#ZeroCovid-Debatte 4 – Die EU ist nicht die Lösung!

#ZeroCovid – eine notwendige Debatte um eine linke Antwort auf die Corona-Pandemie
Andreas Wehr / www.andreas-wehr.eu

Warum der Aufruf „Zero Covid“ keine Antwort auf die Corona-Krise gibt

Unter dem Hashtagkürzel #ZeroCovid werden zur Zeit Unterschriften für einen Aufruf „Das Ziel heißt Null Infektionen! Für einen solidarischen europäischen Shutdown“ gesammelt, in dem ein Strategiewechsel für die Corona-Politik verlangt wird: „Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden“. So richtig diese Forderung ist, so irreführend ist zugleich der vorgeschlagene Weg, wie dieser „Strategiewechsel“ erreicht werden kann, denn gefordert wird „ein solidarischer europäischer Shutdown“. Den aber wird es nicht geben.

Der Aufruf #ZeroCovid spricht aus, was nach einem Jahr der Pandemie offenkundig ist: „Die Strategie, die Pandemie zu kontrollieren, ist gescheitert („flatten the curve“). Sie hat das Leben dauerhaft eingeschränkt und dennoch Millionen Infektionen und Zehntausende Tote gebracht.“ Verlangt wird ein „radikaler Strategiewechsel“: „Kein kontrolliertes Weiterlaufen der Pandemie, sondern ihre Beendigung. Das Ziel darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen – es muss Null sein.“ Die Initiative orientiert sich dabei am internationalen Aufruf für die konsequente Eindämmung der Covid-19 Pandemie in Europa, den Wissenschaftler am 19. Dezember 2020 initiiert haben.

Stilllegung von Fabriken, Büros, Betrieben, Baustellen, Schulen

Vor allem die Schonung von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen bei den Corona- Beschränkungen nehmen die Aufrufer ins Visier. In der Tat ist es ein Skandal, dass zwar von jedem Einzelnen verlangt wird, seine Kontakte im privaten Umfeld auf ein Minimum zu beschränken, zugleich aber in Fabrikhallen und Büros die Beschäftigten Seite an Seite weiterarbeiten müssen. Und nicht nur das. Morgens und abends dürfen sie sich in Busse und Bahnen drängen und damit weiteren Infektionsrisiken aussetzen. Sind Verstöße gegen das private Kontaktverbot strafbewehrt, belässt man es gegenüber den Unternehmensführungen bei bloßen Appellen, die Möglichkeit der Arbeit im Home-Office zu prüfen. Diese Schonung der kapitalistischen Wirtschaft hat in der deutschen Anti-Corona-Politik Tradition. Kaum waren im Frühjahr 2020 die ersten Lockdown-Maßnahmen beschlossen, verlangten die Kapitalverbände schon wieder deren Lockerung. Assistiert haben dabei der Wirtschaftsflügel von CDU/CSU, die AfD, vor allem aber die FDP. Bei der Frage „Geld oder Leben“ entschieden sich diese Kräfte für „Geld“.

Der Aufruf #ZeroCovid ist in dieser Frage eindeutig: „Wir müssen die gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stilllegen. Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden.“ Weitere Forderungen des Textes zielen auf den „Ausbau der sozialen Gesundheitsinfrastruktur“ und auf die Bewertung der Impfstoffe als „globales Gemeingut“. Verlangt wird zudem eine „Solidarische Finanzierung“.

So weit, so alles richtig. Doch an wen werden diese Forderungen gerichtet? Welche politischen Ebenen will man dafür in die Pflicht nehmen? Sind die Adressaten die Bundesländer, die in Deutschland für die Durchsetzung des Infektionsschutzgesetzes Zuständigen? Oder sollen die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien CDU/CSU und SPD dafür in die Pflicht genommen werden?  Mit einem Wort: Welche strategischen Schritte schlagen die Autoren des Aufrufs vor?            

Die Europäische Union soll es richten

Verlangt wird in #ZeroCovid „ein solidarischer europäischer Shutdown“: „Das erste Ziel ist, die Ansteckungen auf Null zu reduzieren. Um einen Ping-Pong-Effekt zwischen den Ländern und Regionen zu vermeiden, muss in allen europäischen Ländern schnell und gleichzeitig gehandelt werden. Wenn dieses Ziel erreicht ist, können in einem zweiten Schritt die Einschränkungen vorsichtig gelockert werden. Die niedrigen Fallzahlen müssen mit einer Kontrollstrategie stabil gehalten und lokale Ausbrüche sofort energisch eingedämmt werden.“ Auch für die geforderte „Solidarische Finanzierung“ soll die europäische Ebene zuständig sein: „Darum verlangen wir die Einführung einer europaweiten Covid-Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen.“

Doch wer und was ist dieses Europa, das da tätig werden soll? Ganz offensichtlich denken die Aufrufer dabei an die Europäische Union. Doch die in ihr zusammengeschlossenen 27 Länder agieren in der Corona-Pandemie bekanntlich alle nach ihren eigenen Plänen. Sie orientieren sich dabei nicht nur am konkreten Infektionsgeschehen im eigenen Land, sondern auch an ihren jeweiligen materiellen und finanziellen Möglichkeiten. Auch ist der Aufbau der Gesundheitsinstitutionen von Land zu Land sehr unterschiedlich. Es gibt eben keine „Gesundheits-Union“, und sie kann es auch gar nicht geben, hat doch nach den europäischen Verträgen die EU im Bereich Gesundheit so gut wie keine Zuständigkeit.

Und dort, wo die Union zuständig ist, benötigt sie quälend lange um schließlich zu Ergebnissen zu kommen. Für das als ökonomische Antwort auf die Pandemie aufgelegte 750-Milliarden Euro umfassende Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ wurden die ersten Vorschläge bereits im Mai 2020 unterbreitet. Der Europäische Rat beschloss es im Juli 2020. Das Europäische Parlament stimmte dem Programm schließlich im Dezember 2020 zu. Damit fließen aber noch lange nicht die den Mitgliedsländern zugesagten Mittel. Die ersten Auszahlungen erwartet man für das Frühjahr 2021 – mithin ein Jahr nach dem Grundsatzbeschluss, ein Wiederaufbauprogramm auf den Weg zu bringen!         

Vergleichbar langsam arbeiteten die Gremien der EU bei der Auflage eines Impfprogramms. Bereits ab Sommer 2020 war bekannt, dass in absehbarer Zeit mit der Zulassung erster Impfstoffe gegen Covid-19 zu rechnen ist. Da Deutschland im zweiten Halbjahr die Präsidentschaft im Europäischen Rat hatte, bestanden Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel darauf, dass die EU-Kommission die Verhandlungen mit den Impfstoffherstellern gemeinsam für alle 27 Mitgliedsländer führen solle. Damit wollten beide den schlechten Eindruck vergessen machen, den das Vorgehen der deutschen Regierung verursacht hatte, als sie in der ersten Pandemiewelle die Lieferungen von Schutzausrüstungen nach Italien verhinderte, da sie auch in Deutschland dringend benötigt wurden.

So verhandelte zwar die EU in sich zäh hinschleppenden Runden für alle Mitgliedsländer, wobei aber die Finanzierung der Impfstoffe weiterhin Angelegenheit der einzelnen Länder blieb. Im Ergebnis bestanden die ärmeren Staaten darauf, nicht zu große Mengen des vergleichsweise teuren und kompliziert handbaren Impfstoffs von Biontech-Pfizer zu ordern. Da aber dieser Impfstoff als erster freigegeben wurde, steht er nun den EU-Ländern in viel zu geringen Mengen zur Verfügung. Überall fehlt es an Impfstoff. Andere Länder hingegen – wie Israel, Großbritannien und die USA -, die eigenständig verhandelt hatten, konnten inzwischen einen großen Teil ihrer besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen impfen. Die berechtigte Kritik an diesem Vorgehen versuchen jetzt aber CDU/CSU und Grüne gemeinsam mit dem demagogischen Wort vom „Impfnationalismus“ mundtot zu machen.                   

Mit dem Verweis auf die EU als Handlungsrahmen widerspricht #ZeroCovid der eigenen Forderung, dass die Verantwortlichen umgehend zu handeln haben. Wie heißt es noch im Aufruf? „Wir brauchen jetzt einen radikalen Strategiewechsel: kein kontrolliertes Weiterlaufen der Pandemie, sondern ihre Beendigung.“ Dass gemeinsame Lösungen auf europäischer Ebene nur schwer zu erreichen seien, sei klar, sagt Bini Adamczak, eine der Autorinnen des Aufrufs: „Das ist aber kein Grund, nicht schon mal anzufangen.“ (Zeit für Stunde null in: taz vom 14.01.2021) Damit gesteht sie aber zugleich ein, dass man es gar nicht ernst meint mit dem Verlangen nach einem sofortigen Umsteuern!

Tatsächlich ist das Setzen auf die Europäische Union eine Illusion. Mehr noch: Die EU behindert sogar die effektive Bekämpfung der Pandemie auf dem Kontinent, indem sie auf dem unbedingten Offenhalten der Binnengrenzen zwischen den EU-Mitgliedsländern besteht. Damit macht sie es diesen aber zugleich unmöglich, das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen. Gerade jetzt, wo sich eine Virusmutation von Großbritannien aus verbreitet, wäre eine Unterbrechung des Reiseverkehrs mit dem Land notwendig. Aber selbst dies unterbleibt. So bedeutet „No Border“ eben „More Corona“. Andere Länder hingegen haben bereits von Beginn der Pandemie an eine strikte Kontrolle ihrer Grenzen verfügt – etwa China, Taiwan, Vietnam, Singapur, inzwischen auch Australien und Neuseeland. Und sie waren erfolgreich damit. Für sie alle gehört der Alptraum Corona inzwischen der Vergangenheit an.  

Soll der in #ZeroCovid verlangte „radikale Strategiewechsel“ überhaupt eine Realisierungschance haben, ist daher die nationale Ebene in den Blick zu nehmen. Adressaten müssen die Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer sein. Die EU hingegen ist nicht die Lösung!

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