Nachdem die Gremien der Gewerkschaften GPA und vida getagt hatten, wurde in einer gemeinsamen Sitzung das Forderungspapier für den SWÖ-Kollektivvertrag beschlossen. Der KV betrifft rund 130.000 Beschäftigte in Österreich in der privat organisierten Pflege, Betreuung, sozialen Arbeit, Kinderbildung, Behindertenbetreuung und vielen Bereichen mehr. Der Frauenanteil wie auch die Teilzeitquote liegen über 70 Prozent.
Die zuständigen Betriebsrät:innen sahen in der Diskussion um die Forderungen zwar oft die Notwendigkeit, viel einzufordern und auch viel zu erreichen. Untermauert wurde dies mit erschütternden Berichten aus den Betrieben, wo Kolleg:innen sich verzweifelt an Betriebräte wenden weil sie sich ihr Leben nicht mehr „leisten“ können.
Auf der anderen Seite wurde wieder einmal deutlich, wie sträflich wenig Strategie bei vielen vorhanden ist und somit wenig Möglichkeiten gesehen werden, große Verbesserungen zu erkämpfen. Zwar werden auch wieder Streik-Schulungen angeboten mit dem Ziel, die rechtlichen Grundlagen um das Thema Streik aufzuarbeiten sowie auch Fragen hinsichtlich Durchführung, Planung und Strategie zu beantworten. Doch genau letztere sind tagtäglich zu stellen und für den eigenen betrieblichen Alltag zu beantworten, und nicht erst mitten in laufenden Verhandlungen.
In vielen Betrieben ist die Stimmung zurecht sehr kämpferisch: Viele Kolleg:innen sind aktions- und streikbereit für die Durchsetzung hohe Forderungen. Alle stöhnen zu recht unter der Teuerung, die Mehrheit sieht aber in erfolgreichen Arbeitskämpfen eine Chance, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern. Diese Chance gilt es zu nutzen!
Selma Schacht als Mitglied des zuständigen Bundesgremiums in der GPA und damit Mitglied des großen Verhandlungsteams brachte gemeinsam mit Michael Gehmacher (BRV ASB-WSD) die Forderungen von „Sozial aber nicht blöd“ nach Erhöhung der aller (Vollzeit-) Löhne und Gehälter um 750 Euro Fixbetrag ein. Die große Wut und die Streikbereitschaft vieler Kolleg:innen wurde betont. Auch die Solidarität in der Bevölkerung ist groß. Genau jetzt wäre eine gute Zeit, um echte Verbesserungen zu erkämpfen! Diese positive Stimmung wurde auch am Freitag in Wien beim „großen Fest“ der Betriebsräte der Wiener Behindertenbetreuungseinrichtungen deutlich: Immer wenn die Redner:innen bei ihrer Festansprache von Streik sprachen, gab es lauten Applaus.
Nun wurde das gewerkschaftliche Forderungspapier an die Arbeitgeber übergeben. Wichtigste Ziele der Verhandlungen sind sicherlich eine Erhöhung um 15 % aber mindestens aber 400 Euro und die Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden ab 1.1.2024.
Für Zulagen und Zuschläge sowie die Lehrlingseinkommen wird ein Plus von 25 % gefordert.
Außerdem findet sich u.a. im Forderungsprogramm:
- Mehrstundenzuschlag von 50 % ab der 1. Stunde
- eine zusätzliche Urlaubswoche für alle Beschäftigten ab Einstellung
- eine deutliche Verbesserung bei kurzfristigem Einspringen und Dienstplanänderungen
- einen leichteren Zugang zur SEG-Zulage für alle Beschäftigten
- volle Anrechnung aller geleisteten Vordienstzeiten
- die volle Bezahlung der Nachtarbeitsbereitschaft
Auch wenn die Forderungen sich nicht an dem eigentlich Notwendigen orientieren und viele Beschäftigte mehr einfordern, so ist dieses Programm wenigstens kein Einknicken im Vorfeld wie in der Metallindustrie.
Die große Gefahr besteht wie in den letzten Jahren, dass zwar mit hohen Forderungen und hohen Erwartungen in die KV-Verhandlungen im Sozial- und Gesundheitsbereich gestartet wird, diese aber rasch enttäuscht werden. Denn allein nur zu fordern und die „guten Argumente“ und die positive mediale Berichterstattung reicht eben nicht. Gewinnen kann man solche Auseinandersetzungen nur, wenn der Druck aus den Betrieben gegen die Arbeitgeber und auch die Geld- und Subventionsgeber massiv aufgebaut und auch über eine gewisse Zeit gehalten wird. Die Voraussetzungen sind wieder gut: Fachkräftemangel herrscht allerorts, und wie die GPA richtig konstatiert: „Das Problem des Personalmangels entsteht nicht, weil zu wenig Menschen einen Beruf in der Branche ergreifen, sondern weil zu viele aufhören. Viele Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger bleiben keine fünf Jahre im Gesundheits- und Sozialbereich und das, obwohl sie ihre Tätigkeit als sehr sinnstiftend und wertvoll beschreiben. Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden, sonst kann dem Personalnotstand nicht gegengesteuert werden.“. Die Kolleg:innen haben in den letzten Jahren oftmals schon Arbeitskampferfahrungen sammeln können und das Recht auf Abgeltung für die Erschwernisse des Berufsalltags und der Covid-Pandemie stehen in der Öffentlichkeit außer Streit.
Die Kolleg:innen sind streikbereit. Doch sind es auch die sozialpartnerschaftlichen Betriebsräte und Gewerkschaften?