Der 20. Oktober, Tag der Revolution von 1944 – und deren lehrbuchgleiche Ausmerzung I
Nach dem überraschenden Wahlsieg des progressiven Kandidaten Bernardo Arévalo – Sohn des geschichtsträchtigen Präsidenten Juan José Arévalo und unmittelbarem Vorgänger Árbenz‘ – bei den Präsidentschaftswahlen im August, tobt in Guatemala ein von den alten Eliten und ihrer willfährigen Justiz entfachter Staatsstreichversuch gegen dessen Amtseinführung. Beträchtliche Teile der Bevölkerung, insbesondere die indigene Landbevölkerung und die ArbeiterInnen Guatemalas, antworten auf den versuchten ‚justiziellen Putsch‘ seit Wochen quer durchs Land mit Blockaden, Demonstration und Solidaritätsaktivitäten. Die Polizei und Spezialeinheiten der Exekutive rücken den Protesten vielfach brutal zu Leibe und zunehmend greifen auch bewaffnete Schergen die Blockaden an.
Vor diesem Hintergrund werden, wie alljährlich, am heutigen 20. Oktober die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen dem 20. Oktober, dem Tag der „Revolution von 1944“, gedenken, in der eine breite, machtvolle Protestbewegung und ein Generalstreik in Guatemala im Juni zunächst die Diktatur von General Jorge Ubico Castañeda hinwegfegte und nach einem bewaffneten Aufstand am 20. Oktober für eine kurze Phase den Weg zu einer antiimperialistisch-demokratischen Umgestaltung öffnete – bevor Washington die demokratische gewählte Regierung durch Jahrzehnte währende Militärdiktaturen US-amerikanischer Marionetten wegputschte und in deren Anschluss ein ebenso reaktionäres wie korruptes Erbe hinterließ. Und wiewohl dem gemäßigten Bernardo Arévalo sowohl die Fußstapfen seines Vaters, gar jene Jacobo Árbenz, um Nummern zu groß sind, seien anlässlich des historischen Jahrestages und dem ein Jahrzehnt darauf folgenden, und wesentliche Weichenstellung in der Geschichte des Lands markierenden, US-Putsch, neuerlich der kurze guatemaltekische Frühling und dessen blutige Ausmerzung unter dem Sternenbanner in Erinnerung gerufen. Da vor dem Hintergrund der mehrfach aktuellen Brisanz nochmals etwas ausführlicher als zum letzten Jahrestag, in zwei Teilen.
Der 20. Oktober, der Tag der Revolution von 1944
1944 setzte eine machtvolle Volksbewegung und ein Generalstreik der 13jährigen Diktatur von General Jorge Ubico Castañeda ein Ende und übernahm ein antifaschistisches Militärkomitee als Revolutionsrat provisorisch die Macht von dem mit den Nazis paktierenden Ubico und leiteten die ersten freien Wahlen ein. Der Diktator selbst wurde bereits am 1. Juli 1944 durch einen Generalstreik und Massendemonstrationen zum Rücktritt gezwungen. Sein Nachfolger Federico Ponce Vaides konnte sich im Anschluss nur mehr für ein kurzes Intermezzo an der Macht halten und wurde im Zuge der bürgerlich-demokratischen, sogenannten zivil-militärischen Revolution am 20. Oktober 1944 in einem von der Volksbewegung mitgetragenen bewaffneten Aufstand gestürzt. Damit war das Ende der seit 1931 herrschenden Ubico-Diktatur endgültig besiegelt.
Der guatemaltekische Frühling unter Jacobo Árbenz
Unter der 1945 begonnenen Präsidentschaft von Juan José Arévalo und stärker noch unter dessen Nachfolger Jacobo Árbenz Guzman – der als junger antifaschistischer Oberst bereits dem Militärkomitee angehörte und in der Regierung Arévalo die Funktion des Verteidigungsministers bekleidete – begann ein Prozess der antiimperialistisch-demokratischen Umgestaltung des Landes, inkl. Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Der von seinen Anhängern nur beim Vornamen gerufene und ansonsten bloß Árbenz genannte konsequente Demokrat und unbestechliche Antiimperialist bürgerlicher Herkunft, wurde nach einem überwältigenden Wahlsieg im November 1950 am 15. März 1951 dann selbst Staats- und Regierungschef und vertiefte die Bestrebungen das Land zu reformieren weiter.
Árbenz politische und soziale Reformen ließen progressive und demokratische politische Parteien und Organisationen, sowie erstmals in der Geschichte Guatemalas freie Gewerkschaften zu, gestatteten den Aufbau der nationalen Vereinigung indigener Bauern, legalisierten die Kommunistische Partei und trachteten nach einer Beseitigung des Analphabetismus, einer umfassenden Sozialgesetzgebung, nahmen eine konsequente Landreform in Angriff und strebten nach einer größeren Selbständigkeit in der Außenpolitik von den USA.
Die Agrarreform Árbenz‘ – das Herzstück seiner sozial-ökonomischen Reformbestrebungen
Das Herzstück seiner sozialen Reformbestrebungen bildete sicherlich die tiefgreifende Agrarreform zu Ungunsten der Großgrundbesitzer. In Guatemala herrschten die Großgrundbesitzer seinerzeit (noch) im Stile von Feudalherren. Ein beträchtlicher Teil des Landes befand sich darüber hinaus im Besitz der berüchtigten United Fruit Company. Sie kontrollierte zudem die Eisenbahn des Landes und besaß den einzigen Tiefwasserhafen, wodurch sie über den innerguatemaltekischen Transport- auch den internationalen Schiffsverkehr von und nach Guatemala weitgehend kontrollierte.
Árbenz Agrarreform war durchaus konsequent, aber gleichwohl nicht radikal konzipiert. Wer mehr als 90 Hektar Land besaß, aber mehr als ein Drittel davon nicht bewirtschaftete, konnte zum Verkauf der Brachfläche an den Staat gezwungen werden. Die Regierung zahlte dabei Entschädigungen in der Höhe jener Verkehrswerte die die Besitzer selbst gegenüber den einheimischen Steuerbehörden als Wert der Ländereien angegeben hatten. In anderthalb Jahren kam so rund 100.000 arme Familien zu 600.000 Hektar Grund und Boden, sowie Vieh, technische Hilfen und billigen Staatskrediten. Dass die Großgrundbesitzer mit zur Schau getragener Empörung höhere Entschädigungen verlangten, war insofern nochmals eine besondere Pikanterie, als sie genau zu den von ihnen selbst beim Fiskus deklarierter Wert der Ländereien entschädigt wurden.
Zum Ärgernis der United Fruit Company und der USA
Gut ein Viertel des umverteilten Bodens stammte allerdings aus dem nicht bewirtschafteten Besitz der berüchtigten United Fruit Company.Spätestens damit ging Árbenz in den Augen Washingtons und des US-Monopolkapitals eindeutig einen Schritt zu weit. Der in Mittelamerika auch „Grünes Ungeheuer“ genannte US-Agrarkonzern verlangte dazu das exakt 25-Fache für sein brachliegendes Bananenland als Entschädigung. Die Ablösesumme der Regierung entsprach indes ebenfalls genau jenem Betrag, den der Konzern zwei Jahre davor selbst den Behörden als Wert der Ländereien angegeben hatte. Jetzt erklärte die United Fruit Company, Washington hinter sich wissend, aber, der Betrag sei völlig unzumutbar. Begleitend war den USA auch der beanspruchte unabhängigere außenpolitische Kurs des mittelamerikanischen Landes in ihrem „Hinterhof“ ein nicht hinzunehmender Dorn im Auge. Chef der CIA war mit Allen Dulles zudem ein ehemaliger Direktor und Aktionär des Bananenmonopolisten. Außenminister, mit seinem Bruder John Forster Dulles, wiederum der ehemalige Hausanwalt des Konzerns aus der auf Auslandsgeschäfte spezialisierten Wirtschaftsanwaltskanzlei „Sullivan & Cromwell“, der in den Jahren 1930 bis 1936 auch die Entwürfe der imperialen, ungleichen Verträge der United Fruit Company mit Guatemala formuliert hatte.
Ein zudem ausnehmender Filz aus Geopolitik und Eigeninteresse
Aber nicht ‚nur‘ CIA-Direkter Allen Dulles und Außenminister John Forster Dulles waren in das Geschehen Guatemalas ebenso mit Eigeninteressen verfilzt. Auch John Moors Cabot (Dulles‘ stellvertretender Außenminister für interamerikanische Angelegenheiten) und Thomas Dudley Cabot (Dulles‘ Direktor für internationale Sicherheitsangelegenheiten) zählten zu den größten Aktionären am „Grünen Ungeheuer“ Louisianas. US-Präsident Dwight D. Eisenhowers persönliche Sekretärin, Ann Whitman, wiederum war die Gattin des PR-Direktors der United Fruit. Und mit Walter Bedell „Beetle“ Smith wurde nach Beseitigung Árbenz schließlich ein ehemaliger CIA-Direktor und Stellvertreter John Forster Dulles‘ im Außenministerium neuer Präsident des Agrarmultis.
Operation „PB-Fortune und „PB-Success”
Für die USA und die einheimische Reaktion war dies Anlass genug, um das Gespenst einer „Sowjetisierung“ Guatemalas und einer „kommunistischen Bedrohung“ Mittelamerikas heraufzubeschwören. Im Sommer 1953 – parallel zur Operation „Ajax“ zum Sturz Mossadeghs im Iran, der festgefahrenen Front im Korea-Krieg und der aufkeimenden Hoffnung Washingtons in Bälde Frankreich in Vietnam und Indochina beerben zu können – entschied das Weiße Haus den Sturz der Regierung Árbenz. Ausgestattet mit dem bis dahin höchsten Etat zum Staatsstreich gegen eine ausländische Regierung, liefen die Operationen „PB-Fortune“ und „PB-Success“ an. General James Doolittle schrieb seinem alten Armeekumpel Eisenhower hinsichtlich der auf den Weg gebrachten CIA-Operationen: „In einem solchen Spiel gibt es keine Regeln.“ Ja, deutlicher und skrupelloser noch: „Bisher akzeptable Normen menschlichen Verhaltens gelten nicht.“ US-Botschafter John Peurifoy, der wenige Jahre davor bereits eine ebenso schäbige wie maßgebliche Rolle bei der Niederschlagung der griechischen Volksbewegung innehatte, kündigte daraufhin bereits im Jänner 1954 Journalisten gegenüber an, die USA könnten sich gezwungen sehen „Maßnahmen (zu ergreifen)“, „um zu verhindern, dass Guatemala in den Bannkreis des internationalen Kommunismus gerät“. Kurz darauf rief US-Außenminister John Forster Dulles auf einer Tagung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), mit Hauptsitz in Washington D.C., diese dazu auf, Guatemala als „nicht tolerierbaren kommunistischen Brückenkopf in der westlichen Hemisphäre“ zu verurteilen. Der Kongressabgeordnete John McCormack schöpfte gleich überhaupt aus dem Vollen und schwadronierte von „einer Atombombe in einem Winkel unseres Hinterhofs“.
Ein ‚links-bürgerlicher‘ „Marxist-Leninist“? – und das Gespenst der „Sowjetisierung“
Den entschiedenen links-bürgerlichen Demokraten und konsequenter Antiimperialisten Árbenz ‚stempelte‘ Dulles im Koordinatensystem des politischen Deliriums der USA gleich zum „Marxisten-Leninisten“ und erklärte ihn damit in den Augen Washingtons für vogelfrei. Für einen solchen konnte ihn indes nur halten, wer Alphabetisierung, Sozialgesetzgebung, eine gerechtere Verteilung von Grund und Boden, Selbstbestimmung im Inneren und Souveränität nach außen, gar außenpolitische Blockfreiheit oder Neutralität für eine Erfindung oder ein Gift Moskaus hielt. Oder wer den Umstand, dass Árbenz auch einzelne Kommunisten, der – wie die CIA wusste, kaum 500 verstreute Mitglieder zählenden – Guatemaltekischen Partei der Arbeit (PGT) in seinem Beraterstab hatte, für ein unbestechliches Indiz einer „kommunistischen Bedrohung“ Mittelamerikas durch einen „Brückenkopf“ Moskaus hielt. Selbst wenn sich die Sowjetunion bar damaliger außenpolitischer Interessenslage noch nicht einmal um diplomatische Kontakte mit der Árbenz-Regierung, ganz zu schweigen von einem wirtschaftlichen oder gar militärischen Austausch bemühte und auch die KP-Guatemalas – die lediglich 4 Sitze im 61-köpfigen Kongress und nicht im Kabinett war – bis dahin noch nie eine Delegation nach Moskau entsandt hatte (was nicht allein an ihre Zerschlagung 1932 unter der Ubico-Diktatur lag).
Politische Flurbereinigung im US-amerikanischen ordnungspolitischen Verständnis
Für die USA zählte denn auch vielmehr schon allein der gegen das US-Gewohnheitsrecht der Monroe-Doktrin von 1823 verstoßende Unabhängigkeits- und Souveränitätswillen Árbenz‘ in ihrem „Hinterhof“, sowie dessen „Anmaßung“, wenn auch mitnichten Kampfansage, am US-Lebensmittelriesen United Fruit Company auch nur zu kratzen. Entsprechend wurde die „Firma“ vom Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten denn auch explizit mit einem Umsturz in der mittelamerikanischen Republik unter Leitung ihres Vize-Direktors Frank Wisner betraut. Für Präsident Dwight D. Eisenhower und die herrschenden Kreise in „God’s Own Country“ mit „auf dem Spiel“ ihres imperialistischen Ordnungsverständnis stand dem Nationalen Sicherheitsausschuss zufolge, die lückenlose „Unterstützung der Hemisphäre … unserer weltpolitischen Ziele“.