Lieferdienste: Widerstand gegen die Zumutungen der Branche

Stefan arbeitet aktuell als Fahrradkurier bei Veloce in Wien und hat davor Erfahrungen bei anderen Betrieben der Branche gesammelt. Mit uns hat er über die trotz Repression erfolgreich durchgeführte Betriebsratswahl, die Entstehung des Riders Collective sowie die Arbeitsbedingungen in der Branche gesprochen.

Aus dem Straßenbild großer Städte sind Fahrradkuriere nicht mehr wegzudenken und gerade die von euch ausgelieferten Gurgeltests haben deinen Arbeitgeber Veloce in der öffentlichen Wahrnehmung noch präsenter gemacht. Aber wie sieht denn ein typischer Arbeitstag bei dir aus?

Bei Veloce melde ich mich in der Früh bereit und sollte dann so gegen 8:30 die ersten Adressen bekommen. Leider kommen diese oftmals später – heute hatten wir beispielsweise einen zweistündigen Systemausfall, diese Zeit bekommen wir nicht bezahlt. Dann fahren wir jedenfalls zu den Adressen, die wir von 1450 bekommen, dort führen die Leute den Gurgeltest durch. Eigentlich sollte unsere Route von einem Algorithmus vorgerechnet werden, was aber in Wahrheit nicht so recht funktioniert. Seltsame Routen sind an der Tagesordnung und das müssen wir immer gesondert abklären. An einem 8-Stunden-Tag komme ich auf 30 bis maximal 60 Kilometer, die ich radle. Dabei war die Behauptung bei der Einstellung, dass wir eigentlich eh nur im eigenen Bezirk bzw. gering darüber hinaus fahren werden, völliger Schwachsinn. Ich komme bei der Arbeit durch große Teile Wiens.

Wie sieht’s denn mit der Bezahlung aus?

Neben dem im Kollektivvertrag geregelten Lohn und dem Kilometergeld ist ein guter Teil der Bezahlung prämienbasiert. Je mehr Proben wir einsammeln, desto mehr Geld gibt es. Im Schnitt sind es wohl so 25 bis 35 Proben täglich. Damit verbunden sind aber viele Unsicherheiten: regelmäßig arbeiten wir länger als geplant, einfach weil wir mit den ganzen Adressen nicht zusammenkommen oder sich die Übergaben bei den Sammelpunkten nicht ausgehen. Darüber hinaus wissen wir oft nicht genau, wann wir die nächsten Tage arbeiten müssen. Zum Beispiel war’s bei mir die letzten Wochen immer so, dass ich erst am Donnerstag gewusst habe, wann ich die Woche drauf arbeiten muss.

Veloce ist ja nicht die einzige Firma aus dem Bereich, wo du bisher gearbeitet hast.

Noch schlimmer ist es bei Mjam. Dort ist es einfach völlig unvorhersehbar. Es kann dir da auch passieren – gerade im Sommer, wenn es mehr FahrerInnen gibt – dass du dann einfach ganz ohne Geld dastehst, weil du keine Aufträge bekommst. Dort hast du aber dann noch nicht mal einen Vorgesetzten, bei dem du dich beschweren kannst. Der Arbeitstag bei Mjam beginnt trotzdem ähnlich wie bei Veloce. Ich warte auf die erste Bestellung und dann fahr ich los. Dann fährst du von Lokal zu Lokal, holst das Essen ab und lieferst es aus. Dabei kannst du eigentlich unmöglich planen, was du verdienst. Du wartest dann halt bei den Restaurants oft recht lange, weil die mit den Bestellungen nicht hinterherkommen.

Es gibt aber Gegenwehr gegen diese Zumutungen. Bei Veloce konnte ja – auch mit deiner Unterstützung – ein Betriebsrat gegründet werden.  

Da war ein großer Stein des Anstoßes, dass wir oft nicht gewusst haben, wofür wir bezahlt werden und wofür nicht – gerade wenn’s unter dem Dienst zu Wartezeiten kommt. Die Firma hat immer einzeln mit uns gesprochen, es gab kaum schriftliche Vorgaben. Natürlich ist es ein Interesse der Arbeitgeber, dass es nichts Kollektives gibt. Auch das hat dann vergangenen Herbst dazu geführt, dass wir uns gedacht haben, dass man sich hier zusammen organisieren muss. Während wir die Wahl zum Betriebsrat vorbereitet haben, standen plötzlich Kündigungen durch Veloce im Raum. Dadurch wurde versucht, unsere Wahl zu sabotieren. Wir haben trotzdem eine Versammlung einberufen, um den Wahlprozess zu starten. Dabei ließen wir uns von der Repression nicht einschüchtern, sondern haben genau das Durchziehen der Wahl und die Etablierung eines Betriebsrats als Mittel gesehen, um uns zu wehren. Betroffen von den Kündigungen waren unter anderem jene Kollegen, die die Versammlung einberufen haben. Dass die Kündigungen dann schließlich zurückgezogen wurden, war ein erster großer Erfolg für uns, den es ohne Entschlossenheit und Kampf nicht gegeben hätte. Anfang Jänner haben wir dann schließlich unsere Wahl durchgeführt.

Bei so einer Arbeit, wo du lange allein am Rad unterwegs bist, ist eine Vernetzung mit den KollegInnen eine große Herausforderung. Wie habt ihr das gemacht?

Einerseits haben wir uns bei den Sammelpunkten, wo die Tests übergeben werden, getroffen. Und wenn das dann mal wieder ewig dauert, bis die Test übergeben werden können, hast du Zeit zum Reden und zum Austausch über die Arbeitssituation. Außerdem kannten sich einige KollegInnen auch schon von Mjam und waren dort bereits ein wenig vernetzt.  

Wenn ihr euch über die Situation in der Arbeit austauscht – was sind hier die zentralen Probleme?

Abgesehen von Firmen, wo es in Relation mehr Organisierung und betriebsrätliche Strukturen gibt – wie in Teilen von Veloce oder bei Lieferando – ist das große Problem das der freien DienstnehmerInnen. Es wird von den Firmen so getan, also ob die KollegInnen gar nicht fix beschäftigt wären und eben wie freie DienstnehmerInnen Aufträge annehmen. Bei Veloce sind eigentlich nur die 1450-FahrerInnen wirklich beschäftigt, alle anderen FahrerInnen sind freie DienstnehmerInnen. Aus kleineren Kurierfirmen habe ich gehört, dass diese gerne fix anstellen würden – aber wenn das beim Platzhirschen Veloce nicht passiert, können die sich das nicht leisten in dieser Branche. Es gibt aber einfach nirgendwo in der Branche gescheite Verträge. Ein anderes Problem ist das miese Lohnniveau. Damit einher geht leider der Umstand, dass die Rider oftmals leicht zu ersetzen sind. Das macht sich gerade bei Mjam jeden Sommer bemerkbar, wenn sich Leute über den Sommer was dazu verdienen wollen, die sonst nicht darauf angewiesen sind, und es plötzliche keine Schichten mehr gibt für diejenigen, die das ganze Jahr fahren. Die Firmen machen sich dabei – man muss sich nur diverse Inserate in den Sozialen Medien ansehen – die neoliberale Verblödung zunutze und stellen die Arbeit als etwas besonders Liebenswertes oder wie Hobby dar. Dort werden für diese Monate gezielt Studierende mit dem Hintergedanken angeworben, dass man damit das Lohnniveau noch mehr drücken kann.

Jenseits von konkreten firmenspezifischen Organisierungen gibt es seit einiger Zeit das Riders Collective, wo versucht wird, FahrerInnen aus der ganzen Branche zu organisieren. Wie sieht eure Arbeit hier aus?

Das Ganze geht eigentlich von Leuten, die sich schon bei Mjam bzw. Foodora organisiert haben, aus. Die waren auch 2017 bei der Betriebsratsgründung bei Foodora dabei. Die Überlegung hinter dem Riders Collective war es anfangs, möglichst viele freie DienstnehmerInnen zu organisieren – verbunden mit dem Ziel, Verbesserungen im Sektor umzusetzen. Aktuell haben wir verschiedene Messenger-Gruppen, wo wir uns koordinieren. Das Ganze ist sehr international geprägt, Umgangssprache ist Englisch. Ende Februar haben wir eine Protestaktion vorm Haus der Europäischen Union in Wien gemacht, wo es um die Pläne der EU-Kommission ging, die freien DienstnehmerInnen EU-weit einzuführen und auf eine sogar noch schlechtere Basis zu stellen, als es in Österreich der Fall ist. Ein wichtiges Ziel ist es, dass wir die freien DienstnehmerInnen in den Kollektivvertrag reinbringen, was aber aus juristischen Gründen eine Herausforderung ist. Unabhängig von der konkreten juristischen Ausprägung wollen wir jedenfalls eine Form der Qualifizierung für freie DienstnehmerInnen im Bereich schaffen, damit dem üblichen Schindluder in der Branche ein Riegel vorgeschoben wird.

So eine juristische Auseinandersetzung kann aber natürlich lange dauern, geschweige denn wenn sich dann die EU auch noch einmischt. Wie sieht denn eure praktische Organisierung im Moment aus?

Mittlerweile organisieren sich im Riders Collective auch FahrerInnen, die keine freie DienstnehmerInnen sind. Bei Veloce ist wie gesagt eine Organisierung bei den Abgabepunkten für die 1450-FahrerInnen halbwegs möglich. Bei Mjam zum Beispiel ist das aber überhaupt nicht möglich. Es gibt da rund 1000 KollegInnen in Wien, die sich aber maximal beim Warten in oder vor einem Lokal treffen, wenn sie die Lieferung abholen. Deshalb haben wir das Angebot von sogenannten Schraubtagen geschaffen. Hier erklären sich KollegInnen, die sich gut auskennen und entsprechende Ausbildungen wie ZweiradmechanikerIn haben, dazu bereit, gemeinsam an den Rädern zu arbeiten. Früher hatten die Zustelldienste oftmals eigene Werkstätten für die FahrerInnen, das ist aber weggespart worden. Das Werkstattangebot wird auch gut angenommen und von der Basis organisiert.

Wie verhalten sich eigentlich ÖGB bzw. die zuständige Fachgewerkschaft vida zum Riders Collective?

Es gibt Unterstützung seitens Gewerkschaft fürs Riders Collective in Form von Infrastruktur zum Beispiel. In der vida sind wir in der Sparte für Straßentransport untergebracht, lustigerweise zusammen mit LKW-FahrerInnen. Grundsätzlichen agieren wir aber sehr basisnahe und autonom von ÖGB-Strukturen, die uns auch keine großen Vorgaben machen. Bei der Betriebsratsgründung bei Veloce wurden wir von der vida unterstützt.

Wo siehst du die Perspektiven in der Branche bzw. bei der Organisierung der KollegInnen?

Ich glaube, man hat in der Branche grundsätzlich gute Chancen, Leute zu organisieren. Obwohl die hohe Fluktuation Vieles erschwert, führt sie auch dazu, dass du dich relativ leicht wieder bei einer anderen Firma oder Plattform anmelden kannst – insofern hast du vielleicht vorher weniger zu verlieren. Damit eng verbunden ist die Frage, wie es generell mit den Plattformarbeit weitergeht. Hier gibt es Defacto-Monopolisten, die über die entsprechende Plattform verfügen, über die du arbeiten kannst. Weil das Fahrradfahren ist das eine, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass es in vielen Branchen zu ähnlichen Entwicklungen kommen kann – gerade auch was das immer kleinteiligere Arbeiten angeht. Das führt dann zu immer schwindeligeren Arbeitsverhältnissen. Doch auch diese technische Entwicklung steht und fällt mit dem Grad der Organisation, den die Leute an der Basis haben. Das ist und bleibt die wichtigste und entscheidende Stellschraube.

Lieber Stefan, vielen Dank für das Gespräch – wir wünschen gutes Gelingen bei der weiteren Organisierung in der Branche!

Foto: Riders Collective

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