Ungeachtet der ersten Hinrichtungen und hunderter Toter im Zuge der am 16. September begonnenen Proteste hält die Protestwelle im Iran seit mittlerweile über einem Vierteljahr unvermindert an. Der Historiker und Orientalist Michail Magid arbeitete gegen vereinfachte Analysen jüngst eingehender das Zusammenspiel politischer, wirtschaftlicher, ökologischer und nationaler Faktoren heraus und verwies auch seinerseits auf den heterogenen Charakter, die divergierenden Zielsetzungen und die noch offene Perspektive des Volksaufstands. Dieser Mehrschichtigkeit entsprechend verabschiedete die AK Wien auf Anstoß ISAs und Antrag KOMinterns schon Anfang November eine Solidaritäts-Petition mit allen fortschrittlichen und um innere Selbstbestimmung und außenpolitische Souveränität kämpfenden Kräften, die wir anlässlich der aktuellen Unterstützungsaktionen sowie auch neuen Streiks in der iranischen Öl- und Gasindustrie veröffentlichen wollen.
Der im Iran stattfindende Aufstand gegen das repressive Regime und insbesondere gegen die Unterdrückung der Frauen hat auch für andere Regionen und uns hier in Österreich Signalwirkung und fordert unsere Unterstützung. In den Protesten, ausgelöst durch die Ermordung der 22jährigen iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini durch die Polizei, verknüpft sich seither der Kampf für die Abschaffung des Zwang-Hijabs und der Kleiderordnung sowie der Emanzipation der Frau mit Forderungen nach progressiven Umgestaltungen und emanzipatorischen Perspektiven – inklusive dem Recht auf freie gewerkschaftlicher Organisierung – und ein Ende des Autokratismus der Islamischen Republik Iran.
In dem teils Charakterzüge eines Volksaufstands annehmenden und von Streiks begleiteten Aufstand neben dem zur Hauptlosung gewordenen, Seite an Seite gerufenen kurdischen Slogan „Frauen, Leben, Freiheit“ (Jin Jîan Azadî) erschallt vielfach auch bewusst die Losung: „Gegen das Mullah-Regime wie den Schah“. Entsprechend gilt es, sich von den die Gunst der Stunde witternden subversiven Kräften abzugrenzen, die in ihrer Allianz mit den USA die Selbstbestimmung im Inneren und iranische Souveränität nach Außen zur Disposition zu stellen gewillt sind oder sich für eine Destablisierung des Irans instrumentalisieren lassen.
Die Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien erklärt sich solidarisch mit dem Aufstand der Frauen um gesellschaftlichen Wandel und unterstützt insbesondere den Streikaufruf der Lehrer*innen, Ölarbeiter*innen, der Beschäftigten in der Petrochemie und allen anderen Bereichen um ihre sozialen Interessen und Selbstbestimmung. Streik ist die gewerkschaftlich stärkste Waffe der Arbeiter*innenklasse und höchste gewerkschaftliche Kampfform, um für ihre Rechte zu kämpfen. Wir sind empört über die Unterdrückung und die Tötungen durch das Regime.
Als Arbeiternehmer*innen und Gewerkschafter*innen ist Solidarität für uns mehr als nur ein Wort. Das Gros der westlichen Regierungen, die das iranische Regime kritisieren, greifen ebenfalls Frauenrechte, demokratische Rechte und die Rechte von Arbeitnehmer*innen an und erschweren Migrant*innen und Asylsuchenden die Flucht vor repressiven Regimen. Gleichzeitig steigen die nicht minder reaktionären, frauenfeindlichen und diktatorischen Scheichtümer, Emirate und Königreiche Saudi-Arabien, Qatar, Kuwait, VAE oder Marokko zu willkommenen Geschäfts- und Bündnispartnern und Hoffnungsträgern auf „Energiepartnerschaften“, auch für die österreichische Regierung, auf.
Wir möchten allen fortschrittlichen und um innere Selbstbestimmung und außenpolitische Souveränität, ihre sozialen Rechte in Arbeitskämpfen Stehenden sowie um mehr Minderheitenrechte ringenden Kräfte im Iran (KurdInnen, BelutschInnen, AserbaidschanerInnen, AraberInnen, oder ArmenierInnen) – allen voran Frauen, Arbeiter*innen, StudentInnen und SchülerInnen – unsere herzlichsten Grüße und Solidarität übermitteln.