Klassenkampf statt „Sozialpartnerschaft“: Lohnpolitik und Wandel der lohnpolitischen Leitlinien

Im nunmehr 5. Teil unserer Artikelserie zur marxistischen, linken Kritik an der „Sozialpartnerschaft“ in gewerkschaftlicher Perspektive beschäftigen wir uns dieses Mal mit der sozialpartnerschaftlichen Lohnpolitik sowie dem Wandel ihrer Leitlinien.

Einhergehend mit der strategischen Wende des österreichischen Kapitals und der politischen Eliten von einem nachfrageseitigen Austro-Keynesianismus zu einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik und neoliberalen Modell des Kapitalismus wandelte sich in Österreich seit Anfang der 1980er auch das „sozialpartnerschaftliche Arrangement“ und die lohnpolitische Leitlinie der Gewerkschaften. Die vormals keynesianische, an der sog. „Benya-Formel“ orientierte Lohnpolitik (die jährliche Lohnerhöhung habe den Anstieg der Lebenserhaltungskosten – genauer: die Inflationsrate – auszugleichen plus den halben Wert des Produktivitätszuwachses zu umfassen), wurde seit den frühen 80er Jahren mehr und mehr zugunsten einer wettbewerbsorientierten Lohnpolitik „maßvoller“ Lohnabschlüsse im „höheren Interesse“ der Schlacht um den Weltmarkt entsorgt.

Der ideologische Tsunami des sog. Neoliberalismus fand seither auch in Österreich immer stärkeren Eingang in die Kollektivvertragspolitik. Dessen zentrales lohnpolitisches bzw. KV-politisches Credo maßvoller Lohn- und Gehaltsabschlüsse, Deregulierungen und Arbeitszeitflexibilisierungen um der vielbeschworenen „internationalen Konkurrenzfähigkeit“ wegen, stieß auch seitens der Gewerkschaftsspitzen auf strategische Akzeptanz und entwand dem ÖGB und den Fachgewerkschaften im Grunde die Möglichkeit jedweder theoretisch begründeter autonomer Gegenposition.

Prinzipiell lässt dazu zunächst mit Emmerich Tálos kurz und bündig feststellen, die heimischen Kapitalien „profitieren von dem traditionell geringen Ausmaß an Arbeitskämpfen und von moderaten Lohnabschlüssen, die vor allem an der Exportwirtschaft orientiert ist.“

Während die so sukzessiv verdrängte frühere keynesianistisch begründete lohnpolitische Konzeption in der Entwicklung der Löhne und Gehälter allerdings noch das entscheidende Nachfrageaggregat in Anschlag brachte, trat mit der ideologischen Wende zum „sozialpartnerschaftlichen Angebotskorporatismus“ an deren Stelle vorrangig die Froschperspektive der betriebswirtschaftlichen Verwertungslogik des Kapitals sowie das Mantra der internationalen Standortwettbewerbs.

Damit verabschiedete sich der ÖGB nicht nur selbst noch von der Grundideologie des gewerkschaftlichen Reformismus nach 1945 im Land, sondern verfügt seither auch über kein eigenes Konzept gegen die neoliberale Offensive (wenngleich die „Benya-Formel“ öffentlichzumal in den gegenwärtigen Hochinflationszeitenals, allerdings leere, Faustregel vom ÖGB bis heute partiell beschworen wird).

Wie eng sich der ÖGB und die AK selbst darin noch dem „sozialpartnerschaftlichen“ Rahmen verpflichtet sehen, kann man unschwer den bis heute tradierten Leitbildern sowie den Erklärungen der Gewerkschafts- und AK-Spitzen entnehmen. So heißt es in den Leitbildern des ÖGB, sich als Gewerkschaftsbewegung in Österreich verortend, etwa: „Durch moderne Kollektivverträge sichert der ÖGB im Rahmen der Sozialpartnerschaft die Einkommen und die Rechte der Arbeitnehmer/innen“. D.h., wie in der „Sozialpartner-“Vereinbarung von 1992 – gegen eine gewerkschafts-autonome einzige Verpflichtung und Strategiebildung an den Arbeits- und Lebensinteressen der unabhängig Beschäftigten – ausdrücklich festgehalten wird: „Sozialpartnerschaft ist gekennzeichnet durch eine besondere Art der Gesprächs- und Verhandlungskultur und durch die Bereitschaft der beteiligen Verbände, Kompromisse nach außen und innen durchzustehen und unterschiedlich Interessen unter Bedachtnahme auf … gesamtwirtschaftliche Ziele zu vertreten.“ Entsprechend sahen beispielsweise die beiden Präsidenten der AK und WKO, Herbert Tumpel und Christoph Leitl, denn auch im „kooperativen Stil“ zu „gemeinsamen Zielen“, den ‚besseren‘ österreichischen Weg, „als durch die Austragung von Konflikten, zum Beispiel von Arbeitskämpfen“ zu erreichen. „Diesem Bekenntnis zu gemeinsamen Zielsetzungen“ liegt Tumpel zufolge gar „ein gemeinsames Verständnis bezüglich makroökonomischer Zusammenhänge, eine Bereitschaft zu sachlicher Diskussion bei Verzicht auf einseitige ‚Maximalstrategien‘ zugrunde.“ Dieser Intimität mit dem Kapital korrespondiert zugleich das Verständnis als „Partner der Bundesregierung“. Denn „partnerschaftlicher Geist und Kooperation wird“ in diesem „sozialpartnerschaftlichen“ Verständnis als „besondere Form des Miteinanders“ dem Grundsatz nach natürlich „auch mit der Bundesregierung gelebt“.

Gegen sämtliche Verklärungen der vor dem Hintergrund der grassierenden Teuerungswelle und ausgewiesenen „Gewinn-Inflation“ wieder etwas stärker beschworenen sog. „Benya-Formel“, ist allerdings zugleich nachdrücklich hervorzuheben: ihr zugrunde bzw. eingeschrieben liegt nicht nur die irrige Auffassung, es ließe sich mit ihr eine Art „gerechter“ oder „richtiger“ Lohn in beiderseitiger Ausgewogenheit ausmachen, für den man zudem auch noch gleichsam objektive Kriterien an der Hand habe.

Der Lohnstreit und die Lohnfindung entzieht sich aber einer solchen „Versachlichung“. In derartigen „Zauber-Formeln“ reflektiert sich folglich nur eine falsche Interpretation der Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital. In Wirklichkeit bedeutet eine reine Nachäffung der Arbeitsproduktivität als quasi buchhalterisches Kriterium der Lohnentwicklung bereits eine Parteinahme im Lohnkampf auf Seiten des Kapitals. Sie betrachtet den Lohn darin vorrangig als Kostenfaktor der Unternehmen und geht wie selbstverständlich von der unausgesprochenen Voraussetzung aus, dass die Lohnquote am Volkseinkommen konstant zu bleiben habe. Daran würde auch ein tatsächliches Revival der „Benya-Formel“ nichts ändern.

Dazu kommt in sektoraler Hinsicht, wie Markus Matterbauer herausarbeitete, hier aber nur thetisch festgehalten werden kann, dass aus dem Schema der „sozialpartnerschaftlichen“ gesteuerten ‚gesamtwirtschaftlichen‘ Lohnpolitik in Österreich insbesondere die exportorientierten Unternehmen profitieren: Da die Löhne in diesen Bereichen langsamer als die Produktivität steigen, wird die Arbeit – gemessen an den Lohnstückkosten – stetig billiger; zum internationalen Wettbewerbsvorteil auf dem Rücken der Löhne.

Aber, selbst eine Durchsetzung der noch ein Stück darüber hinaus gehenden und sich am sog. „neutralen Verteilungsspielraum“ orientierenden „produktivitätsorientierten Reallohnentwicklung“ (der zufolge die Reallöhne in Höhe der Inflationsrate plus des unverkürzten jährlichen Produktivitätszuwachses steigen sollen), würde am Verteilungsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit nichts ändern. Zwar würde sie sich sicherlich wohltuend von der herrschenden Lohnzurückhaltung bzw. vorübergehend wieder stärker herbeizitierten „Benya-Formel“ abheben und zumindest der ständigen Verschlechterung der Verteilungsverhältnisse Einhalt gebieten. Einer neuen Primärverteilung zwischen Kapital und Arbeit vermag aber weder diese noch jene zum Durchbruch zu verhelfen.

Der Lohnkampf ist denn auch keine nach sozusagen statistischen Parametern bestimmbare Angelegenheit, sondern eine Frage des Klasseninteresses und Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. In diesem Zusammenhang ist auch der an sich nicht unrichtige Verweis auf die Stärkung der Kaufkraft und Binnennachfrage nur ein flankierendes Hilfs- und Zusatzargument.

Für eine reale Umverteilung in der Primärverteilung von Oben nach Unten bedarf es jedoch das hinter sich lassen aller buchhalterischen Selbstbindungen und Symbiose mit dem Kapital. Dahingehend ist vielmehr eine grundsätzliche ideologische und gewerkschaftspolitische Wende von Nöten, sprich: sich einzige den Arbeits- und Lebensinteressen der Werktätigen verpflichtende Lohabschlüsse deutlich über der Inflation und Zunahme der Arbeitsproduktivität.

 

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