Guatemala: Aufbruch in einen kurzen Frühling. Der 20. Oktober als Tag der Revolution von 1944

Wie alljährlich werden die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen auch heute wieder dem 20. Oktober, dem Tag der „Revolution von 1944“, gedenken, in der eine breite, machtvolle Protestbewegung und ein Generalstreik in Guatemala im Juni zunächst die Diktatur von General Jorge Ubico Castañeda hinwegfegte und nach einem bewaffneten Aufstand am 20. Oktober für eine kurze Phase den Weg zu einer antiimperialistisch-demokratischen Umgestaltung öffnete – bevor Washington die demokratische gewählte Regierung durch Jahrzehnte währende Militärdiktaturen US-amerikanischer Marionetten wegputschte.

Der 20. Oktober, der Tag der Revolution von 1944

1944 setzte eine machtvolle Volksbewegung und ein Generalstreik der 13jährigen Diktatur von General Jorge Ubico Castañeda ein Ende und übernahm ein antifaschistisches Militärkomitee als Revolutionsrat provisorisch die Macht von dem mit den Nazis paktierenden Ubico und leiteten die ersten freien Wahlen ein. Der Diktator selbst wurde bereits am 1. Juli 1944 durch einen Generalstreik und Massendemonstrationen zum Rücktritt gezwungen. Sein Nachfolger Federico Ponce Vaides konnte sich im Anschluss nur mehr für ein kurzes Intermezzo an der Macht halten und wurde im Zuge der bürgerlich-demokratischen, sogenannten zivil-militärischen Revolution am 20. Oktober 1944 in einem von der Volksbewegung mitgetragenen bewaffneten Aufstand gestürzt. Damit war das Ende der seit 1931 herrschenden Ubico-Diktatur endgültig besiegelt.

Der guatemaltekische Frühling unter Jacobo Árbenz

Unter der 1945 begonnenen Präsidentschaft von Juan José Arévalo und stärker noch unter dessen Nachfolger Jacobo Árbenz Guzman – der als junger antifaschistischer Oberst bereits dem Militärkomitee angehörte und in der Regierung Arévalo die Funktion des Verteidigungsministers bekleidete – begann ein Prozess der antiimperialistisch-demokratischen Umgestaltung des Landes, inkl. Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Der von seinen Anhängern nur beim Vornamen gerufene und ansonsten bloß Árbenz genannte konsequente Demokrat und unbestechliche Antiimperialist bürgerlicher Herkunft, wurde nach einem überwältigenden Wahlsieg im November 1950 am 15. März 1951 dann selbst Staats- und Regierungschef und vertiefte die Bestrebungen das Land zu reformieren weiter.

Árbenz politische und soziale Reformen ließen progressive und demokratische politische Parteien und Organisationen, sowie erstmals in der Geschichte Guatemalas freie Gewerkschaften zu, gestatteten den Aufbau der nationalen Vereinigung indigener Bauern, legalisierten die Kommunistische Partei und trachteten nach einer Beseitigung des Analphabetismus, einer umfassenden Sozialgesetzgebung, nahmen eine konsequente Landreform in Angriff und strebten nach einer größeren Selbständigkeit in der Außenpolitik von den USA.  

Die Agrarreform Árbenz‘ – das Herzstück seiner sozial-ökonomischen Reformbestrebungen

Das Herzstück seiner sozialen Reformbestrebungen bildete sicherlich die tiefgreifende Agrarreform zu Ungunsten der Großgrundbesitzer. In Guatemala herrschten die Großgrundbesitzer seinerzeit (noch) im Stile von Feudalherren. Ein beträchtlicher Teil des Landes befand sich darüber hinaus im Besitz der berüchtigten United Fruit Company. Sie kontrollierte zudem die Eisenbahn des Landes und besaß den einzigen Tiefwasserhafen, wodurch sie über den innerguatemaltekischen Transport- auch den internationalen Schiffsverkehr von und nach Guatemala weitgehend kontrollierte.

Árbenz Agrarreform war durchaus konsequent, aber gleichwohl nicht radikal konzipiert. Wer mehr als 90 Hektar Land besaß, aber mehr als ein Drittel davon nicht bewirtschaftete, konnte zum Verkauf der Brachfläche an den Staat gezwungen werden. Die Regierung zahlte dabei Entschädigungen in der Höhe jener Verkehrswerte die die Besitzer selbst gegenüber den einheimischen Steuerbehörden als Wert der Ländereien angegeben hatten. In anderthalb Jahren kam so rund 100.000 arme Familien zu 600.000 Hektar Grund und Boden, sowie Vieh, technische Hilfen und billigen Staatskrediten. Dass die Großgrundbesitzer mit zur Schau getragener Empörung höhere Entschädigungen verlangten, war insofern nochmals eine besondere Pikanterie, als sie genau zu den von ihnen selbst beim Fiskus deklarierter Wert der Ländereien entschädigt wurden.

Zum Ärgernis der United Fruit Company und der USA

Gut ein Viertel des umverteilten Bodens stammte allerdings aus dem nicht bewirtschafteten Besitz der berüchtigten United Fruit Company.Spätestens damit ging Árbenz in den Augen Washingtons und des US-Monopolkapitals eindeutig einen Schritt zu weit. Der in Mittelamerika auch „Grünes Ungeheuer“ genannte US-Agrarkonzern verlangte dazu das exakt 25-Fache für sein brachliegendes Bananenland als Entschädigung. Die Ablösesumme der Regierung entsprach indes ebenfalls genau jenem Betrag, den der Konzern zwei Jahre davor selbst den Behörden als Wert der Ländereien angegeben hatte. Jetzt erklärte die United Fruit Company, Washington hinter sich wissend, aber, der Betrag sei völlig unzumutbar. Begleitend war den USA auch der beanspruchte unabhängigere außenpolitische Kurs des mittelamerikanischen Landes in ihrem „Hinterhof“ ein nicht hinzunehmender Dorn im Auge. Chef der CIA war mit Allen Dulles zudem ein ehemaliger Direktor und Aktionär des Bananenmonopolisten. Außenminister, mit seinem Bruder John Forster Dulles, wiederum der ehemalige Hausanwalt des Konzerns aus der auf Auslandsgeschäfte spezialisierten Wirtschaftsanwaltskanzlei „Sullivan & Cromwell“, der in den Jahren 1930 bis 1936 auch die Entwürfe der imperialen, ungleichen Verträge der United Fruit Company mit Guatemala formuliert hatte. 

Operation „PB-Fortune und „PB-Success”

Für die USA und die einheimische Reaktion war dies Anlass genug, um das Gespenst einer „Sowjetisierung“ Guatemalas und einer „kommunistischen Bedrohung“ Mittelamerikas heraufzubeschwören. Im Sommer 1953parallel zur Operation „Ajax“ zum Sturz Mossadeghs im Iran, der festgefahrenen Front im Korea-Krieg und der aufkeimenden Hoffnung Washingtons in Bälde Frankreich in Vietnam und Indochina beerben zu könnenentschied das Weiße Haus den Sturz der Regierung Árbenz. Ausgestattet mit dem bis dahin höchsten Etat zum Staatsstreich gegen eine ausländische Regierung, liefen die Operationen „PB-Fortune“ und „PB-Success“ an. US-Botschafter Peurifoy, der wenige Jahre davor bereits eine ebenso schäbige wie maßgebliche Rolle bei der Niederschlagung der griechischen Volksbewegung innehatte, kündigte daraufhin bereits im Jänner 1954 Journalisten gegenüber an, die USA könnten sich gezwungen sehen „Maßnahmen (zu ergreifen)“, „um zu verhindern, dass Guatemala in den Bannkreis des internationalen Kommunismus gerät“. Kurz darauf rief US-Außenminister John Forster Dulles auf einer Tagung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), mit Hauptsitz in Washington D.C., diese dazu auf, Guatemala als „nicht tolerierbaren kommunistischen Brückenkopf in der westlichen Hemisphäre“ zu verurteilen. Der Kongressabgeordnete John McCormack schöpfte gleich überhaupt aus dem Vollen und schwadronierte von „einer Atombombe in einem Winkel unseres Hinterhofs“.

Ein ‚links-bürgerlicher‘ „Marxist-Leninist“? –  und das Gespenst der „Sowjetisierung“

Den entschiedenen links-bürgerlichen Demokraten und konsequenter Antiimperialisten Árbenz ‚stempelte‘ Dulles im Koordinatensystem des politischen Deliriums der USA gleich zum „Marxisten-Leninisten“ und erklärte ihn damit in den Augen Washingtons für vogelfrei. Für einen solchen konnte ihn indes nur halten, wer Alphabetisierung, Sozialgesetzgebung, eine gerechtere Verteilung von Grund und Boden, Selbstbestimmung im Inneren und Souveränität nach außen, gar außenpolitische Blockfreiheit oder Neutralität für eine Erfindung oder ein Gift Moskaus hielt. Oder wer den Umstand, dass Árbenz auch einzelne Kommunisten, der – wie die CIA wusste, kaum 500 verstreute Mitglieder zählenden – Guatemaltekischen Partei der Arbeit (PGT) in seinem Beraterstab hatte, für ein unbestechliches Indiz einer „kommunistischen Bedrohung“ Mittelamerikas durch einen „Brückenkopf“ Moskaus hielt. Selbst wenn sich die Sowjetunion bar damaliger außenpolitischer Interessenslage noch nicht einmal um diplomatische Kontakte mit der Árbenz-Regierung, ganz zu schweigen von einem wirtschaftlichen oder gar militärischen Austausch bemühte und auch die KP-Guatemalas bis dahin noch nie eine Delegation nach Moskau entsandt hatte (was nicht allein an ihre Zerschlagung 1932 unter der Ubico-Diktatur lag).

Politische Flurbereinigung im US-amerikanischen ordnungspolitischen Verständnis

Für die USA zählte denn auch vielmehr schon allein der gegen das US-Gewohnheitsrecht der Monroe-Doktrin von 1823 verstoßende Unabhängigkeits- und Souveränitätswillen Árbenz‘ in ihrem „Hinterhof“, sowie dessen „Anmaßung“, wenn auch mitnichten Kampfansage, am US-Lebensmittelriesen United Fruit Company auch nur zu kratzen. Entsprechend wurde die „Firma“ vom Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten denn auch explizit mit einem Umsturz in der mittelamerikanischen Republik unter Leitung ihres Vize-Direktors Frank Wisner betraut. Für Präsident Dwight D. Eisenhower und die herrschenden Kreise in „God’s Own Country“ mit „auf dem Spiel“ ihres imperialistischen Ordnungsverständnis stand dem Nationalen Sicherheitsausschuss zufolge, die lückenlose „Unterstützung der Hemisphäre … unserer weltpolitischen Ziele“.

Der CIA-orchestrierte Militärputsch 1954

Im Juni 1954 putschte dann eine unter Führung des gekauften guatemaltekischen Oberst Castillo Armas (einem Absolventen der US-Generalstabsschule Ford Leavenworth) stehende Söldnertruppe – gesponsert, orchestriert und mit tatkräftiger Unterstützung der CIA, der US-Marine (die eine Seeblockade verhängte) und von US-amerikanischen Piloten geflogenen unmarkierten Kampfflugzeugen. Nach anfänglich erheblichem Widerstand gegen die über die Grenze einsickernde Invasionstruppe und herben Verlusten unter den Putschisten, erlahmte der Widerstand der im Grunde loyalen – aber vielfach unter Befehl von den USA gekaufter hoher Offiziere und Oberkommandierender stehenden – Armee zunehmend und kam schließlich ganz zum Erliegen. Zu guter Letzt kapitulierte der Generalstab als solcher vor dem immer stärkerem US-amerikanischen Druck und enthoben Árbenz am 27. Juni 1954 seines Amtes. Selbst hinsichtlich der „eigenen“, favorisierten Marionette als Nachfolger streckte man nach einer Standpauke Langleys die Waffen und schwenkte mit auf Washingtons Wunschkandidaten Castillo Armas ein. Am 8. Juli wurde der gedungene Söldneroberst Armas schließlich als Präsident von Washingtons Gnaden eingesetzt.

Árbenz denkwürdige Abschiedsrede an die Bevölkerung Guatemalas

Bevor Árbenz zum Weichen vor den CIA-Schergen gezwungen wurde, wandte er sich nochmals mit einer denkwürdigen Rede an das guatemaltekische Volk: „Gegen Guatemala wird ein barbarischer Krieg geführt. Die United Fruit und die Regierung der Vereinigten Staaten benutzen den Vorwand des Antikommunismus. Doch die Wahrheit sieht anders aus: Sie muss in den Profitinteressen der USA-Monopole gesucht werden, die überall Berge von Geld investiert haben und fürchten, andere lateinamerikanische Länder könnten dem Beispiel Guatemalas folgen.“ Allerdings konnte niemand oder kaum jemand mehr Árbenz Rücktrittsrede hören, da die CIA mit Störsendern den staatlichen Rundfunk blockierte. Dafür sendete die von den Vereinigten Staaten in Florida, an der Grenze zu Guatemala und in der US-Botschaft installierte „Stimme der Freiheit“ unter der Regie von PR-Spezialisten Langleys lautstark ihre Propagandameldungen und Desinformationen durchs Land. Die von CIA-Agenten quer durch Guatemala versteckten Waffen sowjetischer Bauart, gedacht um sie nach der „Befreiung“ als Beweis einer „kommunistischen Bedrohung“ Mittelamerikas zu „entdecken“, spielten da bereits keine Rolle mehr.

Konterrevolution und jahrzehntelange Militärdiktatur(en)

Nach einem lediglich zehnjährigen guatemaltekischen Frühling war der Versuch einer antiimperialistischen Umwälzung und des Aufbaus eines demokratischen, sozial gerechteren und außenpolitisch souveränen Guatemala bereits wieder im Keim erstickt. Der US-Günstling Castillo Armas beeilte sich nach dem Staatsstreich sogleich die revolutionären Errungenschaften zu zerschlagen und auszuradieren. Seine erste Amtshandlung bestand in der Rückgängigmachung der Agrarreform und der „Wiedereinsetzung der United Fruit Company in ihre Rechte“. Die Landbevölkerung wurde von ihren Parzellen vertrieben und das Land wieder an die alten Latifundistas sowie die United Fruit Company übergeben. Tausende fielen „antikommunistischen Säuberungen“ zum Opfer, oder was Washington und Armas unter KommunistInnen verstanden. Die Gewerkschaften, progressiven und demokratischen Parteien und Organisationen wurden wieder in die Illegalität gedrängt. Ein zügelloser Terror gegen sämtliche demokratischen Kräfte rollte durchs Land. Die nationalen Reichtümer wurden noch forcierter an US-Monopole (die ohnedies bereits auch die Elektrizitätswerke und Telefongesellschaften kontrollierten) ausverkauft. Das Land durchlebte daraufhin jahrzehntelange aufeinanderfolgende US-unterstützte Militärdiktaturen und -Putsche, einen 36jährigen Bürgerkrieg 1960 bis 1996 mit seinem blutigen Höhepunkt in den 1980er: dem genozidalen Massaker an den Indígenas.

Völkermord unterm Sternenbanner

Unter dem abermals von Washington und seinen US-Militärberatern unterstützten Putsch-Regime Ríos Montt 1982/83 entfesselte ihr neuer Schützling dann seine regelrechten Massaker und seine Genozid-Politik. In diesen Jahren weitete die guatemaltekische Militärdiktatur ihren schmutzigen Krieg gegen die 1982 zur „Guatemaltekischen Revolutionären Nationalen Einheit“ (URNG) vereinigten Guerilla, in einen einzigen Blutrausch und einen systematischen Völkermord im Hochland Guatemalas aus. Ganze indigene Landstriche, für Montt einzig Verdächtige die Guerilla zu unterstützen, wurden flächendeckend aus der Luft bombardiert, Frauen reihenweise vergewaltigt, Schwangeren von Soldaten die Bäuche aufgeschlitzt und die Föten herausgerissen und zerstückelt.  

Während Zehntausende Indígenas und Kleinbauern und Kleinbäuerinnen diesem Gemetzel und Genozid zum Opfer fielen und Hunderttausende in andere Länder und in entlegenere Gebiete Guatemalas flohen, und die Ermordung Oppositioneller und Gewerkschafter an der Tagesordnung war, nannte sein Washingtoner Regent Ronald Reagan den Schlächter Montt einen Mann „großer persönlicher Integrität und Einsatzbereitschaft“ – gegen die Linke, den Kommunismus und deren subalterne und indigene soziale Basis und AktivistInnen im Hochland – der „zu Unrecht einen schlechten Ruf wegen Menschenrechtsverletzungen“ habe.

Nach Schätzungen, sowie eines nach Ende des Bürgerkriegs veröffentlichten Untersuchungsberichts, forderte der gesamte Bürgerkrieg 250.000 Todesopfer, zählte 45.000 sogenannte ‚Verschwundene‘ und vertrieb 1,4 Millionen Anwohner – die Mehrzahl davon in den Jahren 1982/1983 unter der Junta von Ríos Montt. Nach Friedensschluss in Angriff genommene offizielle guatemaltekische Untersuchungen machen für 93% der Verbrechen die Regierung verantwortlich, nur für 3% die Guerilla und für 4% andere Gruppen.

1996, die Hochzeit der bewaffneten Kämpfe in Lateinamerika war schon des längeren vorbei, endete der Bürgerkrieg mit einem Friedensabkommen zwischen der URNG und der Regierung Guatemalas. Obschon die Verbrechen der guatemaltekischen Eliten, der USA, der Militärs, Paramilitärs und Todesschwadronen trotz genanntem Untersuchungsbericht nie wirklich aufgearbeitet wurden, kamen auch Gerichte nicht umhin, die Massaker der Jahre 1982 und 1983 als Völkermord einzustufen. Guatemala verzeichnete den größten Aderlass des Subkontinents in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Der Schlachtruf Fidel und Che’s: Kuba ist nicht Guatemala!

Vor diesem Hintergrund wird wohl auch erst richtig verständlich, was Fidel Castro und Che Guevara vor ihren geistigen Augen stand, als sie Washington nur wenige Jahre später ein entschlossenes „Wir sind nicht Guatemala!“ entgegenschleuderten.

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