Zum 150. Geburtstag von Karl Kraus: „Gott erhalte uns den Kommunismus“ 

Wir eröffneten das Jahr bereits mit einem Beitrag zu Karl Kraus, der heute vor 150 Jahren geboren wurde. Und gedenken dem Meister und heutigen Jubilar angesichts seiner erschreckenden Aktualität nochmals mit einem erweiterten Beitrag. Schon ein flüchtiger Blick auf die aktuelle politische Weltlage genügt, um die spitze Feder, entlarvenden Wortspiele, sein Sezieren der Sprache und seine aphoristischen Pointierungen zu missen. So fragte er angesichts des Völkergemetzels des Ersten Weltkriegs, damit dessen imperialistischen Hintergrund pointiert auf den Punkt bringend, auf seine unnachahmliche (‚satirisch-mäeutische‘) Weise: „Sollte ‚Schlachtbank‘ nicht vielmehr von der Verbindung der Schlacht mit der Bank herkommen?“

Inzwischen ist auch das Wettrüsten, analog der Jahre 1910 bis zum Beginn des Völkergemetzels, erneut in einen regelrechten Rüstungs-Tsunami übergegangen und spricht man in den Hauptstädten „des Westens“ immer unverblümter von einer sogenannten „Herausforderung“ einer europäischen wie transatlantischen „Kriegstüchtigkeit“ für einen neuen, großen heißen Krieg. Umso unabdingbarer nur, den Blick auf den bellizistischen Paradigmenwechsel mit einer an aktueller Brisanz kaum hoch genug zu schätzenden Würdigung Karl Kraus‘ zu werfen.

Freilich, Karl Kraus war kein Linker, nicht „unserer“. Und doch überragte er, der sich als ein Einzelner der Kriegshysterie des Ersten Weltkriegs und dem historischen Sündenfall der Sozialdemokratie entgegenstellte, diese um Welten. Schon unmittelbar zu Kriegsbeginn – die Druckerschwärze von Friedrich Austerlitz‘ kriegsbesoffenem Leitartikel „Der Tag der deutschen Nation“ in der Arbeiter-Zeitung war noch nicht getrocknet – eröffnete er eine anberaumte Lesung mit den Worten: „In dieser Grossen Zeit, die ich noch gekannt habe, als sie soo klein war…“ Damit war alles entschieden, der gefeierten „großen Zeit“ und ihren „Revolverjournalisten“ vom ersten Tag an, der unermüdliche Kampf erklärt.

Und die aphoristischen Pointierungen, Wortspiele und sprachlichen Sezierungen Kraus‘ sind nicht von bloß zeitgenössischer Bedeutung, sondern von überdauernder Bedeutsamkeit und Signifikanz. ‚Der Optimist‘, Sinnbild eines loyalen Bürgers und der fleischgewordenen Phrase in Kraus‘ Monumentalwerk „Die letzten Tagen der Menschheit“, setzt zu einer Rechtfertigung des Kriegs mit den Worten „Es handelt sich in diesem Krieg –“ an; ‚der Nörgler‘, das satirische Sprachrohr Kraus‘ und vernichtende Wort, schneidet ihm lakonisch das Wort ab: „Jawohl, es handelt sich in diesem Krieg!“ Eine der vielen Szenen und Wortspiele mit denen der heurige Jubilar in seiner typischen Art die eigentlichen Hintergründe des imperialistischen Völkergemetzels 1914 – 1918 und seitherige Blutspur des Imperialismus mit bewundernswerter Meisterschaft pointiert entlarvt.

Nicht weniger eindringlich die Szene der Ansprache eines Wieners vor einer Bank zu Kriegsbeginn, in der Kraus die inbrünstige Beschwörung des vermeintlichen ‚Verteidigungskrieg‘ zu dem es für die Massen angeblich ‚auszuziehen‘ galt in seiner satirischen Sprachakrobatik zur tiefschürfenden Entlarvung gerinnen lässt: „Darum, Mitbürger, sage ich auch – wie ein Mann wollen wir uns mit fliegenden Fahnen an das Vaterland anschließen in dera großen Zeit! … Mir führn einen heiligen Verteilungskrieg führn mir! … Daß sie’s nur hören die Feind, es ist ein heilinger Verteilungskrieg, was mir führn! … Die Sache, für die wir ausgezogen wurden, ist eine gerechte, da gibts kein Würschteln.“

Oder die prononcierte Verdichtung mit der er das Börsenbarometer in Zeiten der Kriegskonjunktur und noch heute unverändert gültige Zucken der Handelsplätze und Börsianer im Auf und Ab der Rüstungs- und militärischen Interventionszyklen aufs Korn nimmt: „Als zum ersten Mal das Wort ‚Friede‘ ausgesprochen wurde, entstand auf der Börse eine Panik. Sie schrien auf im Schmerz: Wir haben verdient! Lasst uns den Krieg! Wir haben den Krieg verdient!

Als Sprachkritiker verachtete er zugleich die Phrase wie, heute zumal zu blinden Redebausteinen sublimierte, Euphemismen. Der von der NATO vor 25 Jahren in ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien aufgebrachte Begriff „Kollateralschaden“ – 1999 immerhin noch zum „Unwort des Jahres“ erkoren – hätte seine hartnäckige Aufmerksamkeit gewiss gehabt. Und dass im europäisch-abendländischen Selbstverständnis, bzw. um des notorisch guten Gewissens des „Kollektiven Westens“ willen, dessen Kriege partout nie „Angriffskriege“ zeichnen, sondern mehr eine Art „internationalen Polizeieinsatz“ mit „militärischen Mitteln“ oder irgend geartete „Interventionen“ seien, wie US-Präsident Theodore Roosevelt bereits 1904 die ‚Aufgabe‘ „zivilisierter Gesellschaften“ als „internationaler Polizeimacht“ gegenüber Kolonien und abhängigen Staaten solch Kriege definierte, hätte der heutige Jubilar nicht minder unnachgiebig gebrandmarkt und ins rechte Licht gerückt. Kraus notierte denn auch schon zu Beginn des Ersten Weltkriegs das immer perfidere „Schauspiel, wie der Intellekt auf das Schlagwort einschnappt“.

Karl Kraus war ein Meister der Ironie, ein Medienkritiker“, so Bert Brecht über Karl Kraus. „Nichts war ihm verächtlicher als ‚Journalisten‘ [i.S. der Lohnschreiber des Kriegs], nichts unerträglicher als die Verflechtung von Meinung und persönlichem Vorteil…“ – zum ‚Bombengeschäft‘. Kraus machte die bellizistische Journalistik, die„entfesselte Schufterei“eines MoritzBenedikt oder einer Alice Schalek – deren Berichte und Kommentare oft und oft wörtlich übernehmend, dabei jedoch Wörter, Begriffe und Sentenzen in Sperrdruck setzend und bereits so eingehender beleuchtend in einem Ausmaß unmöglich, dass sie uns dem Spott ihres Geschreibsels und ihrer morbiden Phrasen ausgesetzt noch heute, wenn auch unverdient, geläufig sind.„Die grellsten Erfindungen sind Zitate“, lautet denn auch ein berühmtes Diktum aus dem Epilog der „Letzten Tage“.

Und in seinem unnachahmlichen Wortwitz fügte er hinzu: „Den Leuten ein X für ein U vormachen – wo ist die Zeitung, die diesen Druckfehler zugibt?“ Bissiger noch sein auf die JournalistInnenzunft der Mainstreammedien gemünzter Bonmot: „Es genügt nicht keinen Gedanken zu haben: man muß ihn auch ausdrücken können“. Würde er in seinem 150. Jubiläumsjahr sehen, wer ihn so aller ehrt und als Monstranz missbraucht – wir verzichten an dieser Stelle ganz unkrausianisch Namen zu nennen –, er würde flugs zur Feder greifen und mit frischer Tinte die Fassade dieser „Revolverjournalisten“ und lemurenhaften „Wortgesindels“ in Scherben schreiben. Denn es sind vielfach genau die Benedikts und Schaleks von heute, die andernorts als mit Phrasen und Durchhalteparolen bewaffnete Schreibtisch-FeldwebelInnen ohne Waffenschein wie einst salutierend die Haken zusammenschlagen: Auch „wir haben ausgeharrt wie die im Schützengraben“.

Karl Kraus hätte, unerbittlich wie er war, nur Verachtung für diese Journaille übrig. Als Satiriker auf der Höhe der seinerzeitigen Epochenschwelle zugleich das schlechte Gewissen seiner Zeit und spätbürgerlichen Zeitalters, verkörpert er ohnedies eine Persönlichkeit und Literat ganz anderen Rangs. Niemand hat das schöner und tiefsinniger ausgedrückt als sein Bewunderer Bert Brecht, der über Karl Kraus urteilte: „Als das Zeitalter Hand an sich legte, war er diese Hand.“

Darin fügt sich auch Kraus‘ für ihn paradoxes Plädoyer ‚Gott erhalte uns den Kommunismus‘ ein. Denn einzig vor diesem, von dem er nichts wusste und den er verneinte, hatte das Bürgertum, von dem er alles wusste, Angst. Entsprechend schrieb er drei Jahre nach der Oktoberrevolution über den Kommunismus: „Gott erhalte ihn uns, damit dieses Gesindel, das schon nicht mehr ein und aus weiß vor Frechheit, nicht noch frecher werde, damit die Gesellschaft der ausschließlich Genussberechtigten, die da glaubt, dass die ihr boßtmäßige Menschheit genug der Liebe habe, wenn sie von ihnen die Syphilis bekommt, wenigstens doch auch mit einem Alpdruck zu Bette gehe!

Zurecht kommentierte Ernst Fischer in diesem Zusammenhang einst: „Natürlich ist es gut, wenn satte Machthaber mit einem Alpdruck zu Bette gehen, und kann sogar zur Folge haben, dass sie den Nicht-Privilegierten allerlei zugestehen – doch der Alpdruck allein genügt nicht. Die Negation allein ist zu wenig, um eine Katastrophe abzuwenden.“ Erst die Negation der Negation, in der Tradition Hegel-Marx geredet, setzt auch eine positive Alternative und gesellschaftliche Perspektive – und vermag damit die Rebellion zur Revolution zu erheben.

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