Digitale Plattformarbeit auf Regulierungsschiene

Diese Woche präsentierte die EU-Kommission den Entwurf für die künftige Gestaltung von Plattformarbeit in der Europäischen Union. Der Entwurf widmet sich tatsächlich vakanten Fragen der prekären Beschäftigung, was als Erfolg langjähriger Bemühungen zu werten ist. Was darin enthalten ist, warum das nicht reicht und warum Digitalisierung keine technische, sondern eine Klassenfrage bleibt, wollen wir nun klären.

Plattformarbeit als Nutzbarmachung von technologischem Fortschritt und Digitalisierung hat in den letzten Jahren immer weiter um sich gegriffen – Beschäftigungsverhältnisse, die genauso prekär wie neuartig sind, wurden massenhaft etabliert. Bei digitaler Plattformarbeit stellen die dort Beschäftigten ihre Arbeitskraft über eine Plattform zur Verfügung, das tradierte Verhältnis zwischen ArbeitergeberIn und ArbeitnehmerIn tritt hinter Algorithmen und Automatisierung zurück. Oftmals gibt es gar keine Vorgesetzten im klassischen Sinn: Arbeitsanweisungen, Leistungskontrolle und Sanktionen werden im Computer berechnet – die digitale Plattform übermittelt Aufträge.

Dabei wird in arbeitsrechtlich kaum reglementierte Bereiche vorgestoßen und Unternehmen dieser sogenannten Gig-Economy sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Zustelldienste wie Mjam und Lieferando, Fahrtdienstleister wie Uber oder digital erbrachte Leistungen über Clickworker und Upwork finden weite Verbreitung. In der schönen neuen Arbeitswelt sind KollegInnen mit zahlreichen Problemen konfrontiert: unsichere Einkommensperspektiven, mangelhafte bis kaum vorhandene Absicherung und vor allem die Lüge der Arbeitgeber, dass es sich bei den Beschäftigten um freie DienstnehmerInnen handelt, was die Verlagerung des unternehmerischen Risikos auf die Beschäftigten bedeutet, haben zu einer umfassenden Prekarisierung geführt.

Vielfältiger Widerstand

Dagegen hat sich allerdings vielfältiger Widerstand geregt und langjährige Kämpfe und Auseinandersetzungen sind dem Zwischenerfolg des Vorschlags der neuen EU-Richtlinie vorausgegangen – keinesfalls ist dies vom Himmel gefallen. Dabei können wir beispielhaft an die Bemühungen des Rider Collective in Österreich und der Gorillas-Beschäftigten in Berlin oder an den juristischen Etappensieg gegen Uber in Großbritannien denken.

Zentrale Inhalte und Geltungsbereich

Der am 9. Dezember präsentierte Entwurf der EU-Kommission beinhaltet drei zentrale Aspekte, wo mit Verbesserungen gerechnet werden kann: erstens soll es Plattform-Unternehmen schwerer gemacht werden, Scheinselbstständigkeit aufrecht zu halten, zweitens sollen die im Hintergrund arbeitenden Algorithmen mehr Transparenz unterworfen werden und drittens ist mit mehr Informationspflichten in Bezug auf Plattformarbeit zu rechnen. Von der Richtlinie sollen alle Arbeitsplattformen betroffen sein, wo auf digitale Art und Weise Arbeit in der EU organisiert wird. Dabei ist es irrelevant, ob sich der Firmensitz außerhalb der EU befindet oder ob die Arbeit schlussendlich virtuell oder physisch erbracht wird. Dies trifft zweifelsohne auf die großen Player der Branche wie Lieferdienste (Veloce, Lieferando oder Mjam), auf Fahrtdienstleistungen, die über Plattformen wie Uber organisiert werden, und auf zahlreiche Crowdwork-Plattformen zu.

Bevor ein konkreterer Blick auf die zentralen Punkte geworfen wird, muss jedenfalls einschränkend festgehalten werden, dass dieser Entwurf noch vom EU-Rat, also von den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten, angenommen werden muss. Zusätzlich werden sich dann auch noch unmittelbare Fragen nach der Umsetzung der Richtlinie auf nationaler Ebene stellen, arbeitsrechtlich gibt es beispielsweise einen ganzen Strauß an verschiedenen Definitionen des Arbeitnehmerbegriffs. Bis dorthin ist es also noch ein weiter Weg, der in Brüsseler Manier mit LobbyistInnen gepflastert ist. Nichtsdestotrotz sind die Bemühungen um eine deutlich stärkere Reglementierung der Branche und ein Weg in Richtung „Normalarbeitsverhältnis“ damit so weit fortgeschritten wie noch nie zuvor, was zweifelsohne begrüßenswert ist.

Zurückdrängung der Scheinselbstständigkeit

Beschäftigten der Plattformarbeit wird vielfach abgesprochen, überhaupt bei der Plattform beschäftigt zu sein. Die Firmen der Branche behandeln sie wie freie DienstnehmerInnen oder Arbeitende auf Werkvertragsbasis. Das bedeutet, dass kein Stundenlohn im eigentlichen Sinne gezahlt wird, sondern anhand der erbrachten Arbeitsleistung (z.B. ausgelieferte Bestellungen) gezahlt wird, führt zu einer breiten Entgrenzung von Arbeitszeiten und verhindert Möglichkeiten der Organisierung wie über Betriebsräte. Dies alles und zahlreiche weitere damit zusammenhängende Punkte schaffen eine weitreichende Prekarisierung.

Genau da hakt die präsentierte Richtlinie ein. Sie soll es den Mitgliedsstaaten ermöglichen, eine sogenannte „rechtliche Vermutung“ einzuführen, dass es sich bei der Beziehung zwischen digitaler Plattform und bisher Scheinselbstständigen in Wahrheit um ein Arbeitsverhältnis handelt. Damit das tragend wird, muss nachgewiesen werden, dass die Plattform die geleistete Arbeit in einem gewissen Umfang kontrolliert. Hierzu dienen fünf Kriterien: die Festlegung bzw. Obergrenzen des Entgelts; die Verpflichtung, den Regeln der Plattform Folge zu leisten; die Überwachung der Arbeitsleistung; Einschränkungen, die Arbeit selbstständig zu organisieren (z.B. SubunternehmerInnen für die Leistungserbringung heranzuziehen), und Einschränkungen selbstständig eigene KundInnen zu lukrieren. Die Plattformunternehmen müssten dann beweisen, dass maximal eines der genannten Kriterien zutrifft.

Dies kann – bei allen durchaus noch möglichen Verwässerungen und der Kritik, dass weitere Kriterien angebracht wären und dass mindestens zwei davon erfüllt sein müssen – als echter Erfolg gewertet werden. Zuletzt forderte beispielsweise die AK in einem Grundlagenpapier zur Plattformarbeit eine ähnliche Regelung zur Eindämmung der Scheinselbstständigkeit. Ob man damit tatsächlich der hohen Flexibilität der Branche umfassend Herr werden kann, darf jedoch angezweifelt werden.

Transparenz der Algorithmen

Durch Algorithmen und automatisiertes Management auf digitalem Wege arbeiten Beschäftigte in der Branche in vielen Fällen lange Zeit ohne jemals einen Vorgesetzten überhaupt zu Gesicht bekommen zu haben – die Arbeitsanweisungen werden auf Grundlage festgelegter Kennzahlen automatisiert übermittelt und ihnen gilt Folge zu leisten. Was mitunter dystopisch anmutet, ist in der Plattformarbeit seit Jahren Realität.

Die EU-Richtlinie sieht nun eine bessere Transparenz der Algorithmen vor. Insbesondere sollen Plattformen die Beschäftigten über die Grundlagen der automatisierten Entscheidungsprozesse sowie die damit verbundenen Überwachungssysteme informieren. Plattformbeschäftigte sollen darüber hinaus bei Einschränkungen des Entgelts endlich schriftlich darüber informiert werden, sie sollen das Recht haben, eine natürliche Person zu kontaktieren und eine Überprüfung der Entscheidung einzufordern. Weiters können sie zur Einschätzung der Algorithmen InteressensvertreterInnen und weitere ExpertInnen zu Rate ziehen, was von Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten in einem entsprechenden Umfang bezahlt werden muss.

Informationspflichten der Plattformen

Ein Problem bei der gewerkschaftlichen Organisierung in der Branche ist aktuell, dass eigentlich nie so wirklich gesagt werden kann, wie viele Menschen hier überhaupt arbeiten. Denn seitens der Plattformen gibt es keinerlei Verpflichtungen, Meldung zu erstatten. Auch das soll sich nun mit der präsentierten Richtlinie ändern und staatliche Arbeits- und Sozialversicherungsbehörden müssen von digitalen Plattformen, die als ArbeitgeberInnen auftreten, darüber in Kenntnis gesetzt werden. Weiters sollen sie bestimmte Informationen auch an InteressensvertreterInnen von Plattformbeschäftigten übermitteln. Dabei sind allgemeine Vertragsbedingungen genauso erfasst wie die Anzahl an Personen, die Plattformarbeit verrichten. Wichtige Informationen in Bezug auf das Entgelt oder das Ausmaß der Beschäftigung fehlen hierbei jedoch – nichtsdestotrotz würde die Umsetzung zu einer deutlich verbesserten Datenlage in der Branche führen.

Digitalisierung als Macht- und Klassenfrage

Angesicht der in einigen Bereichen viel zu wenig weit gehenden Vorhaben der EU-Kommission und dem weiteren Weg durch die Mühlen der EU-Bürokratie lädt die präsentierte Richtlinie sicherlich nicht zu frenetischem Jubel ein. Sie wirkt in Punkten als sprichwörtlicher Tropfen auf dem heißen Stein, die digitalen Plattform-Unternehmen müssten noch weitaus konsequenter dazu gezwungen werden, im ersten Schritt zumindest arbeitsrechtliche Mindeststandards umzusetzen. Trotzdem ist dieses schon längst überfällige Vorhaben ein Erfolg der Mobilisierung und Organisierung in der Branche. Neben Unklarheiten in der kommenden, konkreten gesetzlichen Ausgestaltung und Umsetzung muss auch klar sein, dass die Plattform-Unternehmen in der Vergangenheit oft sehr schnell und „kreativ“ auf Änderungen reagiert haben.

Die KollegInnen in der Branche, ihre Basisorganisierungen sowie die gewerkschaftlichen Bestrebungen werden noch einen langen Atem beweisen müssen. Denn auch wenn nun zumindest ein wichtiger Teilerfolg errungen scheint, wird der weitgehende Einfluss technologischer Entwicklung nicht vor einer EU-Richtlinie Halt machen. Mit der Digitalisierung geschehen tiefgreifende Umbrüche und Strukturverschiebungen in der Arbeitswelt, weitere Arbeitsverdichtung und Rationalisierung stehen vor der Tür.

Die Gewerkschaften müssen sich diesen Herausforderungen aktiv stellen, anstatt abstrakt über Chancen versus Bedrohungen zu sinnieren. Die kommenden Veränderungen müssen gestaltet werden. Wie und von wem sie gestaltet werden ist eine Machtfrage – eine Klassenfrage. Nur in entschlossener Vertretung und Konfliktbereitschaft lassen sich die Interessen der Arbeitenden durchsetzen. Es ist Zeit, die in der Digitalisierung liegenden Möglichkeiten aus ihrer kapitalistischen Destruktivität herauszulösen und als materiell-technische Basis für eine humane Arbeitswelt in einer die Profit-Logik überwindenden Gesellschaft fruchtbar zu machen!

Eine umfassendere Einschätzung des A&W-Blog: Neue EU-Richtlinie soll Arbeitsbedingungen von Online-Plattform-Beschäftigten verbessern

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