Freiheit & Gerechtigkeit für Mumia Abu-Jamal – „Der Kampf geht weiter!“

Der seit über 40 Jahren – und damit den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens (davon fast drei Jahrzehnte in Einzelhaft im Todestrakt) – inhaftierte US-Bürgerrechtler, afroamerikanische Journalist und Mitbegründer der Black Panther Party in Philadelphia, Mumia Abu-Jamal, ist sicherlich einer der bekanntesten politischen Häftlinge der Gegenwart. Anstatt den bald 70 Jährigen nach mehr als vier Jahrzehnten hinter Gitter endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und Mumia umgehend freizulassen oder aufgrund der Fülle neuer Unschuldsbeweise zumindest das Verfahren neu aufzurollen, hat das zuständige US-Gerichte den Antrag auf Neuaufnahme seines Prozesses gerade abgelehnt und damit zugleich beschlossen, die Unschuldsbeweise staatlich einfach weiter zu ignorieren.

Anlässlich dessen ist für dieses Wochenende auch zu einem internationalen Aktionstag unter der Parole „Der Kampf geht weiter!“ ausgerufen: Wien, Samstag 22.4., 16.00- 17.30 Uhr, Ecke Mariahilfer Str./ Neubaugasse / „Der Kampf geht weiter!“

Denn der seit vielen Jahren Herzkranke und an einer chronischen Hepatitis C leidende sowie im Frühjahr 2021 schwer an Covid erkrankte linke Journalist wurde 1982 in einer rassistisch geprägten Polit-Prozess-Farce auf Basis schwerer Rechtsbrüche und mehr als nur fragwürdiger Indizien verurteilt. Ein Umstand, den 2011 zwischenzeitlich sogar die US-Justiz einzugestehen gezwungen war – ohne dass dies allerdings eine Neuverhandlung zur Folge hatte oder eine Freilassung Mumias nach sich zog.  

Stimme der Unterdrückten

Mumia Abu-Jamal, 1954 als Wesley Cook geboren, hatte sich in den 1970er Jahre mit seinen viel beachteten Reportagen über rassistische Polizeiübergriffe und staatlichem Rassismus weit über Philadelphia hinaus den Ehrentitel „Voice of the Voiceless“ – „Stimme der Unterdrückten“ – erworben. Eine Stimme der schwarzen Bürgerrechts- und studentischen Protestbewegung, die den Herrschenden mehr als bloß ein Dorn im Auge war. So drohte ihm etwa der vormalige Polizeipräsident und von 1972 bis 1980 dann Bürgermeister von Philadelphia, Frank Rizzo, ganz offen Konsequenzen an.

Rassistische US-Klassenjustiz

Anlass, ihn als Polit-Aktivisten aus dem Verkehr zu ziehen und auf die Anklagebank zu zerren, bot ein untergeschobener Polizistenmord 1981. Mumia Abu-Jamal, der trotz (oder gerade auch wegen) seiner journalistischen Aktivitäten und Bekanntheit aus dieser Tätigkeit kein ausreichendes Einkommen erzielte, verdingte sich zusätzlich als Taxifahrer. In der Nacht vom 9. auf den 10. Dezember 1981 kam es, während er auf einen Fahrgast wartete, im Zuge einer polizeilichen Verkehrsanhaltung eines Wagens mit Personenkontrolle zu Handgreiflichkeiten. Mumia erkannte im Rückspiegel dabei seinen Bruder Billy und stieg aus, um seinem Bruder und dessen Beifahrer zur Hilfe zu kommen. Das weitere Geschehen ist bis heute nicht zuverlässig rekonstruiert. Nur so viel scheint gewiss: als Mumia den Ort des Geschehens erreichte, fielen Schüsse, denen der weiße Polizist Daniel Faulkner erlag und starb. Dieser wiederum hat kurz zuvor Mumia Abu-Jamal mit einem Schuss in die Brust lebensgefährlich niedergestreckt, der nur schwer verletzt überlebte. Woher die tödliche Kugel auf Faulkner stammte, ist bis heute ungeklärt. Jedenfalls nicht aus Mumias auch amtlich registrierter Waffe, die er sich nachdem er in seinem Taxi überfallen worden war zugelegt hatte. Gleichzeitig ist zu bezweifeln, dass der zu diesem Zeitpunkt bereits angeschossene und mit einem Lungendurchschuss am Boden liegende Mumia überhaupt noch in der Lage gewesen wäre, den Kopfschuss, dem Faulkner zum Opfer fiel, abzugeben. Darin reiht sich ein, dass Mumias Waffe auch polizeilich oder im Prozess nie als Tatwaffe herangezogen und präsentiert wurde.

Nichts desto trotz liefen die Ermittlungen und der nachfolgende Prozess – geprägt von Rechtsbrüchen, manipulierten Beweisstücken und Akten, erpressten Aussagen u.v.m. – von Anfang an ausschließlich in Richtung Mumia, der am 3. Juli 1982 von der US-Klassenjustiz schließlich zum Tode verurteilt wurde. Die politische Dimension des ganzen Verfahrens im Sinne der herrschenden White Supremacy in God’s Own Country sei lediglich noch durch zwei vielsagende „Episoden“ ergänzt. Noch in der Nacht des Geschehens erschien „zufällig“ denn auch oben besagter Bürgermeister von Philadelphia Frank Rizzo noch persönlich am Tatort. Und der leitende Richter des Prozesses gegen Mumia, Albert Sabo, soll einer Gerichtsschreiberin zufolge in einer Verhandlungspause ungeschminkt geäußert haben: „Ich werde helfen, den Neger zu grillen“ („Yeah, and I’m going to help them fry the nigger“).

Vor diesem Hintergrund hatte der zum Tatzeitpunkt erst 27-jährige Mumia Abu-Jamal denn auch nie den Funkten einer justiziellen Chance. Obwohl er stets seine Unschuld beteuerte, seine „Schuld“ auch nie bewiesen werden konnte und sich zwischenzeitlich sogar ein anderer zum damaligen Schuss auf Daniel Faulkner bekannte, blieb und ist Mumia bis heute in Haft.

Internationale FreeMumia Solidaritätsbewegung

Im Gefolge dieses rassistisch-politischen Skandal-Urteils formierte sich, zunächst in den USA, danach auch in Europa und weltweit, eine seitdem nicht verstummende Solidaritätsbewegung für Mumia. Nachdem die Weltöffentlichkeit ab 1995 immer stärker auf den Fall Mumia Abu-Jamal aufmerksam wurde, kam es Ende der 1990er Jahre – maßgeblich (mit-)initiiert und getragen von der KJÖ und dem KSV – auch in Österreich zu Gründung eines FreeMumia-Solidaritätskomitees, das sich mit Kampagnen, Aktionen, Demonstrationen, Mahnwachen, Filmvorführungen und einer Ausstellung quer durch’s Land für seine Freilassung engagierte und stark machte. Die heimische Journalistengewerkschaft ernannte ihn im Zuge der Aktivitäten ihrerseits schließlich zum Ehrenmitglied.

Die zweimalige Aussetzung der Hinrichtung Mumia Abu-Jamals (1995 und 1999) waren in diesem Zusammenhang sicherlich ein allem voran Erfolg der US- wie internationalen Solidaritätsbewegung. Der Vollstreckungsbefehl von 1995 führte bereits zu weltweiten Protesten gegen die Exekution Mumias. Der Hinrichtungsbefehl von 1999 traf dann schon auf den gebündelten Protest globaler Solidaritäts-Komitees. 2001 wurde Mumias Todesstrafe dann (ebenfalls) erstmals (allerdings aufgrund juristischer Verfasstheiten nicht rechtskräftig) in eine lebenslange Haft umgewandelt. Zehn Jahre später, wurde diese Umwandlung schlussendlich 2011 vom Obersten Gerichtshof der USA getätigt, womit Mumia nach knapp 30 Jahren zugleich aus dem Todestrakt freikam.

Journalismus „live aus der Todeszelle“

Unermüdlich journalistisch tätig – u.a. schrieb Mumia (vieles davon in der Todeszelle) mehrere Bücher und verfasst regelmäßige politische Kolumnen, im deutschsprachigen Raum regelmäßig lesbar in der JungeWelt –, ist er heute einem großen Publikum auch international als zeitkritische, linke Feder bekannt. Denn linker Journalismus ist ihm eine Essenz der Bewusstseinsveränderung zur Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse. In diesem Sinne setzte und setzt er seine Arbeit als kritischer, linker Journalist denn auch „live aus der Todeszelle“ fort, wie der Titel seines ersten Buches lautete – oder „live aus dem SCI Mahanoy-Gefängnis in Pennsylvania“, wie er es heute vielleicht betiteln würde.

In einem vor eineinhalb Jahren in der JungeWelt auf Deutsch erschienen (Telefon)Interview mit Kalonji Jama Changa, skizziert er nochmals pointiert sein Journalismusverständnis: „Aus einer revolutionären Perspektive gesprochen, gibt es einen Gegensatz zwischen revolutionären Journalistinnen und Journalisten und denen, die für die Konzernmedien arbeiten. Die Rolle eines Journalisten besteht meiner Meinung nach darin, ein Anwalt des Volkes zu sein, also den Pulsschlag der Menschen zu spüren, zu fühlen, was sie fühlen (Automatische Durchsage der Telefonüberwachung: Sie haben noch eine Minute Zeit!) und über das zu berichten, was sie nicht wahrnehmen. Dazu beizutragen, Bewegungen des Volkes aufzubauen, die neue Dimensionen erreichen und eine höhere Resonanz erzeugen, um Menschen zusammenzubringen.“

Gezwungen immer öfter den Atem anzuhalten

Bereits 2015 hielten die UnterstützerInnen Mumias den Atem an, als er nur knapp einen diabetischen Schock überlebte. Die Ärzte des Gefängniskrankenhauses hatten die Anzeichen dafür offenbar schlicht ignoriert.

Dass die Todeszellen und miserablen Haftbedingungen in den USA maßgebliche Mitschuld am miserablen Gesundheitszustand Mumia Abu-Jamals tragen, steht für breite Kreise außer Zweifel. Das gilt ebenso für seine Herzerkrankung, wie Noelle Hanrahan von Prison Radio betonte: „Er wurde über ein Jahr lang in Isolationshaft gehalten, ohne die Möglichkeit, sich beim Hofgang körperlich zu betätigen“. Wie seine Mithäftlinge habe er in der Coronapandemie zudem den Zellentrakt nicht verlassen dürfen und nur „in seiner sehr kleinen Zelle hin und herlaufen“ können, so die Radioproduzentin, die Haftbedingungen abermals anklagend.

Im März 2021 schwebt die schwerkranke US-„Stimme der Unterdrückten“ mit Covid19 infiziert abermals in akuter Lebensgefahr. Nachdem er trotzt bereits schwer angeschlagenem Gesundheitszustand und mittlerweile auch fortgeschrittenem Alter das Virus besiegte, gaben die Verantwortlichen der Haftanstalt in Pennsylvania bekannt, dass sich der linke Veteran einer dringenden Herzoperation zu unterziehen hat. Den mittlerweile erfolgten Eingriff am offenen Herzen hat er zumindest gut überstanden.

Der Gesundheitszustand der bereits seit Jahren von Krankheiten gezeichneten „Stimme der Unterdrückten“ verschlechtert sich in den letzten Jahren, mit auch immer wieder lebensbedrohlichen Situationen, indes zusehends weiter – auch wenn er aktuell wieder bei Kräften ist.

Selbst UN-Menschenrechtskommission auf den Plan gerufen

Dieser Umstand – den sogenannten Leit- und Qualitätsmedien keine Zeile wert – hatte im Frühjahr 2021 dennimmerhin zumindest auch die UN-Menschenrechtsexperten auf den Plan gerufen, die in Genf „ernsthafte Bedenken über die Behandlung und das Wohlergehen von Mumia Abu-Jamal“ aufgrund dessen fortgesetzter Fesselung ans Krankenhausbett äußerten. Sie forderten in diesem Kontext die US-Behörden zugleich auf, sich „dringend mit den Vorwürfen der Diskriminierung, einschließlich der rassistischen, bei der medizinischen Behandlung von Gefangenen in Pennsylvania [zu] befassen“.

Freiheit & Gerechtigkeit für Mumia Abu-Jamal – „Der Kampf geht weiter!“

Sein Anwälteteam kämpfte zum einen derweil mit neuen entlastenden Beweisen für ein neues Berufungsverfahren. Mumias Frau Wadiya, seine Familie und zahlreiche Anwälte wiederum ringen währenddessen zugleich unermüdlich für die in den USA wie im Zusammenhang von Gefangenen wie ihm nicht unübliche Praxis der Freilassung aus humanitären Gründen. Ende März hat Richterin Lucretia Clemons vom Common Pleas Court in Philadelphia nun allerdings Mumias Antrag auf einen neuen Prozess aufgrund der Fülle neuer Unschuldsbeweise abgewiesen. Der Antrag sei aus ihrer Sicht „unbegründet“, die Unschuldsbeweise (darunter sechs 36 Jahre lang von der Staatsanwaltschaft zurückgehaltene Kartons mit Entlastungsbeweisen) seien zudem bisweilen „verjährt“ und sonach justiziell weiter zu ignorieren.

Für das kommende Wochenende 22. bzw. 23. April (einen Tag vor seinem 69. Geburtstag) wurde daher, wie betont, zum internationalen Aktionstag unter der Parole „Der Kampf geht weiter!“ ausgerufen.

Epilog

Denn anders als etwa der in den westlichen Medien zum Aufdecker und Investigativ-Journalisten par excellence hochstilisierte Rassist, Reaktionär und mafiöse Oligarch Alexei Nawalny das Medieninteresse quasi gepachtet hat, schafft es das Schicksal eines Mumia Abu-Jamals natürlich nicht in die ORF-Berichterstattung. In Russland selbst ist der im Westen regelrecht als Held gefeierte Nawalny hingegen übrigens seit langem als Reaktionär bekannt, dessen oppositionelles Wirken neben den eigenen unmittelbaren finanziellen Interessen (Nawalny selbst ist/war Aktionär mehrerer Staatsunternehmen, unter anderem in Gas- und Ölkonzernen sowie in der Immobilienbranche), von der Vorstellung eines ethnisch-reinen Russlands getrieben wird.

Dass Nawalny neben der russischen Führung etwa auch innerhalb gewisser russischer Kapitalfraktionen viele Feinde hat, die auch vor mafiösen Methoden wie einer Vergiftung nicht zurückschrecken, wird in der Berichterstattung nicht nur tunlichst verschwiegen, sondern ist geradezu ein regelrechtes Tabu des medialen Narrativs seines Falls.

Nicht minder ins Dunkle gehüllt wie seine Motivation hinter seinen Antikorruptionskampagnen, bleibt in den westlichen Medien denn auch seine eigentliche politische Gesinnung: ursprünglich war Nawalny Mitglied der liberalen Jabloko-Partei, aus der er 2007 aufgrund seiner Zusammenarbeit mit faschistischen Organisationen sowie rassistischen und ultranationalistischen Äußerungen ausgeschlossen wurde. Standesgemäß verabschiedete sich der heutige Liebling der westlichen Berichterstattung mit dem nationalistischen Gruß „Ehre sei Russland“.

In den folgenden Jahren bezeichnete er beispielsweise in seinem Blog Homosexuelle als „Schwuchteln, die weggesperrt gehörten“, forderte als Vertreter eines ethnisch-reinen Russlands Deportationen und Abschiebungen nationaler Minderheiten und bezeichnete TschetschenInnen als „Kakerlaken“, gegen die sich die gesamte Bevölkerung bewaffnen müsse“.

Der „nordkaukasischen Gesellschaft“ wiederum warf er schon mal hin „den tierischen Gesetzen und Gebräuchen zu folgen“ und sah „irgendwelche Basmatschi durch Moskau rennen.“ Längere Zeit gehörte der Sonny-Boy des Westens übrigens dem Organisationskomitee der jährlich stattfindenden rechten „Russischen Märsche“ an, zu denen sich unter anderem Rechtsextreme, Hooligans, Neofaschisten und ähnliche Figuren zusammenrotten. Aber das oppositionelle Liebkind des „Werte-Westens“ wiegelte diesbezüglich vielsagend ab: Man dürfe Demonstranten nicht einfach als Rechtsextremisten abstempeln, nur weil sie den Hitlergruß zeigen.

Auch wenn Nawalny in den vergangenen Jahren mit seinen rechtsextremen Aussagen aus politisch-taktischen Gründen etwas leiser trat, steht er inhaltlich weiter dahinter, wie er Radio Liberty [jenem CIA-Sender, bei dem auch sein faschistischer Kumpane Raman Pratassewitsch (um den es ob seines (Neo)Nazismus und rabiaten Antisemitismus etwas ruhiger geworden ist) „journalistisch“ tätig war] vor seiner Rückkehr nach Russland bestätigte. Freilich, dem gezeichneten Bild des rechtsextremen Finanzinvestors als „Vorzeige-Demokraten“ und EU-Lieblings-Oppositionellen in Moskau und der ihm in den Gazetten und Fernsehen allgegenwärtig geschenkten Aufmerksamkeit, hat derartiges noch nie Abbruch getan.

„Journalismus ist kein Verbrechen“, twitterte US-Außenminister Antony Blinken gerade – und die politischen Eliten aus den westlichen Hauptstädten folgten ihm mit Tweets auf den Fuß. Gemeint war freilich nicht Mumia Abu-Jamal oder der seit seinen Enthüllungen der US-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan von Washington unerbittlich verfolgte, mit 175 Jahren Haft bedrohte und aktuell in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis einsitzende Julian Assange. Sondern der Wall Street Journal Korrespondent Evan Gershkovich, dem in Russland Spionage vorgeworfen wird, da er mutmaßlich an Geheiminformationen über eine russische Waffenfabrik zu gelangen versuchte. Dass und wie windig diese Anklage auch sein mag – die Doppelmoral und gespielte Entrüstungen trieft nur umso deutlicher aus dem „Journalismus ist kein Verbrechen“ unter den Sternenbanner der USA und EU-Europas.

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