Chile: Der Kampf der Mapuche – Teil I

Im Oktober 2019 entbrannte in Chile eine millionenstarke Protestbewegung, gegen die sich der rechte Staatspräsident und fünftreichste Mann des Andenstaats, sowie immer stärker unter Druck geratene Sebastián Piñera nur unter Einsatz des Militärs halten konnte. Parallel damit steht auch der seit langem währende Kampf der indigenen Mapuche Chiles immer stärker im Feuer.

Just am „Tag der indigenen Widerstände“ hat Piñera den Ausnahmezustand gegen die angestammten Gebiete des Mapuchevolks ausgerufen und das Militär gegen die widerständigen Indigenas entsandt. Nach einem ersten längeren Artikel dazu, soll mit diesem nun nochmals viel ausführlicheren zweiteiligen Beitrag, die Geschichte und der Kampf der Mapuche, sowie dessen Art Gelenkstelle im Kampf Chiles historisch und aktuell ins Auge genommen werden.

Mit rund 1,6 Millionen Angehörigen sind die Mapuche, eine der zehn indigenen Nationen des Landes, das größte indigene Volk Chiles und stellen gut 9% der Bevölkerung des Andenstaates (von denen viele aufgrund des geschichtlichen Landraubs heute auch in der Hauptstadt leben).

Das indigene Volk der Mapuche bzw. Araukaner

Das früher zusammen mit benachbarten Völkern Araukaner genannte indigene Volk (der Mapuche, sowie Stämme der u.a. Picunche, Pehuenche und Huilliche) gilt als eines tapfersten und heldenhaftesten. Den gefürchteten Conquistador Diego Alamgro (der Ältere) schlugen sie schon in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts in die Flucht, der daraufhin quer durch die 800 km lange wasserlose Atacama-Wüste unter der Glut der Sonne Reißaus nahm. (Ein gutes halbes Jahrhundert davor, was den Conquistadoren schon eine Mahnung hätte sein können, stoppten die Mapuche bereits die Heere der Inka unsanft und vertrieben sie von ihren Grenzen.) Die 1549 auf spanischen Befehl angeordnete Unterwerfung, verwandelten die Mapuche dann in harten Kämpfen und Schlachten in eine rigorose Niederlage der Conquistadoren und ihren Armeen.

Der ihnen, von ihren Feinden gefürchtet, in der Literatur gelegentlich angedichtete historische (Exo-)Kannibalismus, ist hingegen ein grobes westliches Missverständnis historischer Tapferkeitsrituale. Umgekehrt verbürgt sind dagegen Praktiken der spanischen Conquistadoren, Helden der Mapuche nackt ausgezogen an einen Pfahl gebunden zu haben und dann auf Befehl hin, per von Soldaten einzeln – einen nach dem anderen – geworfenen Spieße unter Beifall des anwesenden Publikums viehisch ermordet zu haben.

Die blutrünstigen Praktiken der Spanier, um die Unterwerfung der Araukaner zu erzwingen, lassen überhaupt durch die Bank bis heute noch erschaudern: Sei es das Abhauen hunderter rechter Füße von Gefangenen, das Ausreißen hunderter Zungen, das Abschneiden ihrer Nasen oder das Abschlagen der Hände, bis hin zu Enthauptungen am lebendigen Leib (und dem Umhängen der abgeschlagenen Köpfe um den Hals anderer Gefangener) oder dem Ausreißen der Arme – als Akte der Machtdemonstration und Abschreckung.

Die ersten kämpferischen Keime des indigenen Proletariats

Die Mapuche stützen sich dabei aber nicht nur auf die Krieger in Araukien, sondern bezogen etwa auch ihre aus den Ausläufern ihres Gebiets zur Zwangsarbeit in die Minen getriebenen Bergleute mit in ihre Schlachtpläne und ihren Kampf ein. Im Zuge der Auseinandersetzung stiegen diese – der Keim des indigenen Proletariats in Chile – aus den Gruben und reihten sich auch ihrerseits in die Kampffront ein. Ebenso wie in den Herrenhäusern Zwangsarbeit Verrichtende. Die Bekannteste darunter sicherlich die junge Mapuche Guacolda, mit ihren unentbehrlichen Hilfsdiensten für den Widerstand inmitten des urbanen Zentrums der Kolonialisten.

Lautaro – Caupolicán – und Fresie: in einer Ehrenlegion mit Cauthemoc und Tupac Amaru

Ihr späteres Oberhaupt Lautaro steht in der Forschung in einer Reihe mit dem Azteken Cauthemoc oder dem Inka Tupac Amaru II. Sein (Vorgänger und) Nachfolger Caupolicán wiederum, gilt dem einfachen chilenischen Volk bis heute als ein geschichtlicher Lieblingsheld. Und mit der Indigena Fresie brachten die Mapuche Mitte des 16. Jahrhundert auch schon früh ihre erste in Epen besungene Frau hervor. In einer entscheidenden Schlacht, so heißt es, trat sie vor die Schlachtreihen, hielt ihr kleines Kind in die Höhe und rief: „Kämpft, Mapuche, kämpft!“ – und stand mit zahlreichen weiteren Frauen dem Heer der Indigenen im Kampf zur Seite. Mit Lanzen bewaffnet fochten denn auch zahllose weibliche Mapuche um die Freiheit ihrer Heimat.

Ohne damit andere namhafte Persönlichkeiten der Mapuche wie den weisen und würdigen Malunche-Oberhaupt Colo-Colo, der nach dem Tod Lautaros und Caupolicáns in vortgeschrittenem Alter das Volk der Mapuche schließlich selbst als Toqui anführte oder Pelantar (unter dessen Führung mit dem vernichtenden Sieg der Schlacht bei Carabala die Wende zur Unabhängigkeit dann endgültig erstritten wurde) in Vergessenheit geraten lassen zu wollen.

Die egalitäre Gesellschaftsordnung und fremdkulturelle Aneignungsoffenheit zur Verteidigung der eigenen Autonomie als soziale Hintergründe

Natürlich basierte ihre Unbezwingbarkeit durch die Conquistadores nicht auf irgendwelchen essentialistischen Eigenschaften der Mapuche. Vielmehr sind hier natürlich bestimmte soziale Aspekte, die sie in ausgeprägter Weisen auszeichneten, in Anschlag zu bringen.

Da wäre – um nur zwei wesentliche herauszugreifen – zum einen ihre seinerzeit vergleichsweise egalitäre Gesellschaftsstruktur (der eindrucksvollen Mapuche, eine der zahlenmäßig größten Gruppen der indigenen Bevölkerung des Kontinents). Demgegenüber herrschten in den Großreichen der Azteken und Inkas sowie an deren Grenzen bereits viel zerrissenere, konfliktuösere und spannungsgeladenere Verhältnisse. Ansatzweise galt solches natürlich auch etwa für die Chibcha und andere Kulturen. Ansatzweise galt solches natürlich auch etwa für die Chibcha und andere Kulturen. Entsprechend gelang der Expedition Hernán Cortés‘ gegen die Azteken etwa schon früh ein (wenn auch immer wieder umkämpftes) Bündnis mit den ebenfalls hochentwickelten und mächtigen Tlaxcalteken, die aus eigener Erfahrung und einer Reihe großer Kriege der Azteken gegen sie zudem die aztekische Kriegstechnik bestens kannten und auch selbst ausgezeichnet beherrschten. Ähnliches gilt auch für die Totonaken. Nicht anders stand es bei den Inkas, die in ihrem ausgedehnten Reich und unablässigen Expansionsbestrebungen (die im Süden fast exakt zeitgleich mit Kolumbus‘ Landung in der „Neuen Welt“ von den Mapuche zum Stehen gebracht wurde) auch mit vielzähligen innerer und äußere Konflikten konfrontiert waren. Demgemäß schlugen sich einige der früher von den Inka unterworfenen Völker ebenfalls auf die Seite der Eroberer unter Francisco Pizzaro. Zudem zeichneten sich sowohl das Reich der Azteken wie das Inka-Reich – im Unterschied zum gleichberechtigten Allianzcharakter der Mapuche-Gesellschaft – mit Tenōchtitlan und Cuzco durch ein jeweiliges zentrales Machtzentrum aus, mit deren Eroberung oder Vernichtung das Schicksal der Imperien weitgehen besiegelt wurde bzw. die Reiche sich mehr oder weniger beherrschen ließen (Tenōchtitlan 1521, Cuzco 1533). Diesen Unterschied in der politischen und Sozialstruktur entspricht auch, dass die Toqui, Kriegshäuptlinge, der Mapuche nicht nur gewählt, sondern auch nur zu kriegerischen Anlassfällen und Auseinandersetzungen und auf Zeit gewählt wurden und zugleich keinerlei gesellschaftlichen Privilegien besaßen. Die anfangs ausgeprägt egalitäre Sozialstruktur und Gesellschaftsverfassung der Mapuche zersetzte sich erst in späterer Zeit (zusehens oder vollends dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts).

Ein zweites herausragendes Charakteristikum der Mapuche war ihre ausgeprägte Übernahme und Integration fremdkultureller Elemente um ihre eigene kulturelle Identität und Autonomie zu verteidigen. So bestand neben den „Feuerwaffen“ einer der Hauptvorteile der Conquistadoren in ihrem Kampf zu Pferde. Der große Lautaro, der sich die spanische Kampftaktik und europäische Kriegsführungsstrategien sehr genau angeeignet hatte, entwickelte denn auch ausgefeilte und aufs Genaueste durchdachte Schlachtpläne, die die (durch Scheinangriffe und Manöver entsprechend flankierten) Entscheidungsschlachten vornehmlich in ziemlich hügeliges Gelände führten, welches raschere Bewegungen der Pferde unterband und unmöglich machte. Die Schlachtformationen und Reserven der Mapuche wiederum waren genauso gewählt, dass sie dann an genau diesen Kampffeldern ihren Hauptstoß führen konnten. Die Spanier wurden in diesen Schlachten teils vernichtend geschlagen. Parallel erlernten die Mapuche auch selbst das Reiten. Und als sich die Reitkunst vollendet beherrschten und nach Jahren der Geduld selbst genügend Pferde besaßen, war es um diesen einstmaligen Vorteil der Conquistadores geschehen.

Die über 300 Jahre behauptete Unabhängigkeit gegen die Conquistadores

Der kühne Widerstand der Mapuche führte zu Beginn des 17. Jahrhunderts sogar soweit, dass Chile den Spitznamen „Spanierfriedhof“ bekam und sich Kolonialsoldaten reihenweise weigerten, in Chile zu dienen. Die spanische Krone führte aufgrund der Widerständigkeit der Mapuche in Chile 1608 sogar die in den spanischen Gebieten Amerikas 1550 abgeschaffte Sklaverei wieder ein. Ihr Unabhängigkeitskampf war von einer derartigen Kraft, dass Spanien schließlich gar das Feld räumte, sich zurückzog und anstelle seiner blutig gescheiterten Eroberungspläne um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen bat, was in der einzigartigen Stellung der Mapuche resp. Araukaner gipfelte, dass sie auf Boden des 1641 geschlossenen Vertrags von Quillín im 17., 18. und 19. Jahrhundert zunächst für über 300 Jahre ihre Unabhängigkeit verteidigen und bewahren konnten. (1674 wurde vor diesem Hintergrund dann auch in Chile die spanische Sklaverei erneut aufgehoben, im portugiesischen Brasilien wurde diese überhaupt erst 1888 offiziell abgeschafft.) Erst 1878 – nach einem Jahrzehnte währenden Krieg sowie einer Strategie der „verbrannten Erde“ gegen die zivile indigene Bevölkerung – gelang es dem neuen chilenischen Staat (1817/18) die Mapuche zu bezwingen und wurde Araukien der Republik Chile angegliedert.

Zwischenexkurs: Die Cuna

Eine (zumindest) vergleichbare Unabhängigkeit in der Kolonialzeit konnten sich ansonsten eigentlich nur die Cuna (auch Kuna) Panamas bewahren, mit denen Spanien 1790 (nach einem opferreichen Aufstand der Cuna mit Verbündeten von 1775 bis 1789) ebenfalls ein Abkommen schloss, mit welchem die spanische Krone gleichfalls deren volle Souveränität anerkannte. Auch Kolumbien, zu dem ebenso Teile ihres Stammes-und Siedlungsgebiet gehörten, lenkte mit ein. Anders als die mit der Unabhängigkeit Chiles von Spanien einhergehende neue Kriegsepoche gegen die Mapuche, behielten die Cuna im sich 1821 von Spanien unabhängig erklärten und sich gleichzeitig Großkolumbien angeschlossenen Panama weitgehend ihre vormalige Unabhängigkeit. Ihr „De-facto-Unabhängigkeit“, mit dem Erlass der Comarca Dulenega 1871 auch nochmals gesetzlich explizit abgestützt, währte bis 1903 – bis in das Jahr, in dem sich Panama vorangetrieben von den USA von der kolumbianischen Republik abtrennte und mit den USA als Schutzmacht unabhängig erklärte.

Aber auch in dieser neuen Lage verteidigten die Cuna nach Kräften ihre „Souveränität“ gegen die Konfrontationspolitik der nunmehrigen panamaischen Regierung. 1925 riefen die Cuna schließlich einen unabhängigen Staat – die Cuna Republik – aus, die manche Mächte und Länder damals (aus geostrategischen Interessen) auch erwogen diplomatisch anzuerkennen. Unter diesen auch die USA, im Interesse eines weiteren gegebenenfalls abhängigen Staates an den Toren des so wichtigen Panamakanals. Zum Präsidenten der Cuna-Republik wurde der Cuna-Häuptling Néle gewählt. Als der Regierung Panamas bewusst wurde, auf welch Messers Schneide die Situation stand, bot sie den Cuna volle Autonomie im Rahmen der Republik Panama ein. Die Cuna willigten ein und gaben auf Basis des „Vertrag(s) der Zukunft“, mit dem sie die Verwaltungsrechte über ihr Territorium zugestanden bekamen, dafür ihren völlig unabhängigen indigenen Staat wieder auf.

Der VII Weltkongress der Komintern und die kommunistische Weltbewegung

Teils nicht zuletzt inspiriert von den Cuna erhoben indigene Völker und Gruppen vereinzelt auch ihrerseits die Forderung nach Schaffung autonomer indigener Staaten in Lateinamerika – was als eine der möglichen Lösungen der indigenen Frage innerhalb der kommunistischen Weltbewegung auch von einigen Delegierten des VII. Weltkongresses der Komintern in Mosau1935 erwogen wurde. Die Mehrheit plädierte – zumal sich die Frage einer etwaigen Formierung autonomer indigener Staaten nach zeitgenössischen Ansichten vorrangig nur für einige Indigenas wie beispielsweise die Quechua, Aymará oder Mayas aufwarf bzw. realistisch in Betracht kam – freilich für eine am Vorbild der Sowjetunion orientierte Lösung der Nationalitätenfrage der Indigenas, in Analogie an vollberechtigte Sowjetrepubliken.

Marxistische Indigenisten wie der Chilene Alejandro Lipschutz plädierten ebenso in diese Richtung. Oder wie es Lipschutz 1944 pointierte: „Warum soll das, was für die Baschkiren, Kalmyken und andere Stämme des östlichen und asiatischen Russland gilt, die in Mitteleuropa fälschlich immer für Erzwilde gehalten wurden, nicht auch für unsere Araukaner, Aymará, Quechua, für die Indigenas Ekuadors, Kolumbiens, Mexikos und andere gelten?“

Freilich wissend, dass die Indigenas ihren Weg in erster Linie als eigenständig einschlagen werden – was aber wiederum keineswegs ein Nachtrabpolitik erzwingt, wie etwa die Kommunistische Partei Ekuadors bewies, die von Anbeginn immer auch mit an vorderster Front der indigenen Bewegung und politischen Vereinigungsbestrebungen stand. Die 1926 gegründete Partei war seit ihrer Gründung nicht nur unter den städtischen Arbeitenden oder in den Rohstoff abbauenden Sektoren des Landes tätig, sondern auch unter den Indigenas, dem zahlenmäßig stärksten und am meisten unterjochten Teil des ekuadorianischen Volkes. J. Gualavici etwa, einer ihrer Führer, der die erste Zelle der KP unter den ekuadorianischen Indigenen leitete, war auch Begründer der ersten indigenen Gewerkschaft Ekuadors (1926). Ungeheuer großes Ansehen bei den Indigenen genoss aber auch R. Paredes, der die PCE auf dem VI. Weltkongress der Komintern vertrat. Entsprechend standen ihre Vertreter auch mit an der Spitze politischer Massenorganisationen wie der „Konföderation der Indigenen Ekuadors“, die wiederum im Ergebnis der Vereinigungsbestrebungen der kämpferischen indigenen Kräfte entstanden ist.

Zusatzexkurs: das plurinationale Staatskonzept

Da vielfältige Linke und RevolutionärInnen heute für sogenannte plurinationale Staaten auf dem Halbkontinent eintreten, seien Hintergrund und Begriff denn auch in zumindest wenigen Federstrichen skizziert.

Ausgehend von Europa unterschied der Marxismus typlogisch zunächst zwischen grob gesagt zwei Formen der Nationswerdung. Zum einen jene, in der sich etwa die Französische Revolution unter Führung des noch revolutionären Bürgertums – auf Basis der Ideen der Volkssouveränität und der allgemeinen Menschenrechte – gegen die Feudalgesellschaft zur Nation konstituierte. Zum anderen jene spätere Form, im Zeitalter des Imperialismus, in der sich etwa paradigmatisch Deutschland – auf Basis einer nationalistischen Berufung auf eine gemeinsame Abstammung, angebliche ethnische oder natürliche Homogenität und vermeintlichen Überlegenheit, sowie in Machtansprüchen der eigenen Nation gegenüber anderen Nationen, Staaten und Völker („minderen Volkscharakters“) – unter Führung des Spätbürgertums von oben konstituierte.

Diese hier notgedrungen aufs Formelhafte verdichtete Typologisierung ist gezwungener Maßen fast sträflich verkürzt, vermag aber sozusagen zumindest als Fingerzeig zu dienen. Pointiert formuliert: während das französische Konzept darüber hinaus zugleich die Franzosen, Bretonen und Provençalen zur französischen Nation integrierte, konstituierte sich die deutsche Nation „von oben“ demgegenüber unter dem naturalistischen Theorem eines auf ethnischer Basis bestimmten, naturgegebenen „einheitlichen Ganzen“, das soziale Antagonismen ideologisch nochmals nachdrücklicher verkleistern sollte. In unmittelbarer Verbindung mit dem Sozialdarwinismus bzw. Rassismus schloss das spätbürgerliche deutsche Konzept im Inneren zugleich sogleich die sogenannten „vaterlandslosen Gesellen“ (sprich: die Arbeiterbewegung) und Minderheiten (als „Fremdvölkische“ bezeichnet) aus, schlug in eins mit seinem Geburtsschrei die Pariser Kommune nieder – und legitimierte nach außen sein Streben um „einen Platz an der Sonne“ mittels Krieg und Gewalt gegen andere Völker, koloniale Unterdrückung, sozialdarwinistischen „Kampf ums Dasein“ um Einflusssphären, Rohstoffquellen, Absatzmärke sowie Billigarbeitskräfte und Herrenrassendünkel im „nationalen Interesse“ (nach außen wie innen). Am bildhaftesten lässt sich der Unterschied wohl am Vergleich kontrastieren, dass während die französische Nation mit dem Sturm auf die Bastille und dem Ausschluss des Absolutismus und der Royalisten aus der Nation ihren konstitutionellen Anfang nahm, die Subalternen bei der deutschen Reichsgründung in Versailles nicht zugegen waren. Mehr noch, deren besten Führer wie August Bebel, Wilhelm Liebknecht und andere, schmorten parallel wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat vielmehr in den Kerkern Bismarcks.

Einen lange Zeit eher stiefmütterlich behandelten Eigenweg, schlug bereits die Nationswerdung der USA, mit ihren rigorosen Ausschlussklauseln gegen die afroamerikanischen Sklaven, die Indigenen, anderweitiger Minderheiten und die Frauen ein.

Noch gravierender in den ehemaligen iberischen Kolonien. Die nationale Unabhängigkeit wurde in Lateinamerika noch viel weniger vom Gedanken der Volkssouveränität getragen, sondern als Projekt der „weißen“ kreolischen Eliten gegen das von Napoleon ins Wanken gebrachte Mutterland Spanien errungen. Dem entsprach – mit Ausnahme Mexikos Anfang des 19. Jahrhunderts – auch der exklusive soziale Charakter der Unabhängigkeitskämpfe. „Überall dort, wo es Volksbewegungen gab“, so Walter L. Bernecker in diesem Zusammenhang, „wandte sich die kreolische Oberschicht gegen diese.“ Statt einer Integrationen der vielfältigen ethnischen (und auf dem gesamten iberischen Halbkontinent zugleich eng damit verknüpften: sozialen) Gruppen – die Indigenen waren teilweise explizit ausgeklammert – , verschärften sich in den neuen Staaten die Spaltung der Gesellschaften vielmehr noch. Die mexikanischen „Liberalen“, so etwa Fabiola Escarzaga exemplarisch, vertraten im 19. Jh. die Ansicht, „solange es Indianergemeinden mit dem gesetzlich verankerten Recht auf genossenschaftlichen Landbesitz gebe, könne es keine mexikanische Nation geben“. Und dieses damit sogar im Lande Miguel Hidalgos und José Maria Morelos! Dergleichen war die Unabhängigkeit der hispanoamerikanischen Länder unter der liberalistisch Politik der kreolischen Oberschichten und ihrer nationalen Exklusionsklauseln überall mit einer Politik Umwandlung von indigenem Gemeineigentum in frei verkäufliches Privateigentum verbunden, die den indigenen Mitbürger ein neues, individuelles und soziales Schicksal bescherte. „Im Verlauf dieser Machtübernahme gewannen [die kreolischen Oberschichten] eine noch größere Kontrolle über die ihnen gesellschaftlich Unterlegenen, als sie zuvor schon gehabt hatten“, so nochmals Bernecker. „In ganz Lateinamerika war die Gesellschaft im Jahr 1830 noch unausgewogener, als sie es im Jahr 1760 gewesen war.“

Die spanischen Kolonisatoren, die sich vielfach vorrangig die vorkolumbischen Formen der Fronarbeit und Tributpflichten etwa der Inka und Azteken zunutze machten, beließen (freilich eingedenk der riesigen privaten Landnahmen, brutalen Unterdrückung und des einhergehenden inhaltlichen Formwandels der Ausbeutungsbeziehungen) die indigenen Gemeinwesen in begrenztem Maße – verschränkt mit Fronarbeiten auf den Latifundien, Tributen und Zwangsarbeiten in den Minen. Demgemäß verfügten die Indigenas zu Beginn der Unabhängigkeit in zahlreichen Gebieten noch über Selbstverwaltungsrechte und Ländereien in Gemeinschaftseigentum. Diese wurden ihnen im Zuge des Umbaus der jungen Staaten des Halbkontinents zunehmende genommen. Viele mussten ihre Dörfer verlassen. Andere wurden (per Arbeitspacht) in unentgeltliche Arbeits- und Dienstleistungen und zu Minen-, Bergwerks- und Hausarbeiten gezwungen.

Die ethnorassistischen Ausgrenzungen der eingeschlagenen „weißen“ und/oder auf den Unterbau resp. verschiedentlichen Unterfangen einer konzeptualen „Mestizierung“ Nationsbildungen (unter Vorherrschaft der „weißen Kreolen“) „von oben“ sind denn auch vielfach noch unabgeschlossen. Ähnlich wie in Südafrikas unter der Apartheid. Die Alternative zugunsten plurinationaler Staaten liegt dabei nicht nur in der Anerkennung des multiethnischen Charakters der Bevölkerung und kultureller Differenzen, sondern beinhaltet auch die Anerkennung und Akzeptanz institutioneller Unterschiede, Eigenheiten und Autonomierechte, die vielfach (zumindest ihrer Form nach) aus vorkolumbischen Zeiten stammen.

Das dies, wie von Gegnern gerne in Anschlagt gebracht, einer „Balkanisierung“ das Wort redete, ist ein ebenso krudes Missverständnis des Konzepts, wie nicht durch die Realität gedeckt – hat doch etwa Bolivien seit 2009 eine expressis verbis plurinationale Verfassung, ist jene Ecuadors ebenfalls stark von davon inspiriert und bekannte sich auch Hugo Cháves nachdrücklich zu einem plurinationalen Venezuela.

Und finden sich, um aus gegebenen Anlass des Besuchs der Zapatistas in Europa, einmal zumindest auch umgekehrt inspirierte libertäre Theoretisierungen radikal zu hinterfragen, bei aller konstitutiven Staats-Skepsis der Zaptisatas von der ersten „Deklaration aus dem Lakandonischen Regenwald“ bis zum programmatisch geltenden Kommuniqué „La Sexta“ nirgends eine explizite generelle Ablehnung jedweden Staats. Ja, stärker noch, lassen sich bei Marcos ohne Schwierigkeiten prominente Stellen finden, in denen er indirekt für die Wiederherstellung der der Handlungsfähigkeit der Nationalstaaten gegenüber ‚dem‘ Neoliberalismus oder der neoliberalen Globalisierung und der mit ihnen einhergehenden Entsouveränisierung Mexikos und dem Ausverkauf des Landes plädiert – was aber im Einzelnen vorläufig einem eignen Beitrag zu Missverständnissen der Zapatistas vorbehalten bleibt.

Die Möglichkeiten und Staatskonzepte sind jedenfalls in Diskussion, in einem Suchprozess und im Fluss. Allein, man sollte sich ihnen mit der gebotenen, vorurteilslosen Nachdenklichkeit stellen und sie auf ihre Tragfähigkeit und Lösungsmöglichkeiten der sich in ihnen reflektierenden Realitäten erörtern.

Ihr nie erloschener Widerstand, ihre Solidarität mit der Unidad Popular und ihr antifaschistischer Kampf

Einhergehend mit der Bezwingung der Mapuche, Eingliederung Araukaniens in die Republik Chile 1878 und dem Verlust ihres geschlossenen indigenen Territoriums 1882/83 (nach der militärischen Niederschlagung ihres nochmaligen Generalaufstands 1881 durch die immer stärker modernisierte und mit modernsten Waffen ausgestattete chilenische Armee), wurde ihr Land (bis dahin Gemeinbesitz, dessen partielle kapitalförmige Parzellierung und Enteignung bereits auf Basis eines entsprechenden Gesetzes von 1866 immer weiter vorangetrieben werden konnte), weitgehend kolonialisiert, parzelliert und ihnen entwunden. Eine unrühmliche Rolle in der gesetzlichen Parzellierung war dabei den Häuptlingen und Kaziken zugedacht, die diese aufgrund der darin seitens der chilenischen Machthaber strategisch eingewobenen „Teile und herrsche“-Bestimmungen auch oft oder mindestens teils übernahmen. Diese neue Epoche der Konfrontation und justiziellen wie militärischen Kolonialisierung war wirtschaftlich zugleich eng mit der zunehmenden monokulturellen Weltmarktorientierung aufgrund der anschwellenden Nachfrage nach chilenischem Weizen verknüpft. Die systematisch enteigneten Mapuche selbst wurden begleitend in Reservate gezwungen und verbannt. Die Unterwerfung, Enteignung ihres traditionell kollektiven Bodenbesitzes, rassistische Exklusion und Zusammenpferchung in Reservaten markierte für die Mapuche einen tiefen Bruch.

Allerdings währte der Kampf der Mapuche um ihre Unabhängigkeit und ihren Boden auch im Anschluss noch ein weiteres Vierteljahrhundert und hielt als Kampf um den Boden auch danach noch an. 1927 wurde ein Gesetz erlassen, dass die kollektive Form des Landbesitzes auch in den Reservaten zu eliminieren trachtete, um die ausgeprägte Widerständigkeit der Mapuche nochmals zu unterminieren und das Privateigentum als herrschende Norm in ganz Chile durchsetzen. 1934 scheiterte dann vorerst ihr letzter großer Aufstand. Gleichviel existierten in den Gebieten südlich des Bío-Bío nach 1945 noch über 3.000 indigene Gemeinden, comunidades, mit über 500.000 ha Bodeneigentum.

Ein Vierteljahrhundert später sollte mit der Unidad Popular unter Salvador Allende und Louis Corvalán zunächst ein neues Kapitel für die Mapuche aufgeschlagen werden. Dazu und zur Folgeentwicklung dann in Teil II.

Bild: John Englart, flickr, CC BY-SA 2.0, adaption KOMintern

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