Ansatzpunkt einer „europäischen Sozialpartnerschaft“ zu dienen zu vermögen. Gleichsam als ein gesamt EU-europäisches Pendant light, das zu den „herkömmlichen“ Vertretern der „Sozialpartnerschaft“ – sprich: den Interessensverbänden der „Arbeitgeber-“ und „ArbeitnehmerInnenseite“ – noch VertreterInnen der EU-Kommission, des Rats und der Europäischen Zentralbank mit am „runden Tisch“ versammelt. Freilich in der Hoffnung – besser: Drohung –, den „makroökonomischen Dialog“ von seiner gegenwärtig unverbindlichen Form weg, in Anlehnung an die österreichische Ausprägung der „Sozialpartnerschaft“ stärker zu institutionalisieren und mit Kompetenzen auszustatten. Wenn auch um den Wehrmutstropfen noch asymmetrischerer Kräfteverhältnisse.

Global Governance im neoliberal-globalisierten Zeitalter

Diese EU-europäische Verlagerung der Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse und demokratischen Aushöhlung geht im Zeitalter der Globalisierung und trotz allem De-Coupling qualitativ neuen internationalen Verflechtung des Kapitals, (eingedenk gleichzeitig auch innerer verschärfter Konkurrenzkämpfe) in eins mit einer neuen kontinentalen und globalen Governance einer ‚transnationalisierten Struktur‘ und eines jedes demokratischen Prinzips baren ‚transnationalisierten Steuerungsgeflechts‘ (aus EU-Kommission, G7, NATO, OECD, Fed und EZB, IWF, Weltbank, Frontex etc.) einher. Und dessen (rechtlich) bindende Wirkungen betreffen bei weitem nicht „bloß“ die explizit supranationale Verfasstheit der EU. Dasselbe gilt ebenso für das dicht gespannte Netz an Freihandels- und Investitionsabkommen oder den „Washington Consensus“ für Kreditlinien. Bis hin zum nun festgeschriebene 2%-Ziel der NATO in deren Staatenbündnis sowie als Gravitationspunkt für „den Westen“. Hinsichtlich dieser Ebenen und Regulierungsfelder wird es dann freilich nicht mehr bloß müßig, sondern bereits schlicht lächerlich an irgendwelche „sozialpartnerschaftlichen“ Einflussmöglichkeiten Gedanken zu verschwenden. Man muss dementsprechend auch wahrlich nicht durch jede Pfütze waten, um zu erkennen, dass es geregnet hat.

Foto: Amio Cajander / CC BY-SA 2.0 Deed / cropped

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