Sacco und Vanzetti – der US-Justizmord im August 1927

Die Geschichte der US-amerikanischen ArbeiterInnenbewegung und Linken ist durchtränkt von Justizskandalen und Justizmorden. Vor 95 Jahren, im August 1927, besiegelte die US-Rache- und Klassenjustiz das Schicksal der beiden Arbeiterführer Sacco und Vanzetti. Am 10. August verurteilt, wurden sie kurz nach Mitternacht vom 22. auf den 23. August hingerichtet.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wanderten Jahr für Jahr rund 1 Million Menschen aus Europa in die Neue Welt aus. Unter ihnen 1908 auch die beiden jungen Italiener Nicola Sacco (17 Jahre) und Bartolomeo Vanzetti (20 Jahre), um, wie Letzter schrieb, „dort … ein freies, besseres, volleres Leben zu finden“. Als Arbeitsmigranten standen sie allerdings auf einer der unteren Sprossenleitern der amerikanischen Gesellschaft. Vanzetti schrieb denn auch enttäuscht über seine an der harten Realität des ‚Landes der unbeschränkten Möglichkeiten‘ geplatzten Träume: „Wir arbeiten abwechselnd zwölf bis vierzehn Stunden am Tag. Unser Lohn war schimmeliges Essen, das kaum Hunde gefressen hätten, und fünf bis sechs Dollar die Woche.“ Die Antwort auf diese Umstände fand Vanzetti auf seiner Suche nach Erklärungen in sozialistischen Schriften und im „Kapital“, die er – ebenso wie literarische Werke Viktor Hugos oder Emile Zolas – bis tief in die Nacht las. Sacco seinerseits war schon in jungen Jahren, noch in Italien, eingehender mit sozialistischem Gedankengut in Berührung gekommen. Beide fanden denn auch alsbald Anschluss an linke Zirkel (allem voran die unter italienischen Emigranten starke anarchistische Bewegung um Luigi Galleani) und den Weg in die Gewerkschaft, um klassenbewusst für die Verbesserung ihrer Lebenslage zu kämpfen.

Am 5. Mai 1920 endete allerdings abrupt ihr normales Leben. Beide wurde verhaftet. Zunächst des Raubüberfalls auf einen Geldtransport angeklagt, erweiterte die Staatsanwaltschaft die Anklage bald auf Mord. Immer eindringlicher trat dabei der rein politische Charakter des Prozesses gegen die revolutionäre ArbeiterInnenbewegung hervor. Als solcher fand er dann auch in der internationalen Presse immer stärkere Schlagzeilen und mediales Echo. Plötzlich waren sie vor allem „gefährliche rote Agitatoren“, auf der Anklagebank saß nun der „internationale Bolschewismus“. Vor dem Hintergrund der Oktoberrevolution hatte die USA gerade eine regelrechte Hexenjagt gegen „Rote“ und „Anarchisten“ entfacht. Politisch linke oder gewerkschaftlich aktive ArbeitsmigrantInnen wurden reihenweise ausgewiesen und schnurstracks in ihre ehemaligen Herkunftsländer abgeschoben, abertausend andere justiziell verfolgt

Der Prozess gestaltete sich als einzige Farce. Sacco und Vanzetti und ihr Verteidiger widerlegten in ihm Stück für Stück die Anklage. Nicht weniger als 105 Zeugen, darunter auch ein Konsulatsangehöriger Italiens, bestätigten, dass die beiden zum Tatzeitpunkt ganz wo anders ihre Beschäftigungen verrichteten. Die von der Staatsanwaltschaft aufgefahrenen angeblichen ‚Zeugen‘ hingegen verstrickten sich demgegenüber auch immer wieder in handfeste Widersprüche oder zogen ihre Aussagen später wieder zurück. Aber das – nach mehreren abgewiesenen Revisionsanträgen der Rechtsanwaltschaft dann am 9. August 1927 auch gefällte – Urteil der US-Klassenjustiz stand bereits von Beginn an fest: Tod auf dem elektrischen Stuhl für die beiden Arbeiterführer. Richtung Vanzetti gerichtet erklärte Richter Webster Thayer unverblümt: „Auch wenn er das Verbrechen, das ihm zugeschrieben wird, nicht begangen haben sollte, ist er trotzdem der moralische Schuldige, denn er ist ein Feind unserer bestehenden Einrichtungen.“ Vor einem Freund prahlte er beim Golfspielen wiederum: „Hast du gesehen, wie ich gestern mit den anarchistischen Bastarden umgegangen bin? Das wird sie wohl ein Weilchen beschäftigen.“ Wie Staatsanwalt Katzmann stand auch Richter Thayer teils in Verbindung mit offen rassistischen und faschistoiden Vereinigungen. Entsprechend nutzte es den beiden Angeklagten auch nichts, dass selbst ein früherer Justizagent eidesstaatlich erklärte, dass auch die Bundesbehörden um die Unschuld von Sacco und Vanzetti wissen, aber trotzdem auf deren Hinrichtung hinarbeiten – oder der zum Tode verurteilte Raumörder, Celestino Madeiros, kurz vor seiner geplanten Hinrichtung aussagte, am besagten Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein und versicherte, dass die beiden mit der Angelegenheit nicht das Geringste zu tun hatten. „Ich weiß“, so resümierte Sacco seinerseits vor Gericht denn auch, „das ist ein Klassenurteil, ein Urteil der herrschenden Klasse gegen die unterdrückte Klasse, und die Zusammenstöße dieser beiden Klassen werden nicht aufhören … Ich stehe heute hier, weil ich ein Angehöriger der unterdrückten Klasse bin. Sie sind der Unterdrücker!“

Der Fall bewegte die Werktätigen und klassenbewussten ArbeiterInnen der Welt damals wie kaum ein anderer. Das ungeheuerliche Skandal-Urteil löste denn auch eine riesige internationale Protestwelle, samt mächtiger Demonstrationen und Solidaritätsstreiks quer über den Globus, Protesten und einer in Windeseile von über einer Million Menschen unterzeichneten Petition für ihre Begnadigung aus. Nicht nur in der internationalen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung – in der KommunistInnen, SozialistInnen, AnarchistInnen und andere in seltener Eintracht bis zur letzten Minute um das Leben von Sacco und Vanzetti rangen – sondern auch unter unzähligen namhaften Persönlichkeiten, die sich wie Albert Einstein oder Kurt Tucholsky für die beiden einsetzten und stark machten. Doch vergebens. In der Nacht vom 22. auf 23. August 1927 vollzogen die US-Behörden nach siebjährigem Martyrium den Justizmord. „Es lebe die Anarchie“, rief der Anarchist Nicola Sacco, während ihn die Justizbeamten im Staatsgefängnis von Charlestown an den elektrischen Stuhl banden, noch als letzte Worte aus.

Upton Sinclair und Howard Fast setzten den beiden aufrechten Arbeitern mit ihren Romanen „Bosten“ und „Sacco und Vanzetti. Eine Legende aus Neuengland“ jeweils literarische Denkmäler, Franz-Josef Degenhardt im deutschsprachigen Raum wiederum mit seinem nach ihnen benannten Song „Sacco und Vanzetti“. Nazim Hikmet widmete ihnen ein Gedicht. Und Ennio Morricone komponierte ihnen mit seinem, von Joan Baez gesungenen, Soundtrack zum 1971 erschienen Film „Here’s to You (Niccola and Bart)“ eine internationale Hymne.  

1977, genau 50 Jahre nach ihrer Hinrichtung, erfolgte durch den damaligen Gouverneur von Massachusetts, Michael S. Dukakis, ihre weitgehende Rehabilitierung. Die beiden seien augenscheinlich Opfer eines Justizmordes, da die Hingerichteten „keinen fairen Prozess hatten, weil Richter und Staatsanwalt voreingenommen gegen Ausländer und Dissidenten waren, weil im Prozess ein Klima politischer Hysterie geherrscht hat“. „Jede Stigmatisierung oder Entwürdigung ist damit für immer von den Namen Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti zu tilgen.“

Bild: Wikimedia Commons, Public Domain

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