Mali: Ein weiteres Desaster

Kaum im medialen Blick, haben nach fast zehnjährigem Militärengagement sowohl die ehemalige Kolonialmacht Frankreich wie nun auch Deutschland ihre Truppen aus Mali abgezogen. Im Jänner 2013 auch von vielen BewohnerInnen des Landes noch als letzte Rettung vor einem drohenden Fall der Hauptstadt Bamako an djihadistische Milizen betrachtet, gerieten die Streitkräfte der beiden führenden EU-Mächte zunehmend und immer lauter in Verruf. Sowohl aufgrund des Auftretens der europäischen Militärs im Land, wie infolge des zunehmenden Chaos, schleichenden Staatsverfalls und ausbleibenden Verbesserung der Sicherheitslage. Gegen die einstige Kolonialmacht in Paris wurde überhaupt der Vorwurf laut, in Wirklichkeit nicht nur bloß profane eigene Großmachtsinteressen zu vertreten, sondern in immer größeren Teilen der in einem komplizierten Mehrfrontenkampf stehenden Bevölkerung (gegen die islamistischen Gotteskrieger, die Militärregierung, neokoloniale Absichten und imperialistische Interessen, sowie Wirtschaftssanktionen) als der „wahre Pate der Terroristen“ zu erscheinen. Mehr noch: Aktuellst bezichtigt die Regierung Malis Paris der Spionage, schwerer Verstöße gegen die Souveränität des Landes und hegt Umsturzbefürchtungen seitens der ehemalige Kolonialmacht, wozu die malische Regierung auch eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats einfordert. Die Zukunft Malis ist ungewiss. Angesichts des französisch-deutschen Fiaskos hat Bamako dem Westen allerdings mit Schimpf und Lebewohl die weltpolitische Richtlinienkompetenz entzogen. Vor diesem Hintergrund denn auch ein aktueller Kommentar von Klaus Wagener aus der UZ:

Berlin und Paris wollten in Mali vorexerzieren, was von den europäischen „Vordenkern“ so gern „Strategische Autonomie“ genannt wird. Gemeint ist die Fähigkeit, ebenso wie die USA, in (fast) jedes Land des Globus einfallen und es nach Belieben ausplündern zu können. Mali erschien hinreichend schwach, eine ernsthafte Gegenwehr galt als unwahrscheinlich. Mali hat eine Lage von strategischer Bedeutung, eine erhebliche Landwirtschaft: Getreide, Baumwolle, Tabak; und es ist reich an wichtigen Mineralien: Gold, Diamanten, Edelsteine, Uran, Bauxit, Phosphate, Kalkstein und anderes. Im Mittelalter, bevor der europäische Kolonialismus das Land ruiniert hatte, galt Mali als eines der reichsten Länder der Erde.

In den 1980er Jahren hatte das US-Imperium in Afghanistan ein massives Aufbauprogramm für den islamistischen Fundamentalismus gestartet. In der Folgezeit waren die „Freiheitskämpfer“ als Killertruppe Washingtons nahezu weltweit exportiert worden. So auch nach Libyen, wo sie Oberst Muammar al-Gaddafi abschlachten sollten. „Wir kamen, wir sahen, er starb“ (Hillary Clinton). Nachdem sie den Auftrag erledigt hatten, sickerten die „Gotteskrieger“ auch nach Mali ein, wo sie halfen, die Lage so weit zu destabilisieren, dass sich die Militärintervention der alten Kolonialherren unter der Führung Frankreichs als „Krieg gegen den Terror“ verkaufen ließ.

Und nun der Rückzug. Frankreich ging schon im Februar, Deutschland in der vergangenen Woche. Die Verweigerung von Überflugrechten war als Begründung ins Feld geführt worden. Seit Mai 2021 weht in Malis Hauptstadt Bamako ein anderer Wind. Die Militärregierung unter Assimi Goïta hatte klargemacht, dass sie lieber mit Russland zusammenarbeitet. Außenminister Sergej Lawrow war, ganz im Gegensatz zur schulmeisterlichen deutschen Außenministerin, bei seiner Afrika-Reise wie ein Popstar gefeiert worden. Russische Militärtechnik wurde geliefert. Von einer Win-win-Situation war die Rede. Für Frau Baerbock kaum weniger als der Untergang des Abendlandes: Die Berichte über die Menschenrechtsverletzungen der malischen und russischen Truppen seien „furchtbar“. Es bricht eine neue Zeit an, auch in Afrika. Die Zeiten, in denen der Kontinent noch am europäischen Verhandlungstisch aufgeteilt werden konnte, wie auf der Berliner „Kongo-Konferenz“ 1884/85, sind Geschichte.

aus: Unsere Zeit vom 19.8.2022

Bild: European External Action Service

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