Profite und Patente dürfen nicht über Menschenrechten und Menschenleben stehen!

Vor gerade 2 Tagen gab die Johns-Hopkins-Universität bekannt, dass seit Beginn der Corona-Pandemie weltweit mehr als fünf Millionen Menschen nach einer Covid-Infektion gestorben sind. Und die Dunkelziffern liegen noch um vieles höher.

Demo am 3.11., 18:00, Haus der EU: Patente freigeben – Impfstoff als öffentliches Gut

Medial damit auch wieder in seiner verheerenden globalen Dimension in den Fokus gerückt, hat Corona weite Weltteile nach wie vor fest im Griff, rafft große Teile deren Bevölkerungen dahin und kollabieren in vielen ärmeren Ländern weiterhin die Gesundheitssysteme. Die globale Ungleichheit der Impfstoffverteilung ist ungebrochen schockierend. Die großspurige Ankündigung der imperialistischen Kernländer, einen weltweiten „fairen“ Zugang zu Impfstoffen zu gewährleisten, ist für die große Mehrheit der Weltbevölkerung nach wie vor in weiter Ferne.

Während die reichen, zahlungskräftigen Länder sich mit einem Vielfachen der benötigten Impfstoffe versorgt haben und regelrecht überschüssige Impfdosen horten, sind Vakzine in ärmeren Ländern immer noch krasse Mangelware. Allein die G7-Staaten und EU-Länder haben sich um über 1 Milliarde mehr unter den Nagel gerissen, als sie bis Jahresende 2021 benötigen werden. „Es ist unerträglich, dass in einer andauernden Pandemie manche Länder Millionen Dosen zu viel einkaufen und Impfstoffe teilweise sogar verfallen lassen, während andere noch nicht einmal Hochrisikogruppen und das gesamte Gesundheitspersonal schützen können“, empörte sich zuletzt denn auch eine Impfstoffexpertin von „Ärzte ohne Grenzen“ lautstark.

Dieser globalen Impfstoffverteilung nach der ökonomischen Potenz der Länder, entsprechen korrespondierend auch die schlicht an Zahlkraft und Profit-Logik ausgerichteten Vertragsabschlüsse und Impfstoff-Lieferstrukturen der Pharmaindustrie. Das überwältigende Gros der Vakzine geht an die reichen Länder. Von Biontech/Pfizer etwa gehen exorbitante 78% der Produktion an reiche Länder, bei Moderna macht der Lieferanteil an die zahlungskräftigen Staaten sogar 85% aus. Die Länder des Globale Südens müssen sich hingegen mit kläglichen Tropfen auf den heißen Stein begnügen bzw. schauen bislang überhaupt durch die Finger.

Ein Impfstoff-Nationalismus, der der Profit-Logik des Metropolenkapitalismus und der globalkapitalistischen Vermachtung strukturell eingeschrieben ist und nur in breiter und konsequenter Gegenmacht durchbrochen werden kann – sollen der Globale Süden und Großteil der Weltbevölkerung nicht neuerlich unter die Räder geraten, wie schon in der Vogelgrippe 2009.

Entsprechend wurden laut Weltbank bis Juli in den reichen Ländern im Schnitt 101 Impfdosen pro 100 Einwohner verabreicht, in den 29 ärmsten Ländern der Welt hingegen weniger als 2 Impfdosen. In den meisten Ländern Afrikas, in denen nach Angaben der WHO überhaupt erst die Hälfte der Länder Impfdosen erhalten haben, lag die Impfquote unter 2 Prozent. Ja, zieht man ein insgesamtes Globalresümee, gingen bisher 77% der verteilten Impfdosen an Menschen in wohlhabenden Ländern, nicht einmal 1% des Impfstoffs kam Einwohnern armer Länder zugute. Viel krasser könnte die Zugangsungleichheit kaum liegen.

Um eine gebotene Versorgung mit Vakzinen zu erreichen, ist daher eine unverzügliche Freigabe der Patente (bzw. Lizenzvergaben und die temporäre Aussetzung des herrschenden Patentsystems sowie Technologietransfers) von Nöten. Dies scheitert bisher allerdings immer noch an weltmarktbeherrschenden Pharmakonzernen und ihren Regierungen – auch wenn deren Phalanx etwas ins bröckeln gekommen ist.

Die Pharmaindustrie ihrerseits wiederum, gehört sowohl zu den profitabelsten wie (mit) zu den am Höchsten konzentrierten Industrien der Welt. Meist teilen sich drei bis vier Pharma-Riesen den Markt in den jeweiligen Produktsegmenten.

Und in der Pandemie hat Big Pharma zudem eine regelrechte neue Chance einer zusätzlichen Lizenz für Monopolprofite entdeckt. Denn eigentlich werden Impfstoffe von der Pharmaindustrie eher stiefmütterlich behandelt oder fallen aufgrund ihrer ungewissen, oft geringeren Rentabilität ganz durch den Raster. Renditeerwartungen und Profite sind im kapitalistischen System nun mal wichtiger als Menschenleben und Seuchenprophylaxe. Und so steuern auch die Gewinnerwartungen, nicht die medizinisch-gesundheitlichen Bedarfe, das Gesamtgeschäft. Novartis etwa hat den Geschäftsbereich daher 2014 gänzlich abgestoßen. Roche wiederum ist im Impfstoffbereich gar nicht tätig. Die für Infektionskrankheiten bzw. zoonotische Seuchen relevanten Forschungen finden demgegenüber gewöhnlich vornehmlich in öffentlich finanzierten Universitäten und Forschungseinrichtungen statt. Noch 2017 lehnten die europäischen Pharmakonzerne eine EU-Initiative in Richtung Impfstoffentwicklung rundweg ab. Zu wenig profitabel. Aufgrund der mit der Corona-Pandemie in die Entwicklung eines Serums gepumpten milliardenschweren Subventionen und Förderungen, sowie der staatlich garantierten weltumspannenden Absatzmärkte, ist unter den Pharmariesen allerdings eine regelrechte Goldgräberstimmung ausgebrochen und die bislang nachhinkende kommerzielle Impfstoffentwicklung ins Gegenteil umgeschlagen. Und das hat sich für die Pharmaindustrie gelohnt.

So hat die deutsche Regierung beispielsweise sofortige 750 Millionen Euro für die Impfstoffentwicklung der Pharmaindustrie bereitgestellt. An Steuergeld versteht sich. Und davon allein 375 Millionen Euro Subventionen in die Mainzer Firma Biontech gesteckt. Heute gehört Ugur Sahin, zusammen mit seiner Frau Özlem Türeci Gründer des Pharmaunternehmens, zu den 500 reichsten Menschen der Welt. Die mit dem US-Pharmariesen Pfizer verbundene Firma kassierte denn auch allein im ersten Halbjahr 3,9 Milliarden Euro. „Keine Frage“, resümierte die deutsche „FAZ“ dazu bereits am Jahresende des Vorjahrs, „Biontech hat davon profitiert, dass der Staat Grundlagenforschung finanziert. Die beiden Gründer sind Professoren der Universität Mainz, das Unternehmen hat Kredite und Fördergelder von der öffentlichen Hand bekommen. So funktioniert gute Marktwirtschaft in der Theorie seit Jahren. Grundlagenforschung finanziert lieber der Staat, die Produktentwicklung überlässt man lieber gewinnorientierten Unternehmen“ (27.12. 2020)

Weltweit beliefen sich die staatlichen Ausgaben für Covid19 Impfstoffe und Therapeutika Schätzungen zufolge auf mindestens 93 Milliarden Euro, „ohne dass die Regierungen dies [Anm.: von vereinzelten Ausnahmen abgesehen] an Bedingungen wie Zugang, Preistransparenz und Wissenstransfer knüpften.“ (Anna Weber)

Entsprechend beklagte der holländische Virologe Peter Rottier schon zu Pandemie-Ausbruch: „Wir schlagen uns jetzt mit einem Virus herum“, das seit den Erfahrungen der SARS-Epidemie 2002/2003 der Wissenschaft weitgehend gut bekannt ist. „Bis vor kurzem haben wir noch vergeblich versucht Geld für die Erforschung von Impfstoffen und Therapien gegen das Sars-Virus zu bekommen.“ Die auf diesen teils jahrzehntelangen Arbeiten beruhenden Forschungsergebnisse und das Know-how der Unis und Forschungsinstitute wurden den Pharmainstituten zur schnellst möglich gebotenen Entwicklung eines Serums natürlich quer über den Globus zur Verfügung gestellt und von diesen in nun eiligst gesuchten Kooperationen für ihre Verwertungszwecke angeeignet.

Die Corona-Pandemie ist, und auch das zeigt sich hierin im Übrigen, entgegen dem Überraschungs- und Schicksalsgetue, eine Katastrophe mit Ansage. „Unter Fachleuten war von dem Ausbruch niemand überrascht“ hielt „Die Zeit“ schon im Mai 2020 fest. Denn die Epidemiologen weltweit warnen schon seit über zwei Jahrzehnten vor einem (neuen) zoonotischen Seuchenzug um den Globus. Ein zoonotisches Coronavirus – „genau auf diese Konstellation hätten die meisten Experten ihr Geld verwettet“, notiert auch Matthias Martin Becker in seinem Vorwort zur deutschsprachigen Herausgabe von Rob Wallace linkem Klassiker „Big Farms make big Flu“ 2020 trocken.

In der nun bevorstehenden WTO-Runde steht die von uns geforderte Freigabe der Patente (bzw. Lizenzvergaben und die temporäre Aussetzung des herrschenden Patentsystems sowie Technologietransfers) erneut am Tableau, denn die Mehrheit ihrer Mitgliedsländer fordert – unterstützt von Hunderten NGOs, sowie auch der UN-Menschenrechtskommission, der WHO und der UNESCO – nachdrücklich die zeitweise Aussetzung der Patentrechte.

Dies umso mehr als sich die G-20 (eigentlich G-18+, da die Präsidenten der beiden impfstoffpolitischen Ausnahmeländer China und Russland, Xi und Putin, nicht am italienischen Gipfeltreffen teilnahmen) abermals nicht auf die dringend nötige Aussetzung des Patentschutzes für Covid19-Impfstoffe verständigen konnten. Das selbsternannte Welt-Governance-Format bekannte sich per Lippenbekenntnis zwar zum WHO-Ziel, einer Impfquote der Weltbevölkerung bis Ende des Jahres von 40% und 70% bis Ende 2022. Konkrete Schritte und Umsetzungsmaßnahmen dazu wurden jedoch nicht vereinbart. Über ein Revival des ebenso gescheiterten wie von Anbeginn zum Scheitern verurteiltes Covax-Projekt, einen zahnlosen pro forma Appell an die Pharmaindustrie und in Erwägung stehender Spenden ablaufender Impfstoffe, bevor sie im Müll entsorgt werden, kam der Gipfel erneut nicht hinaus. Dabei würden sich nach Überschlag der europäischen Kampagne „Right to Care – Right2cure – No profit on the pandemic“ die finanziellen Mittel einer globalen Versorgung mit Impfstoffen für die G-20 auf läppische 1,7 Mrd. Euro belaufen. Der chinesische Präsident Xi forderte seinerseits per Videozuschaltung die GipfelteilnehmerInnen währenddessen auf, die Impfstoffpatente doch wenigstens partiell auszusetzen.

Angesichts des gesamten Modells der kapitalistischen Forschung, Entwicklung, Produktion, Zuteilungen und Verwertung ist es mit der globalen Gesundheitskrise darüber hinaus Zeit – im Rahmen eines vergesellschafteten, ausfinanzierten und massiv ausgebauten Gesundheits-, Sozial- und Pflegesystems – auch die entscheidenden Player des Pharmasektors in gesellschaftliches Eigentum zu überführen und deren bisher mit Zähnen und Klauen verteidigte medizinisch-gesundheitliche Privateigentumsrechte zu beenden.

Denn diese Eigentumsrechte und die Profit-Logik rangieren in den kapitalistischen Kernländern höher als universelle Menschenrechte und Menschenleben.

Beitragsbild: Leonhard Lenz (CC0 1.0 Universal)

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