KV Sozialwirtschaft: Gewerkschaften lieber für schlechten Abschluss statt Streik!?

Eine Einschätzung von Selma Schacht, KOMintern-AK-Rätin, Betriebsratsvorsitzende und Mitglied des großen SWÖ-Verhandlungsteam

Tausende Kolleg:innen waren und sind streikbereit! Und trotzdem wollte die Mehrheit der gewerkschaftlichen Verhandlungsgruppe offenbar auf Biegen und Brechen einen Abschluss durchbringen, auch wenn dieser weit hinter den gemeinsamen, viel weitergehenden Forderungen liegt. Mit 27 Pro und 16 Gegenstimmen wurde der KV-Abschluss in der Nacht von heute auf morgen vom großen Verhandlungsteam angenommen.

„Lieber Streik statt schlechter Abschluss“ war demgegenüber das gewerkschaftlich-kämpferische Motto der Basis – die Gewerkschaftsführung hat sich jedoch für zweiteres entschieden. Nach dem fatalen Dreijahres-Abschluss von 2020 und dem zurückliegenden Hochinflationsjahr ein billiges Abspeisen und eine neuerlich vertane Chance auf eine echte Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Sozial- und Gesundheitsbereich! Dementsprechend müssen wir die Gewerkschaften dringend weiter von unten verändern, damit sich oben etwas tut!

Der Abschluss mit 9,2% ist für viele Mitarbeiter:innen in der Sozialwirtschaft Österreich schlichtweg eine herbe Enttäuschung. Viele Beschäftigte kommen im Alltag mit ihrem Einkommen kaum mehr über die Runden. So war das letzte Jahr jenes des höchsten Reallohn- und Kaufkraftverlusts seit Anfang der 1960er-Jahre. Zurecht stehen Branchen wie etwa Metall gerade im Feuer und der Handel vor der Einleitung forcierter Arbeitskampfmaßnahmen.

Nicht nur, dass die Forderung von 15% klar nicht im Mindestens erreicht wurde, gibt es nicht einmal einen Mindest-Fixbetrag (für den eigentlich auch 400 Euro gefordert wurden). Auch wurde nichts zum Thema Arbeitszeitverkürzung vereinbart – weder bei der Wochenarbeitszeit, noch bei mehr Urlaub o.ä.

Im Sozial- und Gesundheitsbereich mussten wir jedoch schon 2020, nach einer in Fahrt gekommenen Streikbewegung, einen abrupten Abschluss hinnehmen. Obwohl gerade zu Zeiten der Covid-Krise viel mehr drin gewesen wäre und unsere Branche damals wie heute über hohe Sympathie und Anerkennung der Bevölkerung verfügt, gab es keine echte und umfassende Abgeltung für den Einsatz der „Systemerhalter:innen“. Nach dem 3-Jahresabschluss war schon letztes Jahr die Erwartung groß: Geforderte 15% wollten erreicht werden – geworden sind es enttäuschende 8,23% im Durchschnitt. Und auch heuer wurde die Latte wieder hochgesteckt und im Vorfeld ein Eskalationsplan für das Erreichen dieses Ziels entworfen. Vorgesehen waren, wie bei den Metaller:innen und im Handel, Betriebsversammlungen mit Streikbeschlüssen, um im Falle eines erneut notwendigen Abbruchs der Verhandlungen dann ab Mittwoch in den Streik treten zu können.

Doch schon die Betriebrät:innen-Konferenz von GPA und vida vergangene Woche ließ Schlimmes erahnen: Zwar wurde mehrmals richtig erwähnt, wie dringend wir einen kräftigen Abschluss brauchen, wie dringend wir mehr Freizeit wie auch bessere Arbeitsbedingungen benötigen und dass die Branche um 22% (!) unter dem österreichischen Durchschnitt verdient. Doch wie wir das erreichen, war kein Thema – entsprechende Arbeitskampfmaßnahmen und Streiks wurden komplett ausgeklammert, die Möglichkeit für Diskussion und Austausch gab es für die hunderten angereisten Betriebsrät:innen nicht. Dies führte zu Recht zu Unmut unter den kritischen Betriebsrät:innen und auch die mehr als 1/3 Gegenstimmen zum Abschluss zeigen, dass das Vorgehen  gewerkschaftsintern nicht unwidersprochen bleibt.

Die tausenden Kolleg:innen in ganz Österreich, die allen Widrigkeiten zum Trotz gemeinsam dazu entschlossen gewesen wären, die Arbeit niederzulegen und das auch an ihrem Arbeitspatz, in ihren Teams, in den Stationen, Beratungsstellen, Schulen, WGs usw. organisiert haben, die bereit gewesen wären, einen Gehaltsabzug wegen Streik für einen höheren KV-Abschluss in Kauf zu nehmen – all diese fühlen sich nun zu Recht im Stich gelassen und verschaukelt. Die Gewerkschaften haben sie offenbar nur als sozialpartnerschaftliche Verhandlungsmasse missbraucht, ohne wirklich vorzuhaben, die aktiven Beschäftigten, engagierten, kritischen Gewerkschaftsmitglieder in den Betrieben und deren kämpferischen Betriebsrät:inne für ihre Interessen kämpfen zu lassen.

Doch das selbstbewusste „Wir sind streikbereit!“ all jener wird sich auch in Zukunft nicht kleinreden und aufhalten lassen!

Mehr Infos zum KV-Abschluss

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