Das Ruder herumreißen: die soziale und ökologische Wende schaffen!

Vom 31. Oktober bis 12. November tagt in Glasgow zum 26. Mal die „Conference of Parties“ (COP26), also jene 197 Staaten, die sich den Klimaverträgen der Vereinten Nationen verpflichten. Unmittelbar erwartet werden 120 Staats- und Regierungschefs sowie rund 25.000 Delegierte.

Bei der COP26 sollen umstrittene offene Punkte geklärt werden, etwa die Finanzierung des Klimaschutzes durch reichere Staaten, der Zeitrahmen für Überprüfungen von Klimaschutzmaßnahmen oder technische Details zum globalen Emissionshandel. Das diesbezügliche Regelwerk soll in Glasgow fertiggestellt werden. Während die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Europa in einer Vorreiterrolle sieht und gerne andere Staaten zum Handeln auffordert, sieht das europäische Klimabündnis CAN auch die EU in der Pflicht, nicht herumzusitzen und abzuwarten. Reinhard Steurer, Klimapolitikexperte an der Universität für Bodenkultur Wien, fordert sogar einen dramatischen Kurswechsel in der Klimapolitik: „Man feilt noch immer an kleinen Details eines Feuerlöschplans, während die Hütte brennt.“

Mehr denn je konkrete Taten statt leerer Worte gefragt

Seit der ersten Konferenz 1955 in Berlin wurde viel verhandelt: Ziele wurden gesetzt, die Begrenzung der Erdererhitzung auf höchstens +2°C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter und nach Möglichkeit auf weniger als +1,5°C zu beschränken, Treibhausgas-Reduktionspfade wurden beschlossen. Die Staatengemeinschaft und damit in letzter Konsequenz die unmittelbar für die Umsetzung verantwortlichen Einzelstaaten hinken hinter den gebetsmühlenartig dargebotenen Lippenbekenntnissen allerdings weit hinterher. Auch in Österreich zeigen sich trotz (beinahe) allseitiger Bekenntnisse zum Klimaschutz kaum Handlungen und Entscheidungen, die eine Erreichung der Klimaziele realistisch erscheinen lassen. So ist zwar beispielsweise das Klimaticket nach zähen Verhandlungen endlich auf Schiene, gleichzeitig wird die Verkehrswende aber durch den weiteren Bau von Autobahnen statt öffentlicher Verkehrsmittel entgegen aller Expertenmeinungen torpediert, wie beim Projekt Stadtstraße/Lobautunnel oder bei der dritten Linzer Donaubrücke.

Quelle: lobaubleibt.at

Die Internationale Energieagentur (IEA) bringt es diesbezüglich auf den Punkt (S. 29): Die Zahl der Länder, die sich dem Ziel der Klimaneutralität verpflichtet, ist in den letzten Jahren zwar rapide gestiegen und umfasst rund 70% der weltweiten CO2-Emissionen. Die getätigten Zusagen zur Reduktion der Treibhausgase reichen aber bei weitem nicht aus und würden die jährlichen energiebezogenen und industriellen CO2-Emissionen bis 2050 nur um etwas mehr als ein Drittel von 34 auf 22 Gigatonnen senken. Die gesamten vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen belaufen sich derzeit auf 42 Gigatonnen CO2-Äquivalente (CO2e, inklusive Methan, Lachgas etc.) pro Jahr. Darüber hinaus sind weniger als ein Viertel der für Klimaneutralität zugesagten Reduktionen derzeit in Gesetzen fixiert und nur wenige davon durch spezifische Maßnahmen oder Politikinstrumente untermauert, um sie vollständig und zeitgerecht umzusetzen. Das spiegelt sich auch in Einschätzungen zur bevorstehenden COP26 wider. So meinte etwa der britische Konferenzpräsident Alok Sharma: „Es war brillant, was sie in Paris gemacht haben, [aber] viele der detaillierten Regeln wurden für die Zukunft aufgeschoben“.

Wachstumsorientierung und Entkoppelung vom Energieverbrauch?

Entsprechend dem EU Green New Deal setzt auch die IEA auf weiteres Wirtschaftswachstum. Anstatt rein auf Wettbewerbsfähigkeit und Standortsicherung zu orientieren, bringt die IEA aber zumindest gewisse entwicklungspolitische Grundpfeiler ein. So sollen alle Menschen mit Strom versorgt werden und Schwellen- und v.a. Entwicklungsländern höhere verbleibende Treibhausgasbudgets und längere Übergangsfristen zugestanden werden. Der weitreichendste Unterschied zur EU-Strategie ist jedoch, dass alle Länder zusammenarbeiten sollen, um weltweit Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Dazu sollen sich alle Länder am Prozess beteiligen, in effektiver und gegenseitig nützlicher Art zusammenarbeiten, die verschiedenen Stufen wirtschaftlicher Entwicklung anerkennen und eine gerechte Transformation sicherstellen. (IEA, Net Zero by 2050, S. 50)

Um an der für das kapitalistische Wirtschaftssystem lebensnotwendigen Wachstumsorientierung festhalten zu können, wäre neben der vollständigen Umstellung der Energiebasis auf erneuerbare und klimaneutrale Energiequellen auch eine absolute Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch von Nöten. Die IEA zeichnet unter der Annahme eines 50:50 Klimaszenarios, d.h. dass die Klimaziele mit den eingeplanten verbleibenden Treibhausgasemissionen zu 50 % nicht erreicht werden, einen Weg hin zu vermeintlicher Klimaneutralität bis 2050.

Je nach Ansicht kann das Heranziehen dieses Klimaszenarios für die Planung der Zukunftsperspektiven der Menschheit als äußerst optimistisch bis grob fahrlässig eingestuft werden. Um selbst in diesem (unrealistischen) Szenario die Klimakatastrophe abwenden zu können, müssten laut IEA u.a. jährliche Energieeffizienzsteigerung von 4% bis 2030 erzielt werden (ca. die dreifache Durchschnittsrate der letzten zwei Jahrzehnte) und der jährliche Ausbau der Solar- und Windenergie das Vierfache des Rekordjahres 2020 erreichen – das entspricht einer täglichen Montage des gegenwärtig weltweit größten Solarparks, bei entsprechendem Rohstoffbedarf. Wasserstoff und Kernenergie stellen für die IEA eine wesentliche Grundlage der Energiewende dar. Der gezeichnete (grob fahrlässige) Reduktionspfad der IEA würde sich bis 2030 aus 3% Verhaltensänderungen, 82% Technologien am Markt und 15% Technologien in Entwicklung zusammensetzen. D.h. trotz ambitionierter Annahmen über Energieeffizienzsteigerungen und Erneuerbarenausbau reichen die der Menschheit gegenwärtig zur Verfügung stehenden Technologien bei weitem nicht aus, um den Reduktionspfad mit grünem Wachstum in Einklang zu bringen. Bis 2050 erhöht sich der Anteil nicht entsprechend anwendbarer bzw. erst zu entwickelnder Technologien sogar auf fast die Hälfte (46%). Um die Klimaziele zu erreichen, muss der Energieverbrauch daher entsprechend gesenkt und das Märchen vom grünen Kapitalismus verworfen werden.

Quelle: IEA, Net Zero by 2050, S. 16

Neben dem fast blinden Vertrauen auf Technologien, die der Menschheit nicht bzw. zumindest noch nicht in notwendigem Umfang zur Verfügung stehen, wird zunehmend auch das Entziehen von CO2 aus der Atmosphäre mit anschließender Bindung, unterirdischer Speicherung oder Wiederverwendung in chemischen Prozessen als Lösungsansatz eingebracht (CCS bzw. CCUS). Diese Verfahren sind mit enormen Problemen behaftet, etwa wie sichergestellt werden kann, dass unterirdisch gespeichertes CO2 nicht wieder entweichen kann. Darüber hinaus vergeht vermutlich noch ein halbes Jahrhundert bis die CCS- bzw. CCUS-Technologie im großen, klimarelevanten Stil einsetzbar ist, schätzt Mark Lawrence vom IASS Potsdam. Auch Geoengineering soll menschliche Versäumnisse der Vergangenheit und Gegenwart ausbügeln helfen, etwa durch Ausbringung von Aerosolen in die Atmosphäre, um Sonnenlicht ins All zu reflektieren.  Abgesehen davon, dass für diese Hochrisikotechnologie nur Ideen und Modelle, keine Experimente oder größere Tests existieren, könnten durch ihre Anwendung Niederschlagsmuster oder Wetterphänomene verändert und Naturkatastrophen hervorrufen werden. Obwohl die Entwicklung und Anwendung sicherer Technologien für die Bekämpfung der Klimakrise unumstritten einen wesentlichen Beitrag leisten muss, darf sich die Menschheit nicht in der Hoffnung auf technologische Wunderlösungen aufgeben!

Die reichsten Länder müssen im Klimaschutz vorangehen

Für abermalige Sonntagsreden und Lippenbekenntnisse bleibt keine Zeit! Die CO2-Uhr tickt. Verringern wir unsere Treibhausgasemissionen nicht unmittelbar und entschieden, ist die Begrenzung der Erderhitzung auf +1,5°C in spätestens 7 Jahren, 8 Monaten und 22 Tagen (Stand 29.10.2021) Geschichte. Wird die Klimakrise nicht bekämpft, nehmen Wetterextreme (Trockenheit, Dürren, Hitzewellen, Starkregen, Überschwemmungen und Stürme) sowohl in ihrer Häufig- und Heftigkeit drastisch zu. Mit der Überschreitung von Kipppunkten des Klimasystems droht die Klimakrise darüber hinaus zum Selbstläufer zu werden.

Abhängig von unserem jetzigen und künftigen Handeln – gesellschaftlich und persönlich – wird die Erhitzung der Erde in einem bewältigbaren Ausmaß bleiben oder sich in heftigen Störungen bis hin zur Zerstörung von Umwelt und menschlichen Lebensgrundlagen niederschlagen. Im schlimmsten Fall werden weite Teile unseres Planeten schlicht unbewohnbar, mit entsprechenden Hunger- und Migrationskrisen sowie (gewaltsamen) Konflikten um die verbleibenden Nischen menschlicher Zivilisation. Noch aber ist die Wende zu schaffen, wenn endlich entschieden gehandelt wird! Auch wenn jahrzehntelanges Zögern bis hin zu Untätigkeit politischer Entscheidungsträger die Profitinteressen v.a. fossiler Konzerne geschützt sowie allgemeine kapitalistische Verwertungsinteressen über allgemeine Menschheitsinteressen gesetzt hat, inklusive zunehmend kurzlebiger und umweltschädlicher Massenkonsumorientierung.

Um die Erderhitzung zu stoppen müssen wir ein klimaneutrales Emissionsniveau erreichen. Für Österreich bedeutet das eine Verringerung der produktionsbasierten Treibhausgasemissionen auf 5 bis 10 Prozent des derzeitigen Niveaus. Davon sind wir Lichtjahre entfernt, aber die Beschränkung der Erderhitzung ist nicht nur absolut notwendig, sondern nach wie vor möglich. Dafür gilt es zu kämpfen und den vielen Worten endlich entsprechende Taten folgen zu lassen!

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