„Digitalisierung“ : Widersprüche, Herausforderungen und neue weltpolitische Aufspaltung des Globus

Wie schon Marx und Engels eingehend ausführten, sind Kapitalismus und industrielle Revolution untrennbar verbunden und zeichnet sich das kapitalistische System durch eine permanente Revolutionierung der Produktivkräfte durch das Kapital aus. Mit der sogenannten „Digitalisierung“ steht die Welt heute vor bzw. bereits am Beginn der vierten industriellen Revolution.

I)

Mit dieser stehen riesige Veränderungen vor der Tür: tiefgreifende Umbrüche und Strukturverschiebungen in der Arbeitswelt, massive Arbeitsverdichtungen und Rationalisierungen, die zugleich viele der heutigen Arbeitsplätze und Berufe drastisch bedrohen. Dabei stehen wir erst am Beginn der technologischen Umwälzung. Zwar hält die Digitalisierung bereits immer weiteren Einzug in Industrie, Dienstleistungssektor und Arbeitswelt, aber bislang noch mehr in Form von Elementen – dafür jedoch mit bislang unbekannter Geschwindigkeit. Die neue Arbeitswelt braucht daher auch dringend gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierungen, um vollkommene Willkür, die Degradierung der Arbeitenden zu bloßen Anhängseln der Maschinen, die neuen Überwachungspraktiken zu gläsernen Beschäftigten und die grassierenden entgrenzten Beschäftigungsformen auf den Arbeitsplätzen und teils neuen Arbeitsmärkten zu verhindern.

Die neue „Arbeitswelt 4.0“ tendiert zudem dahin, Normalarbeitsverhältnisse weiter und „disruptiv“ (also bisherige Verhältnisse und Konventionen grundlegend ablösend) – wie Wirtschaftsvertreter die harten mit der Digitaltechnik Einzug haltenden Einschnitte nennen – aufzulösen. Da unser Sozialsystem und das Steuersystem jedoch maßgeblich auf dem Normalarbeitsverhältnis beruhen, muss die Finanzierung der Sozialversicherungs- und anderer öffentlicher Leistungen mindestens um eine Wertschöpfungsabgabe verbreitert werden. Es braucht zudem einen staatlich wie betrieblich organisierten Übergang mit Umschulungen für die Beschäftigten, neue Bildungs- & Ausbildungssysteme für den Nachwuchs („Ausbildung 4.0“) – und eine finanzielle Absicherung jener, die in diesem System an den Rand gedrängt werden und kaum mehr Fuß fassen können. Parallel dazu bedarf es einer radikalen Arbeitszeitverkürzung, um die Rationalisierungen und Arbeitsverdichtungen der Digitalisierung aufzufangen.

II)

Die „Digitalisierung“ erstreckt sich allerdings auf alle Sphären der Gesellschaft: über die unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ diskutierte Produktion hinaus, ebenso auf Vertrieb, Verteilung, Transport, Verwaltung, Geschäftsmodelle, Betriebsweisen usw. usf. und damit die Arbeitswelt insgesamt – Stichwort: „Arbeitswelt 4.0“. Aber auch auf die Konsumtion. Letztlich auf die Gesellschaft als Ganzes. Denn die kapitalistische Gesellschaft ist kein fester Kristall, sondern – natürlich auf Boden ihres Wesens – in steter Wandlung begriffen, womit sich mit der „Digitalisierung“ auch neue Produktionsverhältnisse und Machtstrukturen ausbilden. Der gesamte Fragekomplex verästelt sich im Einzelnen jedoch noch weiter: Bis hin zur Frage der Digitalisierung des Militärs und Krieges – vom Drohneneinsatz, über Kampf-Robotik, autonome Waffen, bis zum Cyberkrieg – oder auch der Frage von digitaler Arbeit und Imperialismus.

Ein riesiges Themenfeld, in dem viele Detailfragen zweifelsohne noch ungeklärt sind bzw. erst einer adäquaten Beantwortung bedürfen. Umso dringender muss sich die ArbeiterInnenbewegung und revolutionäre Linke diesen Herausforderungen heute aktiv stellen, anstatt abstrakt über Chancen versus Bedrohungen zu sinnieren. Die kommenden Veränderungen müssen gestaltet werden. Wie und von wem sie gestaltet werden ist eine Machtfrage – eine Klassenfrage und Frage der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Denn entgegen dem Gerede von „der Digitalisierung“ als „Trend“ oder „Megatrend“ dem sich ‚die Unternehmen‘ und ‚wir‘ „stellen“ müssen bzw. dem ‚sie‘ und ‚wir‘ „begegnen“ müssen – als ob die Technik und nicht das Kapital das Subjekt der Digitalisierung und des Umbaus der Wirtschaft wie Gesellschaft wäre –, ist nach den näheren kapitalistischen Interessen und Akteuren sowie ihren Zielen zu fragen. Die Auseinandersetzung ist daher auch kein Kampf gegen Bits und Bytes, gegen vernetzte Maschinen, Roboter, Quantencomputer, Künstliche Intelligenz, moderne digitale Infrastruktur etc. Sondern ein Kampf gegen die Risiken und destruktiven Tendenzen der kapitalistischen Digitalisierung und ihrer Profitinteressen, ein Kampf um die Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und Gestaltungsspielräume, des aktiven Eingreifens und entschlossener Gegenstrategien sowie eigener Antworten im Interesse der Werktätigen. Das setzt, über den Wesenskern des Konflikts um die „Digitalisierung“, allerdings auch Sachwissen sowie Wissen um die potentiellen Chancen der neuen Technik und klare strategische Orientierungen voraus. Und genau dies soll in einer Reihe wichtiger Aspekte auf der hiesigen Konferenz auch geleistet werden.

III)

Zugleich haben die wirtschaftlich im Abstieg begriffenen imperialistischen Zentren – allen voran die USA – einen regelrechten Wirtschaftskrieg und unerbittliche Sanktionsgefechte um die Kontrolle der Zukunftstechnologien entfacht, mit denen eine neue weltpolitische Aufspaltung des Globus voranschreitet. Um die hinter dieser aggressiven Konfrontation insbesondere mit dem „Reich der Mitte“ stehenden kontinentalen Verschiebungen des unversöhnlichen Kampfs Washingtons um die Aufrechterhaltung seiner Vorherrschaft zumindest anzudeuten: Die Chip-Entwicklung und -Produktion beispielsweise war zunächst ein Kind des „Kalten Krieges“, die ihren Ausgang in den 1950er Jahren im Silicon Valley der USA für das US-Militär und die Raumfahrt nahm. Daran anknüpfend wurde bis in die 1970er Jahre auch ein Großteil der zivilwirtschaftlichen High-Tech-Produkte in den Vereinigten Staaten entwickelt und produziert, bevor die Verlagerung der Fertigung ins Ausland ihren Siegeszug antrat. Regelrecht befeuert wurde diese dann nochmals durch die sogenannte „Globalisierung“ des kapitalistischen Weltsystems ab den 1990er Jahren. (Die kurzzeitige partielle internationale Technologieführerschaft Japans in den 1980er Jahren, die seit den 1990ern allerdings ebenso wieder weitgehend Geschichte ist, wäre ein gesondertes Thema.) Heute indes entfallen auf die USA lediglich mehr 13% der weltweiten Chip-Produktion. Auf Europa überhaupt nur mehr 6%. Der Löwenanteil an Chips (über 70%) wird heute in Asien, namentlich China, Taiwan, aber auch Südkorea und Japan produziert. Allerdings verfügen die USA noch über die technologischen Marktführer unter den Chip-Entwicklern (wohingegen die technologische Marktführerschaft in der Chip-Fertigung in Taiwan liegt und im Maschinenbau für die Halbleiterindustrie Holland und Japan Weltmarktführer sind). Über die US-Strategie der gezielten Abschneidung Chinas von den modernsten Hochleistungschips bzw. einer erwogenen vollständigen Abkoppelung der chinesischen Industrie von der westlichen Industrie in der IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie,) versucht Washington den weiteren wirtschaftlichen und technologischen Aufstieg Chinas ein Stück weit auszubremsen. Bzw., das Pentagon wählt hinsichtlich der Zielstellungen vielfach offenere Worte: zu versuchen „Chinas Wirtschaft ggf. zu einem späteren Zeitpunkt zu zerstören“. Denn die Chip-Herstellung gilt trotz immenser Fortschritte bislang noch als Achillesferse der chinesischen Industrie – während das Land in fast allen sonstigen Bereichen der Zukunftstechnologien dem erodierenden US-Empire schon überlegen oder zumindest ebenbürtig ist (was eine Senatorin der Demokraten veranlasste, einen neuen „Sputnik-Moment“ herbeizuzitieren). Und moderne Hochleistungschips markieren neben Künstlicher Intelligenz sowie einer digitalen Infrastruktur heute die fundamentalen Bausteine einer fortgeschrittenen Wirtschaft und ihrer Entwicklung. Daher der entfesselte Chip- und High-Tech-Krieg gegen Peking. Vor diesem Hintergrund begann Washington nicht nur unter Donald Trump seine Sanktionskampf, sondern verschärfte Joe Biden diesen noch unter der Schlachtparole: „Wir sind in einem Wettbewerb um den Sieg im 21. Jahrhundert und der Startschuss ist gefallen.“ Statt wirtschaftlichem Wettbewerb und internationaler Zusammenarbeit der global hochgradig vernetzten (und arbeitsteilig konzentrierten) Sektoren Zukunftstechnologien, haben die USA und EU zum unversöhnlichen Endkampf geblasen. Sanktionsgefechte, Embargos und Wirtschaftskriege gegen große Akteure führen aber unvermeidlich zu massiven Rückstößen und Bumerangeffekten – mit massiven Kosten und inflationären Schocks für die breiten Massen.

Mehr noch: Peking hat auf den kollektiven westlichen Erdrosselungsversuch bisher noch gar nicht geantwortet. Allerdings ist das „Reich der Mitte“ ohne weiteres in der Lage in seiner Sanktionsabwehr gegen den westlichen Sanktions-Amoklauf mit zielgerichteten (symmetrischen oder auch asymmetrischen) Gegensanktionen zurückzuschlagen. Unter einem solchen Sanktionsgefecht würde aber vor allem EU-Europa nicht nur ächzen, sondern einen dramatischen ökonomisch und sozialen Trümmerhaufen heraufbeschwören und die EU tendenziell in ein Industriemuseum verwandeln – flankiert um die immer konkreteren und breiteren Pläne vieler Konzerne, sich aufgrund des zunehmend aggressiveren Wirtschaftskriegs und verhängten Sanktionsregimes künftig mit allen Konsequenzen in ein je westliches und ein chinesisches Unternehmen aufzuspalten, bis hin zur völligen Abkehr von ihrem „europäischen Heimatmarkt“ – , mit einem zugleich inflationären Tsunami, gegen den die aktuellen Teuerungsraten geradezu harmlos aussähen würden.

IV)

Die hunderte Milliarden Dollar und Euro schweren „Digitalisierungs“-Förderprogramme Washingtons und Brüssel und ihr entfesselter Chip-Krieg zeigen neben der neuen protektionistischen Zuspitzung und der Globalstrategie einer unversöhnlich-aggressiven Konfrontation aber auch ein weiteres, wie der ehemalige Software-Entwickler und IG-Metall Funktionär Wolfgang Müller treffend hervorstrichen hat: „Die Halbleiterindustrie steht exemplarisch dafür, dass die Entwicklung modernster Technologien längst nicht mehr kompatibel ist mit dem engen Rahmen des Privateigentums an den Produktionsmitteln, also den Werken und den Chip-Entwicklungszentren mit ihrem Know-how. Ohne die Umwälzung der riesigen Kapitalkosten auf die Gesellschaft gäbe es die Halbleiterindustrie auf dem heutigen Niveau nicht – weder in den USA noch in Ostasien oder in Europa.“

Als Fazit dieses kurzen Steifzugs lässt sich jedenfalls festhalten: Nur in entschlossener, konsequenter Interessensvertretung und Konfliktbereitschaft auf Basis eigener Gegenstrategien lassen sich die Herausforderungen im Interesse der Arbeitenden durchsetzen. Es ist Zeit, sich auf die Veränderungen einzustellen und die in der Digitalisierung liegenden Möglichkeiten aus ihrer kapitalistischen Destruktivität herauszulösen und als materiell-technische Basis sowie neuen Potenz der Planung und Verwaltung für eine humane Arbeitswelt in einer die Profit-Logik überwindenden Gesellschaft fruchtbar zu machen!

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