25 Jahre NATO-Krieg gegen Jugoslawien – Teil II

Oder: als der Krieg 1999 mit weltpolitischer Zäsur nach Europa zurückkehrte

Bereits zwei Jahre nach dem verbrecherischen NATO-Krieg strahlte das ARD die Investigativ-Dokumentation „Es begann mit einer Lüge. Wie die NATO im Krieg um Kosovo Tatsachen verfälschte und Fakten erfand“ aus. Später wiederum gab Deutschlands Jugoslawien-Kriegs-Kanzler Gerhard Schröder zu, dass der Krieg gegen Belgrad völkerrechtswidrig war. Und dennoch herrscht öffentlich eine, wenn auch gestiftete, dennoch geradezu erschreckende Amnesie hinsichtlich der eigentlichen Rückkehr des Kriegs nach Europa.

ARD: „Es begann mit einer Lüge“

Bereits zwei Jahre nach dem verbrecherischen NATO-Krieg, Jugoslawien war inzwischen bereits in die Knie gezwungen und weiter zerstückelt, strahlte das ARD die Investigativ-Dokumentation „Es begann mit einer Lüge. Wie die NATO im Krieg um Kosovo Tatsachen verfälschte und Fakten erfand“ aus. Entsprechend geriet wenig später denn auch der „Jahrhundertprozess“ in Den Haag, wie ihn Chefanklägerin Carla del Ponte in ihrem Eröffnungsplädoyer bezeichnete, zu einer einzigen Farce. Angeklagt der „schlimmsten der Menschheit bekannten Verbrechen“, mangelte es dem Tribunal dafür sichtlich an Beweisen (was gelegentlich auch del Ponte einzugestehen gezwungen war). Und im späteren Urteil gegen Bosniens Serbenführer Radovan Karadzic, wurden Milosevic und die Bundesrepublik Jugoslawien ihrerseits, unbemerkt von der medialen Öffentlichkeit, postum vom „Völkermord“ und „Kriegsverbrechen“ während des bosnischen Krieges von 1992 bis 1995 freigesprochen. Die von Slobodan Milosevic in dessen eigenem Prozess beantragte Vorladung unter anderem von Rudolf Scharping, Joschka Fischer, Bill Clinton oder UN-Generalsekretär Kofi Annan (oder auch den beiden US- und britischen AußenminsterInnen Madeleine Albright und Robert Cook) zum Kreuzverhör wurde vorsorglich abgewiesen. Der bekannte, ehemalige US-Justizminister Ramsey Clark war denn auch der Ansicht, auf die Anklagebank in Den Haag hätten in Wirklichkeit vielmehr die Figuren der NATO-Mächte gehört.   

Die Rabulistik der NATO: Kein Krieg, sondern humanitäre Intervention mit militärischen Mitteln

Der offiziellen Sprachregelung zufolge war der Waffengang allerdings kein Krieg („Wir führen keinen Krieg“, wie Gerhard Schröder erklärte), sondern wurde euphemistisch als „humanitäre Intervention“ („mit militärischen Mitteln“, wie derselbe in geradezu sagenhafter Rabulistik spitzfindig mitteilte) verharmlost. „Liebe Mitbürger, liebe Mitbürgerinnen“, dozierte Schröder in seiner grotesken TV-Ansprache, „heute Abend hat die NATO mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen“, gleichwohl führen Deutschland und das Militärbündnis mitnichten einen Krieg. Einzig eine Art „internationalen Polizeieinsatz“ mit „militärischen Mitteln“, wie Theodor Roosevelt bereits 1904 die ‚Aufgabe‘ „zivilisierter Gesellschaften“ als „internationaler Polizeimacht“ gegenüber Kolonien und abhängigen Staaten im Neusprech über den Krieg definierte.

Und der Kronphilosoph Europas, Jürgen Habermas, assistierte devot und theoretisierte ein „überrechtliches Recht“ zum „humanitären Krieg“. Seit er sich jedoch des jüngeren in der „Süddeutschen Zeitung“, ansonsten freilich dem Mainstream verpflichtet, für eine Entschärfung und Verhandlungslösung des eskalierenden Ukraine-Krieg aussprach, ist es auch für ihn vorbei mit seinem Nimbus als moralische Instanz des bundesdeutschen Liberalismus. Heute ist der Stab auch über ihn gebrochen. Ahnungslosigkeit und Senilität sind dabei noch die schmeichelhaftesten über ihn verhängten Verdickte.

Gesellschaftliches Klima der Hysterie und die Monotonie der Nachrichten

Hier ist nicht der Ort den – wie der ehem. Botschafter der DDR in Belgrad Ralph Hartmann einmal bemerkte – „von allen Seiten mit größter Härte und nicht selten mit fast unvorstellbarer Brutalität geführten“ Bürgerkrieg Jugoslawiens seit Beginn der 1990er Jahre auszuleuchten, noch den Kosovo-Konflikt, der dann als Feigenblatt für den NATO-Krieg gegen Belgrad herhalten musste. Selbiges gilt an dieser Stelle für die dahinterstehenden Interessenskonstellationen und imperialen Interessen des Westens. Im vorliegenden Zusammenhang sei neben der mit ihm eingeläuteten historischen Zäsur – auf die hinzuweisen man seinerzeit für fast paranoid erklärt und natürlich als „Slobo-Versteher“ geächtet wurde – abschließend einzig noch an seinen im historischen Gedächtnis zugeschütteten, verbrecherischen Charakter erinnert. Zunächst als „Blitzkrieg“ mit einem Enthauptungsschlag gegen Belgrad geplant, zog sich das Kriegsgeschehen aufgrund des hartnäckigen Widerstands der jugoslawischen Armee über beinahe drei Monate. Monoton verkündeten die NachrichtensprecherInnen Morgen für Morgen: „Auch in dieser Nacht griff die NATO wieder Ziele in Jugoslawien an.“ Belgrad, Novi Sad, Kragujevac, Nis, Pancevo …

Die vergessen gemachten Kriegsverbrechen der NATO im Jugoslawienkrieg

Gemeinsam mit dem Zerbomben des Völkerrechts wurde das Land in Schutt und Asche gelegt. Mit ihren über 23.000 Kampfflugeinsätzen, mehr als 14.000 auf jugoslawische Städte und Dörfer abgeworfenen Bomben, sowie rund 2.300 abgefeuerten Raketen zerstörte die NATO gezielt die zentrale Infrastruktur des Landes: die wichtigsten Eisenbahnschienennetze, 19 Bahnhöfe, Personenzüge, die Hauptverbindungsstraßen, 13 Flughäfen, weite Teile des Energieversorgungsnetzes, mehr als 60 lebenswichtigen Brücken, die wichtigsten Industrie- und Produktionsanlagen des Landes (über 120), die Wasserversorgungsanlagen, sowie annähernd sämtliche Strom- und Heizkraftwerke. Dazu über 30 Krankenhäuser, bezieht man die beschädigten mit ein traf es sogar 110 Krankenhäuser, mehr als 480 Schulen, Kindertagesstätten und Universitätsgebäude, zudem zehntausende Wohnhäuser. Darüber hinaus bombardierte die NATO zielgerichtet auch die chemischen Fabriken, Erdgasanlagen und Erdölraffinerien, Treibstofftanks und Flüssiggaslager des Landes, die vielfach tage-, ja wochenlang in Flammen standen, als kilometerhohe pechschwarze Rauchschwaden das Land überzogen und mehrere tausend Tonnen hochgiftige Substanzen freisetzten (Phosgen, Vinylchloridmonomer, Salzsäure, Ammoniakflüssigkeit, Quecksilber und eine Reihe weiterer Gifte). Angesichts dieses Infernos formulierte der Umweltwissenschaftler Prof. Dr. Knut Krusewitz mit Blick auf den Jugoslawienkrieg seinerzeit: „Offenbar müssen wir unser Verständnis von Giftgaskrieg revidieren. Moderne Chemiewaffenkriege werden nicht mehr mit primären, sondern mit sekundären Giftgaswaffen geführt, also durch die Bombardierung von Anlagen, die gefährliche Stoffe und/oder Kräfte enthalten.“ Und der WDR-Journalist Marko Josilo konstatierte „die schlimmste Chemie-Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg“. Die petrochemische und chemische Industrie Jugoslawiens wurde denn auch völlig zerstört. Ebenso die größten Düngemittelfabriken. Mit der Zastava-Automobilfabrik wurde zugleich der einzige Autohersteller des Landes dem Erdboden gleich gemacht. Den Dauerbombardements fielen aber auch Flüchtlingskonvois, Eisenbahnzüge und vollbesetzte Busse zum Opfer. Am 23. April wurde schließlich auch das Sendegebäude des jugoslawischen Rundfunks RTS sowie im Anschluss sämtliche weitere Sendeanlagen in anderen Städten in Schutt und Asche gelegt. Die Dutzenden und Aberdutzende bombardierte historischen Denkmäler, Gedenkstätten und (allem voran: orthodoxe) Friedhöfe lassen wir hier zurückgestellt.

Parallel setzte die NATO in ihrer Militäroffensive geächtete und verbotene Waffen, darunter Uran-Waffen, sprich: nukleare Munition (geschätzte mindestens 90.000 abgereichertes Uran enthaltende DU-Geschosse) sowie zig Tausende Streu- und Splitterbomben ein, fanden erstmals in einem Krieg Graphitbomben Einsatz und machte sich das Militärbündnis der großflächigen Verlegung von Landminen schuldig.

Über die Dreistigkeit der Propaganda und Lügen gerade in Deutschland und Österreich zeigten sich übrigens selbst hartgesottene CIA-Agenten erstaunt. Im Anschluss an die bereits auch von Belgrad unterschiebene Streckung der Waffen gegenüber der größten Militärstreitmacht der Welt flog die NATO-Kriegsallianz dann als nur kurz währenden Schlusspunkt noch einen ihrer massivsten Angriffe überhaupt – bevor sie zwei Jahre später aufbrach, die Freiheit des Westens „am Hindukusch zu verteidigen“ (so SPD-Verteidigungsminister Peter Struck) und als Weltsouverän ihre geopolitische Agenda weiter bis in die letzten Winkel des Globus voranzutreiben.

Deutschlands Ex-Kanzler Gerhard Schröder hat wie gesagt nachträglich zumindest die Völkerrechtswidrigkeit der NATO-Aggression eingestanden: „Da haben wir unsere Flugzeuge (…) nach Serbien geschickt, und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt – ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte.“ Ein Eingeständnis, dass die heutige kriegshysterische Allparteienkoalition im Westen auf ihrem Kriegskurs in einen neuen Weltordnungskrieg gleich miteinkassiert hat.

Der erfahrene Militär Heinz Loquai – um ihn gegen den historischen Gedächtnisverlust und das verlorengegangene Autonomie des Denkens eines Großteils „der Linken“ ein letztes Mal heranzuziehen – prophezeite bzw. befürchtete dies, den Jugoslawien-Krieg resümierend, schon damals: „So kann man also alle Gründe für die Befürchtung haben, dass sie („die westlichen Regierungen“) in Zukunft auf neue bewaffnete Interventionen setzen werden.“ Er sollte dahingehend recht behalten.

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