25 Jahre NATO-Krieg gegen Jugoslawien – Teil I

Oder: als der Krieg 1999 mit weltpolitischer Zäsur nach Europa zurückkehrte

Am 24. März 1999, vor exakt 25 Jahren, kehrte mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien erstmals nach 1945 der Krieg nach Europa zurück und verschob der westliche Militärpakt gewaltsam die Nachkriegsgrenzen. 78 Tage und Nächte lang bombardierte das Militärbündnis das Land am Balkan. Dabei hatte Jugoslawien kein anderes Land angegriffen, überfallen oder auch nur bedroht. Die völkerrechtswidrige Aggression gegen Belgrad markierte denn – nach ersten Generalproben, beginnend mit der US-Invasion in Panama 1989 – auch eine historische Zäsur und den entscheidenden „Türöffner“-Krieg für die nachfolgenden Aggressionen und westliche Verhängung des Kriegsrechts über den Globus. Entsprechend jähren sich allein in dieser Woche zwei weitere völkerrechtswidrige, verheerende Angriffskriege des imperialen Westens auf andere Staaten – so die siebenmonatige Zurückbombardierung Libyens in einen „Failed state“ ab 18. März 2011 und die mittlerweile neunjährige Verheerung des Jemens seit 26. März 2015.

Ersetzung des Völkerrechts durch das Faustrecht

Auf die damit erfolgte Ersetzung des Völkerrechts durch das Faustrecht (oder der ‚Stärke des Rechts‘ durch das ‚Recht des Stärkeren‘) wiesen seinerzeit nicht nur Linke und die Friedenskräfte hin, sondern relativ früh etwa auch der Völkerrechtler Ulrich Fastenrath der in der FAZ von einem „Präzedenzfall“ sprach, mit dem auf einen Zustand vor Gründung der UNO zurückgegangen wird. Dass die NATO damals nicht nur das Völkerrecht in Trümmer bombte, sondern auch ihr eigenes Statut entgrenzte und das Militärbündnis endgültig in Richtung „Out-of-area“-Einsätze wandelte, machte die Sache nur noch schlimmer.   

Sozialdemokratie 4.0 & oliv-grüne Schreibtischtäter

Und es war ein sozialdemokratischer Krieg, dessen politisches Personal sich nach seiner Feuertaufe als Feldherren im selben Jahr mit dem „Blair-Schröder-Papier“ der EU dann auch als neoliberales Verwaltungspersonal anempfahl. Begann das 20. Jahrhundert mit dem Sündenfall der Zustimmung der führenden Sozialdemokratie zum Ersten Weltkrieg, so endete es mit einem abermaligen Kriegsgang gegen Jugoslawien unter direkter sozialdemokratischer Federführung. In Deutschland regierte erstmals Rot-Grün unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer, britischer Premier war „New Labour“-Chef Tony Blair, in Frankreich stand der Sozialdemokrat Lionel Jospin an der Regierungsspitze, Italien wurde von der sog. Mitte-Links Regierung d’Alema geführt und in Österreich amtierte SPÖ-Vorsitzender Victor Klima als Kanzler. Zudem residierte im Weißen Haus Bill Clinton, von der europäischen Sozialdemokratie liebevoll „Red Bill“ genannt, als US-Präsident und bekleidete zur Krönung auch noch der spanische Sozialdemokrat Javier Solana den Posten des NATO-Generalsekretärs.

Und während das mit unannehmbaren Forderungen gespickte Kriegs-Ultimatum an Belgrad 1914 noch von den kaiserlichen Hofschranzen – in enger Abstimmung mit dem deutschen Kaiserreich – formuliert wurde, durfte am Diktat von Rambouillet (das die Umwandlung der jugoslawischen Provinz Kosovo in ein NATO-Protektorat und die Zustimmung Jugoslawiens zu einer fremden Besatzungsmacht auf ihrem Boden vorgesehen hatte) auch der sozialdemokratische österreichische Spitzendiplomat Wolfgang Petritsch (heute außenpolitischer Berater des neuen SPÖ-Vorsitzenden Andreas Balber) mit Feder anlegen, wozu schon ehedem nicht zuletzt auch die Grünen der Alpenrepublik bereits frenetisch applaudierten. Von kriegsbesessenen Figuren wie der grünen Ikone Daniel Cohn-Bendit, einst als „Danny le Rouge“ selbsternannter „Revolutionsführer“ auf den Pariser Straßen der französischen 68er-Bewegung, ganz abgesehen. Ganz dem – wenn freilich im Gang der 68er Generation von der Straße durch die Institutionen ins politische Gegenteil verkehrte – Motto ihres deutschen Stars Joschka Fischer gemäß: „Legal, illegal, scheißegal“. Dabei war die bellizistische „Zeitenwende“ der Grünen vor einem Vierteljahrhundert natürlich noch mit mehr Widerhall gespickt als der Kriegsbefehl der Sozialdemokratie, die von ihrem Sündenfall im August 2014 bis zum Vietnam-Krieg – gegen unter anderem den sich die 68er-Bewegung einst entzündete – auf eine lange Tradition der Unterstützung imperialistischer Kriege zurückblicken konnte. Dass die einst mit aus der Friedensbewegung hervorgegangen Grünen heute mehrheitlich überhaupt die Grenze zur apokalyptischen Gemeingefährlichkeit überschritten haben, kann im hiesigen Zusammenhang lediglich noch abrundend vermerkt werden.

Umso bezeichnender nur die Einschätzung des jüngst verstorbenen Doyen der US-Außenpolitik und selbst vielfache Feldherr des States Department (von Vietnam bis Indonesien), sowie Drahtzieher und Unterstützer diverser Militärputsche in Lateinamerika (darunter nicht zuletzt jenen Pinochets gegen die Volksfront-Regierung in Chile 1973) Henry Kissingers: „Der Rambouillet-Text, der Serbien dazu aufrief, den Durchmarsch von NATO-Truppen durch Jugoslawien zu genehmigen, war eine Provokation, eine Entschuldigung dafür, mit den Bombardierungen beginnen zu können. Kein Serbe mit Verstand hätte Rambouillet akzeptieren können. Es war ein ungeheuerliches diplomatisches Dokument, das niemals in dieser Form hätte präsentiert werden dürfen.“

Kriegspropaganda bislang ungekannter Ungeheuerlichkeit

Die Kriegspropaganda mit der die Öffentlichkeit seinerzeit ihrerseits mit in die NATO-Aggression hineingelogen wurde, sprengte damals alle bis dahin geltenden Vorstellungen. Der oliv-grüne Außenminister Deutschlands, Joschka Fischer, sprach mit Bezug auf Jugoslawien ohne dafür je als Schreibtischtäter und Geschichts-Revisionist belangt zu werden ernsthaft vom „Wiederauftauchen eines blutigen völkischen Faschismus“ und flickte dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic „eine rohe, barbarische Form des Faschismus“ ans Zeug. Vor diesem Hintergrund verstieg er sich schlussendlich noch zur bis heute unfassbaren Ungeheuerlichkeit, den NATO-Aggressionskrieg gegen Belgrad unter der Losung „Nie wieder Ausschwitz“ zu verkaufen und erklärte: „die Faschisten kommen nicht durch“. Der sozialdemokratische Kriegsminister Rudolf Scharping wiederum, stand ihm in nichts nach und fantasierte von einem „Konzentrationslager in Pristina“ in dem die Serben zu alledem angeblich mit abgeschlagenen Köpfen Fußball spielen und halluzinierte einen „Fötengrill“ herbei. Bis heute ungestraft für seine Auschwitz-Relativierung trug er in moralisch-propagandistischen Pathos das morbide Lügenkonstrukt vor, dass die von Fischer dummdreist so genannte „SS von Herrn Milosevic“ „Frauen ihre Kinder aus den Armen reißt und ihre Köpfe abschneidet, um mit ihnen Fußball zu spielen“ und „ermordeten Schwangeren der Bauch aufgeschlitzt wird und der Fötus erst gegrillt und dann in den Bauch zurückgelegt wird“.

Gräuelgeschichten, sogenannter „Hufeisenplan“ und der mutige Widerspruch des zuständigen deutschen Verbindungsoffiziers bei der OSZE

Entsprechend titelte wenige Wochen vor dem NATO-Überfall auch das deutsche Boulevard: „Sie treiben sie ins KZ“; „KZ. Konzentrationslager. Ein Alptraum ist wieder auferstanden.“ Und nur wenige Tage nach Beginn des Angriffskrieges gegen Belgrad bediente Kriegsminister Scharping das unsäglich Lügengespinst auf einer Pressekonferenz nochmals von Neuem: „Wenn ich höre, dass im Norden von Pristina ein Konzentrationslager eingerichtet wird, wenn ich höre, dass man die Eltern und die Lehrer von Kindern zusammentreibt und die Lehrer vor den Augen der Kinder erschießt, wenn ich höre, dass man in Pristina die serbische Bevölkerung auffordert, ein großes ‚S‘ an die Türen zu malen, damit sie bei den Säuberungen nicht betroffen sind, dann ist etwas im Gange, wo kein zivilisierter Europäer mehr die Augen zumachen darf, außer er wollte in die Fratze der eigenen Geschichte schauen.“ Dass Scharpings und Fischers morbides Lügengespinst von der angeblichen Verwandlung des Fußballstadions Pristinas in ein „Konzentrationslager“, ja dass es dort überhaupt je Gefangene oder Geiseln gab, über die vermeintliche Aufforderung ein „großes S“ an die Türen zu malen um „den Säuberungen“ zu entgehen, bis hin zu den angeblichen „Erschießungen der Lehrer“ vor den Augen der Kinder, gar dem halluzinierten „Fötengrill“ oder „Fußballspiel“ mit den „Köpfen der Kinder“, durch die Bank eine erstunken und erlogene Gräuelgeschichten waren, stellen heute nicht einmal mehr die borniertesten seinerzeitigen Bellizisten in Abrede. Selbiges gilt auch für den von Scharping behaupteten sogenannten „Hufeisenplan“ Belgrads, einer angeblich in einer hufeisenförmigen Operation geplanten Vertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo und dessen ethnischer Säuberung.

Dementsprechend harsch für einen deutschen Brigadegeneral fielen dazu denn auch die Worte des OSZE-Beobachters im Kosovo, General Heinz Loquai, aus, der die politisch Verantwortlichen schlicht der Lüge bezichtigte, den sogenannten „Hufeisenplan“ als gefakte Behauptung in Zweifel zog für die es „keine Beweise“ gab (und später detaillierter der Lüge überführte) und dem politischen Personal die Hintertreibung einer realisierbaren Verhandlungslösung des Kosovo-Konflikts zugunsten einer gewollten militärischen Intervention der NATO gegen das widerspenstige Serbien unter Milosevic attestierte. Da er die Kriegsbegründung der NATO couragiert als Lügengebräu aufdeckte, interveniert das deutsche Bundesverteidigungsministerium im Anschluss gegen die eigentlich routinemäßige Verlängerung seiner Tätigkeit bei der OSZE und servierte den unliebsamen General ab. Irgendwelche Konsequenzen für die Lügenbarone, Kriegstreiber, Schreibtischfeldwebeln und Schar an Schreibtischtätern gab es indes freilich nie.

Schalek und das Desinteresse an den Auschwitz-Überlebenden und WiderstandskämpferInnen

Die sich in Zeitungsanzeigen gegen diese Instrumentalisierung der Nazi-Verbrechen und „neuen Auschwitzlüge“ zur Wehr setzenden WiderstandkämpferInnen und ehemaligen KZ-Häftlinge fanden im seinerzeitigen Klima der antiserbischen Hysterie und Kriegspropagandawelle hingegen kein Gehör. Die Auschwitz-Überlebenden warfen in ihrem „Offenen Brief“ den Regierenden vor, „eine aus der Argumentationsnot für Ihre verhängnisvolle Politik geborene Verharmlosung des in der Menschheitsgeschichte bisher einmaligen Verbrechens“ zu betreiben. Was die politische und mediale Lügen-, Propaganda- und Manipulationsmaschinerie allerdings nicht weiter tangierte. Die willfährige Journaille erinnerte bereits seinerzeit insgesamt frappant an die Kriegsreporter:nnen Alice Schalek und Moritz Benedikt in Karl Kraus‘ Meisterwerk „Die letzten Tage der Menschheit“ zum Ersten Weltkrieg. Der nur dürftig übertünchte, unterschwellige Tenor war aller Orten wieder: „Serbien muss sterbien“.

Dass just jene „Revolverjournalisten“ und lemurenhafte „Wortgesindel“, für das Kraus – unerbittlich wie er war – nur Verachtung hegte, ihn zu seinem 150. Geburtstag kommenden Donnerstag gleichwohl als journalistische Monstranz missbrauchen werden, ist natürlich eine ebenso pietätslose wie geradezu groteske Leichenfledderei. Schon tags nachdem sie in seinem Sonnenlicht, das wahrlich nicht ihres ist, einen Abglanz zu erheischen trachten und für einen Augenblick als zumindest Trabanten dieses journalistischen Zentralgestirns strahlen möchten, werden sie bereits wieder salutierend die Haken zusammenschlagen, um wie Schalek und Benedikt später auszurufen: Auch „wir haben ausgeharrt wie die im Schützengraben“.

Eine löbliche Ausnahme des seinerzeitigen grassierenden Geschichtsrevisionismus und der Instrumentalisierung Auschwitz‘ für den Kriegsgang gegen Jugoslawien, bildete übrigens abermals Heinz Loquai. „Hier muss ich mich wirklich beherrschen“, so der Brigadegeneral zutiefstempört, „weil der Vergleich mit Auschwitz und der Situation im Kosovo eine ungeheuerliche Behauptung ist.“ „Man muss sich als Deutscher schämen, denn ein normaler Mensch, ein normaler Deutscher, wird [zu Recht] vor Gericht gezerrt, wenn er in derartigem Ausmaß Auschwitz verharmlost.“

Die „neuen Hitler“ von Belgrad, über Bagdad und Tripolis, bis Moskau

Der Tausendsassa und Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger hat Slobodan Milosevic dann gleich zum „neuen Hitler“ ernannt. Ihm folgten in der westlichen Kriegspropaganda später sodann der „irakische Hitler“ Saddam Hussein, gefolgt vom „libyschen Hitler“ Muammar al-Gaddafi sowie dem „syrischen Hitler“ Baschar Al-Assad nach. Bereits in den Jahren 2014/15 ernannte die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton sodann Russlands Präsidenten Wladimir Putin zum „neuen Hitler“, was zwischenzeitlich vielfach zum Referenzrahmen des grassierenden verwilderten Denkens aufgestiegen ist. Ein zugleich manichäischer Unsinn à la Ronald Reagan, stattdessen man den Horizont anstatt eines „neuen Hitlers“ ebenso gut nach Anzeichen der Ankunft des Antichrist absuchen könnte. Und strenggenommen, samt und sonders Verharmlosungen des Nazi-Faschismus und Hitlerismus, die nach österreichischer Verfassungsordnung eigentlich als Strafdelikte zu ahnden wären.

Foto: David Orlovic, Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0 Deed

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