Spanien: Streik im Gesundheitswesen

Die „HeldInnen der Corona-Pandemie“ in Spanien sind am Limit

Spanien bildete bekanntlich bereits in der ersten Corona-Welle 2020 ein Epizentrum der Pandemie in Europa. Die Epidemie traf das Land auf der iberischen Halbinsel im damaligen März mit voller Wucht und bestimmte mit seinen schaurigen Bildern zusammen mit Italien die Nachrichten. Mit der nunmehrigen sechsten Corona-Welle steht das marode Gesundheitssystem vor dem Kollaps. Die Gewerkschaften formulieren schärfer: es ist vielfach bereits kollabiert. Und das Personal ausgebrannt und über dem Limit.

Zur Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2008 auch von der geplatzten Immobilienblase und Bankenrettung im Land gebeutelt, sowie von der EZB im Sommer 2012 nochmals gesondert an die austeritätspolitische Kandare genommen,wurde das Gesundheitssystem auf der iberischen Halbinsel völlig kaputtgespart. Zusammen mit den drastischen Mittelkürzungen und Einschnitten ging zugleich eine Privatisierungswelle im Gesundheitswesen einher, das in vielen Regionen mit der Pandemie nun völlig überfordert war.

Mitte März 2020 rief die Regierung aus Sozialdemokraten des PSOE und dem eurolinken Wahlbündnis Unidas Podemos (UP) – zum erst zweite Mal in der Geschichte Spaniens seit Überwindung der Franco-Diktatur – für das zum Covid-Hotspot gewordene Land den staatlichen „Alarmzustand“ aus, der noch sechs Mal verlängert und erst Ende Juni wieder aufgehoben wurde. Vielen sind sicher noch die Bilder und Nachrichten von damals in Erinnerung: überfüllte Krankenhausflure, erschöpfte ÄrztInnen und PfegerInnen, die höchste Ansteckungsrate des medizinischen Personals in Europa, die Umwandlung des Eislaufpalasts Madrids in eine temporäre Leichenhalle … Die Wirtschaft (seit langem gekennzeichnet von einer Deindustrialisierung und immer stärker auf einigen wenigen Leitbranchen wie dem Tourismus, der Bauindustrie und dem Bankwesen fußend) brach in einem Rekordabsturz um rund 11% ein, die ohnehin exorbitante Arbeitslosigkeit explodierte erneut, vor Suppenküchen bildeten sich „Schlangen des Hungers“, die sozialen Verhältnisse erodierten weiter. Parallel schwelten zudem der Unabhängigkeitskonflikt mit Katalonien und andere regionalen Konflikte weiter.

Am Limit, ausgelaugt und unzureichend ausgestattet streikten im November 2020 zahlreiche Krankenhäuser und Gesundheitszentren gegen ihre prekäre Situation. Schon davor traten die Madrider ÄrztInnen in den Streik gegen ihre miserablen Arbeitsbedingungen, fehlende Assistenzärzte und KrankenpflegerInnen, Niedriglöhnerei im Gesundheitssystem und „gegen die Prekarisierung“, sprich: gänzliche Entgrenzung ihrer Arbeitszeiten.  

Ökonomisch erholte sich das Land mit einem Wirtschaftswachstum von 4,6% 2021 wieder zaghaft etwasaus dem Absturz. Nichts Substanzielles geändert hat sich indes an den katastrophalen Zuständen des spanischen Gesundheitswesens. Mehr noch: Um das Weihnachtsgeschäft nicht zu beeinträchtigen, beließ der sozialdemokratische Regierungschef Pedro Sánchez die Corona-Regeln extra lax, und um Großveranstaltungen zum Jahreswechsel nicht zu trüben, ließen diesen ebenso viele Regionen freien Lauf – auch etwa Madrid.

Als Folge steht das spanische Gesundheitssystem vor dem Kollaps. Als mittlerweile sechste Corona-Welle in Spanien fegt Omikron wie ein Orkan durch das Land. Die Gesundheitszentren sind erneut überlastet. In Katalonien sind bereits über 40% der Intensivbetten mit Covid-Fällen belegt. Vor den Notaufnahmen bilden sich lange Schlangen. Telefonisch kommt man so gut wie nicht mehr durch. Und während es angesichts des absehbaren Zusammenbruchs des Gesundheitssektors bereits im Dezember zu Protestversammlungen des Gesundheitspersonals vor zahlreichen Krankenhäusern kam, scheint die Regierung gesundheitspolitisch kapituliert zu haben und auf den waghalsigen Kurs zu setzen, der Durchseuchung der spanischen Bevölkerung mit Omikron freie Fahrt zu lassen.

International im Schatten des Vulkanausbruchs auf La Palma medial unbemerkt, nennen ÄrztInnen, PflegerInnen und die Gewerkschaften die spanische Gesundheitskrise noch buchstäblicher und drastischer beim Wort: Das Gesundheitswesen ist nicht nur teils überlastet, sondern faktisch vielfach „bereits kollabiert“ und auch zahlreiche Intensivstationen sind mittlerweile schon „total kollabiert“. Das Gesundheitspersonal wiederum ist, wie es sagt, zwischenzeitlich „völlig ausgebrannt“ und physisch, psychisch und emotional an seine Grenzen gelangt.

Entsprechend tritt das Gesundheits- und Pflegepersonal in Spanien kommenden Sonntag, den 23. Jänner, gegen den weiteren Kollaps des Gesundheitssystems und dessen strukturelle Ursachen, sowie um den Kampf gegen ihre prekäre Situation auf die Straße und in die Öffentlichkeit zu tragen, in den Streik.

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