20 Jahre Irak-Krieg der USA und ihrer „Koalition der Willigen“

Zum 20. Jahrestag des Irak-Kriegs der USA und ihrer „Koalition der Willigen“ – die imperiale Renaissance des Kolonialismus auf Kosten von 1,5 Millionen Todesopfer

Heute vor genau 20 Jahren starteten die USA und ihre „Koalition der Willigen“ ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak. Mit den berüchtigten Worten: „Was wir tun, hängt nicht von den Entscheidungen anderer ab. (…) Der Sicherheitsrat hat seine Verantwortung nicht wahrgenommen. Deshalb werden wir unsere wahrnehmen“, stelle US-Präsident George W. Bush zuvor die Existenzberechtigung des UN-Sicherheitsrats als verwirkt in Abrede.

Frankreich und Russland hatten zuvor ihr Veto gegen den Feldzug angekündigt und auch das nicht-ständige Mitglied Deutschland stellte sich gegen diesen. Parallel wurde die UN-Vollversammlung in einer historischen Politpropagandashow von US-Außenminister Colin Powell in einer Dreistigkeit belogen, brüskiert und vorgeführt wie nie zuvor. Gleichzeitig erklärten US-Diplomaten: Die Militäroffensive „ist unsere Entscheidung und wir haben sie gefällt. Die einzige Frage ist nur noch, ob der Sicherheitsrat sich uns anschließt oder nicht.“ Exakt zehn Tage später gingen unter dem Motto „Kein Krieg für Öl“ weltweit Millionenmassen gegen den imperialistischen Neo-Kolonialkrieg und die „Zeitenwende“ unterm Sternenbanner auf die Straße.  

Das zu Grabe tragen des Völkerrechts gegen die größten Friedensdemonstrationen aller Zeiten

Heute fast vergessen, fanden am 15. und 16. Februar 2003 die, wie die Leitmedien seinerzeit titelten „größten Friedens“- bzw. „Antikkriegs-Demonstrationen aller Zeiten“ (jedenfalls aber seit den Protesten gegen den Vietnamkrieg) statt. In London und Madrid etwa gingen jeweils bis zu 1,5 Millionen Menschen gegenden anlaufenden Angriffskrieg auf das Zweistromland auf die Straße, in Rom gar 2 Millionen, in Berlin 500.000, in New York 200.000 bis 400.000 sowie Hunderttausende in 200 weiteren Städten der USA und weitere Millionen in 600 Städten weltweit. Umfragen ergaben rund um den Globus eine durchgängig eindeutige Ablehnung des Kriegsgangs. Das Weiße Haus in Washington und die Downing Street in London ließen sich von alledem nicht in die Schranken weisen. Der Krieg war schon seit Anfang 2001 beschlossene Sache, wie der Finanzminister der Bush-Administration Paul O’Neill später öffentlich ausplauderten bzw. eingestand. Demgemäß hatte Georg W. Bush die „Pläne für eine Inversion im Irak, für eine Nachkriegsära und Vorstellungen über die Zukunft des irakischen Öls“ denn auch bereits Anfang 2001 ausarbeiten lassen, so O‘Neill. Bereits seit der ersten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats der neuen Administration ging es denn auch nicht mehr um das Ob eines Irakfeldzugs, sondern nur mehr „um das Wie und Wie schnell“. Entsprechend zog die „Koalition der Willigen“ (übrigens mit Beteiligung der Ukraine) unter der Losung „Shock and awe“ (verbreite „Schrecken und Furcht“) am 20. März 2003 ins Feld, schob in eins damit die UNO beiseite, ersetzte das Völkerrecht durch das Faustrecht und zertrümmerte unter brachialem Bombenhagel und dem militärischen Einmarsch von 270.000 Soldaten in den Irak die „regelbasierte Weltordnung“.

Washington erklärt das Völkerrecht und die Vereinten Nationen in aller Öffentlichkeit für null und nichtig

Die neue „Nationale Sicherheitsstrategie“ der USA, mit der Präsident Bush das Verbot von Präventiv- Angriffskriegen für den Souverän in Washington in aller Öffentlichkeit für null und nichtig erklärte, sowie die Dreistigkeiten des für den Irak-Krieg aufgetischten Lügengebräus der „Zeitenwende“ „Made in USA“, ließ vielfach selbst dem politischen Personal, UN-Vertreter:innen, Schlapphütten der US-Geheimdienste und Diplomat:innen den Kragen platzen. Noch nie zuvor in der Geschichte hatte ein US-Präsident das Völkerrecht und die Vereinten Nationen öffentlich zu für Washington historisch verwirkte Reliquien erklärt und dies auch per präsidialer Unterschrift unter die neue US-„Sicherheitsstrategie“ besiegelt. Und was das nur so mit Lügen, teils plumpesten Fälschungen und hanebüchenen Unterstellungen gespickte mediale Dauerbombardement anbetraf, erklärte Vize-Präsident Dick Cheney assistierend: „Es geht nicht um Analysen oder darum, eine riesige Menge von Beweisen zu finden. Es geht einzig um unsere Reaktion.“ Darob verlor dann sogar der seinerzeit letzte US-Botschafter in Bagdad und Schlapphut Joseph Wilson regelrecht die Fasson und nannte Cheney wenig fein einen „lügenden Hurensohn“ und fügte auf Nachfrage in einer Polit-Talkshow nochmals verstärkend hinzu: „Lügender Hurensohn ist so ungefähr das Netteste, was mir zu Dick Cheney einfällt.“

Besorgt äußerte der „International Herald Tribune“ wenig später: „Buchläden sind voll mit Titeln über Bush wie ‚Lügen und die lügenden Lügner‘, ‚Große Lügen‘, ‚Betrüger an hohen Stellen‘ und ‚Die Lügen von George W. Bush‘.“ Was kaum zu verwundern vermag. In den für die öffentliche Meinung entscheidenden zwei Wochen vor Kriegsbeginn liefen in den USA die Fernsehsender heiß und gab es sage und schreibe 393 Interviews zur Kriegsfrage. In lediglich 3en dieser fast 400 Sendungen kamen auch Kriegsgegner zu Wort. Die mediale Kriegspropagandamaschine lief auf Hochtouren. Nicht unähnlich heute. Und das Sprichwort, dass das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist, feierte regelechte Urstände – wenngleich man präzisierend sagen müsste, dass die Wahrheit bereits ein Opfer der vorbereitenden Kriegspropaganda war. Eine Studie des Center for Public Integrity wies allein 8 US-Spitzenpolitikern nahezu unfassbare 935 öffentliche Lügen in nur zwei Jahren vor dem Waffengang nach. Darunter US-Präsident George W. Bush, sein damaliger Außenminister Colin Powell, Vize-Präsident Dick Cheney, die ehemalige nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sowie Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.

„Aufruf zum amerikanischen Imperialismus des 21. Jahrhunderts, den kein anderes Land akzeptieren kann oder sollte“ (Edward Kennedy)

Bereits 1998 hatte der einflussreiche PNAC-Zirkel (Project for the New Amercian Century – PNAC), der mit George W. Bush dann direkt die entscheidenden Ministerposten einnahm bzw. anderweitige hochrangige Schlüsselstellen in der Administration bezog, in einem Brief Bush’s Vorgänger, US-Präsidenten Bill Clinton, aufgefordert, den Irak anzugreifen und einen Regime-Change durchzuführen. Nun an die politischen Schalthebeln gelang, gingen die Neocons vom ersten Tag daran, ihr strategisches Programm für ein „Neues Amerikanisches Jahrhundert“ (das als einen Mosaikstein auch den Krieg gegen den Irak beinhaltete) in die Tat umzusetzen. Während der heutige US-Präsident und jahrzehntelang geeichte außenpolitische Falke Joe Biden einer der wesentlichsten Unterstützer sowie einer der einflussreichsten wie mächtigsten Verbündeten der Neocons und ihres völkerrechtswidrigen Feldzugs gegen den Irak auf Seiten der Demokraten war, verurteilte der verstorbene Senator Edward Kennedy, Bruder John F. Kennedys, das ganze strategische PNAC-Programm für ein „Neues Amerikanisches Jahrhundert“ hingegen als einen „Aufruf zum amerikanischen Imperialismus des 21. Jahrhunderts, den kein anderes Land akzeptieren kann oder sollte“.

Kriegsverbrechen und 1,5 Millionen ungesühnte Opfer & „Zeitenwende“ „Made in USA“

Hunderttausende Tote – bezieht man die Opfer des mörderischen Sanktionsregimes gegen den Irak seit den 1990er mit ein, mehr als 1,5 Millionen Tote, darunter eine dreiviertel Million Kinder – Millionen Flüchtlinge und unzählige Verkrüppelte sowie Geschändete, Gefolterte und die Verwüstung des Iraks in einen „Failed State“ später, muss sich noch immer niemand von George W. Bush bis zu dessen „Pudel“ Tony Blair für das imperialistische Verbrechen verantworten. „Unzählige Iraker starben durch Folter, die ihnen auch Soldaten der ‚Koalition der Willigen‘ antaten. Der Folterknast Abu Ghraib war nur die Spitze des Eisbergs. ‚Die einzigen Grenzen, die es gab, waren die Grenzen der Vorstellungskraft‘, zitiert Wikileaks, das fast 400 schwer belastende geheime US-Dokumente zum Irak veröffentlichte, einen Augenzeugen“, woran in der jw gerade auch Wiebke Diehl erinnerte. Dass es deratige im Auftrag der CIA geführte Folterkerker und Geheimgefängnisse etwa auch in Polen, Bulgarien, Rumänien oder im Kosovo gab, ist im EU-Europa des „Wertewestens“ gleichsam stillschweigend abgehakt. Mehr noch freilich, dass deren nahezu unbeschreiblichen Zustände sowie breit gefächerten bestialischen Folterpraktiken vom Weißen Haus, dem Pentagon, der CIA und dem US-Justizministerium angeordnet, gerechtfertigt und gedeckt wurden, wie auch Untersuchungsberichte des US-Kongresses festhalten.

Dafür schwafelt man in den Hauptstädten der imperialistischen Kernländer umso intensiver von einer angeblich mit dem 24.2. 2022 zu datierenden „Zeitenwende“, die gar das Datum des „Wiederauflebens des Imperialismus“ markiere, um die westlich-imperialistische Vorherrschaft und deren steten imperialen Kriege bis ins Unkenntliche zu retuschieren. Adäquater hingegen der Völkerrechtler Ralph Janik im gestrigen „Kurier“ im Artikel „Sargnagel des Völkerrechts“: „Die USA haben damals alle Hoffnungen auf eine geordnete Staatenwelt zu Grabe getragen.“

Wollte man eine „Zeitenwende“ der imperialistischen Kriege seitens der imperialistischen Kernländer für die Ära nach dem Kalten Krieg festmachen, müsste man in Wirklichkeit noch weiter zurückgreifen und wäre recht eigentlich wohl auf die US-Invasion in Panama 1989 als deren Generalprobe zu rekurrieren. Ein Krieg, der obwohl er seinerzeit im Überschwang des westlichen Triumphalismus sogar live im Fernsehen übertragen wurde, heute überhaupt weitgehend aus dem Massenbewusstsein getilgt ist.

„Angriffskriege“ dürften „nicht straflos bleiben“ (Annalena Baerbock), tönt es aus den westlichen Hauptstädten unisono. Mit ebenso doppeltem Zugenschlag dozierte Van der Bellen beim Neujahrsempfang vor dem Diplomatischen Corps: „Wir sind nicht neutral gegenüber dem eklatanten Bruch des Völkerrechts und gegenüber Kriegsverbrechen.“ Na, dann sollten die längst überfälligen Anklagen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und internationale Haftbefehle gegen George W. Bush und Tony Blair wegen des Irak-Kriegs sowie der nicht minder fälligen Anklage von Barack Obama, Nicolas Sarkozy und David Cameron in Den Haag aufgrund des Libyen-Kriegs ja bereits soweit in Arbeit sein, um endlich auf den Weg gebracht zu werden. Es sei denn, der Westen ist unauflöslich in seinen metropolitan-imperialen Doppelstandards verfangen und in Völkerrechtsfragen schlicht unlaubwürdig, wie es der Völkerrechtler, Professor für Internationales Strafrecht und Counsel sowie Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, Kai Ambos, in seinem jüngsten Buch „Doppelmoral“ anprangert, und diesbezüglich explizit auch den Irak- sowie Libyen-Krieg ins Treffen führt.

Foto: WikiCommons, gemeinfrei

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