Wenig überraschend verkündete die Bundesregierung im mittlerweile leidvoll bekannten Rahmen einer Pressekonferenz am 14. November den Übergang vom „soften“ zum „harten“ Lockdown. Dieser soll dafür sorgen, dass Österreich vom aktuell weltweit ersten Platz, was die Infektionsrate mit Covid-19 angeht, wegkommt. Die Stoßrichtung dieser Maßnahmen entspricht im Grunde jener aus dem Frühjahr: individuelle Einschränkungen und Schuldzuweisungen sollen politisches Versagen und gesellschaftliche Verantwortung kaschieren – den Profitinteressen des Kapitals muss schließlich Rechnung getragen werden.
Das aktuell eklatant um sich greifende Infektionsgeschehen und die daraus entstehenden Über- bzw. Belastungen im konsequent zusammengekürzten Gesundheitswesen sind nicht vom Himmel gefallen. Vielmehr ist das ein folgerichtiges Ergebnis der (Nicht-)Maßnahmen der letzten Monate: absurde Ampelankündigungspolitik, völlig unzureichenden Schritte im Gesundheitsschutz, Selbstinszenierung und keinerlei entscheidende Vorbereitung seitens der Regierenden haben zu diesem Punkt geführt. Dabei muss Türkis-Grün sogar im Rahmen kapitalistischer Logik ein schlechtes Zeugnis ausgestellt werden, das vor mehr als vermeidbaren Versäumnissen nur so wimmelt.
Allem voran, dass die Regierung – etwa im Unterschied zu vielen asiatischen Ländern, die den Virus beinahe ausgerottet bzw. die Infektionsketten weitgehend unterbunden haben – nie auf eine entschlossene Eindämmungs- und Aushungerungs-Strategie von Covid-19 gezielt hat. Stattdessen orientierte man im Interesse der Profite, Konkurrenzbegehren des Kapitals und einer Aufrechterhaltung der Waren- und Verkehrsströme, zwar nicht auf die offen neo-malthusianische Strategie einer möglichst ungebremsten Durchseuchung der Bevölkerung (wie etwa Schweden, Trump oder London), aber doch auf eine bloße Einbremsung der Verbreitung – mit lediglichem Blick auf die Belastungsgrenzen des Gesundheitssystem. Aber selbst dies noch dilettantenhaft. So war etwa schon seit Anbeginn absehbar, dass die Tracing-Kapazitäten mit dem Infektionsgeschehen nicht Schritt halten werden können. Nichts desto trotz legte man jedem (Wieder-)Hochfahren und Öffnungen der Wirtschaft nach dem Halb-Lockdown im Frühjahr einzig die Reproduktionszahl als Parameter zugrunde. Heute muss die Regierung offen eingestehen, dass sie von 77% der Ansteckungen nicht einmal mehr weiß, woher sie rühren. Was sie allerdings nicht daran hindert, die Werkhallen und Büros auch im nunmehrigen Lockdown außen vor zu lassen.
Wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wär…
Der Binsenweisheit, dass man nachher schlauer ist, zum Trotz scheinen viele Punkte relevant, die zu einer deutlichen Einschränkung des Infektionsgeschehens geführt hätten. Weil aber eine weitreichende Aufzählung und ein damit verbundenes Was-wäre-wenn-Spiel an der Stelle zu umfassend wäre, wollen wir uns auf einige zentrale gesundheits- und sozialpolitische Aspekte beschränken:
In Schulen und auch an Arbeitsplätzen hätten Messgeräte für die Aerosolbelastung installiert werden können – das sind brauchbare Indikatoren für das Ansteckungsrisiko und unterstützen bei notwendigen weiteren Maßnahmen wie beispielsweise der Belüftung. Ein Vorgehen, das einen Bruchteil dessen, was zur Profitsicherung in Unternehmen gepumpt wurde, die dann erst recht Massenkündigungen durchziehen und Geld an ihre AktionärInnen ausschütten, gekostet hätte. Damit wäre eine höhere Sicherheit am Arbeitsplatz gegeben und man hätte somit auch die anstehenden „Schulschließungen“ (die Betreuung soll ja durchaus noch möglich sein) verhindern können.
Man hätte Schulen, Familien, Lehr- und Betreuungspersonal entsprechend technisch ausrüsten können, um den erwartbaren Herausforderungen Herr zu werden. Durch die gänzliche Inaktivität in diesem Punkt wird es wie schon im ersten Lockdown dazu kommen, dass sich der Klassencharakter des Bildungssystems noch weiter verschärft. Familien, die über kein Notebook für jedes Kind, keine entsprechende Internetverbindung und kein eigenes Zimmer für Home-Schooling-Maßnahmen verfügen, bleiben dabei erneut auf der Strecke. Jene, die es sich leisten können, werden es sich – bei allen vorhandenen Herausforderungen eines eventuellen Home-Office – deutlich besser einrichten können. Man hätte damit verbunden auch Überlegungen anstellen können, wie man wirksam gegen die Zunahme dieser Schieflagen ankommt.
Man hätte zusätzliche Qualifikationen für die Beschäftigten in der Pflege in Hinblick auf Intensivmedizin anbieten können. Dies ersetzt klarerweise keine jahrelange Ausbildung, wäre aber ein Schritt in Richtung einer möglichen Entlastung gewesen. Anstatt dessen wird’s leere Worte und eventuell mal wieder Applaus aus den Fenstern geben – von einer tatsächlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen der in der Branche Arbeitenden mal ganz zu schweigen.
Man hätte Strukturen erarbeiten können, um die Auswirkungen von Lockdown-Bestimmungen, Massenarbeitslosigkeit und generellen Krisenerscheinungen auf die psychische Gesundheit der Menschen besser abfedern zu können. Man hätte verstärkte Schutzmechanismen entwerfen können, um dem Anstieg von Gewalt gegen Frauen während der „Ausgangsbeschränkungen“ etwas entgegen zu setzen. Man hätte Infrastruktur für mehr Outdoor-Sport- und Erholungsmöglichkeiten schaffen können. Hätte, hätte, Fahrradkette: nichts davon ist passiert und es wären noch viele andere und weitergehende Punkte (denn: alles, was bisher genannt wurde, verlässt noch keineswegs den Rahmen einer bürgerlichen Regierung) von Bedeutung, mit denen wir uns nochmals gesondert auseinandersetzen werden.
Türkis-grüne Selbstdarsteller im Dienste des Kapitals
Handelsschließungen, Umwandelungen von Schulen in reine Betreuungseinrichtungen, rechtlich zumindest fragwürdige „Ausgangsbeschränkungen“ und ein weitgehendes Herunterfahren des gesellschaftlichen, insbesondere sozialen, Lebens sind die zentralen Maßnahmen mittels derer dem Kapital das Weihnachtsgeschäft gerettet werden soll. Denn wenig überraschend läuft der „harte Lockdown“ zeitgerecht zum Einkaufs-Feiertag am 8. Dezember aus – welche Auswirkungen das vor allem im Handel haben wird, kann man sich denken. Zusätzlich gilt’s in Folge dann noch die Profite der Verbrecherbande in der Ski-Industrie (wir erinnern uns an Kitzloch und Co.) zu sichern.
Gleichzeitig gilt wie schon im ersten Lockdown verkürzt die Formel: im Job darfst du alles, was im Privatleben untersagt ist. Denn obwohl nun größere Teile des Handels geschlossen werden, wird in so gut wie allen anderen Bereichen „normal“ weitergearbeitet. Es fällt dabei schwer, nicht zynisch zu werden. Denn Türkis-Grün geht wohl davon aus, dass sich der Virus zwar nicht in Fabrikhallen, dafür aber umso mehr beim Zusammensitzen im Park verbreitet. Mit dieser gesellschaftlichen Trennlinie im Interesse der Profite wird die Verantwortung für die Bekämpfung des Corona-Virus´ vorrangig auf die Einzelnen und in den persönlichen Verantwortungsbereich abgewälzt, während die Profit-Wirtschaft beim Schutz der Beschäftigten vielfach nur „Kann-Bestimmungen“ unterliegt. Das ist ebenso verantwortungslos, wie Ausdruck der Dominanz der herrschenden Profitlogik.
Verbunden wird all das dann noch mit einer Argumentation, die widerwärtiger nicht sein könnte: denn Schuld an steigenden Infektionszahlen sind in der verlogenen Darstellung der Bundesregierung immer die einzelnen Menschen, die dann wahlweise zu unvorsichtig, zu dumm oder zu fahrlässig gehandelt hätten – ÖVP und Grüne haben hingegen immer alles richtig gemacht. Und klar ist es wichtig, Schutzmaßnahmen zum Selbst- sowie Fremdschutz einzuhalten, aber – und das ist der entscheidende Punkt! – sind es immer noch die gesamte Gesellschaft betreffende politische Maßnahmen, welche den einzig sinnvollen und realistischen Weg zur Bekämpfung der Pandemie darstellen. Das zeigen zig Beispiele auf der ganzen Welt, an denen man sich orientieren hätte können. Wenn man das denn gewollt hätte.
Und da sind wir auch schon wieder beim Was-wäre-wenn: im Grunde ist es ein grob fahrlässiger Eiertanz, mit dem die türkis-grünen Hampelmänner und Selbstdarsteller von Pressekonferenz zu Pressekonferenz wackeln. Und auch wenn wir natürlich wissen, dass von dieser Regierung keinerlei grundlegende Maßnahmen im Interesse der Mehrheit der in Österreich arbeitenden und lebenden Menschen zu erwarten sind: die mittlerweile überdeutlich zur Schau gestellte Unfähigkeit die gesundheitliche Krise (selbst innerhalb der Kapital-Logik) zu lösen, überrascht dann schon.
Weiterführendes zum Umgang mit der Corona-Krise:
Budget 2021: Reiche zur Kasse!
Homeoffice darf nicht zu mehr Ausbeutung führen!
Corona-Krise nutzen, um sozial-ökologische Krise zu überwinden!
Reiche zur Kasse: für einen Corona-Lastenausgleich!
Profite (mit-)heranziehen – für die Einrichtung eines (Sonder-)Profitfonds zur Krisenfinanzierung
Immobilienwirtschaft für Mieterlässe heranziehen!
„Sozialpartnerschaft“ im Pandemiemodus
Arbeit & Wirtschaft: Das Risiko für eine Corona-Infektion ist ungleich verteilt