Good COP, bad COP?

Zugegeben, die Überschrift ist abgekupfert. Aber sie war zu verlockend um nicht ebenfalls unter ihr die Aufmerksamkeit auf die heute beginnende UN-Klimakonferenz oder COP28 in Dubai zu lenken. Vom britischen „Observer“ gerade als „praktisch die letzte Chance für die Menschheit zu einer Kursänderung“ charakterisiert.  Denn, so UN-Generalsekretär Antonio Guterres schon im Sommer, die einschneidend geänderte Lage seit Paris gewissermaßen auf den Punkt bringend: inzwischen stehen wir nicht mehr einfach vor einem drohenden Klimaumbruch, sondern befinden uns schon inmitten des Anfangs eines dramatischen Klimaumbruchs. „Der Klimawandel ist da. Er ist erschreckend“.

Ein halbes Jahrhundert reale kapitalistische Klimapolitik – der blanke Hohn

Ein halbes Jahrhundert reale kapitalistische Klimapolitik, darunter zugleich drei Jahrzehnte weltweiter UN-Klimakonferenzen, und wir verzeichnen heuer wie zum Hohn das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Derzeit liegen wir, wie schon jüngst betont, für 2023 bei 1,43 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt. Vor einer Woche haben wir sogar erstmals für einen Tag die 2-Grad-Grenze gerissen. Kaum jemand, auch der IPCC nicht, glaubt mehr, dass die Pariser Klimaziele noch zu erreichen sind und das Kippen der neuralgischen Kipppunkte noch verhindert werden kann.  Den Kapitalismus betreffend lässt sich zu diesem Ergebnis an Dekaden kapitalistischer Klimapolitik nur mehr sinngemäß mit Shakespeares „Hamlet“ ausrufen: „Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode“.

Zur Erinnerung:Vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert, 1972 in Stockholm, fand die erste UN-Umweltkonferenz statt – was mit André Leisewitz gesprochen zeigt, dass man sich der globalen Umweltprobleme, denen es gegenzusteuern gilt, selbst „in den politischen Institutionen der Zentren des entwickelten Kapitalismus klar (wurde)“. Spätestens seit dem historischen „Erdgipfel“ von Rio de Janeiro vor drei Jahrzehnten (1992) bzw. dem vorbereitenden, ersten ausführlichen UNO Klima-Report 1990 wiederum, gilt die durch den menschlichen Einfluss verursachte globale Klimaerwärmung, nach vielen Zwischenstufen, weltweit als nicht mehr bestritten. Aber auch ein weiteres Vierteljahrhundert nach dem Kyoto-Protokoll (1997) und 8 Jahre nach der Pariser Klimakonferenz steigen die Emissionen unvermindert an und überschreiten wir in Riesenschritten das 1,5°-Ziel, das nach neueren Studien womöglich noch gar nicht ausreichen würde um das Kippen des Klimasystems zu verhindern.

Und natürlich ist die Chuzpe um Dubais Sultan Ahmed al-Dschaber als Präsident der COP28 und Öl-Minister der Vereinigten Arabischen Emirate keine Petitesse, sondern vielmehr ein eigentümlich ungeschminkter Ausdruck der fossilistischen Kapital-Verbrechen. Aber man sollte sich auch nicht ins Boxhorn jagen lassen und einzig an seiner Person und Doppelrolle aufhängen. Eine solche Personalisierung des kolossalen Versagens der globalen Klimapolitik blendet vielmehr den systemischen Charakter der Klimakrise und jahrzehntelangen klimapolitischen Scheiterns aus.

Déjà-vus

Historisch Interessierte könnte im Revuepassieren des seitherigen halben Jahrhunderts des kapitalistischen Raubbaus an der Natur und des akkumulations- und profitgetrieben verursachten Klimaumbruchs fast ein Déjà-vu ereilen. Besaß ein zur Stockholmer Umweltkonferenz erschienenes Buch den seinerzeitigen Titel „Only one Earth“, begegnet einem seit der, den Klimawandel und Umweltprobleme mit neuer Eindringlichkeit aufwerfenden, aktuellen Klima- und Umweltbewegung die im Grund selbe Losung in gewandelter Gestalt als „There is no planet B!“.

Entsprechend hieß es in der Stockholmer Schlusserklärung seinerzeit denn auch bereits: „Der Mensch hat ein Grundrecht auf Freiheit, Gleichheit und angemessene Lebensbedingungen in einer Umwelt, die so beschaffen ist, dass sie ein Leben in Würde und Wohlergehen ermöglicht, und hat die feierliche Pflicht, die Umwelt für gegenwärtige und künftige Generationen zu schützen und zu verbessern.“

Anderen wieder, kommt vielleicht die historische Anhörung des bekannten NASA-Klimatologen James Hansen vor dem US-Kongress 1988 in den Sinn, in deren Zuge er vor 35 Jahren warnend ausrief: „Es ist an der Zeit, nicht mehr so viel zu schwafeln!“

Nebelkerze „Green New Deal“

Gleichwohl: Sämtlichen Projektionen zufolge überschreiten wir aufgrund der bislang unverminderten Emissionsentwicklung wohl schon in wenigen Jahren, sehr wahrscheinlich noch vor 2030, die 1,5° C und befinden uns auf dem Weg einer 3-Grad-Erwärmung. Die auf den UN-Umweltkonferenzen seit langem vereinbarten „deutlich unter 2°“, geschweige denn das 1,5-Grad-Ziel, sind für die ökonomischen und politischen Eliten, abgesehen von einem letzten Zucken auf Sonntagsreden, bereits Makulatur. Und auch der von Ursula von der Leyen zum Antritt ihrer EU-Kommissionspräsidentschaft 2019 unter dem Öko-Label als Europastrategie angekündigte „Green New Deal“ (erst zu Jahresbeginn nochmals euphorisch mit hunderten Milliarden Euros an Steuergeldern dotiert) steht bis auf die ‚ehrgeizigen‘ Industrieförderungen (als wirtschaftlicher Subventionswettlauf mit den USA) vor dem Kollaps. Entsprechend leise ist es denn auch um die noch zu Antrittsbeginn volltönig hinausposaunte „europäische Vorreiterrolle“ geworden, von Österreich, dass es selbst unter Grüner Regierungsbeteiligung zu keinem „Klimaschutzgesetz“ bringt, ganz zu schweigen. Außer hinsichtlich der Profitaussichten unter grünem Schleifchen. Denn „diejenigen, die die Technologie entwickeln und herstellen, die das Fundament der Wirtschaft von morgen bilden, werden den größten Wettbewerbsvorteil haben“, so von der Leyen. Mit einem global bewerkstelligbaren Umbau der weltweiten Produktions- und Konsumtionsweise indes hat das nicht nur so überhaupt nichts zu tun, sondern wirft einem solchen Entwicklungspfad vielmehr den Fehdehandschuh ins Gesicht.

Neuere Forschungsergebnisse: Das 1,5-Grad-Ziel wird nicht „nur“ verfehlt, sondern reicht womöglich noch nicht mal aus

Gleichzeitig sehen Studien wie jene der internationalen Forschergruppe um David Armstrong McKay und Timothy Lenton (die sich seit 2008 mit den Risiken von irreversiblen, möglicherweise abrupten Veränderungen – den Klima-Kippelementen – beschäftigt) in einer Neubewertung der Daten der letzten Dekade mittels eines aktualisierten Modells, das Klima schon früher kippen als bislang angenommen.

Ihrer Studie zufolge würde zudem selbst das Pariser 1,5-Grad-Ziel (das das Gros der ExpertInnen, wie es im Pariser Übereinkommen verstanden wurde, für de facto nicht mehr erreichbar halten) womöglich nicht ausreichen, um den Kollaps zu verhindern, werden schon bei einer Erwärmung um 1,5° mit einiger Wahrscheinlichkeit mehrere Schwellenwerte überschritten – womit sich die Klimakrise in einer planetaren Kettenreaktion verselbständigen und vielfach unumkehrbar außer Kontrolle geraten würde.

Die neueren Forschungsergebnisse besagen nicht weniger, als dass einerseits das alte, die Klimadebatte lange begleitende 2°-Ziel schlechthin obsolet ist und wir andererseits eventuell schon 2030 vier der gefährlichen ökologischen Schwellen überschreiten könnten: das unwiederbringliche Abschmelzen der grönländischen und westantarktischen Eisschilde, das Tauen der Permafrost-Böden und das Absterben der tropischen Korallenriffe. Damit verschärfte besagter Kreis führender Klimaforscher und PIK-Experten (Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung) aus mehreren Ländern schon letztes Jahr, nur wenige Monate nach dessen Erscheinen noch einmal den letzten Bericht des Weltklimarats IPCC. Zu alledem ist unter ExpertInnen auch die Liste der gefährdeten Kipppunkte weiter angewachsen.

„Schon ab 1,5 Grad nehmen wir gewaltige Risiken in Kauf“, unterstreicht Mitautor Johan Rockström – der schwedische wissenschaftliche Ko-Direktor des PIK und Ko-Vorsitzender der „Earth Commission“ – nachdrücklich. Auch für ihn wurde die Gefährdungslage der Klima-Kippelement und deren Empfindlichkeit auf die Erderhitzung bislang noch unterschätzt. Den neuesten Forschungsergebnissen zufolge schrillen die Alarmglocken vielmehr bereits bei 1,5°. Und: „Die Vorstellung, wenn wir 1,5 Grad nicht schaffen, dann werden es eben zwei Grad, ist ein gefährlicher Trugschluss.“ Denn bei zwei Grad ist das Klima bereits aus dem Lot.

Dazu gesellt sich, dass – wie Reimund Schwarze, Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Extremereignisse am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig bemerkte – die „Hitzeextreme weltweit schneller zunehmen, als es die Wissenschaft erwartet hat“. Das wiederum bedeutet neben seinen dramatischen Auswirkungen in unseren Breiten gleichzeitig, dass weite Teile des Globus, wie etwa große Teile Afrikas und des Mittleren Ostens, die Kipppunkte „menschlicher Bewohnbarkeit“ überschreiten und absehbar schlicht von der menschlichen Unbewohnbarkeit stehen.

Und darin sind die sich selbstverstärkenden und selbstbeschleunigenden Effekte der von der Forschergruppe um William J. Ripple zu Jahresbeginn herausgestellten 41 wesentlichsten „Rückkopplungsschleifen“ noch weitestgehend unberücksichtigt – zumal die Liste, wie die Ripple und AutorInnen selbst einschränken, noch unvollständig und in vielem auch noch unvollständig erfasst ist.

Die „historische Verantwortung“ des globalen Nordens und das politische Konzept der „Klimaschulden“

Allerdings, während der die erste Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm vorbereitende UN-Generalsekretär U Thant noch die „historische Verantwortung“ des globalen Nordens – konkret: der früh- oder altindustrialisierten entwickelten kapitalistischen Länder und Zentren – einmahnte, wurde diese gleichviel spätestens mit dem westlichen Gezerre um das Kyoto-Protokoll und der späteren UN-Klimakonferenz in Poznan (2008) im Schatten der Finanz- und Wirtschaftskrise in einem großen Offenbarungseid des Kapitalismus entsorgt. Eine solche laufe dem Profitstreben des kapitalistischen Wirtschaftsmodells zuwider bzw. sei wegen je anderer Problemlagen und der entfesselten Weltmarktkonkurrenz nicht zu priorisieren. Dabei: bilanziert man den Aufbrauch des länderbezogenen CO2-Rest-Budget seit 1990 (Erscheinungsjahr des 1. UN-IPCC-Berichts), wird zudem noch deutlich, dass zahlreiche kapitalistische Industriestaaten dieses bereits seit Jahren komplett aufgebraucht haben und schon langjährig (z.T. schon seit Jahrzehnten) überziehen.

Um wiederum den erforderlichen klimapolitischen Umbau der Industrie und Landwirtschaft in den peripheren Ländern zu bewerkstelligen, geht es allerdings um nochmals ganz andere Dimensionen als den notorisch säumigen 100-Milliarden-Dollar Klimaschutzfonds von Cancún. Hierzu sind etwa laut Studien der UNCTAD (UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz) alleine bis 2030 entsprechende jährliche Investitionen in einer Größenordnung von 2 bis 2,7 Billionen Dollar nötig – die freilich nur in internationaler Kooperation, Technologietransfers, Mittelaufbringung und Schuldenerlässen etc. gestemmt werden können. 

Bezieht man zudem die höchst ungleiche Verantwortung für den Klimawandel sowie die regional unterschiedlichen sozial-ökologischen Betroffenheiten und Konsequenzen an Verlusten, Verheerungen und Schäden mit hinzu, wird darüber hinaus auch die hierin noch gar nicht mitveranschlagte, zu verantwortende ökologische Schuld des westlichen Metropolenkapitalismus in ihrer ganzen Dimension deutlich. Ein entfaltetes politisches Konzept der Klimaschulden beinhaltet neben den Verpflichtungen zur rigorosen Emissionsreduktion der hochindustrialisierten Länder und eines Ausgleichs der Anpassungsmaßnahmen in den armen Ländern, denn auch eine Deckung der von den Klimakillern verursachten und hervorgerufenen „Verluste und Schäden“ und transparent nachvollziehbare „Reparationszahlungen“. Und diesbezüglich geht es gleichfalls um ganz andere Dimensionen als die gemeinhin diskutierten Brosamen des „kollektiven Westens“ oder „Nordens“. Der Internationale Währungsfonds (IWF) etwa, wahrlich keine Institution des Globalen Südens, veranschlagt diese Klimaschulden des Nordens am Globalen Süden für die Periode von 1960 bis 2035 mit 140 Billionen Dollar – sprich: 140.000 Milliarden Greenbacks.  Mit Sonntagsreden, punktuellen Katastrophenhilfen und freiwilligen Selbstverpflichtungen sowie dem jetzigen „Loss and Damage“(„Verlust und Schaden“)-Fonds (dessen Finanzierung indes nach wie vor ungeklärt ist) kann es denn auch beiweilen nicht sein Bewenden haben. Zumal selbst gegenwärtig die ärmsten 50% der Weltbevölkerung lediglich 12% der weltweiten Emissionen verursachen.

Die UNCTAD beziffert die nötigen Beträge umgelegt auf die Weltwirtschaftsleistung übrigens mit jährlich etwa 1 bis 2 Prozent des weltweiten BIP, was im BIP-starken „Kollektiven Westen“ schon allein äquivalent zu seinen Rüstungsausgaben „finanziert“ wäre. Bei radikaler Abrüstung ließe sich ohne viel Federlesen sogar leicht das Doppelte aufbringen.

Geo-Engineering „Kapitalistisches Glücksspiel mit hohem Einsatz“

Nun, so der ’neue‘ „Masterplan“ kapitalistischer und interessierter Kreise, lässt sich das Klima nicht mehr retten, dann gilt es an ihm zu basteln. Einen zentralen Eckpunkt in diesem „Glücksspiel“ um alles, bilden die diversen Ideen der Atmosphäre CO2 technisch zu entziehen und dann in Endlager zu verräumen. Die dazu wie zu den Technologien bislang formulierten „Bedenken hinsichtlich ihres Potentials, ihrer Durchführbarkeit und/oder ihrer Nachhaltigkeit“ werden im Zuge des Fortschreitens der Klimakrise zunehmend kassiert. Dabei ist allein die Frage einer dauerhaften Dichtheit offen. Was, wenn es aus irgendeinem Grund (z.B. infolge eines Erdbebens) zu einer plötzlichen Freisetzung aus Lagerstätten kommt? Auf das Risiko, dass so „große Mengen an Kohlendioxid in kürzester Zeit in die Atmosphäre gelangen würden und sich dadurch der Klimwandel sprunghaft beschleunigen könnte“ hat, mit Helga Kromp-Kolb gesprochen, niemand eine schlüssige Antwort. Klar sind lediglich die Profitinteressen und -Aussichten jener Konzerne, die aus „Climate-Engineering“ üppige Profite generieren und das fossilistisch-kapitalistische Interesse eines „Weiter so“. Und: wer es, wie üblich im Kapitalismus, über Preissteigerungen und andere Wege bezahlt.

Schluss

Gelingt es nicht mehr die globale Erwärmung in der gebotenen Dringlichkeit zu stoppen (was zwischenzeitlich bereits passé scheint) bzw. allerallermindestens noch radikal einzuhegen „ist die Erde geradewegs auf Kurs, mehrere gefährliche Schwellenwerte zu überschreiten, die für die Menschen auf der ganzen Welt katastrophale Folgen haben würden“, so nochmals Johan Rockström. Dass diesbezüglich ungebrochen jedes Zehntelgrad zählt, sei gegen jedwede Fatalistik indes ebenso mit allem Nachdruck betont, wie die Dringlichkeit des Stopps und der Umkehr noch reversibler Prozesse und die Verlangsamung sowie noch möglichst weite Eindämmung bereits irreversibler Entwicklungen.

Das Ergebnis eines halben Jahrhunderts realer kapitalistischer Klimapolitik und des aktuell priorisierten Kampfs um globale Vorherrschaft anstatt kooperativen Umsteuerns lässt so das Klima wohl endgültig kippen. Dieses mitten im Gang befindliche Kippen und Eintritt in die Klimakatastrophe wirft für die Linke, revolutionäre Arbeiterbewegung, Gewerkschaften und Befreiungsbewegungen zudem unweigerliche Fragen hinsichtlich ihres ökologischen Kampfprogramms sowie ihrer gesellschaftlichen Konzepte und Sozialismusbilder auf – denn vor uns steht damit pointiert gesprochen die Herausforderung des „Sozialismus auf verbrannter Erde“.

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