Solidarität mit dem Arbeitskampf der Essensauslieferer bei Yemeksepeti (Delivery Hero Türkei)

Nach dem polizeilich in einem Großeinsatz niedergeschlagenen Streik der AutomobilarbeiterInnen der Farplas-Fabrik in Kocaeli – die für ihr Recht auf gewerkschaftliche Organisierung, mehr Lohn und aus Protest gegen die Entlassung von KollegInnen in den Ausstand traten –, und anschließender Massenfestnahme 200 Streikender am Montag, steht in der Türkei nun der Arbeitskampf der Yemeksepeti-Beschäftigten, der Essensauslieferer des deutschen Dax-Konzern Delivery Hero in der Türkei, auf des Messers Schneide – und hat sich auf weitere Gig-Botenfahrer ausgeweitet.

Während die türkische Polizei in einem Großeinsatz am Montag in den Morgenstunden mit Pfefferspray die bestreikte Fabrik in Kocaeli stürmte, hatte die Firmenleitung des Automobilherstellers Farplas bereits Tage zuvor auf die Ablehnung des unzureichenden Lohnangebots der Firmenleitung durch die Belegschaft „reagiert“ und kurzerhand knapp 150 der 2.000 Beschäftigten (zudem ohne jede Abfindung) vor die Tür gesetzt. Als Grund der Entlassungen wurde ein Teilstreik der Beschäftigten am 19. Jänner ins Treffen geführt. An jenem Tag legten die ersten ArbeiterInnen aus Protest gegen das völlig unzureichende, unterbreitete Angebot der Geschäftsführung die Arbeit nieder. Vor dem Hintergrund der Zusage neuer Verhandlungen und dem Versprechen der Firmeneigner, dass es keine Entlassungen geben werde, lief die Produktion am 20. Jänner wieder an und weiter.

Als sich in ihrem Lohnstreit jedoch immer mehr ArbeiterInnen auch gewerkschaftlich in der linken Gewerkschaft Birlesik Metal-Is zu organisieren begannen, schaltete die Firmenleitung auf offen antigewerkschaftlichen Kampfmodus um, schmiss am 27. Jänner die besagten 150 KollegInnen raus und holte sich die Staatsmacht ins Boot. Als Reaktion auf die dreistigen Entlassungen, die feststeckenden Lohnverhandlungen und die Nichtanerkennung der gewerkschaftlichen Rechte und das Union-Busting nahm der Widerstand zu und traten die Beschäftigten schließlich in den Vollstreik.

Die Firmeneigner und Geschäftsführung ließ daraufhin die türkische Polizei antanzen, die bereits am Sonntag mehrere Einheiten vor dem Firmensitz zusammenzog und Drohnen gegen die aufs Dach der Fabrik gestiegenen ArbeiterInnen aufsteigen ließ.Am Montag um 7.00 Uhr Früh stürmten die Einsatzkräfte dann den bestreikten Betrieb. Parallel formierten sich derweil tausende GewerkschafterInnen und solidarische Beschäftigte der umliegenden Firmen vor dem Werkssitz, blockierten nach Kräften die Einsatzbusse der Polizei und protestierten in Demonstrationszügen anschließend in Solidarität mit den Festgenommenen. Auch gegen jene, die den Abtransport Streikender in Haftbussen zu verhindern suchten, gingen die Polizeieinheiten mit Tränengas vor. Letzte Streikende begaben sich auf das Dach der Fabrik um ihren Kampf bis zuletzt fortzusetzen. Unter über ihnen kreisenden Drohnen der Einsatzkräfte riefen sie dabei: „Wir sind ArbeiterInnen, wir sind im Recht und wir werden siegen.“

Ein erster wieder freigelassener Arbeiter zog daraufhin seinerseits Resümee: „Wir haben der Firma keinen Schaden zugefügt, sondern unserem Widerstand Ausdruck verliehen (…) Wir wurden geschlagen und uns wurden Vorwürfe gemacht. Was lernen wir daraus? Wenn du in diesem Land für dein Brot kämpfst, nennen sie dich einen Terroristen und Vaterlandsverräter.“ Farplas wiederum strengt gegen die aufgrund des Streiks Entlassenen Schadensersatzklagen an. Ungeachtet dessen sind die Parolen Farplas-ArbeiterInnen nicht verstummt: „Ohne Arbeit und ohne Brot wird es auch keinen Frieden geben“, „Farplas-ArbeiterInnen sind keine Sklaven“.

Der Arbeitskampf der Gig-Kuriere tritt in seine entscheidende Phase

„Wir sind keine Sklaven“ – das könnte auch die Losung der EssenszustellerInnen von Yemeksepeti sein, die uneingeschüchtert der dreisten Streikniederschlagung bei Farplas auch ihrerseits seit Tagen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen streiken. Und sie haben dazu auch alle Veranlassung.

Yemeksepeti ist ein türkischer Essenszustelldienst der in über 70 Städten der Türkei und in Nordzypern sein Geschäft betreibt. Der online Essensdienst gehört seit 2015 zum Dax-Konzern Delivery Hero, dem nach stolzer Eigenauskunft „weltweit führenden Online-Marktplatz für Essensbestellung und -lieferung“ – unter seinen prekär Beschäftigten und Scheinselbständigen jedoch verschrien für die Tagelöhnerei und miserablen Arbeitsbedingungen mit der sich seine Riders und ZustellerInnen in über 40 Ländern auf allen 5 Kontinenten durchs Leben strampeln.

Dazu passt der Einstieg Delivery Hero beim nicht minder berüchtigten deutschen Lebensmittelbringdienst Gorillas, bei dem in Deutschland letzten Herbst bekanntlich ein harter Arbeitskampf entflammte – mit einem Etappensieg der Beschäftigten auf Betriebsratsgründung.

Ebenso bezeichnend ist der Umstand, dass Delivery Hero gegen den Anfang Dezember präsentierten EU-Richtlinien-Entwurf zur Zurückdrängung der Scheinselbständigkeit in der digitalen Plattformarbeit – und dessen Bestimmung, dass Zustelldienste FahrerInnen, mit denen siein Wahrheit ein Arbeitsverhältnis unterhalten, regulär beschäftigen müssen, damit auch zu einem bezahlten Urlaub und Pensionsansprüchen verpflichtet werden und ihnen einen Mindestlohn gewähren müssen – zusammen mit Uber und Co. Front macht.

Davon sind die Yemeksepeti-Beschäftigten freilich noch weiter entfernt. Umso brisanter ihr aktueller Arbeitskampf um – angesichts der außer Kontrolle geratenen Rekordinflation in der Türkei – einen Lohn von zumindest 5.500 türkischen Lira, Boni und entscheidenden Verbesserungen ihrer Arbeitsverhältnisse.

„Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie“, so Dailysabath, noch „als Helden gefeiert, halfen die Gig-Kuriere Millionen Menschen, die während des Lockdowns zu Hause festsaßen … Ihre Arbeitsbedingungen und laxen Vorschriften werden in der Türkei jedoch ständig diskutiert, wobei Dutzende von Kurieren bei Unfällen unter dem Stress der von Kunden erwarteten und von Unternehmen vorgeschriebenen pünktlichen Lieferungen getötet oder verletzt wurden.“ So sind allein in den letzten beiden Jahren mindestens 200 MotorradzustellerInnen am Bosporus ihrer Arbeit zum Opfer gefallen und haben die Hetze mit ihrem Leben gebüßt.

Finanziell steht den NiedriglöhnerInnen im Kurierdienst das Wasser nochmals stärker als den ohnehin schon auf breiter Front in einer Verelendungswelle steckenden Gros der türkischen Werktätigen bis zum Hals. Dazu fressen die regelrecht explodierten Treibstoffpreise den Hungerlöhnen der scheinselbständigen Vertragskurieren, neben abnehmenden Trinkgeldern (die in normalen Zeiten zu einem erheblichen Teil zu ihren Einkommen beitragen) auch noch den letzten Rest weg. Und zu alledem haben sie auch noch die Kosten ihrer Sozialversicherungen, über ihre Motorradhandschuhe bis hin zu ihren Uniformen selbst zu tragen.

Der Streik der „Tag und Nacht“ schuftenden Yemeksepeti-Kuriere hat sich in einer Kettenreaktion mittlerweile darüber hinaus zu einem breitflächigen Arbeitskampf der Gig-Kuriere der Türkei ausgeweitet, der aktuell in seiner entscheidenden Phase steht.

Yemeksepeti işçileri yalnız değildir!

Die Yemeksepeti-ArbeiterInnen sind nicht alleine!

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