Heute vor 75 Jahren, am 10. Dezember 1948, erfolgte die Erklärung der Menschenrechte. Bereits Art.1 der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 bezeichnet als deren erstes Ziel die Erhaltung des Weltfriedens und setzt auch die Förderung der Menschenrechte in einen wechselseitigen Zusammenhang damit. Mit ihrer am 24. Oktober 1945 in Kraft getretenen Satzung, erweiterte die UNO zudem das Kriegsverbot zu einem allgemeinen Gewaltverbot.
So reizvoll es anlässlich dieses Jubiläums auch wäre, der Früh- und Vorgeschichte der Menschenrechte wie auch des Anspruchs auf Frieden nachzuspüren, die Marxsche Menschenrechtstheorie nachzuzeichnen, die Frage nach Menschenrechten und Klassenverhältnissen aufzuwerfen, der geschichtlich und gesellschaftlichen Historizität der Menschenrechte in ihrer Dialektik mit Rechten des Menschen als solchem nachzuzeichnen, die formationsgeschichtlichen und kulturellen Parameter mit in Blick zu nehmen und zu explizieren, die Bedeutung kodifzierten Rechts in Abgrenzung von dessen beiden irreleitenden Polen des Rechtsutopismus wie des Rechtsnihilismus zu exponieren, die Frage von Anspruch und Realität sowie auch Versuchen und Unterfangen der Instrumentalisierung aufzuwerfen usw usf. – Buchregale füllende Debatten – müssen wir uns vorliegend mit der Rekonstruktion des Rechts der Menschen und Völker auf Frieden und einigen unabdingbaren Anmerkungen dazu bescheiden. Auch die genauere Verortung und eine Ausleuchtung des Themenfelds des Menschenrechts auf Frieden als eines Angelpunkts linker Politik und linkem Internationalismus muss unter diesem Blickwinkel hier zurückgestellt bleiben.
Die Stufe von der Satzung des Völkerbunds zur UN-Charta
Während mit Gründung des Völkerbunds im Anschluss an den Ersten Weltkrieg in dessen Satzung noch kein absolutes Verbot des Angriffskrieges erreicht werden konnte, änderte sich dies – mit der Zwischenetappe des Briand-Kellogg Pakts 1928 – im Gefolge der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs mit der Charta der Vereinten Nationen als kodifiziertem Völkerrecht sowie der UNO als völkerrechtsschöpferischer Weltorganisation, die dem Recht der Menschen und Völker auf Friedenpeu à peu zum Auftrieb verhalf. Dieser Umstand kommt als Ausgangspunktschon insbesondere darin zum Ausdruck, dass die UN-Charta als ihr Hauptziel „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“ benennt.
Die korrelierende Bedeutung des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses
Dem korrelierte begleitend auch das Statut des Nürnberger Kriegsverbrecherprozess als weitere Stufe in der Entwicklung des Völkerrechts auf Frieden.Neu und völkerrechtlich setzend – im auf bestehendem Völkerrecht, Rechtsgrundsätzen und Normen basierenden Statuts des Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945 –, war in diesem Zusammenhang nämlich der Straftatbestand des „Verbrechens gegen den Frieden“ des Paragraphen 6a: „nämlich Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Führung eines Angriffskriegs oder eines Kriegs unter Verletzung internationaler Verträge, Vereinbarungen oder Zusicherungen, oder Teilnahme an einem gemeinsamen Plan oder einer gemeinsamen Verschwörung zur Ausführung einer der vorgenannten Handlungen.“ Während die Paragraphen b) und c) („Kriegsverbrechen“, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“) des Statuts, wie in der Literatur vielfach herausgearbeitet wurde, rechtlich (vornehmlich) die Art der Kriegsführung und das Kriegsrecht betrafen, zielte Paragraph a) auf den Krieg schlechthin oder als solchem ab – und setzte damit nach Ansicht gewichtiger VölkerrechtlerInnen und WissenschaftlerInnen ein Recht auf Frieden bzw. Friedenserhaltung.
Strittige Kontroversen um die Ableitung eines positiven Rechts auf Frieden aus § 6a & zweifelsfrei Unhintergehbares
So zweifelsfrei indes damit das früher sogenannte jus ad bellum, das Recht zum Krieg (auf Angriffskrieg) definitiv annulliert wurde, blieb die Ableitung eines jus ad pacem, sprich: eines Rechts auf Frieden – wie von einzelnen Wissenschaftlern aus der UN-Charta, dem Paragraph 6a des Nürnberger Statuts und der Erhebung des Friedens in den Stand einer juristischen Kategorie abgeleitet –, zunächst strittig. Freilich, dass bereits das Planen eines Angriffskriegs (bis hin zur atomaren Erstschlagdoktrin), vom Führen eines Angriffskriegs ganz zu schweigen, seither als Verbrechen gilt, war und ist unstrittig. Was zumal auch im inhaltlichen Gleichklang mit Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta sowie dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Verbot der Androhung und Anwendung von Gewalt stand. Das Verbot von Angriffskriegen ist denn auch gesicherter Kernbestand des Völkerrechts und wird allgemein dementsprechend auch als zwingendes Völkerrecht (ius cogens) angesehen. Das wiederum hatte schon damals kein Geringerer als der US-Hauptankläger Robert H. Jackson selbst mit gebotenem Nachdruck und Weitblick hervorgestrichen: „Denn wir dürfen niemals vergessen, dass nach dem gleichen Maß, mit dem wir die Angeklagten heute messen, auch wir morgen von der Geschichte gemessen werden. Den Angeklagten einen Giftbecher reichen, heißt, ihn auch an unsere eigenen Lippen zu setzen.“ An diese eindringlichen Worte Jacksons kann unter der Perspektive des Menschenrechts auf Frieden im Lichte der imperialistischen Blutspur des „amerikanischen Jahrhunderts“ wohl gar nicht nachdrücklich genug erinnert werden.
Die „Deklaration über das Recht der Völker auf Frieden“ (Res. 39/11)
Um dem jedoch auch nach 1945 uneingelösten Recht der Menschen und Völker auf Frieden weiter zum Durchbruch zu verhelfen, verabschiedete die UN-Generalversammlung 1981 (bei 22 Gegenstimmen, darunter alle NATO-Staaten) dann als weiteren zentralen Mosaikstein zunächst die UN-“Deklaration über die Unzulässigkeit der Intervention“. 1984 nahm die UN-Generalversammlung schließlich die „Erklärung zum Recht der Völker auf Frieden“ (bei 34 Stimmenthaltungen, darunter alle NATO-Staaten) an und wertete damit den Frieden zum ersten Mal unumstritten zu einem Menschenrecht auf: „Die Generalversammlung, erneut erklärend, dass das wichtigste Ziel der Vereinten Nationen die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist, (…) in der Erkenntnis, dass jeder Staat die heilige Pflicht hat, dafür zu sorgen, dass die Völker in Frieden leben können, 1. verkündet feierlich, dass die Völker unseres Planeten ein heiliges Recht auf Frieden besitzen (…).“
Der Umstand, dass sowohl die 1981er-Deklaration und 1984er-Erklärung nur gegen die Stimmen bzw. bei Stimmenthaltung der entwickelten kapitalistischen Staaten und westlichen Kernländer des Imperialismus durchgesetzt werden konnten, lässt sich schon aus einem kurzen Blick auf die 159 Kriege zwischen 1945 und 1984 erhellen. 150 davon haben gegen die Entkolonialisierungsprozesse oder vormalige Kolonien und auf dem Territorium ehemals kolonial beherrschter Länder stattgefunden. Schon seinerzeit definierten die alten Kolonialmächte und imperialistischen Kernländer ihre eigenen, bornierten Interessen als Globalinteresse, sprich: als Vorwand um die kodifizierte globale Friedensordnung zu unterlaufen und im Zuge der von Washington verkündeten „Neuen Weltordnung“ schließlich ganz offen in Frage zu stellen. Dabei bilden (abgesehen vom Selbstverteidigungsrecht) völkerrechtlich – vielmehr gerade spiegelverkehrt – revolutionäre Befreiungskriege gegen die Gewalt von Fremdherrschaftdieeinzige sich im Reglement der UNO etabliert habende Ausnahme vom Gewaltverbot.
Die „Neue Weltordnung“ unter dem Sternenbanner und Metropolenkapitalismus
Die weltpolitischen Zäsur 1989/91 und die neue Ära der USA als einzig verbliebener Supermacht ließ „God’s Own Country“ dann bekanntlich eine „Neue Welt(un)ordnung“ einläuten. Das 1991/92 in der US-Administration dazu erarbeitete interne Strategiepapier und Dokument Defense Planning Guidance, sorgte seinerzeit – nachdem es per Indiskretion an die „New York Times“ durchgestochen und von dieser veröffentlicht wurde – auch in Europa für mächtig Aufregung. Es kostete denn auch einiges an diplomatischem Aufwand, um die Wogen aufgrund des geleakten, ja nur für den hausinternen Gebrauch der Administration gedachten Papiers, zu glätten.
Fünf Jahre nach dem sich der Staub um den Defense Planning Guidance wieder gelegt hatte jedoch, 1997, legten die kurz als Neocons berühmt-berüchtigt in die Geschichte eingegangenen US-amerikanischen neokonservativen „Falken“ des sich im selben Jahr gegründeten PNAC-Zirkels, ihr strategisches Programm für ein „Neues Amerikanisches Jahrhundert“ vor (Project for the New Amercian Century – PNAC). Ein entscheidender Markstein des strategischen Grundsatzprogramms war dabei, dass sich die NATO für ihre Einsätze – ungeachtet von UN-Entscheidungen und des Völkerrechts – selbst und souverän die Legitimation erteilen können muss.
Frühe bemerkenswert offene Worte aus dem Polit-Establishment
Schon früh hat Samuel P. Huntington, in seinem berühmt-berüchtigten Aufsatz „The Clash of Civilizations“ in Foreign Affairs 1993, diese beginnende „Re-Institutionalisierung des Faustrechts“ (Werner Ruf), die im Weiteren in der offenen Widerrufung des Angriffskriegs-Verbots seitens der USA mündeten, in bemerkenswerter Offenheit an- und ausgesprochen: „Entscheidungen, die im UN-Sicherheitsrat oder im Internationalen Währungsfonds getroffen werden und die die Interessen des Westens widerspiegeln, werden der Welt vorgestellt als die Zielvorstellungen der Weltgemeinschaft. Schon die Phrase ‚die Weltgemeinschaft‘ ist ein euphemistischer kollektiver Begriff geworden (der ‚die freie Welt‘ ersetzt), mit dessen Hilfe Aktionen eine globale Legitimität gegeben wird, die in Wirklichkeit die Interessen der USA und der westlichen Mächte beinhalten.“
Der völkerrechtswidrige „Türöffner-“Krieg der NATO zur Jahrtausendwende
Nur kurz nach Vorlegen des strategischen Programms für ein „Neues Amerikanisches Jahrhundert“ erfolgte bereits die erste Selbstmandatierung des Militärbündnisses zum völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999, mit dem erstmals nach 1945 der Krieg nach Europa zurückkehrte und die Allianz das Völkerrecht in Trümmer bombte. Selbst ansonsten systemtreue Völkerrechtler sprachen damals von einer „weltpolitische Zäsur“ – heute würde man wohl „Zeitenwende“ sagen – und einem verheerenden „völkerrechtswidrigen“ „Türöffner-“Krieg.
Wollte man indessen den Beginn der „Zeitenwende“ der imperialistischen Kriege seitens der imperialistischen Kernländer für die Ära nach dem Kalten Krieg noch exakter festmachen, müsste man in Wirklichkeit noch weiter zurückgreifen und wäre recht eigentlich wohl auf die US-Invasion in Panama 1989 als deren Generalprobe zu rekurrieren. Ein Krieg, der obwohl er seinerzeit im Überschwang des westlichen Triumphalismus sogar live im Fernsehen übertragen wurde, heute überhaupt weitgehend aus dem Massenbewusstsein getilgt ist.
Der „Krieg gegen den Terror“ oder das Plazet für eine Krieg auf unbestimmte Dauer
Der Anschlag auf die Twin Towers des World Trade Centers am 11.9. 2001 bot dann den mit heißen Nadeln gestrickten Anlassfall in dessen Zuge Washington die Vereinten Nationen und das Friedensgebot auch öffentlich für obsolet erklärte. Schon im unmittelbaren Anschluss an den Anschlag erteilte der Kongress dem US-Präsidenten das explizite Plazet für einen Krieg unbestimmter Dauer (!), quer über den Globus (!). Im Oktober 2002 – der dann längste Kriegseinsatz der US-Geschichte am Hindukusch war bereits angerollt – hat der US-Kongress mit seiner neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie“ vor den Augen der Weltöffentlichkeit schließlich überhaupt die globalstrategische Entscheidung des Empires für Kriege ohne UN-Mandat gefällt und mit einer Verhängung des Kriegsrechts über den gesamten Globus das 21. Jahrhundert eingeläutet. Niemals zuvor in der Geschichte hatten eine US-Administration und der Kongress (ganz zu schweigen von jeder anderweitigen Militärmacht) derart unverblümt die Vereinten Nationen und das Völkerrecht für sich suspendiert und das völkerrechtliche Verbot von Präventiv- und Angriffskriegen für sich als neuem globalen Souverän in aller Öffentlichkeit für null und nichtig erklärt.
Die „Santiago-Erklärung zum Menschenrecht auf Frieden“
Um dem seitens der imperialistischen Zentren seit je torpedierten Menschenrecht auf Frieden und das im Faustrecht des in immer verdichteterem Tempo von imperialistischen Kriegen und militärischen Interventionen überzogenen Globus regelrecht verglühende Recht auf Frienden neuerlich anzukurbeln, bemühten sich internationale Nichtregierungsorganisationen in einer Allianz um eine abermalige und über die Erklärung von 1984 hinausgehende Deklaration. 2010 verabschiedeten sie schließlich die „Santiago Erklärung zum Menschenrecht auf Frieden“ mit detaillierten Rechten und Pflichten der Staaten, die weit über den begrenzten Bereich des Militärischen hinausgingen (bis hin zum Recht auf eine sichere, saubere, gesunde Umwelt), die sie auch dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegten, der sich angesichts des aus den Fugen geratenen Bellizismus ebenfalls seit 2008 wieder mit der Thematik befasste. Auf Vorschlag Kubas beauftragte der UN-Menschenrechtsrat 2010 zugleich seinen Beratenden Ausschuss zur Erarbeitung eines entsprechenden neuerlichen bzw. neuen Entwurfs einer Erklärung der Generalversammlung des Rechts der Völker auf Frieden, der schließlich 2012 vorgelegt wurde.
Auf Druck des Westens wurde der Entwurf in der anschließenden Kontroverse schlußendlich verworfen und nicht mehr weiterverfolgt. Stattdessen wurde der Menschenrechtsrat beauftragt, einen abgeschwächteren, unverbindlicheren und kargeren Resolutionsentwurf als einschneidend vagere Summe der jahrelangen Kompromisse zu erarbeiten. Dieser wurde, eingebracht u.a. von Kuba, von der UN-Generalversammlung 2016 schließlich (bei 34 Gegenstimmen, darunter alle bedeutenden Staaten „des Westens“; die USA blieb der Abstimmung fern) verabschiedet. Von der „Santiago-Erklärung“ und dem ursprünglichen Entwurf des Beratenden Ausschusses des UN-Menschrechtsrats blieb auf Betreiben und rigorosen Ansatz der Rotstifteder „westlichen Wertegemeinschaft“ und NATO-Staaten (die anschließend dennoch dagegen stimmten oder fernblieb) indes nicht mehr viel übrig.
Die 34 Stimmenthaltungen des „Wertewestens“ bei der Verabschiedung der „Deklaration über das Recht der Völker auf Frieden“ 1984 haben sich 2016 damit zwischenzeitlich zu 34 Gegenstimmen gewandelt, die das von ihnen heute faktisch widerrufene Menschenrecht auf Frieden am liebsten auch als ius cogens wieder aus der geschichtlichen Entwicklung der Menschenrechte und des Völkerrechts tilgen möchten. Insgesamt gab es in der UN-Generalversammlung 2016 indessen eine noch höhere Zustimmung und weniger Enthaltungen der ansonsten viel zitierten Internationalen Gemeinschaft als 1984. Um das 75. Jubiläum der Erklärung der Menschenrechte und das unerfüllte Versprechen des Rechts der Menschen und Völker auf Frieden nicht auch noch mit Tagesaktuellem zu überfrachten, nur so viel: Allein in den drei Jahren der Biden-Administration führten die USA in sage und schreibe mindestens 78 Ländern militärische Operationen, Antiterrormaßen und Drohnenangriffe. Die Militäroperationen ihrer weiteren westlichen Vasallen und NATO-Partner sowie ihrer Satelliten noch gar nicht mit inbegriffen. Jene die mit dem Finger auf andere zeigen, zeigen bekanntlich unwillkürlich mit drei auf sich zurück. Das Menschenrecht auf Frieden betreffend, ist denn auch heute mit den Worten des Kampflieds der Arbeiterbewegung zu sagen: „Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!“
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