Die linke deutsche Journalistin Meşale Tolu ist heute Montag (17.1.) in der Türkei von sämtlichen Terrorvorwürfen freigesprochen worden. Im Mai vor drei Jahren (2019) stellte Meşale auf Einladung auch in Wien ihr berührendes Buch „Mein Sohn bleibt bei mir!“ über die Brutalität der Polizei und Justiz am Bosporus sowie das Alltagsleben in politischer Gefangenschaft zwischen Hoffnung und Verzweiflung vor. „Was für eine Frau, was für ein Mut, was für eine Liebe“ urteilte „Die Welt“.
ANF berichtet: Die Ulmer Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu ist in der Türkei von Terrorvorwürfen freigesprochen worden. „Nach 4 Jahren, 8 Monaten und 20 Tagen: Freispruch in beiden Anklagepunkten!“, twitterte Tolu am Montag nach der Urteilsverkündung. Das Urteil war ursprünglich für Weihnachten angekündigt, wurde dann aber überraschend verschoben. Auch Tolus Ehemann Suat Çorlu, der im gleichen Prozess vor einem Gericht in Istanbul angeklagt war, wurde freigesprochen. Das Paar nahm nicht an der Verhandlung teil.
Tolu war Ende April 2017 in Istanbul festgenommen worden und saß anschließend mehr als sieben Monate in Untersuchungshaft, zweitweise mit ihrem kleinen Sohn. Die Journalistin kurdischer Herkunft hatte in der Türkei unter anderen für die linke Nachrichtenagentur Etha (Etkin Haber Ajansı) gearbeitet. Der Prozess gegen sie begann im Oktober 2017, rund zwei Monate später wurde Tolu unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Im August 2018 durfte sie nach Aufhebung der Ausreisesperre nach Deutschland zurückkehren. Ihr Mann konnte 2019 aus der Türkei ausreisen. (ANF)
Aus dem Klappentext ihres Buches
„Es war ein brutalter Überfall: Im Morgengrauen stürmte eine türkische Antiterroreinheit die Wohnung. Die Polizisten drückten sie zu Boden, bedrohten ihren zweijährigen Sohn Serkan mit der Waffe und verwüsteten die Wohnung. Danach wurde sie in das berüchtigte Istanbuler Frauengefängnis Bakırköy gebracht … Der absurde Vorwurf: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Verbreitung von Terrorpropaganda. Zuvor war schon ihr Mann verhaftet worden: eine Familie als Geisel Erdoğans im innenpolitischen Kampf um die Macht und im … Konflikt über Menschenrechte und Pressefreiheit.“
Staatsanwaltschaft rückt von Terrorvorwurf ab
ANF weiter: Die Istanbuler Staatsanwaltschaft hatte Tolu, ihrem Ehemann und anderen Personen aus dem Umfeld der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (Ezilenlerin Sosyalist Partisi, ESP) in der ursprünglichen Anklage unter anderem Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Terrorpropaganda vorgeworfen. Später war die Staatsanwaltschaft dann zurückgerudert und hatte einen Freispruch in allen Anklagepunkten gefordert. Die ESP, in deren Vorstand Çorlu damals saß, ist Teil der Demokratischen Partei der Völker (HDP), die als Dachorganisation für mehrere politische Parteien fungiert. In dem Prozess waren die Angeklagten jedoch der Mitgliedschaft in der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) sowie Terrorpropaganda beschuldigt worden. Die MLKP gilt in der Türkei als Terrororganisation. (ANF)
ÖJC-Präsident Fred Turnheim über Meşales Buch
Der Präsident des Österreichischen Jornalist*innen Club, Fred Turheim, auf dessen Einladung Meşale ihr Buch in Wien präsentierte, meinte zu ihrem äußerst lesenswerten, sehr persönlichen Buch, das zugleich deutlich macht, wie das Regime in Ankara mit seinen KritierInnen umgeht, damals: „Es ist menschlich sehr berührend und zugleich analytisch. Ein Meisterwerk einer bewundernswerten, mutigen und konsequenten Journalistin.“
Foto: ANF