Widerstand der Fahrradboten: We organize in under 10 minutes

Entrechtet, ausgebeutet und von Gewerkschaften allzu lange vernachlässigt. Kaum eine Branche steht in den vergangenen Jahren so stark im Fokus von Arbeitskämpfen, wie jene der Transport- und Lieferdienste. Die zunehmende Vernetzung und internationale Solidarisierung münden immer wieder in Streiks, die in erster Linie von den Beschäftigten selbst organisiert werden und die sich auch in den kommenden Wochen wieder intensivieren könnten.

„Alle Fahrradboten fix anstellen? Das wäre der Tod der Branche“, ließ Artur Schreiber, damals noch CEO vom Essenszustelldienst Mjam, im vergangenen Februar, in einem Standard-Interview aufhorchen. Eine Selbstentlarvung des Konzerns und einer ganzen Branche: Wie viele der sogenannten gig-economy Konzerne, schreibt auch der Delivery Hero, der Mutterkonzern von Mjam, seit seiner Gründung ausschließlich rote Zahlen. Der Fahrradzustellerdienst versucht durch möglichst prekäre Beschäftigungsverhältnisse, in Form von Lohndumping und Scheinselbständigkeit innerhalb weniger Jahre eine Monopolstellung in der Zustellbranche zu erreichen. Daraus machen die Aushängeschilder der Ausbeuterkonzerne erst gar keinen Hehl: „viele finden keine anderen Jobs, für sie sind wir der Einstieg ins Arbeitsleben […] 90 Prozent der Kuriere sind freie Dienstnehmer, für die es weder Urlaub noch Weihnachtsgeld spielt.“


Profiteure der Krise

Diese Strategie scheint aufzugehen: Delivery Hero konnte als börsennotierte Unternehmen im vergangenen Jahr seinen Umsatz auf fast 3 Milliarden Euro verdoppeln und ist damit der wachstumsstärkste Konzern am deutschen Aktienmarkt. Zustelldienste zählen zu den sogenannten „Krisengewinnern“ – in Wahrheit ein Euphemismus für die Profiteure von Arbeitslosigkeit und Lohndumping, die Menschen in einen vollkommen entrechteten Arbeitsbereich treiben. Doch seit ein paar Jahren formiert sich auch zunehmend Widerstand. Es zeichnet sich ein Widerspruch ab, der sich jährlich zuspitzt, denn mit dem ständigen Wachstum steigt auch der Prekarisierungsgrad und die Anzahl der Arbeitenden, die in entrechtete Arbeitsverhältnisse, bspw. als Fahrradbote, getrieben werden. Die vergangenen Jahre haben aber auch gezeigt, dass diese Entwicklung und das Ausbleiben kämpferischer, gewerkschaftlicher Unterstützung vielerorts in der Selbstorganisierung der Arbeitenden münden. Gegen den immensen Widerstand der gig-economy Unternehmen werden von den Beschäftigten Betriebsräte gegründet, Gerichtsprozesse ausgefochten und (wilde) Streiks durchgeführt.

Vereinte Arbeitende gegen Start-Up-Affen

Eines der eindrucksvollsten Beispiele für den aufkeimenden Widerstand, ist das „Gorillas Workers Collective“, das sich gegen die untragbaren Zustände beim Lebensmittelzustelldienst „Gorillas“ formierte. Das Berliner Unternehmen gilt als das am schnellsten wachsende Start-Up Deutschlands (auch eine Expansion nach Österreich ist bereits geplant), wohl nicht auch zuletzt, weil sich die Unternehmensführung beständig weigert Mindeststandards an Arbeitsrechten zu gewährleisten. So schnell es das junge Start-Up schaffte Geldgeber aufzutreiben, so schnell organisierten sich aber auch die Beschäftigten, um für ihre Rechte einzustehen. Im Februar legten die Berliner Radkuriere erstmals ihre Arbeit nieder, um gegen die schlechten Arbeitsbedingungen zu protestieren. Im Mai 2021, ein Jahr nachdem „Gorillas“ auf der Bildfläche erschien, gründeten sie einen Betriebsrat – ganz zum Unmut der Führungsebene, die über hauseigene Medien des vereinten Start-Up-Ausbeuterkonglomerats ausrichten ließ, dass die Ausgrenzung der Führungsriege und ihrer Büttel zur Wahl inakzeptabel sei. Letztendlich musste sich jedoch auch das Unternehmen den Druck der Arbeitenden beugen.

Innerhalb weniger Tage organisierten die Beschäftigten mehrfach verschiedenste Arbeitskämpfe, in verschiedensten Formen. Wie stark die Solidarität innerhalb der Belegschaft ist, zeigte sich als ein Fahrer eine fristlose Kündigung erhielt und seine KollegInnen daraufhin die Arbeit niederlegten. Die Forderung: Wiedereinstellung ihres Kollegen und Abschaffung der Probezeit, die solche ‚Sofortkündigungen‘, ohne Begründung erst ermöglicht. Über Tage hinweg wurden Auslieferungszentren blockiert und die Wiederaufnahme der Arbeit verweigert. Schon bald darauf folgten weitere wilde Streiks, bei denen unter anderem für wetterfestes Arbeitsgewand und bezahlte Überstunden gefordert wurden. Wie vor kurzem bekannt wurde, sind für die kommenden Tage neuerliche Streiks geplant.

Die Geschäftsleitung des Lieferdienstes hat bislang versucht die Sache auszusitzen. Jetzt will sie auch vermehrt in die Offensive gehen und Buchhalter, Grafikdesigner und Fahrer-Support-Mitarbeiter als Streikbrecher einsetzen. Wie realitätsfern und arbeiterInneneindlich die Ideologie der Start-Up-Gründer ist, zeigt die Rechtfertigung des Firmenchefs von Gorillas: In seinem Unternehmen gehe es „ums Fahrradfahren nicht um Politik“. In einer geleakten Nachricht, aus einem internen Chat mit seiner PR-Abteilung ließ er verlautbaren, er „würde lieber sterben als zu deeskalieren“.

Solidarität heißt Widerstand

Die verstärkte (Selbst-)Organisierung des gig-economy Bereichs, ist auch eine Konsequenz des Dornröschenschlafs der Gewerkschaften im deutschsprachigen Raum. Gleichzeitig zeigen die Fahrradkuriere wie man Arbeitskämpfe über Ländergrenzen hinweg und in der gebotenen Radikalität organisieren kann. Viele der Arbeitenden in diesen Start-Ups kommen ursprünglich aus Süd-Westeuropa oder Lateinamerika und damit aus Ländern in denen Gewerkschaften traditionell kämpferischer sind als hierzulande. Denn auch in Österreich wurde diese Branche viel zu lange missachtet und auch hier formierte sich mit dem Riders Collective bereits Widerstand. Da der Protest vorrangig auf der Straße stattfindet und die Vernetzung oft öffentlich über Soziale Medien organisiert wird, ist die Beteiligung daran und Solidarisierung mit den Beschäftigten von Mjam, Lieferando und Co leichter und öffentlichkeitswirksamer. Es bleibt zu erwarten, dass sich die Arbeitskämpfe mit der rasanten Ausbreitung der Zustelldienste weiterhin intensivieren werden – es liegt an der Solidarität der Gewerkschaften und Beschäftigten, dass diese zu Gunsten der Arbeitenden und zum Leidwesen der Konzerne entschieden werden.

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