Der seit fast 40 Jahren – und damit den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens (davon fast drei Jahrzehnte in Einzelhaft im Todestrakt) – inhaftierte US-Bürgerrechtler, afroamerikanische Journalist und Mitbegründer der Black Panther Party in Philadelphia, Mumia Abu-Jamal, befindet sich in immer akuterem kritischen Gesundheitszustand. Dem Anfang März im SCI Mahanoy-Gefängnis in Pennsylvania an Corona erkrankten und diese Woche in fast unmittelbarem Anschluss einer Herz-OP unterzogenem Hochrisiko-Patienten, muss spätestens jetzt endlich Gerechtigkeit widerfahren und Mumia sofort freigelassen werden.
Denn der seit vielen Jahren Herzkranke und an einer chronischen Hepatitis C, Atemnot und schwerer Diabetes leidende linke Journalist war zuletzt nicht „nur“ lebensbedrohlich an Corona erkrankt und benötigte gerade eine dringende Herz-OP, sondern wurde 1982 in einer rassistisch geprägten Polit-Prozess-Farce auf Basis schwerer Rechtsbrüche und mehr als nur fragwürdiger Indizien verurteilt. Ein Umstand, den 2011 zwischenzeitlich sogar die US-Justiz einzugestehen gezwungen war – ohne dass dies allerdings eine Neuverhandlung in einem Revisionsprozess zur Folge hatte oder eine Freilassung Mumias nach sich zog.
In immer besorgniserregenderem Gesundheitszustand
Aktuell befindet sich der linke Veteran abermals in kritischem Zustand. Sein Arzt und seine Familie kämpften die letzten Tagegerade um die Möglichkeit persönlicher Beistände und der Unterlassung der Fesselung Mumias. Denn „bei seinem letzten Klinikaufenthalt Anfang März wegen Covid-19 in Verbindung mit einer Herzinsuffizienz hatte Abu-Jamal eine Tortur erlitten, als er vier Tage mit Händen und Füßen ans Bett gefesselt war“ – wie die JungeWelt hierzu berichtete.
Nach mittlerweile erlangter Auskunft, hat Mumia den Eingriff am offenen Herzen zumindest gut überstanden und befindet sich derzeit auf der Intensivstation des Herzzentrums eines namentlich nicht näher genannten Krankenhauses. Seine Frau Wadiya konnte zwischenzeitlich zumindest kurz mit ihm telefonieren.
„‘Die nächsten Tage, Wochen und Monate werden für Mumias Genesung entscheidend sein‘ sagte Noelle Hanrahan von Prison Radio. Sie fügte hinzu, Abu-Jamals Haftbedingungen hätten zu seiner Herzerkrankung beigetragen. ‚Er wurde über ein Jahr lang in Isolationshaft gehalten, ohne die Möglichkeit, sich beim Hofgang körperlich zu betätigen‘. Wie seine Mithäftlinge habe er wegen der Coronapandemie den Zellentrakt nicht verlassen dürfen und nur ‚in seiner sehr kleinen Zelle hin und herlaufen‘ können, so die Radioproduzentin.
Aus diesen Gründen fordern die Komitees der »Free Mumia«-Solidaritätsbewegung einhellig ‚von den Verantwortlichen in der Klinik und in der Gefängnisbehörde von Pennsylvania‘, Abu-Jamal solle während seiner Genesung von der Herzoperation ‚nicht in seinem Krankenhausbett fixiert werden‘. Prison Radio zitierte die Forderungen, wonach sich der 66jährige während seiner Erholung von der schweren Operation an der frischen Luft bewegen und eine Ernährung erhalten müsse, die zur Gesundung seines Herzens beitrage. Die Initiativen erwarteten dazu ‚die Bereitstellung eines entsprechenden Rehaplans zur Wiederherstellung seiner Gesundheit‘. Zur Klärung all dessen müsse Abu-Jamal endlich Gelegenheit bekommen, mit seinem Vertrauensarzt Ricardo Alvarez zu sprechen.“ (JungeWelt)
Seine Frau, Familie, Anwälte kämpfen darüber hinaus aber zudem für eine in den USA im Zusammenhang schwerkranker Gefangener nicht unübliche Praxis der Freilassung aus humanitären Gründen. Begleitend finden unter dem Slogan „Alle auf die Straße für Mumia!“ über das bevorstehende Wochenende vom 23. bis. 25. April weltweit Solidaritätsaktionen statt.
Stimme der Unterdrückten
Der am 24. April 1954 in Philadelphia geborene Mumia Abu-Jamal, mit bürgerlichem Namen eigentlich Wesley Cook, engagierte sich bereits seit jungen Jahren an aktiv gegen Unterdrückung, Rassismus, Kapitalismus und Krieg. Bereits mit 14 Jahren begann er im Jahr 1968 in seiner Heimatstadt als Hilfspressesprecher der Black Panther Party zu wirken. Zu dieser Zeit war für kurze Zeit auch die um 10 Jahre ältere Angela Davis Kurzzeitmitglied der Black Panther, bevor sie noch im selben Jahr der Kommunistischen Partei der USA beitrat und danach für über zwei Jahrzehnte zu deren prominentesten Führungsmitgliedern zählte. Und ähnlich wie die afroamerikanische Kommunistin Angela Davis Anfang der 1970er Jahre zu den bekanntesten politischen Gefangenen der Welt zählte, gilt dies heute für den linken, antikapitalistischen afroamerikanischen Aktivisten und Journalisten Mumia Abu-Jamal.
Mumia seinerseits, hatte sich in den 1970er Jahren mit seinen viel beachteten Reportagen über rassistische Polizeiübergriffe und staatlichem Rassismus weit über Philadelphia hinaus den Ehrentitel „Voice of the Voiceless“ – „Stimme der Unterdrückten“ – erworben. Eine Stimme der schwarzen Bürgerrechts- und studentischen Protestbewegung, die den Herrschenden mehr als bloß ein Dorn im Auge war. So drohte ihm etwa der vormalige Polizeipräsident und von 1972 bis 1980 dann Bürgermeister von Philadelphia, Frank Rizzo, ganz offen Konsequenzen an.
Von Angela Davis zu Mumia Abu-Jamal
Lenin äußerte einmal, „dass Zeiten radikaler Veränderungen und sozialer Konflikte ungewöhnliche Persönlichkeiten hervorbringen.“ Und als eine solche außergewöhnliche Persönlichkeit würdigten die kommunistische Bewegung Anfang der 1970er Jahre rund um den Globus die „schwarze Bürgerrechtskämpferin und Kommunistin, die mehrere außergewöhnliche Gaben in ihrer Persönlichkeit vereinigt: hervorragenden Intellekt, großen persönlichen Mut und ein brennendes Herz für die Unterdrückten.“
Durch eine politische, polizeiliche und gerichtliche Intrige inhaftiert, sollte an ihr ein Exempel statuiert und die Arbeiterbewegung wie auch die schwarze Befreiungsbewegung der USA eingeschüchtert und paralysiert werden. Vermittels des Vorwurfs der „Unterstützung des Terrorismus“ zog die amerikanische Rachejustiz gegen Angela Davis und den von ihr repräsentierten Befreiungskampf mit aller Brachialität zu Felde und steckte sie in die Todeskammer eines Kalifornischen Gefängnisses, um ihren Prozess zu erwarten. Weltweit entwickelte sich daraufhin eine Welle des öffentlichen Protests gegen diesen hinterhältigen, ungeheuren Staatsterror. Nach zwei Jahren Haft wurde Davis am 4. Juni 1972 dann in allen Punkten der Anklage freigesprochen.
Die Analogien in den Lebenswegen der beiden prominenten linken Opfer der US-Klassen- und Rassenjustiz, springen auch ohne weitere Worte und eingedenk ihrer unterschiedlichen genauen politischen Verortung und Lebensentwicklungen, geradezu ins Auge. Und wie einst die AktivistInnen der Black Panther für die Freiheit Angela Davis‘ mit im Feuer standen, findet man umgekehrt Angela Davis seit Dekaden an der vordersten Front im Kampf um die Freilassung Mumia Abu-Jamals.
Rassistische US-Klassenjustiz
Anlass, ihn als Polit-Aktivisten aus dem Verkehr zu ziehen und auf die Anklagebank zu zerren, bot ein untergeschobener Polizistenmord 1981. Mumia Abu-Jamal, der trotz (oder gerade auch wegen) seiner journalistischen Aktivitäten und Bekanntheit aus dieser Tätigkeit kein ausreichendes Einkommen erzielte, verdingte sich zusätzlich als Taxifahrer. In der Nacht vom 9. auf den 10. Dezember 1981 kam es, während er auf einen Fahrgast wartete, im Zuge einer polizeilichen Verkehrsanhaltung eines Wagens mit Personenkontrolle zu Handgreiflichkeiten. Mumia erkannte im Rückspiegel dabei seinen Bruder Billy und stieg aus, um seinem Bruder und dessen Beifahrer zur Hilfe zu kommen. Das weitere Geschehen ist bis heute nicht zuverlässig rekonstruiert. Nur so viel scheint gewiss: als Mumia den Ort des Geschehens erreichte, fielen Schüsse, denen der weiße Polizist Daniel Faulkner erlag und starb. Dieser wiederum hat kurz zuvor Mumia Abu-Jamal mit einem Schuss in die Brust lebensgefährlich niedergestreckt, der nur schwer verletzt überlebte. Woher die tödliche Kugel auf Faulkner stammte, ist bis heute ungeklärt. Jedenfalls nicht aus Mumias auch amtlich registrierter Waffe, die er sich nachdem er in seinem Taxi überfallen worden war zugelegt hatte. Gleichzeitig ist zu bezweifeln, dass der zu diesem Zeitpunkt bereits angeschossene und schwer verletzte Mumia überhaupt noch in der Lage gewesen wäre, den Kopfschuss, dem Faulkner zum Opfer fiel, abzugeben. Darin reiht sich ein, dass Mumias Waffe auch polizeilich oder im Prozess nie als Tatwaffe herangezogen und präsentiert wurde.
Nichts desto trotz liefen die Ermittlungen und der nachfolgende Prozess – geprägt von Rechtsbrüchen, manipulierten Beweisstücken und Akten, erpressten Aussagen u.v.m. – von Anfang an ausschließlich in Richtung Mumia, der am 3. Juli 1982 von der US-Klassenjustiz schließlich zum Tode verurteilt wurde. Die politische Dimension des ganzen Verfahrens im Sinne der herrschenden White Supremacy in God’s Own Country sei lediglich noch durch zwei vielsagende „Episoden“ ergänzt. Noch in der Nacht des Geschehens erschien „zufällig“ denn auch oben besagter Bürgermeister von Philadelphia Frank Rizzo noch persönlich am Tatort.Und der leitende Richter des Prozesses gegen Mumia, Albert Sabo, soll einer Gerichtsschreiberin zufolge in einer Verhandlungspause ungeschminkt geäußert haben: „Ich werde helfen, den Neger zu grillen“ („Yeah, and I’m going to help them fry the nigger“).
Vor diesem Hintergrund hatte der zum Tatzeitpunkt erst 27jährige Mumia Abu-Jamal denn auch nie den Funkten einer justiziellen Chance. Obwohl er stets seine Unschuld beteuerte, seine „Schuld“ auch nie bewiesen werden konnte und sich zwischenzeitlich sogar ein anderer zum damaligen Schuss auf Daniel Faulkner bekannte, blieb und ist Mumia bis heute in Haft.
Internationale FreeMumia Solidaritätsbewegung
Im Gefolge dieses rassistisch-politischen Skandal-Urteils formierte sich, zunächst in den USA, danach auch in Europa und weltweit, eine seitdem nicht verstummende Solidaritätsbewegung für Mumia. Nachdem die Weltöffentlichkeit ab 1995 immer stärker auf den Fall Mumia Abu-Jamal aufmerksam wurde, kam es Ende der 1990er Jahre – maßgeblich (mit-)initiiert und getragen von der KJÖ und dem KSV – auch in Österreich zu Gründung eines FreeMumia-Solidaritätskomitees, das sich mit Kampagnen, Aktionen, Demonstrationen, Mahnwachen, Filmvorführungen und einer Ausstellung quer durch’s Land für seine Freilassung engagierte und stark machte. Die heimische Journalistengewerkschaft ernannte ihn im Zuge der Aktivitäten ihrerseits schließlich zum Ehrenmitglied.
Die Schicksale der politischen Gefangenen Mumia & Abdullah Öcalan
Zeitlich fiel der Kampagnenhöhepunkt fast zeitgleich mit dem „internationalen Komplott“ und der Verschleppung Abdullah Öcalans in die Türkei am 15. Februar 1999 zusammen. Entsprechend kam es in zahlreichen Ländern auch zu produktiven Kooperationen der jeweiligen Freiheitskampagnen. Punktuell auch in Österreich. Am 13. Mai 2000 etwa, fand nicht nur eine zentrale Demonstration des österreichischen Komitees „Freiheit für Mumia Abu-Jamal“ zur US-amerikanischen Botschaft statt, sondern zog quasi parallel eine Großdemonstration gegen die politische Repression in der Türkei los, die sich beide dann eine Stunde später zu einer gemeinsamen Abschlusskundgebung vereinigten.
Die ungebrochene Aktualität und Brisanz der beiden Forderungen „Freiheit für Mumia Abu-Jamal“ und „Freiheit für Abdullah Öcalan“, beweisen gerade die letzten Tage und Wochen von Neuem.
Und während auf internationalen Druck sowohl der Öcalan-Solidaritätsbewegung wie im europäischen Kontext der EU-Beitrittsambitionen der Türkei die zunächst verhängte Todesstrafe 2002 in eine lebenslängliche Haft umgewandelt wurde, war die zweimalige Aussetzung der Hinrichtung Mumia Abu-Jamals (1995 und 1999) in wahrscheinlich noch unmittelbarerer Weise allem voran ein Erfolg der internationalen Solidaritätsbewegung. Der Vollstreckungsbefehl von 1995 führte bereits zu weltweiten Protesten gegen die Exekution Mumias. Der Hinrichtungsbefehl von 1999 traf dann schon auf den gebündelten Protest globaler Solidaritäts-Komitees. 2001 wurde Mumias Todesstrafe dann (ebenfalls) erstmals (allerdings aufgrund juristischer Verfasstheiten nicht rechtskräftig) in eine lebenslange Haft umgewandelt. Zehn Jahre später, wurde diese Umwandlung schlussendlich 2011 vom Obersten Gerichtshof der USA getätigt, womit Mumia nach knapp 30 Jahren zugleich aus dem Todestrakt freikam.
Unermüdlich journalistisch tätig – u.a. schrieb Mumia (vieles davon in der Todeszelle) mehrere Bücher und verfasst regelmäßige politische Kolumnen, im deutschsprachigen Raum regelmäßig lesbar in der JungenWelt –, ist er heute einem großen Publikum auch international als zeitkritische, linke Feder bekannt. Auch darin nicht ganz unähnlich Abdullah Öcalan, dessen Verteidigungs- und Gefängnisschriften sich allerdings stärker der Grundlegung eines neuen theoretischen Paradigmas verpflichtet sehen als einem tagesaktuellen Journalismus – und der sich freilich auch nicht als Journalist verorten würde.
Gezwungen immer öfter den Atem anzuhalten
2015 hielten die UnterstützerInnen Mumias allerdings abermals den Atem an, als er nur knapp einen diabetischen Schock überlebte. Die Ärzte des Gefängniskrankenhauses hatten die Anzeichen dafür offenbar schlicht ignoriert.
Und nicht minder, wie die Todeszellen und miserablen Haftbedingungen in den USA maßgebliche Mitschuld am miserablen Gesundheitszustand Mumia Abu-Jamals tragen, zeichnen die unvorstellbaren Bedingungen auf Imrali, dem Guantanamo der Türkei, für den Zustand Öcalans verantwortlich.
Im zurückliegenden März schwebt die schwerkranke US-„Stimme der Unterdrückten“ mit Covid19 infiziert in akuter Lebensgefahr. Nachdem er trotzt bereits schwer angeschlagenem Gesundheitszustand und mittlerweile auch fortgeschrittenem Alter das Virus besiegte, gaben die Verantwortlichen der Haftanstalt inPennsylvania bekannt, dass sich der linke Veteran einer dringenden Herzoperation zu unterziehen hat.
Der Gesundheitszustand der bereits seit Jahren von Krankheiten gezeichneten „Stimme der Unterdrückten“ verschlechtert sich in den letzten Jahren, Monaten und Wochen zusehends.
Selbst UN-Menschenrechtskommission auf den Plan gerufen
Dieser Umstand – den sogenannten Leit- und Qualitätsmedien keine Zeile wert – hat dieser Tage immerhin zumindest dieUN-Menschenrechtsexperten auf den Plan gerufen, die in Genf „ernsthafte Bedenken über die Behandlung und das Wohlergehen von Mumia Abu-Jamal“ aufgrund dessen weiterer fortgesetzter Fesselung ans Krankenhausbett äußerten. Sie forderten in diesem Kontext die US-Behörden zugleich auf, sich „dringend mit den Vorwürfen der Diskriminierung, einschließlich der rassistischen, bei der medizinischen Behandlung von Gefangenen in Pennsylvania [zu] befassen“.
Freiheit & Gerechtigkeit für Mumia Abu-Jamal – jetzt sofort!
Sein Anwälteteam kämpft zum einen derweil mit neuen entlastenden Beweisen für ein neues Berufungsverfahren. MumiasFrauWadiya, seine Familie und zahlreiche Anwälte kämpfen währenddessen zudem unermüdlich für die in den USA wie gesagt im Zusammenhang schwerkranker Gefangener nicht unübliche Praxis der Freilassung aus humanitären Gründen.
Und in der Tat, darin sind sich zu Mumias morgigen 67 Geburtstag Millionen weit über die weltweite Solidaritätsbewegung im engeren Sinn hinaus einiger denn je: Es ist Zeit: Sofortige Freiheit für Mumia Abu-Jamal!
Bild: yungblackmaoist / DevianArt