Klassenkampf statt „Sozialpartnerschaft“: Die nur historisch „geliehene Stabilität“ und bloß „geliehene Macht“ eines Interims

Im Anschluss an die bisherigen 8 Teile gilt es im nunmehr bereits vorletzten Teil 9 unserer marxistischen, linken Kritik an der „Sozialpartnerschaft“ nochmals ihre nur historisch „geliehene Stabilität“ sowie bloß „geliehene Macht“ zu vertiefen und beides sowohl in die Verschiebung der Klassenkräfteverhältnisse wie Wende des Kapitals einzuordnen und unter der Perspektive der tieferen, zugrundeliegenden ökonomischen Entwicklungen zu begreifen.

„Geliehene Macht“ und Gesetzgebungsebene

Am Einschneidendsten zeigt sich die bloß „geliehene Macht“ der Gewerkschaften und AK in der „Sozialpartnerschaft“ unzweifelhaft auf Gesetzgebungsebene. Nach der Durchsetzung des 8-Stunden-Tages avancierte Zug um Zug die Forderung nach der 40-Stunden-Woche (und 5 statt 6 Tage Arbeit) zum neuen gewerkschaftlichen Kampfziel, welches es dann 1975 gesetzlich durchzusetzen gelang. Ähnliches gilt für den gesetzlichen Urlaubsanspruch der bis 1973 nur 2 Wochen betrug. Mitte der 1970er Jahre wurde er dann auf 4 Wochen angehoben. 1981 wurde schlussendlich eine stufenweise Anhebung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs auf 5 Wochen beschlossen. Seit jenen letzten großen Reformen der 1970er Jahr bis 1981 gab es kaum noch nennenswerte Erfolge.

Und unter der ÖVP-FPÖ/BZÖ-Regierung 2000-2006 schrumpfte der Gesetzgebungseinfluss nochmals drastisch gegen Null. Mit dem letzten SPÖ-ÖVP-Regierungsprogramm 2017 wurden die „Sozialpartner“ und Gewerkschaften dann überhaupt zum Transmissionsriemen der Regierung degradiert, bevor die „Sozialpartnerschaft“ unter dem türkis-blauen Kabinett Kurz-Strache I (2017-2019) nicht mehr nur drastisch eingeschränkt, sondern überhaupt „vollends ausgeschaltet“ wurde, wie Emmerich Tálos treffend festhält. Daran ändert auch ihre kurzfristig stärkere politische (Wieder-)Einbeziehung in der Corona-Krise (namentlich etwa zu arbeitsmarktpolitischen Krisenmaßnahmen) nichts Grundlegendes wie schon ein Blick auf Türkis- bzw. Schwarz-Grün belehren kann.

Bröckelnder „Fixpunkt“ des heimischen Kapitals

Trotz der rigorosen Verschiebung der Kräfteverhältnisse zugunsten des Monopol- und Finanzkapitals, setzt das heimische Kapital (bis auf weiteres) mehrheitlich jedoch (wenn teils auch mehr nominell) weiterhin auf gewisse, zusammengestutzte „sozialpartnerschaftlich Arrangements“ unter gewandelten Klassenkräfteverhältnissen, trachtet zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht darauf sie zugunsten einer neuen dahingehenden Herrschaftsvariante „aufzukündigen“. Allerdings sollen Gewerkschaft und Arbeiterkammer darin einen den geänderten Kräfteverhältnissen zwischen Kapital und Arbeit korrelierenden sozialreaktionären Kurs mittragen. Dem entsprechend hat in den letzten Jahrzehnten denn auch ein Funktionswandel der „sozialpartnerschaftlichen“ Strukturen stattgefunden, die selbst allerdings weitgehend oder zumindest vergleichsweise stabil intakt geblieben sind.

Zeiten „sozialpartnerschaftlicher Zugeständnisse und Kompromisse“ sind vorbei

Damit einher rückt indessen der Punkt näher, an dem es für die Gewerkschaften so nicht mehr weitergehen kann, gedenken sie nicht gänzlich die Waffen zu strecken. Die Zeit „sozialpartnerschaftlicher Kompromisse“ am Verhandlungstisch, in denen dem Kapital zumindest noch gewisse Zugeständnisse abgetrotzt werden konnten, ist vorbei. Heute erfordert, wie bereits bemerkt, selbst die Verteidigung des Erreichten bereits des entschiedenen Klassenkampfs. Umso mehr, jede – auch noch so bescheidene – Verbesserung.

Umorientierungstendenzen maßgeblicher Gruppen und Kräfte des Kapitals

Selbst in Österreich sind Provisorien, Interime ja, wie die etablierte Art der „Partnerschaft“ mit dem Kapital, nicht dazu bestimmt ewig zu währen.So ist denn auch der Fall nicht auszuschließen, und die Zeichen mehren sich auch, dass maßgebliche Gruppen und Kräfte des Kapitals auf Perspektive mehr und mehr ihrerseits auf eine „Aufkündigung“ der „Sozialpartnerschaft“ von „oben“, von Kapitalseite drängen, um zu einer (noch) offener konfrontativen Herrschaftsvariante überzugehen.Ein erster prominente Fürsprecher dieser Richtung aus der Traditionslinie des ehemaligen parteipolitischen Duopols Österreichs fand sich nicht zuletzt in Finanzminister Hans-Jörg Schelling. Dessen Verkündung: „Die Sozialpartnerschaft ist tot. Sie weiß es nur noch nicht“, weist weit über eine bloße „Bestandsaufnahme“ hinaus, sondern redet vielmehr von prominenter Seite einer neuen Politkonzeption das Wort. In kongruenteRichtung reihte sich auch der vormalige Präsident der Österreichischen Nationalbank Claus Raidl ein und treibt FMTI Chef-Provokateur Christian Knill seit Längerem die Dinge voran, der bekanntlich anstatt „nächtelang über einen Prozentsatz“ in den Lohn- und Gehaltsverhandlungen im Metaller-Bereich zu „feilschen“, lieber über den „Wirtschafsstandort“ sinnieren will und ansonsten sehr wenig mit der ausgelutschten Phrase „gelebter Sozialpartnerschaft“ am Hut hat.

Und vor erst einem Jahr machte ein Video von Kanzler Karl Nehammer von sich reden, in dem er im ÖVP-Kreise die „Sozialpartner“ erregt als die „größten Bremser“ bezeichnet und mit jenen „Blockaden, die wir [gegen etwaig auch nur rudimentärste Zähmungen des Turbokapitalismus] lösen müssen“ assoziierte. Die trotzigen Antworten aus den „Sozialpartner“-Verbänden auf Schelling und Nehammer zeigen sich so auch nicht als viel beschworener „Beweis ihrer Funktionstüchtigkeit und Stabilität“, sondern eher als „letzte Bastion der Großkoalitionäre und ihrer Verbände“, denen es sehr rasch passieren kann von den ökonomisch Herrschenden sehr schnell vor „vollendete Tatsachen“ und „vor die Türe“ gesetzt zu werden.

Darin reihen sich auch Verschiebungen zwischen und in den Kapitalverbänden sowie der Aufstieg neuer institutioneller Akteure ein. Ehemalige „Pfeiler“ der „Sozialpartnerschaft“ wie etwa die Industriellenvereinigung, verstehen sich heute, wie wir in Anknüpfung auf die einschlägige Literatur schon zuletzt herausstrichen, weniger als ein österreichisch „sozialpartnerschaftlicher“ Verband denn als europäischer Verband oder eine Lobby-Organisation auf österreichischer und europäischer Ebene. Dasselbe gilt nicht minder für die Landwirtschaftskammer, die das Hauptaugenmerk ihrer Interessenpolitik ebenso des längeren schon vorrangig auf EU-Ebene verlagert hat. Und auch in der Wirtschaftskammer haben sich Musik und Ton im „sozialpartnerschaftlichen“ Konzert unmissverständlich, teils radikal gewandelt.

In diesestiefgreifendgeänderte Arrangement„zwischen Austrokorporatismus und Lobbying“ reihen sich auch die „neuen Akteure auf der Bühne der Interessenspolitik“(Irina Michalowitz/Tobias Hinterseer/Emmerich Tálos/Ferdinant Karlhofer) ein,die die Bedeutung der ehedem maßgeblichen Expertisen der Kammern, bzw. deren Fachabteilungen (mit denen die österreichische Gewerkschaftsbewegung über einen spezifischen, eigenen Wissenschaftsapparat verfügt) nochmals deutlich zugunsten eines ausgeweiteten wirtschaftsnahen Akteursspektrum relativiert haben – mit zudem stärkerer Orientierung auf einschlägiges Wirtschaftslobbying.Etwa der der Industriellenvereinigung nahe, neoliberale Think Tank „Agenda Austria“ oder die mit Hilfe der Industriellenvereinigung gegründete „EcoAustria“. Aber auch beispielsweise die von Dietrich Marteschitz alimentierte Rechercheplattform „addendum“. Die mit ihnen einhergegangenen interessenpolitischen Verschiebungen und Bedeutungsverluste betreffen selbst noch die gleichsam traditionellen wirtschaftswissenschaftlichen Vermittlungsinstitutionen der „Sozialpartnerschaft“ WIFO und IHS – und unterhöhlen damit basale, wenn gemeinhin auch weniger beachtete, Funktions- und Vermittlungsmechanismen der einstigen „Sozialpartnerschaft“.

Die neoliberale Aufkündigung des „Klassen- und Sozialstaatskompromisses“ und die Transnationalisierung der Produktionsverhältnisse und Reproduktion des Kapitals

In diesen Veränderungen bildete sich natürlich zugleich die qualitativ neue Stufe der Internationalisierung des kapitalistischen Reproduktionsprozesses sowie die seit den 1970er Jahren Vorrang errungen habende Weltmarktorientierung ab, welche die Bedeutung des Binnenmarktes und der Binnenmarktorientierung für die Kapitalakkumulation systematisch zurückdrängt haben. Und zwar sowohl als Außenhandels- und Exportorientierung als auch in Form der Transnationalisierung der Produktion. Daran und an der qualitativ gesteigerten Offenheit der Volkswirtschaften – ausgenommen großer autonomer Wirtschaftsräume – scheitern heute auch sämtliche Illusionen eines neuen „keynesianischen Sozialstaatskompromisses“ schon im Ansatz sowohl strukturell wie die dominanten Kapitalfraktionen betreffend.

Der „sozialpartnerschaftliche Nachkriegskeynesianismus“ lässt sich dahingehend als eine aus der weiteren kapitalistischen Entwicklung heraus zwischenzeitlich aufgekündigte Periode des „Klassenkompromisses“ der Gewerkschaften mit einem vorrangig auf den Binnenmarkt und die Binnennachfrage gerichteten Akkumulationsregime des Kapitals ausweisen. Mit der Dominanz der Internationalisierung gilt heute demgegenüber die sogenannte Wettbewerbsfähigkeit des „Standorts“ als das entscheidende Kriterium. Der effektiven Nachfrage kommt im Rahmen dieser strategischen Wende des Kapitals nur mehr eine nachrangige und untergeordnete Bedeutung zu. Daher ermangelt es den „sozialpartnerschaftlich“ orientierten Renaissance-Beschwörungen (zum Problem der immer stärkeren Verstreuung der Effekte in kleinen offenen Volkswirtschaften übers Inland hinaus) heutzutage schlichtweg an gewinnbaren Kräften unter den herrschenden Kapitalien für einen „neuen Klassenkompromiss“. Natürlich sind bestimmte binnenmarktorientierte Kapitalfraktionen wie auch ihnen verpflichtete Proponenten und Strömungen in den Kapitalverbänden damit nicht einfach quasi gänzlich verschwunden. Diese gibt es nach wie vor. Nur sind diese im Gegenwartskapitalismus mehr Residuen als etwaige „sozialpartnerschaftliche“ Optionen und – z.B. weil nicht (mehr) ‚konkurrenzfähig‘ – mit teils ambivalenten Problemfeldern und Orientierungen verwoben. Dazu gesellt sich die erreichte Verschuldung des Kapitalismus. Und das meint nicht den ehemals zurückgestellten Grundsatz Keynes‘, mit den steigenden (und aufgrund des Multiplikatoreffekts überproportionalen) Steuereinnahmen der antizyklischen Konjunkturpolitik im Aufschwung die vorher eingegangene Verschuldung wieder abzubauen (und zwar neben den allgemeinen Steuermehreinnahmen zumal durch eine höhere Besteuerung der Profite), sondern den viel fundamentaler Umstand, dass der Kapitalismus in seiner zeitgenössischen organischen Krise seit Langem überhaupt nur mehr als riesige Schuldenökonomie überhaupt noch „funktioniert“.  

Gleichzeitig wiederum wurden die EU-Länder vor drei Jahrzehnten unter das Kuratel der „Maastrichtisierung“ Europas gestellt, die ein auch nur im Ansatz neo-keynesianischen Programm schon im Ansatz verbarrikadieren. Dass es für die albernen Maastricht-Kriterien nach ziemlich einmütiger wirtschaftswissenschaftlicherAuffassung zugleich keine tragfähige ökonomische Begründung gibt, hat der geld-, währungs- und budgetpolitischen „Maastrichtisierung“ Europas dabei keinen Abbruch getan. Die 60%-Festlegungen Anfang der 1990er Jahre entsprachen vorrangig schlicht dem damaligen Schuldenstand Deutschlands und Frankreichs, der beiden bedeutendsten Hauptmächte der EU. Die 3% Haushaltsdefizitgrenze wiederum entstand, wie einer ihrer beiden „Erfinder“, Guy Abeille, später äußerte: intuitiv. Gleichwohl umweht beide Konvergenzkriterien bis heute der Odem eines sakralen ökonomischen Dogmas gegen jede wirtschaftspolitische Rückkehr zu einem gleichsam auch nur „keynesianisch gezähmten Kapitalismus“. Einzelne kurzzeitige Rückgriffe auf keynesianische Instrumentarien und Krücken in akuten Krisen und einen etwaigen Schuss rechter Implemente eines „Rüstungskeynesianismus“ ausgenommen.

Den sozialen und politischen Notstand auszurufen und in faktenbefreiter Nostalgie Illusionen in ein modifiziertes korporatistisches Projekt (sei’s mit dem Kapital, sei’s mit der SPÖ in Regierungsfunktion) zu beschwören, anstatt die nötigen Kämpfe auszutragen, führt Gewerkschaften und Arbeiterkammer denn auch immer weiter an den Rande des Abgrunds.

Global Governance im neoliberal-globalisierten Zeitalter II

Dazu, wir formulieren es an diesem Punkt nochmals stärker als bisher, unterminiert die die „Globalisierung“ begleitende und ihr korrespondierende „Internationalisierung des Staates“ (Robert Cox) oder – im Anschluss an Poulantzas – „Verdichtung zweiter Ordnung“ (auch wenn wir beide Begriffe für, gelinde gesagt, missverständlichhalten) jedwedes korporatistische Projekt. Die supranationale EUropäische Verlagerung der Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse und demokratischen Aushöhlung fügt sich politisch darüber hinaus sowohl in eine neue kontinentale und globale Governance einer ‚transnationalisierten Struktur‘ sowie eines jedes demokratischen Prinzips baren ‚transnationalisierten Steuerungsgeflechts‘ (aus EU-Kommission, G7, NATO, OECD, Fed und EZB, IWF, Weltbank, BIZ, Frontex, etc.) ein. In diesen, demokratischen Entscheidungs- und Durchführungsprozessen entwundenen, ‚internationalen Strukturen‘ fungieren vorrangig Technokraten und Fachleute, Wirtschafts-, Finanz und Militärvertreter bzw. allenfalls noch Regierungsvertreter. Zudem spannten die kapitalistischen Metropolen um die Liberalisierung des Welthandels weiter zu forcieren und neue Machtpositionen der transnationalen Konzerne und international agierenden Banken durchzusetzen, darüber hinaus zudem ein dichtes Netz von multilateralen, bilateralen bzw. regionalen Freihandels- und Investitionsabkommen rund um den Globus – die als internationale Vertragswerke die Nationalstaaten ohne demokratische Einflussmöglichkeiten und Kontrolle, gar „sozialpartnerschaftliche“ Pendants, auf neoliberale Entwicklungswege festlegen.

Diese (rechtlich) bindenden „asymmetrischen“ Abkommen mit ihren zu alledem Demokratie-immunen Sonderklagerechten für internationale Investoren, können getrost als eine Art kalter Staatsstreich der Konzerne charakterisiert werden, die schon im Ansatz ‚immun‘ gegen sämtliche Formen „sozialpartnerschaftliche Arrangements“ sind. Dasselbe gilt ebenso aber etwa auch für den „Washington Consensus“ der internationalen Finanzarchitektur für Kreditlinien, bis hin zum nun festgeschriebene 2%-Ziel der NATO in deren Staatenbündnis sowie als Gravitationspunkt für „den Westen“. Dem nicht genug, korrespondiert diesem Geflecht der Entsouveränisierung der Staaten zugleich die Entwicklung einer gravierenden Gewichtsverlagerung zwischen bestimmten Staatsapparaten und Institutionen, wie „unter anderem die Aufwertung … vor allem der Zentralbanken und Finanzministerien, zu Lasten anderer, etwa der Arbeits- und Sozialministerien“. (Ingar Solty) Ob und inwieweit diese ‚internationale Regulierungssphäre‘ eine unhintergehbare kapitalistische Entwicklung markiert, oder zumindest auf lange Frist so in Geltung bleibt, ist freilich fraglich. In mittlerer Frist stellt sie indes jedenfalls ein illusionslos in Rechnung zu stellendes Merkmal der Entwicklung und politischen Lage dar.

Und hinsichtlich dieser Ebenen und Regulierungsfelder wird es dann freilich nicht mehr bloß müßig, sondern bereits schlicht lächerlich an irgendwelche „sozialpartnerschaftlichen“ Einflussmöglichkeiten, gar Renaissancen oder Vergleichsmechanismen einst „geliehener Macht“ Gedanken zu verschwenden, gar zu beschwören.

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