Der seit seinen Enthüllungen über die Kriegsverbrechen und das Folterregime der US-Army im Irak und in Afghanistan sowie über das US-Schandmal Guantánamo von Washington unerbittlich verfolgte Investigativ-Journalist und Wikileaks-Gründer, steht heute Dienstag und morgen Mittwoch unmittelbar vor der Entscheidung über sein Schicksal durch den Londoner High Court.
Nach seinem vorübergehenden Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London (2012 bis 2019) und anschließenden Verhaftung und Inhaftierung in Großbritannien nunmehr unmittelbar vor der Auslieferung an die Vereinigten Staaten, wo ihm bis zu 175 Jahre Haft drohen. Und während hiesige Medien sich hinsichtlich der Haftbedingungen in Russland geradezu zu übertreffen versuchen, sind ihnen die miserablen Haftbedingungen in den USA, die z.B. maßgeblich Mitschuld am schwer angeschlagenen Gesundheitszustand Mumia Abu-Jamals tragen, nicht einmal der Notiz wert. Mehr noch: Selbst das US-Schreckens- und Folterlager Guantánamo als globales Skandalon schlechthin, ist seitens der Schreibtischvasallen unterm Sternenbanner mehrheitlich bereits heimlich, still und leise unter den Tisch gekehrt. Dagegen hilft noch nicht einmal der erste Bericht der UN-Sonderberichterstatterin Fionnuala Ní Aoláin über Guantánamo als: „grausam, unmenschlich und entwürdigend“. Inhaftiert ohne Anklage und Rechtsstatus, grausame und jahrelange Folter, Waterboarding, sexuelle Misshandlungen und Demütigungen, Schlaf- und Ernährungsentzug, keine Kontakte zu Mithäftlingen oder Familie, kein Besuchsrecht von Anwälten – ein rechtsfreier Raum, mit radikal ausgelöschten rechtlichen Status der Inhaftierten (G. Agamben).
US-Schreckens- und Folterlager Guantánamo
Aber gerade auch die Enthüllungen zum US-Schreckenslagers Guantánamo mit seinen aus aller Welt verschleppten Insassen – dem bedrückenden Symbol des US-Zivilisationsbruchs der Gegenwart und der unsäglichen Missachtung elementarster Menschenrechte –, sowie der Anordnung des Weißen Hauses dazu, werden Assange von „God‘s Own Country“ und dessen exzeptionalistischen Anspruch auf eine globale „zeitlose Führungsmission“ als die „eine unverzichtbare Nation“ (Bill Clinton), „von Gott auserwählt und verpflichtet … ein Modell für die Welt zu sein“ (George W. Bush), nicht verziehen. „Das Neue an der ,Anordnung‘ von Präsident Bush [für die unbeschränkte Inhaftnahme in Guantanamo, Anm.]“ war, um das Ungeheuerliche dieser US-präsidialen Verordnung mit Giorgio Agamben kurz in Erinnerung zu rufen, „dass sie den rechtlichen Status dieser Individuen radikal auslöscht und damit gleichzeitig Wesen hervorbringt, die juristisch weder eingeordnet noch benannt werden können.“ Sie sind weder Gefangene noch Angeklagte, sondern ‚bloß‘ „detainees“, in Gewahrsam Genommene in einem „rechtsfreien Raum“, denen buchstäblich jegliche Rechte verwehrt werden (sowohl jene ziviler Gefangenen wie auch jene von Kriegsgefangenen), die mithin einer rein faktischen Herrschaft unterworfen sind, einer unbegrenzten barbarischen Haft ohne jede rechtliche Kontrolle.
Während das US-Folterlager Guantánamo entgegen Obamas Ankündigung 2008 bis heute nicht geschlossen wurde – und Biden hin, Trump her auch nach nicht wird –, gilt Washington Assanges Courage, Dokumentationen dieser ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen im US-Schreckens- und Folter-Gefangenlager einer breiten Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben, demgegenüber bis heute als „Hochverrat“. Entsprechend dieser unerträglichen Selbstgerechtigkeit spricht der amtierende US-Präsident Joe Biden denn auch gemeinhin lieber über Haftbedingungen in Russland oder China als über Guantánamo und das weltweite US-Lagersystem an Geheim- und Foltergefängnissen. Oder auch ‚nur‘ „Orte wie das Hochsicherheitsgefängnis Florence ADX, wo Menschen geknebelt und ihre Kommunikation gefiltert wird“, wie der bekannte Journalist Jacob Appelbaum gerade schrieb: „sind das, was sie [die politischen Führungsfiguren der USA und ihre Vasallen] für akzeptabel halten.“ Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty und Investigativ-JournalistInnen haben mit ihren Untersuchungen zudem schon lange aufgedeckt, dass die CIA ein globales Netz dieser ‚Black Sites‘ unterhält – darunter übrigens auch in diversen Satellitenländern der ach so „wertebasierten“ EU, wie etwa in Polen, Rumänien oder Litauen, worüber man wieder in Brüssel und Wien tunlichst nicht reden will.
Enthüllung der US-Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen im 8-jährigen Irak- und 20-jährigen Afghanistankrieg
Noch weniger verziehen von den Washingtoner und westlichen Kriegsherren und Militärs des „kollektiven Wertewestens“ allerdings wird ihm, gerade auch unter den Vorzeichen der Gegenwart, unter anderem seine Dokumentation der kaltblütigen Ermordung irakischer Zivilisten, darunter zweier Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters, aus einem Apache-Kampfhubschrauber heraus und sich dabei für ihre Treffer gegenseitig gratulierend.
Das ‚Verbrechen‘, dessen Assange beschuldigt wird und auf das ihm bis zu besagten 175 Jahre Haft drohen, liegt denn auch in der couragierten Aufdeckung von US-Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen im 8-Jährigen Irak- und 20-jährigen Afghanistankrieg, wie etwa genanntem von Scharfschützen wie in einem Videospiel massenhaft ‚abgeknallten‘ Zivilisten in Bagdad oder der Enthüllung von US-amerikanischen Erniedrigungs- und Folterpraktiken in beispielsweise Abu Ghraib. Daher auch die gnadenlose Hatz auf den Störenfried Assange und dessen Odyssee.
Gouverneur Mike Huckabee: „Alles außer einer Hinrichtung ist eine zu milde Strafe“ für Assange
Würden seine Enthüllungen nicht die Kriegsverbrechen der Streitkräfte des US-Welt-Sheriffs in ihrem beinahe ein Jahrzehnt währenden Irak-Krieg und ihrem zwanzigjährigenAfghanistan-Krieg betreffen, wartete auf ihn wohl der renommierte Pulitzer-Preis (der Oscar des Journalismus) oder mindestens weltweite Medieneinladungen zu den besten Sendezeiten bzw. honorige Jobangebote – so aber mutmaßlich lebenslange Isolationshaft ohne Kontakt nach außen. Oder auch die Hinrichtung, wie sie der ehemalige Gouverneur von Arkansas Mike Huckabee auch öffentlich fordert: „Alles außer einer Hinrichtung ist eine zu milde Strafe“ – und welche die CIA unter Mike Pompeo bekanntlich auch in Form einer Spezialoperation in Erwägung zog.
Daran erinnerte gerade auch der bekannte Journalist Jacob Appelbaum wieder: „Unter Mike Pompeo, dem früheren Direktor der CIA, ehemaligen Außenminister und engen Vertrauten der extrem rechten Trump-Regierung und Trump selbst, diskutierte die CIA in der Tat die Ermordung von Julian Assange, sie spionierten ihn aus und verletzten seine Grundrechte, einschließlich der Vertraulichkeit während der Gespräche mit seinen Anwälten innerhalb einer Botschaft.“ Allerdings in Form einer typischen, verdeckten CIA-Operation, die anstatt des angeblich mit Gewissheit in den Kreml verweisenden Nowitschoks gerne in US-Tradition gehalten werden: Hier Washington, dort der Outlaw – dazwischen die Kugel; wiewohl Langley auch Gift noch nie verschmähte.
„Das wirklich Erschreckende an diesem Fall: Mächtige können straflos über Leichen gehen“ (UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer)
„Die freie Presse ist ein Pfeiler – vielleicht sogar der Pfeiler – einer freien Gesellschaft“, klagte US-Präsident Joe Biden vor einem Jahr geradezu rührselig im Zusammenhang des der Spionage bezichtigten Wall Street Korrespondenten Evan Gershkovich. Und EU-Außenbeauftragter Josep Borrell: „Journalisten müssen ihren Beruf frei ausüben können und verdienen Schutz“. Jedenfalls, solange sie devot als „embedded journalists“ agieren.
„Journalismus ist kein Verbrechen“, twitterte auch US-Außenminister Antony Blinken damals – zeitgleich mit der Unterzeichnung des US-Auslieferungsgesuchs von Assange durch die britische Innenministerin – brustgeschwollen. Und die politischen Eliten aus den westlichen Hauptstädten folgten ihm mit Tweets auf den Fuß. Gemeint war denn auch freilich nicht der seit bald fünf Jahren im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh (dem „britischen Guantánamo“) einsitzende und seit April 2019 in Isolationshaft gehaltene Julian Assange. Sondern ebenfalls der Wall Street Journal Korrespondent Evan Gershkovich, dem in Russland Spionage vorgeworfen wird, da er mutmaßlich an Geheiminformationen über eine russische Waffenfabrik zu gelangen versuchte. Dass und wie windig diese Anklage auch sein mag – die Doppelmoral und gespielten Entrüstungen triefen nur umso deutlicher aus dem „Journalismus ist kein Verbrechen“ unter den Sternenbannern der USA und EU-Europas. Zumal Assange noch nicht einmal vorgeworfen wird, je für einen anderen Staat oder ausländischen Geheimdienst gearbeitet zu haben. Allerdings gegen den Espionage Act von 1917 verstoßen zu haben, auf welcher Grundlage 1953 in einem weltbekannten US-Justizmord auch die beiden Kommunist:innen Ethel und Julius Rosenberg hingerichtet wurden.
Und während UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer seiner Erschütterung über den „Fall Assange“ schon seit Langem offen Ausdruck verleiht: „Das wirklich Erschreckende an diesem Fall ist der rechtsfreie Raum, der sich entwickelt hat: Mächtige können straflos über Leichen gehen … Es wird ein Verbrechen, die Wahrheit zu sagen“, zeigen die politischen Figuren des Westens wie die ansonsten geradezu manisch mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt tourende deutsche Außenministerin Annalena Baerbock offen Verständnis für die „berechtigten Sicherheitsinteressen eines Staates“ – also solange es sich um einen transatlantischen Partner handelt.
Während mithin gegen andere Länder als „Uncle Sam“ alle Register gezogen würden, kollaboriert die „westliche Wertegemeinschaft“ in der dreckigen Hetzjagd auf Assange vielmehr noch ruchlos mit dem „transatlantischen Verbündeten“ oder ducken sich „wertebasierte“ Figuren des Westens mit Redeschablonen weg. Für die Menschenrechts- und Journalistenorganisationen sowie demokratische Öffentlichkeit hingegen ist der Fall Assange nicht nur die „aktuell bedeutendste Debatte um die Pressefreiheit weltweit“ (jungeWelt), ja mit Sevim Dagdelen gesprochen der „wichtigste Fall für die Pressefreiheit im 21. Jahrhundert“, mit weitreichendem Präzedenzcharakter. Für die Linke wiederum, so lässt sich hinzufügen, ist der Fall Assange eine Feuerprobe für letzte verbliebene Reste an autonomen Bewusstsein. Alles andere als der Stopp seiner Auslieferung an Washington und seine sofortige Freilassung markierte einen historischen Skandal. Pointierter noch, wie es mit Heribert Prantl selbst das kritische Aushängeschild der SZ zur vorjährigen Unterzeichnung des Auslieferungsgesuchs durch London auf den Punkt brachte: „Eine Auslieferung von Assange an die USA wird maximale abschreckende Kraft haben: Sie guillotiniert die Pressefreiheit.“
Oder wie heißt es bei Bert Brecht: „Denn die einen sind im Dunkeln / Und die anderen sind im Licht / Und man sieht nur die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Daher auch die unerbittliche Verfolgung Julian Assanges als zur Abschreckung gedachtes Exempel an alle, die Licht ins Dunkel der Verbrechen „des Westens“ lassen wollen. Denn, so nochmals Nils Melzer vor bereits einem Jahr: „Obwohl WikiLeaks schwerste Verbrechen bewiesen hatte, wurde bisher kein einziges davon verfolgt oder wiedergutgemacht. Stattdessen wurde Assange als Vergewaltiger, Hacker, Spion und Hightech-Terrorist verschrien, der ‚Blut an seinen Händen‘ habe“ und sich ‚Recht und Gerechtigkeit‘ entziehe. Und die aktiven und passiven Lakaien und Lakainnen legen allesamt mit Hand an die Guillotinierung der Pressefreiheit an. Ein (wie gestern aus der Taufe gehoben) nach Assange benanntes Sanktionsinstrument im Bereich der Menschenrechte, um dafür Sorge zu tragen ‚dass sein Name nicht vergessen wird‘, wird es seitens Brüssels für den ‚Nestbeschmutzer‘ freilich noch viel weniger geben.
Foto: Duncan Cumming / CC BY-NC 2.0 Deed