Zum Tag der politischen Gefangenen 2022

Der Tag der politischen Gefangenen am 18. März erinnert an die Pariser Kommune von 1871 – dem ersten modernen Anlauf der Werktätigen der Umwälzung, des Umwerfens der „gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ und „Keimform des Sozialismus“ – zugleich aber auch blutiger Höhepunkt staatlicher Repression, der sich unauslöschlich in die kollektive Erinnerung linker Bewegungen eingebrannt hat.

Dem brutalen Massaker an Zehntausenden KommunardInnen und der beispiellosen Verfügung an Haftstrafen gegen die Aufständischen, mit denen die bürgerliche Reaktion nach der Niederschlagung der Kommune Vergeltung übte, schloss sich bis in unsere Tage eine lückenlose, weltweite Kette an politischer Gefangener, Justizverbrechen und einer Rache-, Klassen- und Rassenjustiz an.

Die Herrschenden Frankreichs ließen in jenen Tagen binnen kürzester Zeit 20.000 bis 30.000 KommunardInnen per Massenerschießungen dahinmetzeln. 9.000 weitere Kommunarden und Kommunardinnen wurden zu Gefängnis oder Verbannung verurteilt.

Ihnen, wie den seither nicht einmal mehr zählbaren Opfern und politischen Gefangenen der Freiheitsbewegungen, der Emanzipationsbewegungen, der Arbeiterbewegung und KämpferInnen für sozial-revolutionäre Alternativen zur Profit-Logik und Sozialismus erinnern wir uns heute bzw. gilt unsere Solidarität.

Die drei wohl bekanntesten politischen Häftlinge der Gegenwart sind sicherlich der seit 23 Jahren auf Imrali in der Türkei in Isolationshaft gesperrte Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, sowie der seit über 40 Jahren in Philadelphia in den USA inhaftierte linke Journalist und „Stimme der Unterdrückten“ Mumia Abu-Jamal bzw. der unerbittlich verfolgte Investigativ-Journalist Julian Assange – dem die westlichen Kriegsherren und Militärs gerade auch unter den Vorzeichen der Gegenwart seine Dokumentation der kaltblütigen Ermordung irakischer Zivilisten, darunter zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters, aus einem Apache-Kampfhubschraubers heraus und sich dabei für ihre Treffer gegenseitig gratulierend, nicht verzeihen.

Eigentlich besteht Assanges „Verbrechen“, auf das ihm bis zu 175 Jahre Haft drohen, in der couragierten Aufdeckung von US-Kriegsverbrechen und der Enthüllung von US-amerikanischen Erniedrigungs- und Folterpraktiken in etwa Abu Ghraib. Würden seine Enthüllungen nicht die Kriegsverbrechen der Streitkräfte des US-Welt-Sheriffs betreffen, wartete auf ihn wohl der renommierte Pulitzer-Preis (der Oscar des Journalismus), so aber der Knast. Ganz ähnlich wie den Aufdeckern der Machenschaften der Türkei – in der die Staatsanwaltschaft gegen den seit 2016 inhaftierten früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş jüngst 15.000 Jahre (!) Haft gefordert hat.

Parallel hat sich die Lage der politisch Verfolgten und politisch Gefangen weltweit abermals verschlechtert, führen die miserablen Haftbedingungen zu immer drastischeren Gesundheitszuständen der Gefangenen und haben sich die Gefängnisse vielfach auch zu regelrechten Corona-Hotspots entwickelt.

Als Beispiel dafür mag der letztjährige Tod des im Hochsicherheitsgefängnis von Callao 29 Jahre in Sonder-Isolationshaft gehaltenen ehemaligen Guerilla-Anführers des „Sendero Luminoso“ („Leuchtender Pfad“ / PCP-SL) in Peru aufgrund der verschleppten medizinischen Behandlungen stehen – ganz unabhängig der auch innerlinks divergenten Auffassungen zu seinem Wirken und dem Sendero.

Daneben verbüßten oder verbüßen auch heute in der Linken weitgehend in Vergessenheit geratene Linke, GewerkschafterInnen und Revolutionäre unterschiedlichster Couleurs weltweit Haftstrafen. Kaum jemandem mehr sind die 21 griechischen Streikführer des 9-monatigen Stahlarbeiterstreiks von Greek Steelworks in Erinnerung, über die die Justiz von Hellas aufgrund ihrer Unbeugsamkeit und ihres kämpferischen Widerstands auf Geheiß der Wirtschaftsvertreter eine knapp 2-jährige Haft verhängte.

Ähnliches gilt wohl auch für den jungen linken katalanischen Rapper Pablo Hasél, den die spanischen Behörden vor nicht allzu langem ins Gefängnis steckten.  Mit seinen marxistisch inspirierten Texten und insbesondere unter Jugendlichen populären Musikstücken gegen die Polizei resp. berüchtigte Guardia Civil, die Monarchie, den Faschismus und Kapitalismus wurde er den Herrschenden mehr und mehr ein Dorn im Auge, weshalb sie ihn unter den uns – aus der Türkei in freilich Zehntausenden Fällen – nur zu sattsam bekannten, justiziellen Allzweckvorwurf der angeblichen „Terrorismusunterstützung“, „Beleidigung staatlicher Institutionen“ und in Spanien auch „des Königshauses“ (oder „der Krone“) einsperrten.

Genauso gilt es sich heute erneut auch Dimitris Koufontinas, dem zu 11 Mal lebenslänglich zuzüglich 25 Jahren verurteilte bekanntesten Häftling Griechenlands, oder dem zwischenzeitlich schwer an Krebs erkrankten Ali Osman Köse zu erinnern, der bereits mehr als die Hälfte seines Lebens in türkischen Kerkern einsitzt und sich seit dem Jahr 2000 in einer F-Typ-Isolationszellen befindet.

Wir wollen am heutigen Tag der politischen Gefangenen aber auch an die – auch in der Linken kaum beachteten – zahlreichen inhaftierten Revolutionäre Indiens und den antikommunistischen Kreuzzug auf den Philippinen erinnern.

Von besonderer Brisanz dieser Tage ist für uns natürlich nicht minder die Verhaftung und Verschleppung von Michail Kononowitsch, Erster Sekretär des Leninschen Kommunistischen Jugendverbandes der Ukraine (LKSMU), sowie dessen Bruder Aleksander Kononowitsch vom Ukrainischen Sicherheitsdienst (SBU). Den beiden Brüdern und konsequent linken Aktivisten droht im aggressiv-russophob und antikommunistisch aufgeladenen Klima der Ukraine – in der die kommunistische Bewegung und ihre Symbole seit 2015 verboten sind –  unter dem absonderlichen, aber aktuell vielfach erhobenen Vorwurf „russische Kollaborateure“ und „Spione“ zu sein, akut die Ermordung.

Dunkle Wolken hängen über uns. Aber gerade heuer sollten wir auch nicht vergessen: Vor genau 50 Jahren erlitt die US-Rassen- und Klassenjustiz im Komplott gegen Angela Davis ihre bisher größte Niederlage. An ihr sollte mittels des „Falls Davis“, in den USA auch als „Strafverfahren des Jahrhunderts“ angekündigt, ein Exempel statuiert und die kommunistische ArbeiterInnenbewegung sowie schwarze Befreiungsbewegung in den USA eingeschüchtert und paralysiert werden.Nach einer mehrjährigen Hatz, einer gezielten Verleumdungs- und Einschüchterungskampagne, der Entfesselung einer regelrechten Menschjagd auf sie durch jeden verrückten Rassisten und Antikommunisten in „God‘s Own Country“, 488 Tagen Haft und dem ständigen Damoklesschwert der Hinrichtung in der Todeskammer eines Kalifornischen Gefängnisses, erzielte Angela, unterstützt von einer weltweit selten dagewesene Welle des öffentlichen Protests und der internationalen Solidarität, am 4. Juni 1972 allerdings einen historischen Triumpf gegen die Klassen- und Rassenjustiz der USA und kam frei.

Keine Woche nach ihrem Freispruch machte sich Angela Davis bereits zu Kundgebungen nach Chicago, Detroit und New York auf, fuhr nach Dallas und Atlanta weiter und trat kurz darauf eine politische Reise rund um den Globus an, um den Menschen zu danken, die am Kampf für ihre Freiheit teilgenommen hatten, und ihre Aufmerksamkeit auf andere politische Gefangene zu lenken. Aktuell setzt sie sich nicht zuletzt für die Freiheit von Aysel Tuğluk ein und erklärte gerade: „Sie ist meine Schwester und ich stehe immer an der Seite meiner Schwestern.“

Hoch die internationale Solidarität!

Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Ähnliche Beiträge

Gefällt dir dieser Beitrag?

Via Facebook teilen
Via Twitter teilen
Via E-Mail teilen
Via Pinterest teilen