Zwischen Plattformarbeitskampf und Rechtsanspruch auf Pizzareste

Digitale Plattformarbeit ist ein rapide wachsender Bereich der Arbeitswelt. Betriebe in der Branche sind dafür bekannt, auf kreative Art und Weise geltendes Recht zu umgehen. Befeuert durch die Digitalisierung wird in Bereiche vorgestoßen, die arbeitsrechtlich schlecht bis kaum reguliert sind. Und obwohl es landläufig relativ wenig Kenntnis über die Beschäftigungsverhältnisse in diesem Bereich gibt, sind Beschäftigte von Plattformunternehmen in der Öffentlichkeit durchaus bekannt – das beste Beispiel dafür sind wohl die FahrradbotInnen von Essenslieferdiensten.

Mit Adele Siegl, Betriebsratsvorsitzende bei Mjam, haben wir uns über Organisierung und Arbeitsbedingungen in der Branche, verworrene Konzernstrukturen, den aktuellen Kollektivertragsabschluss und die massiven Herausforderungen, die diese Art der Beschäftigung für Betriebsräte mit sich bringt, unterhalten.

KOMintern: Plötzlich waren sie aus dem Straßenbild österreichischer Städte nicht mehr wegzudenken: die LieferbotInnen von Mjam. Was ist denn die Geschichte dahinter?

Adele Siegl: Mjam war anfangs eine reine Online-Plattform ohne eigene Lieferflotte. KundInnen haben über diese Plattform Restaurants gesucht und wurden direkt von diesen beliefert. 2015 kam dann Foodora als erster Lieferdienst mit eigener Flotte ins Spiel. In diesem Jahr habe auch ich begonnen, für Foodora zu arbeiten. Sehr bald nach der Foodora-Gründung stieg das deutsche Unternehmen Rocket Internet, das Beteiligungen bei vorwiegend internetbasierten Geschäftsmodellen hält, auch bei uns ein. Prominentes Beispiel dafür ist Zalando, wo Rocket Internet anfangs die meisten Anteile hielt. Damit wurden die Arbeitsbedingungen spürbar schlechter, freie Dienstverträge wurden etabliert. Noch im selben Jahr hat Delivery Hero dann Foodora von Rocket Internet übernommen.

Ganz schön viele Firmennamen und eine Übernahme nach der nächsten – das zeigt ja auch, wie Firmen in der Branche arbeiten. Jedenfalls erfolgte dann unter der Schirmherrschaft von Delivery Hero die Zusammenführung der Online-Plattform von Mjam mit der Flotte von Foodora – richtig?

Genau. Davor gab es schon Kooperationen zwischen Mjam und Foodora in Bezug auf Lieferungen bzw. Subunternehmer, welche nochmals ausgelagert Lieferungen für einen sogenannten Logistikpartner zustellen – was aber nochmal ein ganz anderes Kapitel wäre. Die heutigen LieferantInnen, die dir dein Essen bringen, wenn du über Mjam bestellst, sind entweder von den Restaurants selbst beschäftigt oder bei einem Logistikpartner bzw. Subunternehmer, oder gehören der Mjam-eigenen Flotte an. In allen drei Bereichen gibt es KollegInnen, acht bis zehn Stunden am Tag an fünf bis sechs Tagen die Woche fahren.

Delivery Hero ist ja ein weltweiter Konzern, der in vielen Ländern agiert.

Delivery Hero ist in Europa vor allem noch in Skandinavien, Osteuropa und der Türkei, darüber hinaus aber auch stark am asiatischen Markt vertreten. [Anm.: Wir berichteten dieses Jahr bereits vom Kampf der KollegInnen bei Yemeksepeti / Delivery Hero Türkei, wo sich auch KollegInnen in Österreich solidarisch zeigten.] Viel ist in der Vergangenheit aber auch verkauft worden: Deutschland an Takeaway (in Österreich: Lieferando) und Südeuropa an Glovo. Du merkst: es ist ein ständiges Hin und Her und mit den Beschäftigten wird bei diesen Übernahmespielen alles andere als zimperlich umgegangen.

Wie sieht so eine Firmenübernahme aus?

Foodora Italien ist vor ein paar Jahren von Delivery Hero an Glovo verkauft worden. Die KollegInnen in Italien wurden vor die Tür gesetzt, durften sich dann aber gnädigerweise bei Glovo neu bewerben – zu schlechteren Konditionen. Danach hat Delivery Hero wiederum in Glovo investiert. So rennt es halt laufend.

Da kann einem ja schwindelig werden… Machen wir es wieder konkreter: wie ist Mjam aktuell in Österreich aufgestellt?

Mit eigener Flotte nicht in ganz Österreich – als Plattform hingegen schon. Eine eigene Flotte gibt es in Graz, Salzburg, Innsbruck, Klagenfurt, Linz und Wien. Wenn man zum Beispiel in St. Pölten bei Mjam bestellt, wird das nur von Subunternehmen oder Restaurants geliefert. Deren Arbeitsbedingungen sind eher im unkontrollierten Bereich.  Neben den sogenannten Logistikpartnern arbeiten österreichweit aktuell ca. 2500 Menschen für Mjam. Ich kann das aber gar nicht so genau sagen, weil von den 2.500 nur rund 180 echte DienstnehmerInnen sind, der Rest fährt als „freie DienstnehmerInnen“. Als Betriebsratsvorsitzende bin ich rein rechtlich betrachtet auch nur für die 180 zuständig, obwohl der Betrieb mehr als zehnmal so viele Beschäftigte hat.

Und wie sieht denn ein typischer Arbeitstag bei Mjam aus? Wie kommst du da überhaupt rein?

Grundsätzlich ist der Einstieg sehr einfach. Obwohl sich das Recruiting-Prozedere stetig verändert ist es im Grunde so: ein zukünftiger Rider bewirbt sich über ein sehr simples Online-Formular. Eventuell musst dir noch ein paar Youtube-Videos ansehen, in denen der Job beschrieben wird, und danach einen Multiple-Choice-Test ausfüllen. Das war’s eigentlich schon. Du brauchst keinen Lebenslauf oder Ähnliches abgeben. Danach kann man online den Vertrag unterzeichnen und vorbeikommen und Rucksack und Co. ausfassen. Die einzige richtige Erfordernis sind Sprachkenntnisse in Deutsch oder Englisch – wenn bei der Ausgabe wahrgenommen wird, dass du das nicht erfüllst, bekommst du den Job nicht. Bei echten DienstnehmerInnen schaut es anders aus: die bekommen zumindest ein echtes Onboarding, wo ihnen z.B. erklärt wird, wie sie sich krankmelden, wir den Betriebsrat vorstellen, usw. Das alles spielt aber leider bei den freien DienstnehmerInnen keine Rolle.

Durch diese formal sehr niedrigen Anforderungen und dem – positiv formuliert – niederschwelligen Einstieg in den Job, wird ja den freien DienstnehmerInnen ihre Selbstausbeutung auch als große Chance verkauft – darauf steigst du natürlich eher ein, wenn du finanziell sowieso schon mit dem Rücken zur Wand stehst.

Ja, und das bringt natürlich viele Herausforderungen mit sich. Viele KollegInnen sind ganz neu am österreichischen Arbeitsmarkt und froh, überhaupt etwas zu haben.

Der Rucksack ist also ausgefasst – wie geht’s dann weiter?

Dann werden die Rider in einen „Newbie Batch“ eingeteilt. Die Batches sind gewissermaßen Chargen, in denen die KollegInnen kategorisiert werden. Je zuverlässiger du bist, du deine Schichten erfüllst etc., desto höher steigst du in der Batch-„Hierarchie“ auf. Das sind im Grunde Kriterien, die dich – wenn du sie alle erfüllst – schon wie einen echten Dienstnehmer aussehen lassen. Wenn du jedenfalls im Batch 1 bist, kannst du dir deine Schichten zuerst aussuchen, dann kommen erst die anderen Batches dran. Dieses ganze System funktioniert nur, wenn es wesentlich mehr FahrerInnen als Arbeit gibt – denn so werden die KollegInnen in einen Wettbewerb um die besten Schichten untereinander gesetzt.

Damit wird den KollegInnen ja im Grunde ewig eine Karotte vor die Nase gehalten – wenn du nicht spurst, kriegst du die schlechten Schichten.

Ja – wenn z.B. wenig los ist, kriegen KollegInnen im Batch 3 – was ja angenehmer Durchschnitt ist – einfach keine Schichten mehr und haben dementsprechend kein Einkommen. Und es ist wirklich absurd, weil sich das auch während eines Tages ändern kann. Du kannst in der Früh am unteren Ende von Batch 1 sein und am Abend dann oben bei Batch 2. Wenn dann am nächsten Tag der Schichtplan aufgemacht wird, kannst du dich erst später eintragen. Es richtet sich oft gar nicht danach, ob du pünktlich warst, sondern mehr danach, wo die anderen KollegInnen im Ranking stehen. Du kannst alles richtig machen und im Batch 2 sein, weil’s immer wen geben wird, der es noch „richtiger“ macht. Dieses System verbunden mit dem Akkordlohn führt zu einer großen Konkurrenz unter den KollegInnen, derer sich die Firma natürlich bedient.

Es wird z.B. damit geworben, dass du als „Freier“ bis zu 16 Euro in der Stunde verdienen kannst – tatsächlich möglich ist das nur für einen ganz, ganz kleinen Teil. Plus: Akkordlohn im Straßenverkehr ist in Wahrheit ein wahnsinnig gefährlicher Unsinn, der die KollegInnen dazu bringt, sich zu gefährden. Der Druck für die höchstmögliche Anzahl an Auslieferungen pro Stunde führt auch dazu, dass gerade bei Supermarktlieferungen, die Mjam mittlerweile über eigene Märkte organisiert, das Maximalgewicht einer Bestellung ignoriert und der Rücken entsprechend ruiniert wird. Weil es halt Zeit kosten würde, es anders zu machen. Oder noch plakativer: wer Pausen macht, sinkt im Batch. Das Management wälzt sowas argumentativ immer auf die Eigenverantwortung der FahrerInnen ab, aber es ist wichtig, die Struktur hinter diesen Prozessen zu sehen.

Durch Proteste konnte kürzlich erreicht werden, dass Freie am Sonntag zumindest einen Euro mehr pro Bestellung (bis Jahresende) bekommen. Was zunächst zumindest wie ein kleiner Erfolg klingt, hat jetzt absurderweise dazu geführt, dass es KollegInnen gibt, deren Lohn am Sonntag niedriger wird. Das liegt an der Einteilung durch den Algorithmus. Ein Einblick darin, wie diese ganze Einteilung genau funktioniert und wie der Algorithmus arbeitet, wird uns verwehrt.

Zusätzlich wird ja auch die klassische Organisierungsarbeit im Betrieb durch scheinselbstständige beziehungsweise freie DienstnehmerInnen sicher nicht einfacher.

Gerade aufgrund der vielen freien DienstnehmerInnen ist die Organisierung bei uns sehr schwierig. Da gibt es gewichtige Argumente der KollegInnen, warum sie als Freie arbeiten wollen. Es geht hier zum Beispiel oft darum, dass du mit unserem KV-Mindestlohn nicht das Monatseinkommen, das du für eine Zusammenführung mit deiner Familie, die im Ausland lebt, oder für die Staatsbürgerschaft brauchst, erreichst – das geht sich nur aus, wenn du als Freier jenseits vom Arbeitsrecht, das für Normalbeschäftigte gilt, schuftest. Die KollegInnen verstehen dann schon meine Argumente gegen den freien Dienstvertrag – aber was sollen sie denn sonst machen?

Gleichzeitig haben die freien DienstnehmerInnen diesen Herbst bereits zweimal die Arbeit niedergelegt und sind für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gegangen. Was ja ein sehr wichtiger Schritt in der Organisierung ist.

Absolut! Ich finde es sehr wichtig, dass die KollegInnen ihre Forderungen formulieren – gerade wenn ich als Betriebsrätin rein rechtlich gesehen wenig Handlungsspielraum habe und ich sehe schon die Lösung vieler Probleme darin, von den freien Dienstverträgen wegzukommen. Gleichzeitig ist dieser Arbeitskampf schon alleine deshalb nochmals schwieriger, weil die Freien ja quasi selbstständig unterwegs sind und deshalb auch keine Leistungen aus dem gewerkschaftlichen Streikfonds bekommen. Umso mutiger ist aber, was hier organisiert wurde. Insgesamt ist das alles natürlich nicht immer einfach, aber erste Schritte sind hier getan. Ich hoffe stark, dass wir in Zukunft auf diese Erfahrungen aufbauen können in unserem gemeinsamen Kampf für bessere Arbeitsbedingungen in der ganzen Branche – für alle verschiedene Arten von Dienstverhältnissen.

Trotz aller Schwierigkeiten in der Branche habt ihr ja bereits bei Foodora einen Betriebsrat gegründet – wie ist das abgelaufen?

Bei Foodora war es – zumindest es in Relation zur Situation heute – leichter sich zu organisieren. Oder besser gesagt: es gab andere Herausforderungen. Anfangs war die Stimmung im Betrieb relativ amikal mit flachen Hierarchien. 2016 ist dann beschlossen worden, dass zwei Drittel der Belegschaft in freie Dienstverhältnisse gezwungen werden sollen. Rider Captains hatten damals den Auftrag die KollegInnen nach einem Schulnotensystem einzuteilen. Die Einser und Zweier konnten ihren bisherigen Dienstvertrag behalten, die anderen sind vor die Wahl gestellt worden: entweder unterschreibst du einen freien Dienstvertrag oder du wirst gekündigt. Das hat zu großem Unmut – gerade auch bei den damaligen Rider Captains – geführt. Ca. ein Jahr später – im Frühling 2017 – haben wir dann den Betriebsrat gegründet.

Was sind denn Rider Captains?

Das sind gewissermaßen Teamleitungen, die zum Beispiel Equipment ausgeben oder Anweisungen von oben nach unten weitergeben. Bei vielen Problemen können sie allerdings auch einfach nicht helfen. Auch die Anzahl der FahrerInnen, die ein Rider Captain hat, hat sich stark verändert im Laufe der Jahre. Wie ich als Rider Captain gearbeitet habe, so von 2016 bis 2018, hatten wir Gruppen von 20 bis 30 KollegInnen. Danach sind die Posten der Rider Captains massiv reduziert worden und jetzt sind sie für Chat-Gruppen mit über 200 KollegInnen zuständig. Durch diese große Anzahl plus unsere hohe Fluktuation können die oft auch gar nicht mehr machen, als Anordnungen von oben nach unten weiterzugeben – früher waren diese Hierarchien wesentlich flacher und die Mitsprache einfacher. 

Wie ging’s dann weiter mit dem Betriebsrat?

Das Klima in der Firma wurde generell rauer: im Winter 2016 wurde massiv Personal rekrutiert, weil hier immer die meisten Aufträge sind. Dann sind an einem Tag 70 KollegInnen, der Großteil freie DienstnehmerInnen, gekündigt worden – das war rund ein Viertel aller zu diesem Zeitpunkt beschäftigten Rider. Parallel sind trotzdem auch laufend KollegInnen aufgenommen worden, die natürlich noch nie mit uns Kontakt gehabt haben. Ein Jahr später folgte die nächste Umstrukturierung: den Rider Captains wurde eine Änderungskündigung auf den Tisch gelegt – entweder sie nehmen einen normalen Rider-Vertrag oder sie gehen. Wir haben – dann schon als Betriebsrat – die KollegInnen überzeugt, dass das niemand unterschreiben soll, was auch funktioniert hat. Die KollegInnen konnten dann die Konditionen des bisherigen Vertrags behalten.

Hier hat sich in der Firma ja irrsinnig viel von der Struktur geändert in sehr weniger Jahren: von diesem halbwegs amikalen Umfeld hin zu einem Großbetrieb, der heiteres hire-and-fire betreibt.

Wer 2016 bei Foodora gearbeitet hat und heute nochmals bei Mjam dazu kommt, würde die Firma nicht wiedererkennen. Das war ein stetiger Prozess. Mittlerweile wird das Management zumindest in der Sprache wieder amikaler, sicher auch ein Resultat der Arbeitsniederlegungen der freien DienstnehmerInnen ist. Davor ist aber viel passiert, was uns die Organisierung schwieriger machte: ein Beispiel wäre, dass es länger Jahren keine Garage mit Reparaturmöglichkeit mehr gab. Das war für uns immer ein wichtiger Treffpunkt, wo wir mit KollegInnen ins Gespräch kommen konnten. Gewissermaßen waren solche Treffpunkte oder auch Angebote für KollegInnen mit Radexpertisen Vorläufer des heutigen Riders Collective. Mittlerweile gibt es wieder eine Rider Station, wo die KollegInnen Pause machen können und eine Mechanikerin, die Räder repariert. Dass das wieder eingeführt worden ist, liegt sicher an unserer Arbeit als Riders Collective. Erst als wir den Rider Hotspot eröffnet haben, ist Mjam auch auf die Idee gekommen, dass so etwas doch sinnvoll wäre.

Apropos Vernetzung, Organisierung und Riders Collective: ihr werdet bei dieser – auch überbetrieblichen – Basisvernetzung von der zuständigen Gewerkschaft vida unterstützt. Das wird wohl nicht von heute auf morgen passiert sein.

Wir haben ja weltweit den ersten Betriebsrat hier bei Foodora gegründet, danach folgten Gründungen in anderen Städten, wo das Unternehmen tätig ist. Aber auch bei Lieferando wurde ein Betriebsrat gegründet, mit dem wir in einem engen Austausch stehen. Generell haben sich damals viele Rider-Initiativen in verschiedenen Formen international gegründet und mit der Organisierung der Beschäftigten begonnen. Die ganze Branche ist aber, so wie wir sie heute über Online-Plattformen kennen, sehr neu. Hin zur heutigen Unterstützung durch die vida war es dementsprechend schon ein langer Weg, auch weil sich Gewerkschaften in Österreich durchaus schwertun, auf neu entstehende Arbeitsverhältnisse entsprechend zu reagieren und weil wir auch ganz andere Arbeitsmethoden und Strukturen haben – da hat sich die vida anfangs mit uns schwergetan und umgekehrt.

Nicht nur bei der Betriebsratsgründung, sondern auch beim Kollektivvertrag für RadbotInnen warst du an vorderster Front dabei.

Der ist alles andere als vom Himmel gefallen. Wir haben uns jahrelang mit anderen Radbotendiensten vernetzt und versucht, so die Basis für einen Kollektivvertrag zu schaffen. Parallel und unabhängig davon hat es schon Gespräche zwischen Gewerkschaft und Wirtschaftskammer gegeben. 2020 ist dann der erste Kollektivvertrag für FahrradbotInnen in Kraft getreten. Hier konnten wir für echte DienstnehmerInnen zumindest erstmals einen Mindestlohn von 8,90 Euro / Stunde erreichen. Wobei halt über das Konstrukt des freien Dienstvertrags versucht wird, diesen zu umschiffen. Wenn beispielsweise am Sonntag nur freie DienstnehmerInnen eingesetzt werden, muss auch der kollektivvertragliche Zuschlag nicht gezahlt werden, weil der KV eben nur die echten DienstnehmerInnen umfasst.

Vor wenigen Tagen kam es ja zu einem neuen KV-Abschluss. Was waren dabei die zentralen Forderungen?

Grundsätzlich haben wir uns der allgemeinen ÖGB-Forderung von einem Mindestlohn von 2.000 Euro angeschlossen, was bei uns ein Riesensprung wäre. Aktuell liegt der Mindestlohn für 40 Stunden bei 1.593 Euro. Neben der finanziellen Frage sind für uns die Vor- und Nachbereitungszeiten auch ein wichtiges Thema, wo wir 15 Minuten pro Schicht fordern. Die sind nämlich notwendig für die KollegInnen: du musst dein Rad checken, du musst dich – gerade im Winter – entsprechend anziehen und dich so einpacken, dass du den Tag überstehst. Hier wird viel unbezahlte Arbeit reingesteckt – nur dafür, dass man überhaupt arbeiten kann. Außerdem gibt es bei uns im Kollektivvertrag noch nicht mal eine Lohntabelle, wo du mit Dauer der Dienstjahre aufsteigen kannst. Eine dritte wichtige Forderung im Rahmenrecht sind Diäten ähnlich zum Kleintransport – wir sind ja laufend auf der Straße und müssen uns dabei selbst versorgen.

Wie haben die Arbeitgeber auf die Forderungen reagiert?

Der größte Affront war die Argumentation bei der Ablehnung der Diäten. Diese wären für uns doch eh nicht so wichtig, weil wir ja sowieso gelegentlich von Restaurants Essen bekämen. Das war schon ein starkes Stück! Wie sollen wir das verstehen? Rechtsanspruch auf Pizzareste? Darüber hinaus war das erste Angebot der Arbeitgeber für eine Lohnerhöhung ganze 4%, was lächerlich ist. Außerdem wollten sie den Sonntagszuschlag von 50%, den wir erst letztes Jahr erstritten haben, für Teilzeitkräfte streichen, die nur zwischen Donnerstag und Sonntag arbeiten.

Jetzt ist ein Abschluss da: +8,6% und ein Mindestlohn von 10 Euro in der Stunde. Was sagst du zum Ergebnis?

Ich bin zufrieden. Weniger hätte mich wirklich deprimiert, also mit weniger wollten wir nicht abschließen. Wir konnten das „letzte Angebot“ der Arbeitgeber von 7,5% noch raufhandeln. Das ist schon ein Erfolg. Der große Wermutstropfen ist dabei, dass die Hälfte der Branche – also die Rider bei Lieferando das nicht groß spüren werden, weil sie bisher schon 10 € pro Stunde verdient haben.

Wir geben nicht auf: wir organisieren die Rider, informieren kritisch über Plattformarbeit und die Tricks zur Scheinselbständigkeit, und geben uns nächstes Jahr noch mehr Mühe für einen guten Abschluss!

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