Doch wer war Emiliano Zapata? Und wofür kämpfte er?
Ähnlich wie die – wenn auch anders gelagerten – tiefgreifenden Veränderungen im Venezuela der Wende vom 20. zum 21. Jh. unter Hugo Chávez von ihren Protagonisten als „Bolivarianische Revolution“ bezeichnet wurde (und sich dabei begrifflich auf Simón Bolivar [1783 – 1830] bezieht, unter dessen Führung das heutige Venezuela einst die Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialherrschaft erlangte) , beziehen sich die Zapatistas bis in ihren Namen hinein auf den mestizischen Bauernführer der mexikanischen Revolution 1910 – 1917 Emiliano Zapata. Und so lautete ihr Schlachtruf auch: „Zapata vive, la lucha sigue!“ („Zapata lebt, der Kampf geht weiter!“). Doch wer war Zapata? Wofür kämpfte er? Und inwiefern lässt sich das Erbe dieser legendären Gestalt für eine zukunftsorientierte politische Alternative fruchtbar machen?
Emiliano Zapata, geboren 1879, war ein aus der Region Morelos stammender bäuerlich-indigener Revolutionär in der mexikanischen Revolution – mit der Ehrenbezeichnung: „El Caudillo del Sur“ („Der Anführer des Südens“). 1919 fiel der unbeugsame Kämpfer für dörfliche Selbstverwaltung, die Anerkennung der Autonomie der ursprünglichen Bauerngemeinschaften und das Recht auf kollektives Eigentum den Kugeln des mexikanischen Staates zum Opfer.
Die jüngere Geschichte Mexikos datiert mit dem Jahr 1821, der Unabhängigkeit Mexikos von Spanien und durchlief danach eine verschlungene Entwicklung einander folgender Wechsel von Kaiserreich, liberalen zur autokratischen Republik, erneuter gescheiterter Monarchie, und schließlich brutalen Diktatur unter Porfirio Díaz und einer kleinen Clique um ihn herum.
Zu Beginn des 20. Jh. wuchs der Unmut gegen die Díaz -Diktatur jedoch spürbar an. In verschiedenen Regionen des Landes rebellierten Bauern und Arbeiter. Einen kämpferischen Markstein bildete in diesem Zusammenhang auch der Streik der 10.000 Bergarbeiter der im Besitz des US-amerikanischen Kapitals befindlichen Kupfermine von Cananea 1906. Neben der Abschaffung des diskriminierenden Lohnsystems stellten die streikenden Bergarbeiter auch die Forderung nach einem 8-Stunden-Tag und der Einführung eines Mindestlohns auf. Der wachsende Unmut und die offenen Rebellionen stärkten zugleich die politische Opposition, die freie Wahlen forderte und die Ausbeutung der Naturressourcen Mexikos, darunter Öl, durch ausländisches Unternehmen und Konzerne mit Argwohn betrachtete, und ihrerseits auch an der Macht mitpartizipieren wollte. 1910 spitzte sich die politische Lage schließlich derart zu, dassFrancisco Madero – der zu diesem Zeitpunkt gewichtigste Gegenspieler von Díaz – zum bewaffneten Aufstand aufrief.
Zahlreiche Mexikaner, quer durch alle Bevölkerungsgruppen, Bauern und Bäuerinnen, Arbeiter und Arbeiterinnen, Kleinbürger und mexikanische Unternehmer folgten dem Aufruf zum Sturz der brutalen Díaz -Diktatur. Die mexikanische Revolution trug wahren Volkscharakter. Eine herausragende Rolle dabei spielten allerdings die Bauerngemeinden aus der Region Morelos, die unter Führung des jungen Mestizen Zapata Anfang 1911 auch ihrerseits zu den Waffen griffen und sich zu einem wirklichen Revolutionsheer formierten. Wie ein Schneeball löste der sozialrevolutionäre Trupp, in dem auch viele Frauen kämpften – zusammen mit jenem um Francisco Villa (besser bekannt unter seinem Spitznamen: Pancho Villa, der später ebenfalls einem Attentat zum Opfer fiel) – um die beiden sich radikalen Kräfte sammelten, eine Lawine aus und leiteten das Ende der Diktatur unter Porfirio Díaz ein, der nach Frankreich floh.
Hier ist nicht der Platz den wechselvollen und von heterogenen Interessen geprägten Entwicklungsgang der mexikanischen Revolution vom Komplott gegen Madero, über die ihm nachfolgende Militär-Junta unter Victoriano Huerta, die mit dem triumphalen Einmarsch Emiliano Zapatas in Mexiko-Stadt durch das Revolutionsheer von Morelos bereits 1914 wieder zu Sturz gebracht werden konnte (auch Pancho Villa griff gegen die Junta – unterstützten von ihren beiden späteren Hauptkontrahenten – unmittelbar zu den Waffen), bis zur Präsidentschaft Venustiano Carranzas bzw. Álvaro Obregón und der damit einhergehenden sog. Institutionalisierung der Revolution nachzuzeichnen. Ein auszeichnendes Charakteristikum der bürgerlich-demokratische Revolution gegen die Diktatur Díaz und Herrschaft der Latifundistas (Großgrundbesitzer) sowie den mit dem Imperialismus liierten Teilen des Finanz-, Handels- und Industriekapitals lag gleichviel in ihren stark sozialrevolutionären Zügen. Entsprechend beteiligten sich im Verlauf der Revolution auch bewaffnete Trupps der Arbeiterschaft aktiv an den Kämpfen gegen die oligarchische Diktatur Díaz‘.
Doch die neuen Machthaber hatten vor allem die Interessen der aufkommenden Bourgeoisie im Auge, weshalb sie schnell auf einen „Kompromiss“ und „Ausgleich“ mit den früheren Machthabern und den großen Latifundienbesitzern hinsteuerten. Angesichts der darin eingebetteten Weigerung Maderos, eine schnelle Aufteilung des Bodens anzuordnen, zerbrach bereits das Bündnis Zapatas mit der neuen Madero-Regierung frühzeitig und verweigert Zapata ihr die Anerkennung. Darüber hinaus forderten die revolutionären Bauernheere die Wiederherstellung des kollektiven Landbesitzes der Gemeinden sowie die Enteignung der Haciendas (große Landgüter) und aller anderen Akteure – nicht zuletzt der Agrarkonsortien die sich im Aufschwung der Zuckerproduktion breitflächig Ländereien für ihre Exportproduktion unterworfen hatten – , die sich Gemeindeflächen angeeignet bzw. unterworfen hatten. Im Gefolge führte Zapata und die um ihn gescharrten Revolutionäre und Revolutionärinnen den bewaffneten Kampf für die Durchsetzung einer wirklichen Agrarreform und für die Rückgabe des Bodens an die von den Latifundistas enteigneten Kleinbauern (inklusive dem einverleibten Haciendaland, das die Gemeinden einst für die gemeinschaftliche Produktion nutzten) zusammen mit den revolutionären Kräften um Pancho Villa und einigen anderen Strömungen noch mehrere Jahre in harten Auseinandersetzungen auf eigene Faust weiter.
Schlussendlich zog sich Zapata nach Morelos zurück, wo unter seiner Kontrolle der Großversuch in Gang gesetzt wurde, das sozusagen zapatistische soziale Experiment umzusetzen: die Autonomie der Gemeinschaften in dörflicher Selbstverwaltung sowie die Enteignung der Großgrundbesitzer und die Neuverteilung des Landes. Diesem Projekt schloss sich zugleich eine, von sozialistischen Ideen beeinflusste, Gruppe von Intellektuellen an, die aktiv an diesem revolutionären Prozess teilnahmen.
Morelos, einst die Wiege der Nahua-Bevölkerung, der ethnischen Gruppe, die das alte aztekische Reich besiedelt hatte, weist auch in dieser Hinsicht auf die spätere Erhebung der EZLN in Chiapas voraus. Ein wichtiges Identitätsmerkmal zahlreicher Gemeinden des Bundesstaates war die Nahuatl-Sprache (auch bekannt als das klassische Aztekisch, das vor seiner Vernichtung durch die Conquistatores auch geschrieben wurde resp. als einheimisches Schriftsystem verbreitet war) und die Aufrechterhaltung alter indigener Traditionen und Organisationsformen, in gleichzeitiger Integration neuer kultureller Einflüsse.
Der Zapatismus in Morelos währte jedoch nur kurze Zeit. Zum einen tobte nach wie vor der Krieg. Zum anderen traten mit dem schwächer werden der Heere Zapatas zudem auch verstärkt innere Zerwürfnisse auf. Zudem spielten in dieser Phase der Revolution auch gewichtige Teile der ideologisch noch unreifen Arbeiterbewegung eine unrühmliche Rolle. Als Gegenleistung für das Versprechen, die Lage der Arbeitenden zu verbessern, ließen sich Teile der „roten Bataillone“ sogar für den Kampf gegen die Trupps Zapatas und Villas einspannen. Ein anderer Teil der Gewerkschaften durchschaute dieses Manöver der Machthabenden freilich und goutierte diese Entwicklung keineswegs. Vereinzelt knüpften die revolutionärsten Sektoren der Arbeiterschaft auch Kontakte zu den unbeirrt weiter im Kampf stehenden Zapatisten. Die letztendliche – und nicht zuletzt auch der Arbeiterklasse teuer zu stehen gekommene – Niederlage, konnte dies freilich nicht (mehr) abwenden. Das staatliche Attentat am 10. April 1919 besiegelte schließlich auch das Leben Zapatas. Bis zu seiner Ermordung im gelegten Hinterhalt 1919 kämpft er fast zehn Jahre lang, unter der später von den Zapatistas der EZLN wieder aufgenommenen Losung „Tierra y Libertad“ („Land und Freiheit“), für die Anerkennung der Autonomie der ursprünglichen Bauerngemeinschaft und ihr Recht auf kollektives Eigentum.
Ein Kampf, an den die Zapatistas heute als die unzweifelhaft legitimen Erben Emiliano Zapatas bewusst anknüpfen.
Bild: Carlos Zepeda, Wikimedia Commons, GNU Free Documentation License