Applaus aus Fenstern und von Balkonen, substanzlose Lobhudelei, leere Versprechen und ein eifrig getrommelter „nationaler Schulterschluss“: viel mehr bleibt aktuell für die Beschäftigten in Österreich bei Abschlüssen von Kollektivverträgen im Schatten der Corona-Pandemie nicht übrig.
Sozialwirtschaft: Streikbewegung abgewürgt
Anfang des Jahres – man mag es angesichts des Pandemiegeschehens schon fast vergessen haben – machten sich die Beschäftigten in der Gesundheits-, Pflege- und Sozialbranche entschlossen dazu auf, den Kampf um eine längst überfällige Arbeitszeitverkürzung zu führen. Bundesweit kam es dabei zu Streiks, Demonstrationen, Kundgebungen und vielen weiteren Aktionen. In einer Branche, die lange als „unbestreikbar“ galt, fanden die größten Arbeitskämpfe, die Österreich in letzter Zeit gesehen hat, statt. Die Stimmung während der Verhandlungsphase in den Betrieben war gut und kämpferisch. Zu Beginn der Coronakrise wurde gerade diese Branche als „systemrelevant“ und die KollegInnen als „HeldInnen des Alltags“ angesehen, Öffentlichkeit und Medien waren sehr positiv eingestellt. Statt dies zu nutzen, wurde am 1. April durch die Zustimmung zu einem KV-Abschluss eine an Dynamik zunehmende, gewerkschaftliche Bewegung und die Chance auf tatsächlich substantielle Erfolge unter Federführung der SpitzenrepräsentantInnen des gewerkschaftlichen Verhandlungsgremiums abgewürgt. Die Gewerkschaftsspitzen der Branche haben gemeinsam mit den „Arbeitgebern“ offensichtlich die Corona-Krisensituation ausgenutzt bzw. stimmten panisch Hals über Kopf zu. Eine demokratische Willensbildung und Diskussion war bei diesem Husch-Pfusch nicht möglich. Der dynamischste Sektor der österreichischen Gewerkschaftsbewegung der letzten Jahre wurde damit in „sozialpartnerschaftlicher“ Manier für einen paktierten langen Zeitraum stillgelegt. Die Gewerkschaftsverantwortlichen fielen so den tausenden engagierten und kampfbereiten KollegInnen in den Rücken. Das Vorgehen der Gewerkschaftsspitzen beim KV-Abschluss SWÖ erweist sich im Nachhinein als Vorschau auf die weiteren KV-Abschlüsse des Jahres.
Metall & Handel: schlechte Abschlüsse im Eiltempo
Der „Leit-KV“ in der Metallindustrie wurde Ende September in einem Rekordtempo seitens der Gewerkschaften unterzeichnet: ganze 2,5 Stunden dauerten die „Verhandlungen“. Dieser in Windeseile hinter verschlossenen Türen ausgemauschelte Abschluss hat selbst die ohnehin niedrigen Erwartungen in die österreichische „Sozialpartnerschaft“ unterboten. Die Mindest- und Ist-Löhne steigen um magere 1,45 Prozent. Dies deckt eher weniger als mehr die reale Teuerung bzw. die erwartete Inflation 2021 ab, stellt im besten Fall also eine reale Nulllohnrunde dar. Mit Blick auf Preissteigerungen bei Mieten und täglichem Bedarf wurde damit ein Reallohnverlust quer durch die Branchen präjudiziert.
In gewohnt staatstragender Manier präsentierte der PRO-GE-Chefverhandler Wimmer das „Verhandlungs“ergebnis: „Es ist eine Frage der Vernunft, dass die Verhandlungen stattgefunden haben und ein fairer Abschluss erzielt werden konnte…“. Nun lässt sich trefflich über Vernunft im Allgemeinen streiten, die konkreten Fragen sind aber: Für wen ist was vernünftig – und was soll lohnpolitisch „fair“ sein? Aus Sicht des Kapitals mag es schon stimmen, dass „die Sozialpartner“ vernünftig und fair gehandelt haben: um Aktionären in der Metallindustrie trotz Krise ihre Dividenden zu garantieren. Die Beschäftigten der Branche stehen vor Reallohnverlusten, Kurzarbeit, Personalabbau und Standortschließungen. Dies ist ein Ergebnis des fatalen „nationalen Schulterschlusses“, der angesichts der aktuellen Krise von den Gewerkschafts-Oberen seit Monaten getrommelt wird. Zusätzlich dazu wurde die völlig unverbindliche Empfehlung an „Unternehmen, für die es wirtschaftlich vertretbar ist“, eine Corona-Prämie von 150 Euro auszubezahlen, vereinbart. Diese basiert ausschließlich auf dem (enden wollenden) „guten Willen“ der Arbeitgeber, niemand hat einen Rechtsanspruch darauf. Dabei sollte klar sein: wer sich auf caritative Almosen der Arbeitgeber verlässt, ist schon verlassen.
Einen Monat später dann im Handel ein ähnliches Bild: ausgerechnet in der Nacht zum Equal Pay Day wurden die Kollektivvertragsverhandlungen in der „frauentypischen“ Branche mit einem Plus von 1,5 Prozent abgeschlossen – dass bei den Handelsgehältern davon noch weniger übrigbleibt, ist evident. Und auch hier wurde mit großer Eile vorgegangen: gerade mal ein Verhandlungstag war notwendig. Ein bekanntes Sahnehäubchen gab’s dann erneut oben drauf: wie schon in der Metallindustrie werden Unternehmen ohne rechtliche Grundlage darum gebeten, doch eine einmalige Prämie von 150 Euro auszubezahlen. Über diese Möglichkeit des „Socialwashing“ freuen sich die Krisengewinner im Handel. Denn jene Handelsriesen wie REWE und Co., die in diesem Jahr Rekordumsätze verbuchen konnten, sind es nun, die in ihrer unendlichen Großzügigkeit bereits angekündigt haben, die 150-Euro-Prämie auszubezahlen: gute Werbung für das eigene Unternehmen lässt man sich schließlich auch ein bisschen was kosten. An den Gehalts- und Arbeitsbedingungen in der Branche ändert diese Einmalzahlung freilich nichts und von sinnhaften rahmenrechtlichen Forderungen wie verpflichtenden und bezahlten Maskenpausen war kein Wort zu hören.
Leere Versprechungen und vorauseilender Gehorsam
Diese drei Beispiele großer KV-Abschlüsse machen „sozialpartnerschaftliche“ Strategie sichtbar. Keine Rede war mehr vom „Corona-1000er“ für „unsere HeldInnen“, denen vor einem halben Jahr vom Balkon aus applaudiert wurde, während die Polizei mit „I am from Austria“ aus den Boxen dröhnend die Wohnviertel in Mitleidenschaft gezogen hat. Keine Rede mehr von einer tatsächlichen Wertschätzung für die „SystemerhalterInnen“, die sich nicht in rein Symbolischem erschöpft.
Gleichzeitig sind die Gewerkschaftsspitzen im Pandemie-Modus wohl vollends im vorauseilenden Gehorsam angekommen. Angesichts vom Husch-Pfusch-Abschluss im SWÖ-Bereich und den Hochgeschwindigkeits„kompromissen“ in der Metallindustrie sowie im Handel, von tatsächlichen Verhandlungen zu sprechen, wäre ein schöner Euphemismus. In Wahrheit ist es ein schlechter Witz. Ernsthaft zu meinen, auf diesem Weg das Bestmögliche erreicht zu haben, und die jeweiligen Ergebnisse mit faden Marketingfloskeln heraus zu posaunen, stellt – wenn keine bösen Absichten unterstellt werden sollen – ein umfassendes Lügen in die eigene Tasche dar. Sowohl in der Metall- als auch in der Handels-Branche fanden – bei allen Unterschieden zwischen den Branchen – nun gleich gar keine Mobilisierungen statt. Wenn man sich seitens der sozialdemokratisch-dominierten Gewerkschaftsführung aber schon alleine die Tatsache, dass sich die „Arbeitgeber“ überhaupt an einen gemeinsamen Tisch setzen wollen, abfeiert, ist es nur logisch, dass selbst auf vergleichsweise zahme Mobilisierungen wie Betriebsversammlungen gänzlich verzichtet wird. So haben die einfachen Gewerkschaftsmitglieder sowie Beschäftigten der Branchen noch weniger Gelegenheit als üblich, ihre Meinung kundzutun und die gewerkschaftlichen Chef-VerhandlerInnen kommen auch nicht in die Verlegenheit, den „nationalen Schulterschluss“ zu gefährden. Kurzum: während sich demokratische Schieflagen in den Gewerkschaften verschärfen, gibt’s dann caritative „Empfehlungen“ ans Kapital und holprige Teuerungsanpassungen für die Beschäftigten.
Gewerkschaftliche Optionen in Corona-Zeiten
Ja natürlich, wir bewegen uns in Mitten der größten Wirtschaftskrise seit 1929, verquickt mit der aktuellen Corona-Gesundheitskrise und einer sich zuspitzenden Klimakrise. Viele Branchen sind davon betroffen. Aber gerade etwa in der Metallproduktion stellen die Lohnkosten nur einen Bruchteil der Gesamtproduktionskosten dar und sind von weit geringerer Bedeutung als die Energiekosten. Darüber hinaus haben die Lebensmittelmonopole und unterschiedliche Premium-Konzerne im Handel gerade durch die aktuelle Krise Rekordumsätze verbuchen können. Es ist wohl bekannt, dass sich das Kapital auf einer durch die Krise neu einjustierten Basis stets erholt, teils direkt daraus profitiert. Ebenso zeigen Studien, dass die Vermögen des Geldadels sogar in den Epizentren der Krise anwuchsen bzw. auch in Österreich die Finanzvermögen in der jüngeren Vergangenheit durch die Decke schlossen. Die Lebensverhältnisse der Arbeitenden jedoch erodieren und rutschen immer mehr ab.
Um der generellen verteilungspolitischen Schieflage entgegen zu wirken und das Aufkommen für die Rettungs-, Hilfs- und Konjunkturpakete nicht auf die Massen abzuwälzen, gilt es gerade in Zeiten wie diesen Profite und Vermögen zur Krisenfinanzierung (mit-)heranzuziehen. Neben dem grundlegenden Umbau des gesamten Steuersystems (siehe KOMintern-Modelle zu Vermögenssteuern bzw. Erbschafts- und Schenkungssteuern) braucht es angesichts der Kosten der Corona-Krise auch einen Lastenausgleich in Form einer (Sonder-)Vermögensabgabe. Derartige Lastenausgleiche hat es in der Geschichte des Öfteren gegeben, ohne dass die „Welt unterging“ – wie von den Reichen und Superreichen getrommelt.
Zusätzlich dazu muss allgemein bzw. auch branchenspezifisch für die Einrichtung spezieller Profitfonds gekämpft werden. Beispielsweise wäre ein solcher Sonderfonds im Handel das geeignete Werkzeug gewesen, branchenweit substantielle Lohn- und Gehaltserhöhungen zu finanzieren: denn wenn die exorbitanten Gewinne der Handelsgiganten über ein Fondssystem teilweise eingezogen werden, können auch in jenen kleinen Sektoren der Branche, die tatsächlich straucheln, deutliche Verbesserungen für die Beschäftigten finanziert werden.
Ebenfalls gilt es zu bedenken, dass die notwendigen gesundheitspolitischen Überlegungen und Sicherheitsmaßnahmen gewisse Mobilisierungsformen erschweren. Es gibt also neue Herausforderungen, verunmöglicht werden die unterschiedlichsten gewerkschaftlichen Kampfformen aber sicherlich nicht! Dies zeigen unter anderem die Urabstimmungen, die seitens entschlossener Betriebsräte im SWÖ-Bereich organisiert wurden, Betriebsversammlungen, die laufend stattfinden, und nicht zuletzt auch die Proteste gegen die Werkschließung bei MAN Steyr – bzw. massive europäische und internationale Arbeitskämpfe in anderen Ländern.
Konsequenter Kampf ist notwendig
Die momentane „Lohnzurückhaltung“ der Gewerkschaften bei den KV-Verhandlungen hat noch nie Arbeitsplätze längerfristig erhalten, sondern beschleunigt im Gegenteil eine Spirale nach unten. Gerade in Zeiten der Verarmung und Massenarbeitslosigkeit sind massive Lohnerhöhungen unverzichtbar. Nur mit gewerkschaftlichem Druck und Kampfmaßnahmen werden wir einen Corona-Lastenausgleich in Form einer (Sonder-)Vermögensabgabe bzw. einen dahingehenden Profitfonds erreichen können, damit nicht die Massen für die Krise zahlen. Das wird es aber nicht geben, wenn weiterhin die Interessen der Beschäftigten am „sozialpartnerschaftlichen“ Verhandlungstisch zum Wohle des „nationalen Schulterschlusses“ geopfert werden. Vielmehr braucht es einen entschlossen und mutigen, klassenkämpferischen Kurswechsel in den Gewerkschaften!