20 Jahre „Zeitenwende“ unterm Sternenbanner: Powells Propagandashow vor der UNO

Vor genau 20 Jahren, am 5.2. 2003, wurde die UNO in einer legendären Vollversammlung belogen, brüskiert und vorgeführt wie nie zuvor. US-Außenminister Colin Powell präsentierte in einem historischen Show-Akt, vor eigens aufgestellten Bildschirmen und mit einem Fläschchen in der Hand theatralisch die letzten „Beweise“,von CNN willig milliardenfach in die Welt verbreitet, dass der Irak über biologische und chemische Massenvernichtungswaffen, mobile Labors, weitreichende ballistische Scud-Raketen, gar Atomsprengköpfe verfüge und mit Al-Qaida im Bunde stecke. Nichts von alledem stimmte – wie auch die Geheimdienste wussten.

Hunderttausende Tote, Millionen Flüchtlinge und unzählige Verkrüppelte sowie der Verwüstung des Iraksin einen „Failed State“ später, kommentierte die „International Herald Tribune“ besorgt: „Buchläden sind voll mit Titeln über Bush wie ‚Lügen und die lügenden Lügner‘, ‚Große Lügen‘, ‚Betrüger an hohen Stellen‘ und ‚Die Lügen von George W. Bush‘.“ Der bekannte Filmregisseur und Autor Michael Moore schleuderte dem US-Präsidenten im Zuge der Oscarverleihung live ein „Shame on you, Mr. Bush!“ entgegen. Und auch manche ‚Dissidenten‘ der US-Administration griffen angesichts des dreisten, der Weltgemeinschaft aufgetischten, Lügengespinstes zur Begründung des Irakkriegs zur Feder und schrieben seinerzeit Bestseller.

US-Präsident Bush vs. UN-Sicherheitsrat: „Was wir tun, hängt nicht von den Entscheidungen anderer ab“

Frankreich und Russland kündigten unbeeindruckt der US-Inszenierung – in deren „dünner Suppe“ sie vielmehr noch einen zusätzlichen Affront gegen die UNO sahen – ihr Veto im UN-Sicherheitsrat an und selbst das nicht-ständige Mitglied Deutschland stellte sich gegen den Feldzug. Weshalb die USA von einer Abstimmung des Sicherheitsrats Abstand nahmen und ihm gleichsam seine Existenzberechtigung als verwirkt in Abrede stellten: „Was wir tun, hängt nicht von den Entscheidungen anderer ab. (…) Der Sicherheitsrat hat seine Verantwortung nicht wahrgenommen. Deshalb werden wir unsere wahrnehmen.“ – so US-Präsident Bush, Tacheles redend. Überraschend war diese Suspendierung der Vereinten Nationen seitens der USA indes nicht, drohte George W. Bush doch schon in seiner Rede am 12. September 2002 vor der Vollversammlung ultimativ mit diesem Schritt, falls die UNO das geforderte Plazet für Washingtons Kriegsgang nicht rausrücken sollte .Nur Geschichtsvergessene assoziieren „America First“ allein (oder vorrangig) mit Trump. Colin Powell war sich an diesem Tag vollauf bewusst, dass er den Vereinten Nationen und der Welt in seiner Propagandashow die Unwahrheit auftischte. Wie auch viele andere, die der 90-minütigen US-Präsentation im Sicherheitsrat, bis hin zu den Luftbildern angeblicher Fabrikationsstätten nuklearer Waffen, seinerzeit beiwohnten. Um zu wissen, dass der Irak von Atomwaffen Lichtjahre entfernt war, musste sich wahrlich nicht erst eine der präsentierten, angeblichen Massenvernichtungs-Produktionsanlagen später als schlichte Hühnerfarm entpuppen. Denn, für „ein Kernwaffenprogramm des Irak“, gab es, wie sich seinerzeit selbst der Generaldirekter der UN-Atombehörde El Baradei gegen Washington festzustellten gezwungen sah, schlichtweg „keinen Beweis“. Propagandashow hin, theatralisch präsentierte nichtssagende Satellitenaufnahmen her.

2003: Die „regelbasierte Weltordnung“ wurde von Washington und London mit derartiger Brachialgewalt in Trümmer gelegt, dass gar manchem der Kragen platzte

Mit dem politischen und diplomatischen Vorschlaghammer und der Wucht eines gestaffelten Luftwaffen-Bombenangriffs wurde die „regelbasierte Weltordnung“ im Frühjahr 2003 von Washington in Trümmer gelegt, das Völkerrecht durch das Faustrecht von „God’s own Country“ und seiner „Koalition der Willigen“ (allen voran Großbritanniens) ersetzt und die UNO zur Seite geschoben. Bereits im Herbst zuvor, 2002, hatte US-Präsident Bush mit der neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie“ dem Empire das Recht auf Angriffs- und Präventivkriege unter dem Sternenbanner zuerkannt und dieSelbstmandatierung zum Krieg auch ohne UN-Mandat zur offiziellen neuen Militärstrategie erhoben. Freilich fälschten die Geheimdienste derweil herbei und tischten auf, was das Zeug hielt. Die unverhohlene Dreistigkeit des Lügengebräus kannte kaum noch ein Halten. Als dann parallel auch noch „Washingtons Pudel“, Tony Blair (der sich diesen Beinamen redlich verdient hatte), aus London schwadronierte, dass der Irak binnen 45 Minuten mit Massenvernichtungsmitteln bestückte Raketen bereit habe, die auch britische Truppen ins Visier nehmen könnten und Großbritannien bedrohen, reichte es selbst dem zuständigen UN-Waffeninspektor Hans Blix. Er widersprach Blairs ‚Belehrungen‘ der britischen Öffentlichkeit – für einen Diplomaten ungewohnt unmissverständlich. Gefragt wie man sich als UN-Inspekteur fühle, wenn Washington und London die Welt so offensichtlich täuschen, antwortete ein wiederum anderer, verantwortlicher Inspekteur diplomatisch aber deutlich: „Blix hat intern sehr, sehr deutliche Worte gefunden, die ich an dieser Stelle nicht wiederholen möchte.“ In dieselbe Kerbe schlug auch US-Marineoffizier Scott Ritter – von 1992 bis 1998 UN-Inspektor im Irak und sich selbst Bagdad betreffend eher als „Falke“ denn eine „Friedenstaube“ verortend –, der die Bush-Administration offen der „Lüge“ bezichtigte und an Powells Auftritt bloß eine nicht mehr zu unterbietende Show an „dicker Luft“ erkennen konnte.

Beiher: Robin Cook, seinerzeit Außenminister im britischen Kabinett, bevor er am 17. März 2003 aus Protest gegen den Kriegskurs der Blair-Regierung zurücktrat, erklärte öffentlich, Tony Blair habe „zwei Wochen vor Kriegsbeginn ‚stillschweigend zugegeben‘, dass Saddam keine Waffen besaß, die Großbritannien hätten treffen können“. Auch John Scarlett, damaliger Chef des britischen Geheimdienst-Ausschusses, hat dies Cook zufolge im inneren politischen Machtkreis Londons „durchblicken lassen“

„Lügender Hurensohn ist so ungefähr das Netteste, was mir zu Dick Cheney einfällt“ (J. Wilson, ehem. US-Botschafter in Bagdad)

Weniger fein drückte sich der seinerzeit letzte US-Botschafter in Bagdad, Joseph Wilson aus, der von Vize-Präsident Dick Cheney und der CIA 2002 nach Niger geschickt wurde, um einen angeblichen Uran-Kauf Saddams aus Niamey nachzuspüren. Das in die Öffentlichkeit gesetzte und herumgeisternde Uran-Geschäft erwies sich als leere Finte. Als George Bush ein Jahr später in seiner Rede zur Lage der Nation den Irakkrieg unter anderem erneut mit der erfundenen Uran-Lieferung aus Niger begründet, geriet Wilson regelrecht in Rage und verlor die Fasson. Als er in einer Polit-Talkshow gefragt wurde, ob er den Vizepräsidenten tatsächlich derb als „lügenden Hurensohn“ bezeichnet habe, antwortete Joseph Wilson abrupt: „Lügender Hurensohn ist so ungefähr das Netteste, was mir zu Dick Cheney einfällt.“ „Cheney“, so der einstige Diplomat und Schlapphut weiter, „hat das amerikanische Volk belogen wie kein zweiter. Über Massenvernichtungswaffen im Irak, über die Verbindung von Saddam und Al-Qaida, über die Umweltpolitik.“ Sogar innerhalb der Agency selbst soll mit allen Wassern gewaschenen Haudegen regelrecht die Kinnlade heruntergefallen sein, als Bush dies wiederholte, obwohl unabhängig von Wilson – dessen Recherchen den Nachweis einer plumpen Fälschung der diesen Berichten zugrundgelegten Dokumente erbrachte – und der CIA selbst, auch die internationale Atomenergiebehörde IAEA unter El Baradei diese Berichte als nachweislich krude Fälschung kennzeichneten. Cheney, der Mann der texanischen Öl-Oligarchen im Kabinett, stand für Wilson nicht nur deswegen so im Fokus, weil er ihn in Regierungsauftrag der Vereinigten Staaten zur „Fact Finding Mission“ extra nach Niger geschickt hatte und nun das Ergebnis einfach kassierte. Sondern auch, weil für die Regierungs-Connection der Neocons Cheney-Wolfowitz-Rumsfeld der Irakkrieg – den Wolfowitz schon 1992 in Strategiepapieren des Pentagons anzog und der PNAC-Zirkel seit 1998 mit Nachdruck forderte (https://www.komintern.at/dont-believe-the-hype-die-pentagon-papers-und-die-politische-lage-der-welt/) – nahezu zur Obsession geriet.

Geheime Verschlusssache: Regimewechsel seit 1998 und Krieg seit Anfang 2001 beschlossene Sache

Wie selbst Ex-Außenministerin und State Department-Falkin Madeleine Albright oder auch der ehem. Finanzminister der Bush-Administration Paul O’Neill später öffentlich ausplauderten bzw. eingestanden, war der Irakkrieg daher auch schon lange vor 9/11 beschlossene Sache. Entsprechend hatte Georg W. Bush die „Pläne für eine Inversion im Irak, für eine Nachkriegsära und Vorstellungen über die Zukunft des irakischen Öls“ denn auch bereits Anfang 2001 ausarbeiten lassen, so O‘Neill. Dass Krieg und Regime Chance dann etwas dilettantisch verliefen, tut dabei nichts zur Sache. Die zehntausenden „Präzisionsbomben“, ungesteuerte Sprengkörper und Tomahawk-Flugkörper, die bei insgesamt etwa 30.000 Kampfeinsätzen auf den Irak niedergingen, übertünchten dies mit ihrer geballten Feuerkraft und verheerenden Zerstörungswucht zum Wohlgefallen aller Bellizisten. Alleine in der ersten Kriegsnacht wurden mehr Bomben abgeworfen als im gesamten 43-tägigen II. Golfkrieg 1991 zusammen. In den ersten drei Wochen warfen die US- und britische Armee – in einem veranstalteten „Blutbad“, wie es ein britischer Offizier nannte – rund 24.000 Bomben und Sprengköpfe ab. Der Irakkrieg jedenfalls, dass bestätigte (wie wir schon anlässlich des neokonservativen Grundsatzprogramms für ein „Neues Amerikanisches Jahrhundert“ ausführten), ebenso die vorhergehende Außenministerin der Clinton-Administration Madeleine Albright, wurde einzig propagandistisch in einen nichtexistenten Zusammenhang mit 9/11 gerückt: „Das Programm der Neokonservativen [gegen den Irak, Anm.] stand bereits vor dem 11. September. Sie nutzten die Terroranschläge als Vehikel, um dieses Programm in die Tat umzusetzen.“ Ja, so der Ex-Finanzminister der Regierung Georg W. Bushs, Paul O’Neill, „ein ‚Regimewechsel‘ in Irak“ war „seit 1998 das gesetzlich vorgeschriebene Ziel der US-Politik“, die Würfel für den dann im März 2003 gestarteten Kriegsgang wiederum, waren bereits Anfang 2001 gefallen. „Es ging nur noch darum, einen Weg dafür zu finden.“

Unter falscher Flagge bis zum fast körperlich schmerzhaften Bewusstwerden des gezinkten Spiels unter Sicherheitsdienstlern

Wie weit die Fassungslosigkeit über die Dreistigkeit der US-Administration selbst unter hartgesottenen Sicherheitsdienstlern z.T. ging, lässt sich etwa den Erinnerung Richard Clarkes, damaliger Koordinator für Terrorismusbekämpfung der Vereinigten Staaten, entnehmen. „Anfänglich wollte ich es nicht wahrhaben“, so Clarke, „dass wir über etwas anderes als die Jagd auf Al-Qaida redeten.“ Aber: „Dann wurde mir auf fast körperliche Art schmerzhaft bewusst, dass Rumsfeld und Wolfowitz es darauf angelegt hatten, mittels dieser nationalen Tragödie [9/11] ihre Irak-Agenda durchzusetzen.“ Zu diesem Behuf sollte er Belege einer Verbindung Bagdads mit Al-Qaida beibringen. Doch auch der ständige Druck auf ihn half dahingehend nicht weiter. Denn eine solche Verbindung existierte – für Kenner des Baath-Regimes und Al-Qaida wenig überraschend – schlicht nicht. Ja, auch die CIA betonte im inneren Klüngel des politischen Machtzirkels stets, keine solche Verbindung oder eine irgend geartete Beteiligung des Iraks an Terroranschlägen gegen die USA nachweisen zu können oder auch nur überhaupt „glaubwürdige Hinweise“ für eine Zusammenarbeit Bagdads mit Al-Qaida zu haben. Entsprechend setzte die US-Regierung auch ihre frei erfundene Kriegsbegründung Nr.2 einfach propagandistisch in die Welt, während Wolfowitz im Pentagon zur noch botmäßigeren Informationsgestaltung und für die Klaviatur der politischen Propagandakunst nach Regeln des Weißen Hauses das Office of Special Plans (OSP) installierte. Dessen Mitarbeiter, vorwiegend aus dem hauseigenen Pentagon-Geheimdienst Defense Intelligence Ageny (DIA) abkommandiert, nannten sich intern nicht ohne Selbstironie „die Intrige“. Ein namentlich verständlicher Weise nicht genannt werden wollender CIA-Mitarbeiter äußerte in der Washington Post, wohl auch damit die CIA später nicht allein den Kopf hinhalten muss, denn auch: „Wir waren völlig verblüfft, welche Stellungnahmen aus dem Weißen Haus kamen.“

Während man der Welt wüstenweise Sand in die Augen zu streuen suchte, konnten Insider – und dies wahrlich nicht bloß aus dem Kreis der Schlapphütte – nur stauen. Auch Madeleine Albright hielt für sich fest: „Ich habe nie an eine Verbindung zwischen Saddam Hussein, Osama Bin Laden und den islamischen Terroristen geglaubt.“ Der Vize-Präsident der Vereinigten Staaten, Dick Cheney, wusste dahingehend einen an Carl Schmitt gemahnenden Ausweg: „Es geht nicht um Analysen oder darum, eine riesige Menge von Beweisen zu finden. Es geht einzig um unsere Reaktion.“ Oder wie George W. Bush den Kadetten in West Point als Prämisse für die „von Gott auserwählte Nation“ der Vereinigten Staaten eintrichterte: „In dem Zeitalter, in das wir gerade eingetreten sind, ist Handeln der einzige Weg …“ Und die Propagandashow und dreisten Lügengespinste Powells in der UN-Vollversammlung waren integraler Bestandteil dieser durch und durch verrohten und weichenstellenden Welt(un)ordnungs-Politik „Made in USA“. Der notorischen Selbstgerechtigkeit der Führungsmacht „des Westens“ und seiner Satelliten tut dies freilich bis heute ebenso wenig Abbruch, wie ihrer selbstgefälligen Datierung von „Zeitenwenden“.

Bild: thierry ehrmann/flickr.com/photos/home_of_chaos/9673900656

Ähnliche Beiträge

Gefällt dir dieser Beitrag?

Via Facebook teilen
Via Twitter teilen
Via E-Mail teilen
Via Pinterest teilen