Skandal: Der Papst ist für Frieden!

„Gott behüte!“, jetzt droht aber wirklich der „Untergang des Abendlands“ – der Pontifex spricht sich für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen aus. Ja hat er denn noch nie den wahrscheinlich (zudem völlig entkontextualisiert) als Spruch der Sprüche in den christlichen Hauptquartieren prangernden Ausspruch Jesu (Matthäus 10,34) gelesen: „Denkt nicht, dass ich gekommen sei, Frieden zu bringen auf die Erde; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Angesichts dieses Frevels am herrschenden politischen Katechismus fällt dann schon einmal mit unter den Tisch, dass Andrij Jermak, Stabschef des ukrainischen Präsidenten, parallel zu Franziskus am Wochenende seinesteils vorsichtige Bereitschaft zu Verhandlungen mit Moskau signalisierte. „Verräter!“

Letzterer freilich aus realistisch kalkulierten Gründen, ohne alles sakrale Beiwerk. Das Kriegsblatt hat sich trotz des offenen Hinauswachsens über einen Krieg zweier Staaten in einen Stellvertreter-Krieg „des Westens“ und der NATO gegen Russland auf ukrainischem Boden zwischenzeitlich radikal gewendet. Die zunehmend bedrohliche Lage für Kiew, lassen sich auch durch die Absetzung General Saluschnyis von seinem Posten als Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte und ewig gleichen Durchhalteparolen Selenskyjs nicht weg reden. Nach der erwarteten Frühjahrsoffensive Russlands im Mai rechnet niemand Zurechnungsfähiger mit günstigeren Verhandlungspositionen Kiews. Nicht wenige Militäranalysten prognostizieren vielmehr bereits einen bevorstehenden vollständigen Zusammenbruch der Ukraine. Der bis jüngst amtierende Generalstabschef der US-Streitkräfte Mark Milley, hält das Gemetzel des neuen Verdun für Kiew und den Westen schon lange für militärisch nicht gewinnbar und plädiert daher bereits seit ebenso langem für eine Verhandlungslösung anstatt des zynischen westlichen Weltordnungs- und Stellvertreterkriegs „bis zum letzten Ukrainer“ – von Hirntoten wie Macron oder Panzer-Toni Anton Hofreiter noch bis zum gegebenenfalls „letzten Menschen“ des Erdenrunds ausgeweitet. Aber was wissen schon Militärs wie der oberste General der US-Army und unzählige weitere höchste Militärkreise vom Krieg? Die sollten lieber mal bei Andreas Schieder, Othmar Karas, Lukas Mandloder, Claudia Gamon und anderen SchreibtischfeldwebelInnen in die Schule gehen.

Und jetzt auch noch der Papst, ein sowieso ständig auffallender Wiederholungstäter, der sich mit seinem „kenntnislosen Dahergerede“ schon wieder in die Phalanx der „Lumpenpazifisten“ einreiht. Erfrecht er sich gegen die in der 20er Jahren des 21. Jahrhunderts wie im „Stahlgewitter“ Verduns (Ernst Jünger) geführte, traumatische Kriegsbrennerei – die seinerzeit einer ganzen Generation an Franzosen, Briten und Deutschen das Leben kostete bzw. als Invaliden hinterließ –, noch dazu mit offensichtlichsten Zeichen, dass die Frontlinie nicht mehr gehalten werden kann, zu den Worten: „Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln.“ „Das Wort verhandeln ist ein mutiges Wort“, so Franziskus weiter – der wahrscheinlich Arnold Zweigs epochale Romane „Der Streit um den Sergeanten Grischa“ und „Erziehung vor Verdun“ oder auch Eric Hobsbawms einschlägige Abhandlungen zu Verdun präsenter vor dem geistigen Auge hat, als eine gewisse „Linke“, vom politischen Personal des westlichen Imperialismus natürlich gar nicht zu reden.

Dafür ziehen ihm die Schäfchen in den Machtzentren des Westens und in den Redaktionsstuben im Vorhof der Macht nun das Fell über die Ohren. Wenn in seiner Lesart der Evangelien im Christentum Gott mit Paulus (Römerbrief 5,1) ein Frieden bringender Gott ist, ja sein Kreuzestod als Symbol des Friedens gelesen werden soll (Kolloserbrief 1,20), ‚zur Hölle‘ mit Paulus Evangelium. Wie auch mit jenem des Evangelisten Lukas, der als programmatischen Spruch des christlichen Glaubens verkündete: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei Menschen des göttlichen Wohlgefallens“ (Lukas 2,14). Und dann auch noch die Bergpredigt Jesus‘: „Selig sind die Frieden Schaffenden, denn sie werden Kinder Gottes heißen.“ (Matthäus 5,9) Man könnte natürlich noch zahlreiche Stellen der historisch radikal-neuen Friedensverkündung des ursprünglichen Christentums heranziehen und ausbreiten. Und auch in ihrem Neuen, ihren Grenzen und späteren Wandlungen ausleuchten. Darum ist es hier indes nicht zu tun – obwohl den Führungsfiguren eines katholisch-protestantischen Westen ein theologisches Nachhilfeseminar ihres wie eine Monstranz vor sich hergetragenen Glaubens beiweilen nicht schaden würde.

Jedenfalls, in kriegstrunkenen Zeiten entgeht auch ein Papst dem Bannstrahl und Blöken seiner Wölfe im Schafspelz nicht. Auch nur der Gedanke einer Beendigung des Gemetzels und einer Verhandlungslösung beweist ihn als „Lumpenpazifist“ und „Agenten Putins“ (der ohnehin mehr Verständnis für die russische Seite als für die ukrainische aufbringe, weshalb man in Kiew schon lange den Stab über ihn gebrochen hat) – wie Figuren vom Schlage des ‚Roten Daniel‘ (Cohn-Bendit) aufwärts zu jenen der wirklichen Machtzentren blöken. Kann er denn, mit dem gemeingefährlichen Militärstrategen Franz-Stefan Gady gesprochen, nicht einfach in der Unheilslinie des Vatikans die Waffen für die „vernichtende Niederlage“ des russischen Bären „auf dem Schlachtfeld“ segnen? Also wirklich, ein Papst der für Frieden eintritt … Hat man Worte? Ging es nach den neuen Inquisitor:innen wider das Ketzertum, gehörten Franziskus Schriften denn auch taxfrei auf den „Index Librorum Prohibitorum“.

Foto: Claude Truong-Ngoc / Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0

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