“System Change not Climate-Engineering”

Drei Jahrzehnte reale kapitalistische Klimapolitik und wir verzeichnen heuer mit schon jetzt fast 100iger Sicherheit das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Derzeit liegen wir für 2023 bei 1,43 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt. Vor einer Woche haben wir sogar erstmals für einen Tag die 2-Grad-Grenze gerissen. Kaum jemand, auch der IPCC nicht, glaubt mehr, dass die Pariser Klimaziele noch zu erreichen sind. Dabei hat sich die Lage seit Paris bereits einschneidend geändert. Inzwischen stehen wir nicht mehr einfach vor einer drohenden Klimakatastrophe, sondern befinden uns schon inmitten des Anfangs eines dramatischen Klimaumbruchs. Das ist freilich alles andere als ein fatalistischer „Freibrief“. Im Gegenteil. Um die Klimakatastrophe zumindest noch einzuhegen zählt vielmehr jedes Zehntelgrad. Anstatt dessen ventilieren herrschende Kreise als „Plan B“ schon ein „Glücksspiel mit hohem Einsatz“: „Climate-Engineering“. Dieses „beruht auf der Hoffnung“, wie es Annette Schlemm auf den Punkt bringt, „durch technische Lösungen den schlimmsten Folgen des Klimawandels abhelfen zu können, ohne gesellschaftliche Verhältnisse antasten zu müssen.“

Zitierte Annette Schlemm, Physikerin und Philosophin aus der DDR, beschäftigt sich seit Jahrzehnten eingehend mit dem Klimawandel und Fragen der Technikphilosophie. Gerade rechtzeitig zur bevorstehenden UN-Klimakonferenz, der COP 28, in Dubai hat sie nach Aufsätzen nun auch ihr Buch zu „Climate-Engineering. Wie wir uns technisch zu Tode siegen, statt die Gesellschaft zu revolutionieren“ vorgelegt.

„Seit einigen Jahren“, so das Buch-Cover, „sind Technologien, die die Folgen des anthropogenen Klimawandels rückgängig machen sollen, in den Klimaschutzplänen des Weltklimarats eingeplant. Es geht längst nicht mehr nur um eine Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen und eine Anpassung an die inzwischen unvermeidbar gewordenen Folgen des Klima-Umbruchs: Um das Schlimmste zu verhindern, werden Projekte für einen ‚Plan B‘ entwickelt, mit denen entweder die Sonne zwecks Abkühlung der Erde ‚abgeschattet‘, oder aber das bereits emittierte Kohlendioxid wieder aus der Luft herausgeholt werden soll.

Climate Engineering, also das Herumbasteln am Klima, ist nach offiziellen Verlautbarungen inzwischen unverzichtbar geworden. Diese Entwicklung sollte in der Bewegung für Klimagerechtigkeit dringend diskutiert werden! Annette Schlemm geht es um eine gesellschaftspolitische Einschätzung dieser Vorhaben – und das führt gerade aus der Perspektive globaler Gerechtigkeit zu starken Zweifeln an deren Sinnhaftigkeit. Es wird Zeit, dass wir uns kritisch einmischen, sonst werden zur angeblichen ‚Rettung des Planeten‘ neue Machtstrukturen installiert, die viel gefährlicher sind als die eingesetzten technologischen Mittel.“

Vor wenigen Tagen interviewte sie auch die JungeWelt zu ihrem neuen Buch. Ein Interview, das sich neben einer Reihe Artikeln auch auf ihrem Blog findet und zusammen mit ihrem jüngsten Beitrag in analyse&kritik vielleicht einen Schuhlöffel in das Feld zu bieten vermag.

In Ihrem neuen Buch mit dem Titel »Climate Engineering« beschäftigen Sie sich mit den gesellschaftspolitischen Dimensionen dieser Praxis. Was ist unter diesem Begriff zu verstehen?

Mittels »Climate Engineering« soll die Erderwärmung infolge des Treibhausgasanstiegs reduziert werden. Der Begriff »Geoengineering« zählt auch Staudammbauten dazu, die nicht direkt mit dem Klima zu tun haben. Anfangs ging es darum, Treibhausgasemissionen zu senken, damit Folgen des Klimawandels gar nicht erst auftreten. Inzwischen hat man verstanden, dass die Anstrengungen für eine Minderung der Emissionen nicht ausreichend sind und dass wir das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr erreichen können. Deshalb wird nun vorgeschlagen, das Klima ingenieurstechnisch in den Griff zu bekommen: Die Erderwärmung soll beispielsweise ausgeglichen werden, indem man die Sonneneinstrahlung auf die Erde abschattet – etwa durch Spiegel über der Erdoberfläche. Oder man versucht, übermäßiges Kohlendioxid aus der Atmosphäre wieder zu entfernen. In meinem Buch analysiere ich neben diesen Methoden auch deren Auswirkungen, die gerne als »Nebenwirkungen« verniedlicht werden – zum Beispiel Monsunverschiebungen und veränderte Wetterlagen.

Woher kommt dieser Ansatz?

Bereits in Artikeln aus den neunziger Jahren kann man lesen, dass die Beförderung von Aerosolen in die Stratosphäre mit Hilfe von Flugzeugen oder sogar Ballons eine kostengünstige Alternative zur Senkung der durch industrielle Produktionsformen angeheizten Treibhausgasemissionen wäre. Dabei orientiert man sich an dem, was Vulkane machen: Brechen sie aus, hat man häufig den Effekt einer globalen Temperatursenkung. Dies wurde von dem Nobelpreisträger Paul Crutzen, der auch den Begriff »Anthropozän« geprägt hat, 2006 in die Debatte eingebracht und wird seither in wissenschaftlichen Kreisen diskutiert – nun nicht mehr offen als Alternative zu einer tatsächlichen Emissionssenkung. Denn diese würde nur eine andere Wirtschaftsordnung bewirken, in der weniger emittiert wird. Als Klimaaktivistinnen und -aktivisten müssen wir für einen »System Change« statt nur für einen »Climate Change« eintreten.

In welcher Weise beeinflusst soziale Ungleichheit das Klima?

Im neuen Bericht an den »Club of Rome« werden fünf Aspekte genannt, die für eine ökologische Kehrtwende unabdingbar sind. Der zuletzt genannte ist die Umgestaltung des Energiesystems. Die Abschaffung der Armut und das Beenden der Ungleichheit stehen an erster und zweiter Stelle. Und zwar deshalb, weil die wohlhabenden Menschengruppen auf dieser Erde Vorbild für alle anderen sind. Eine Reduzierung des Wohlstandes im allgemeinen würde die Armen übermäßig treffen, wenn es keinen sozialen Ausgleich und die völlige Umgestaltung der Produktions- und Verteilungsweise gäbe.

Beim CO2-Verbrauch gibt es ein starkes Nord-Süd-Gefälle. Müssen die sich entwickelnden Länder in Zukunft auf Technologie und Wachstum verzichten?

Sie sollten auf die Verkrüppelungen verzichten, die derartige Entwicklungen mit sich bringen. Ansonsten sollen sie alles entwickeln können, was sie entwickeln wollen. Ich kritisiere den Kapitalismus nicht nur wegen der Ausbeutung, sondern auch, weil er uns durch das Privateigentum an Lebens- und Produktionsgrundlagen die Entscheidung über unsere Produktions- und Lebensweise verunmöglicht. Wir können diskutieren, was wir wollen. Wenn wir in die wirtschaftlichen Entscheidungen nicht eingreifen, können wir auch keine ökologische, sozial verantwortliche und klimagerechte Kreislaufpolitik machen. Es ist zwar besser, jedes Zehntelgrad an Temperaturanstieg zu verhindern, als gar nichts mehr zu machen. Unabhängig davon, wie schlecht es der Landwirtschaft geht, wie viele Unwetter wir haben, wieviel Infrastruktur kaputtgeht und wie viele Menschen darunter leiden müssen – die grundsätzliche Frage ist: Bauen wir Festungen oder bauen wir Windmühlen? Ich möchte Windmühlen bauen.

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