Peru: Abimael Guzmán gestorben

Zu wenigen politischen Häftlingen gehen die Meinungen, auch innerlinken, sicherlich stärker auseinander wie zu Abimael Guzmán (alias: Presidente Gonzalo), dem ehemaligen Guerilla-Anführer des „Sendero Luminoso“ („Leuchtender Pfad“ / PCP-SL) in Peru. Dessen im Einzelnen zurückgestellt, hielten nach Bekanntwerdung seines Herzinfarkts und seiner Krebserkrankung jüngst gleichviel weltweit Linke und Revolutionäre unterschiedlichen Couleurs Kundgebung für seine sofortige Freilassung ab. So auch in Wien. Gestern Samstag 11.9. ist er verstorben.

Über die genaueren Umstände seines Todes haben die peruanischen Behörden bis dato noch nichts Näheres bekannt gegeben. Als Todesursache werden nur allgemein „Komplikationen in seinem Gesundheitszustand“ genannt. Dabei weist vieles darauf hin, dass verschleppte medizinische Behandlungen des im Hochsicherheitsgefängnis von Callao in Sonder-Isolationshaft gehaltenen Guzmán dafür maßgeblich waren.

Nur mehr wenigen ist heute noch das Schicksal des zu lebenslänglicher Haft Verurteilten in Erinnerung, der 1992 in Lima wie eine Jagdtrophäe der Öffentlichkeit im Käfig präsentiert wurde und im Anschluss von einem Militärgericht mit maskierten Richtern in Uniform – abermals in einem eisernen Käfig gehalten – abgeurteilt wurde. Gleiches aus dem ebenso blutigen wie tobenden „Guerra Popular“ (Volkskrieg) der (allem voran) 1980er Jahre gilt auch für andere Langzeitgefangene aus den Guerillabewegungen der Kommunistischen Partei Perus, PCP, bzw. der Revolutionären Bewegung Túpac Amaru, MRTA, sowie den seit der Jahrtausendwende zunehmend inhaftierten GewerkschafterInnen des Landes.

Der in der Tat äußerst erbittert geführte und blutige „Guerra Popular“ in Peru mit seinem Höhepunkt in den 1980er Jahren bis 1993 ist jenseits der Rache-Politik seitens der Machthaber ansonsten geradezu einem stillschweigenden Tabu unterworfen. Außer aus taktischen Erwägungen. So durften im zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampf zwischen dem Gewerkschafter und Sozialisten Pedro Castillo gegen die korrupten rechten Fujimoristas die Verweise der damaligen Nähe Castillos zum „Sendero Luminoso“ und des „Movimiento Revolucionario Túpac Amaru“ im Blätterwald der Reaktion keinesfalls fehlen.

Insgesamt sitzen in Peru noch etwa 200 politische Gefangene ein. Rund 30 von ihnen befinden sich bereits seit fast 3 Jahrzehnten im Gefängnis. „Es sind Langzeitgefangene aus den Guerillabewegungen der Kommunistischen Partei Perus, PCP, beziehungsweise [etwas weniger] der Revolutionären Bewegung Túpac Amaru, MRTA“, wie Frieda Tarazona, Mitglied der peruanischen Asociación de Familiares de Desaparecidos y Víctimas de Genocidio (Vereinigung der Familien von Verschwundenen und Opfern des Völkermordes) in einem jw-Interview ausführt.

Parallel entwickelten sich auch die völlig überfüllten und überbelegten Gefängnisse Perus, mit ihren miserablen Haftbedingungen, zu regelrechten Corona-Hotspots. Die politischen Gefangenen des Landes leiden dazu aufgrund ihrer langen Inhaftierung und der drastischen Haftbedingungen fast alle an Vorerkrankungen. Prominente Häftlinge wie Margot Liendo, Osmán Morote und Silvia Gonzales, sind folglich auch bereits an Corona erkrankt.

Wie in anderen Ländern gab es angesichts der angespannten Corona-Lage in den Gefängnissen auch in Peru eine rege Debatte über Begnadigungen und Freilassungen zur Vorbeugung gegen Covid-Epidemie. Explizit ausgeschlossen davon waren allerdings stets – vergleichbar der Türkei – politische Gefangene, die demzufolge einfach von der Seuche hingerafft werden können. Entsprechend dieses offenen Feindstrafrechts sind auch bereits die ersten politischen Opfer und Tote bekannt geworden.
Vor rund zwei Monaten, am 17. Juli erlitt der in schwerer Sonder-Isolationshaft gehaltene ehemalige Philosophieprofessor und studierte Jurist Guzmáns einen Herzinfarkt und wurde ins Spital eingeliefert. Darüber hinaus wurde erstmals bekannt, dass er an Hautkrebs erkrankt ist. Da dieser – so die durchgedrungene Informationslage – bis dahin offensichtlich nicht behandelt wurde, haben sich in Folge der verschleppten medizinischen Behandlung am Körper des mittlerweile 86-jährigen bereits Metastasen gebildet.

Die Informationslage zu Guzmán wird in Peru traditionell wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Auch die Gefängnisbeamten waren stets angewiesen, jede Auskunft zu verweigern. Aufgrund des Herzinfarktes und seiner Krebserkrankung, sowie Verlegung zur Behandlung, war zuletzt jedoch sein kritischer Gesundheitszustand durchgesickert. Seine ebenfalls inhaftierte Frau, Elena Iparraguirre, wandte sich schon Ende Mai mit der Forderung an die peruanischen Gerichte, ihn aufgrund seines Alters und gesundheitlichen Angeschlagenheit in einen medizinisch betreuten Hausarrest zu verlegen. Der Antrag wurde von der Jusitz abgelehnt und danach im Berufungsverfahren verschleppt worden.

Dies zumal vor dem Hintergrund, dass die peruanische Regierung in den 1990er Jahren eigentlich eine Amnestie beschloss, diese aber nie richtig auf den Weg brachte und Guzmán (unter der Hand) als sichtlich davon ausgeschlossen galt. Und das wiederum, obwohl er selbst 1993 (die Hochzeit der bewaffneten Kämpfe in Lateinamerika der 1970er und 1980er Jahre ebbte kontinental mehr und mehr ab) – wie es offiziell heißt, auch gegen Widerstände innerhalb der Guerilla-Bewegung – in einer TV-Aufnahme aus seiner Zelle für ein Friedensabkommen und eine politische Lösung plädierte. Ein Plädoyer, das seitens der Herrschenden nie ernsthaft aufgegriffen wurde. Deren Zeichen standen und vielmehr auf Rache, Verfolgung und gesellschaftliche Ächtung.

Letzteres haben nicht nur er selbst, sondern auch ebenso zur Fahndung ausgeschriebene wie umgekehrt amnestierte Ex-Guerillas die letzten drei Jahrzehnte am eigenen Leib brachial erfahren müssen. Während die Regierungen Perus der Amnestie nie nachkam, obwohl sie die TV-Ausstrahlung von 1993 stets für sauber erklärte, herrschen in der Linken gespaltene Auffassungen zu Guzmáns TV-Aufruf 1993 – auch hinsichtlich dessen politischer Authentizität. Guzmán selbst bezeichnete ihn in seinem zweiten Prozess, der ihm von der peruanischen Justiz 2006 gemacht wurde, als im Gefängnis erzwungen und erpresst.

Wie dem auch immer: Vor diesen Hintergründen sowie angesichts des zuletzt bereits akut kritischen Gesundheitszustandes und fortgeschrittenen Alters Guzmáns – sowie der auch in vielen Ländern nicht unüblichen Praxis der Freilassung schwerkranker Gefangener aus humanitären Gründen – haben vor kurzem noch zahlreiche Kräfte in Peru die internationale Öffentlichkeit zur Verteidigung des Lebens und die Freilassung Abimael Guzmáns und aller politischen Gefangenen in Peru aufgerufen. Vergeblich. Das Mindeste ist jetzt die lückenlose Aufklärung seines Todes, die – wie von ihr erbeten – Übergabe seiner sterblichen Überreste an seine Frau Elena Iparraguirre („Camarada Miriam“) und die endliche Freilassung aller noch immer inhaftierten politischen Gefangenen in Peru.

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