Klassenkampf statt „Sozialpartnerschaft“: Folgen und Langzeitschäden

Im heutigen III. Teil unserer 10-teiligen Artikelserie der Rekonstruktion und Aktualisierung der marxistischen, linken Kritik an der „Sozialpartnerschaft“ in gewerkschaftlicher Perspektive, widmen wir uns ihren Folgen und eminenten Langzeitschäden.

Integrationismus statt gewerkschafts-autonomer Strategiebildung

Die „sozialpartnerschaftliche“ Orientierung verunmöglicht, wie evident, bereits im Ansatz eine sich einzig den Arbeits- und Lebensinteressen der Arbeitenden verpflichtete gewerkschafts-autonome Strategiebildung. In ihrem Integrationismus vermag sie die Probleme der Werktätigen lediglich mehr von der Logik des Kapitals her oder zumindest in dessen Rahmen gezwängt aufzugreifen und die gewerkschaftliche Schutz- und Gestaltungsfunktion nicht mehr kämpferisch wahrzunehmen. Damit vernachlässigen die Gewerkschaften nicht nur zwangsläufig bestehenden Möglichkeiten einer konsequenten Interessenspolitik, sondern vertreten in ihrer Ausrichtung und Einbindung ins „sozialpartnerschaftliche“ System auch die Klasseninteressen des Kapitals (mit). 

Zugleich – und das vermag nur auf den ersten Blick vielleicht zu verwundern –  korrespondiert dem ÖGB, trotz der rigorosen Zentrierung sämtlicher wesentlicher Entscheidungen in der ÖGB-Spitze und seinem Prinzip als Einheitsgewerkschaft, kein den sogenannten gewerkschaftlichen „Kernbereichen“ gleichgewichtiges „politisches Mandat“ der Interessenvertretung in Arbeitsmarkt-, Sozial-, Gesundheits- oder Steuerpolitik, gar hinsichtlich der Klimakrise oder der neuen Ära imperialistischer Welt(un)ordnungskriege. Wo nicht ohnehin direkt institutionell integriert und subsumiert, gilt denn auch – wenn überhaupt – „die Resolution“ als höchste gewerkschaftliche Kampfform. Dafür darf man sich (und von den herrschenden Eliten, wie bereits vermerkt, auch – real bis symbolisch – als solches akzeptiert) als Teil der nationalen politischen Elite begreifen und nach staatstragenden Stippvisiten wie etwa dem kürzlichen „Sozialpartnerempfang“ bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen, ins Narrativ einer „harmonikalen Erfolgsgeschichte“ im „höheren Interesse“ einstimmen.    

Materielle Schäden der „Sozialpartnerschaft“

In eins damit wirkt die „sozialpartnerschaftliche“ Integration der Gewerkschaften, wie in Teil I bereits vorweggenommen, selbst noch reformdämpfend und bleibt hinter dem eigentlich gesellschaftlich Möglichen zurück. Daran vermag auch die hartnäckige Mär ihrer angeblichen „Erfolgsgeschichte“ nicht zu rütteln.Dass in Österreich in der Vergangenheit „am Verhandlungstisch“ oft größere Erfolge erzielt werden konnten als in anderen Ländern in harten Arbeitskämpfen und langwierigen Streikkämpfen, ist nicht Ergebnis der „Sozialpartnerschaft“, sondern lag an bestimmten, günstigen Voraussetzungen: der Schwäche des heimischen Kapitals, der geostrategischen Fensterlage Österreichs in der Ost-West-Systemauseinandersetzung u.v.m. Die Gewerkschaften betreffend beruhten die ehemaligen Erfolge vor allem auf dem Umstand der schieren, international kaum vergleichbaren Größe des ÖGB, sprich: dem vergleichsweise sehr hohen Organisationsgrades der Arbeitenden im Land (1970, zur Hochblüte, noch bei 60% liegend), sowie seinem „Drohpotential“ als Einheitsgewerkschaft.

Zudem kämpften – in strikter wirtschafts- und vor allem währungspolitischer Bindung Österreichs an die BRD (die 7,03 des Schillings zur D-Mark galten als ebenso unumstößlich wie jeder auch nur viertelprozentige Zinsschritt der Deutschen Bundesbank sofort nachvollzogen wurde) – faktisch die deutschen Gewerkschaften (allen voran die IG-Metall) die KV-politischen Leitlinien aus, welche der ÖGB dann je nach Österreich verpflanzte.

Politisch-ideologische Folgen und Langzeitschäden

Schwerer als die materiellen Schäden des Zurückbleibens der Gewerkschaften hinter ihren Möglichkeiten wiegen allerdings die ideologischen und politischen Folge- und Langzeitschäden der „Sozialpartnerschaft“: Die Verschleierung des Klassengegensatzes und der Herrschaftsverhältnisse, die „Entideologisierung“ und Entpolitisierung sowohl der Gewerkschaftsbewegung wie der Masse der abhängig Beschäftigten, ein nur schwach ausgeprägtes Klassenbewusstsein der ArbeiterInnen und Angestellten im Land, eine bloß rudimentäre Einsicht der Werktätigen in ihre Kraft als Arbeiterklasse, damit einhergehend Einzug haltende Tendenzen der Entsolidarisierung, Politikverdrossenheit und Apathie, unzureichende gewerkschaftliche Aktionen auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene, im internationalen Kontext vergleichsweise dürftige Mobilisierungen und Mobilisierungsfähigkeit der Beschäftigten, ein kontinuierlicher Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrades von besagten einst 60% auf heute rund die Hälfte von 30%, sowie ein basaler politischer und strategischer Autonomieverlust der Gewerkschaftsbewegung, das Verlorengehen einer jedweden systemüberwindenden Alternative zur Profit-Logik.

„Zeitenwende“ im Blick auf die organisatorischen und strukturellen und gewerkschaftlichen Machtressourcen

Die längerfristige Rechnung der „sozialpartnerschaftlichen“ Ausrichtung des ÖGB’s und der AK wird uns heute seitens des Kapitals präsentiert. Im Windschatten der devoten „Partnerschaft“ mit dem Kapital haben sich die Klassenkräfteverhältnisse drastisch zugunsten des Kapitals verschoben, das seinerseits zu einem immer konfrontativer geführten Klassenkampf „von oben“ übergegangen ist. Die Zeiten der „Zugeständnisse“ und von „sozialpartnerschaftlichen Kompromisse“ am „Verhandlungstisch“ sind definitiv vorbei. Mehr noch: Heute erfordert selbst die Verteidigung der historisch in harten Kämpfen erfochtenen Errungenschaften und der später zugefallenen Brosamen den entschiedenen Klassenkampf seitens der Gewerkschaften. Und das gilt natürlich umso mehr für alle vorwärts weisenden Verbesserungen der Arbeits-, Lebens- und Kampfbedingungen der Arbeitenden, für eine soziale Wende der Verhältnisse.

Umso gravierender denn auch, dass der ÖGB selbst unter diesen Bedingungen aufgrund der politischen, ideologischen und institutionellen Einbindung der Gewerkschaftsspitze und seines Apparats in die „Sozialpartnerschaft“ keine kämpferische Interessensvertretung einschlägt und die Gewerkschaftsbewegung und Beschäftigten im Land weiter (mit Ausnahme als gelegentlicher „sozialpartnerschaftlicher Verhandlungsmasse“) zum Stillhalten verdonnert.

Teil 1 der Artikelserie
Teil 2 der Artikelserie

Foto: Maclemo / CC BY-SA 3.0 Deed / cropped

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