Rede: Hände weg von der HDP!

Alle zusammen gegen den Faschismus – Hände weg von der HDP – Solidarität mit der linken Opposition in der Türkei!

Die Rede von KOMintern anlässlich der heutigen Demonstration

Das reaktionäre AKP/MHP-Regime in der Türkei befindet sich in einer tiefen, multiplen Krise. Als Antwort auf die Hegemoniekrise verschärft es abermals seine Gangart gegen die linke Opposition – sei es das brachiale Einschreiten gegen die Boğaziçi-Proteste der Studierenden oder der Austritt aus der Istanbuler Frauenrechtskonvention und das Vorgehen gegen die erstarkte Frauenbewegung des Landes. Den politischen Hauptstoß bildet jedoch der institutionelle Frontalangriff auf die HDP.

Die Dachpartei HDP  – die linke Opposition in der „Großen Nationalversammlung“

Die Repressionswellen gegen die linke, pro-kurdische HDP (Demokratische Partei der Völker) sind dabei untrennbar mit den türkischen Parlamentswahlen im Juni 2015 verknüpft. Mit 13% der Stimmen knackte die Partei überraschend klar die 10%-ige Wahlhürde. Die AKP Erdoğans hingegen verlor mit diesem Erfolg der HDP erstmals ihre bis dahin gehaltene absolute Parlamentsmehrheit. Schon am Tag des Wahlausgangs machte der Despot am Bosporus allerdings klar, dass er nicht bereit ist dieses Wahlergebnis anzuerkennen.

Um wieder eine alleinige Regierungsmacht zu erringen, hat er das Land im unmittelbaren Gefolge seiner Wahlniederlage in einen militanten nationalistisch-chauvinistischen Taumel gejagt, eine Kaskade schmutziger Kriege gegen Kurdistan, die kurdische Befreiungsbewegung und türkische Linke entfesselt, der Presse, den religiösen Minderheiten (unter ihnen allen voran den Aleviten), sowie den kämpferischen Gewerkschaften und jeglicher Opposition den Krieg erklärt,  und den Ausnahmezustand über das Land verhängt.

Die Gunst der Stunde des Juli 2016 als „Geschenk Gottes“ nutzend – wie er offen kundtat –, trat der „neue Sultan von Ankara“ in einem „Gegen-Putsch“ daraufhin eine nochmals verschärfte, drakonische Säuberungskampagne und Repressionswelle los und brach eine regelrechte Kriegswelle gegen die kurdischen Landesteile, die Demokratische Konföderation Nord- und Ostsyriens (Rojava), sowie gegen die Guerilla-Gebiete im Nordirak vom Zaun und eröffnete in neo-osmanischer Ambition Kriegseinsätze und Aggressionen von Libyen bis Bergkarabach. Mit dieser Weichenstellung holte er zugleich die faschistische Partei der Nationalistischen Bewegung MHP – besser bekannt als Graue Wölfe – unter deren Vorsitzendem Devlet Bahçeli ins Boot und schmiedete die seitherige AKP/MHP-Koalition.

Gleichwohl gelang es der AKP/MHP-Phalanx nicht, die HDP auszuschalten, die selbst unter Bedingungen des Ausnahmezustands 2018 erneut mit 11,7% der Stimmen ins Parlament einzog.

Die Türkei in der manifesten Wirtschafts-, Corona- und Dauerkrise

Parallel befindet sich das Land seit gut drei Jahren in einer manifesten Wirtschafts- und Dauerkrise, die sich durch die Corona-Pandemie nochmals zusätzlich verschärfte.

Nach anfänglicher Leugnung der Corona-Gefahr – und absonderlichen Fernsehdebatten, ob nicht ein spezielles „Türken Gen“ immun gegen Covid19 mache –, schwenkte das Regime danach auf eine dilettantische, offen viel stärker der Profit-Logik verpflichteten und nationalistisch aufgeladene Corona-Politik („Türken helfen Türken“) um. Um „die Wirtschaft“ und das Geschäftsleben beispielsweise nicht allzu stark zu berühren, wurden die allgemeinen Ausgangssperren vornehmlich auf die freien Wochenenden und Feiertage gelegt. Zwischenzeitlich hat sich das Land zu einem regelrechten Corona-Epizentrum entwickelt – mit aktuell mehr als 60.000 Neuinfektionen am Tag. Die türkische Ärztevereinigung TTB warnt mittlerweile ganz offen vor dem Kollaps des Gesundheitssystems.

Die Arbeitslosigkeit liegt selbst nach offizieller Statistik bei 13%  – nach Angaben der großen Gewerkschaftsverbände jedoch mindestens doppelt so hoch. Die Lira befindet sich seit Jahren im Niedergang. Der chronische Wertverfall der türkischen Währung wiederum führt aufgrund der hohen Abhängigkeit des Landes von Importen zu einer steten, hohen Inflation. Entsprechend bewegt sich diese seit Jahren im zweistelligen Bereich und lag im April 2021 bei knapp 16%. Besonders unter Druck stehen dabei die Güter des täglichen Bedarfs. Millionen Haushalte sind damit in akuter Bedrängnis. Die Löhne und Gehälter bleiben immer weiter hinter den Lebenshaltungskosten und dem Preisniveau zurück. Und auch die von der AKP seit Machtantritt 2002 angekurbelte Privatverschuldung der Massen, hat mittlerweile einen Plafond erreicht und zu einer dramatischen Verschuldung der privaten Haushalte geführt. Die Unzufriedenheit in der türkischen Gesellschaft wächst entsprechend quer durch Bevölkerung.

Streiks und harte Arbeitskämpfe am Bosporus

Entsprechend ist die Regentschaft Erdoğans zugleich auch durchgängig auch mit harten Arbeits- und Streikkämpfen der Werktätigen konfrontiert. Schon das Jahr 2015 markiert diesbezüglich nicht nur den erstmaligen Verlust der absoluten Parlamentsmehrheit der AKP, sondern ist auch unauflöslich mit der als „Metallsturm“ bezeichneten Streikwelle im Metall- und Automobilsektor der Türkei verbunden. Und auch seither ebben die Streiks und Arbeitskämpfe nicht ab, sondern flammen weiter kontinuierlich auf. Sei es jener bei Süperpark(ein Tochterunternehmen des österreichischen Kartonweltkonzerns Mayr-Melnhof), der bei Nestle, oder jenem der ArbeiterInnen bei Flormar(ein Tochterunternehmen von Yves Rocher), bis hin zum mit Wasserwerfern, Tränengas, Spezialeinheiten der Polizei und Massenverhaftung hunderter Streikender niedergeschlagenen Bauarbeiterstreik am neuen Flughafen Istanbul oder dem seit über 1.000 Tagen währenden Streikkampf der Cargill-Arbeiter. Daran vermochte auch der über das Land verhängte Ausnahmezustand und dasdamit einhergehende faktische Streikverbot oder dem per Dekret unter seine Kontrolle gestellten „Staatlichen Aufsichtsrat“, mit welchem der „Palast“ in Ankara die Gewerkschaften ins Visier nahm, nichts zu ändern Und das selbst unter diesen Ausnahme-Bedingungen gewerkschaftliche Kämpfe gewinnbar bleiben, zeigt der erst eineinhalb Jahre zurückliegende, monatelange Arbeitskampf der Metallarbeiter in Bursa – zugleich Zentrum der Autoindustrie in der Türkei – mit seinen errungenen Lohnerhöhungen von bis zu 30%. Denn auch die Macht des Arbeitskampfes lässt sich nicht per Ausnahmezustand ersticken – wenngleich sich der gewerkschaftliche Organisationsgrad leider im rapiden Abnehmen befindet. Nichts desto trotz trugen und tragen aktuell gerade bspw. die Beschäftigten des Gesundheitswesens ihren Unmut auf die Straßen.  Am Donnerstag hatten die Ärzte zu landesweiten Protesten aufgerufen. In Ankara forderten die Beschäftigten des Gesunheitsbereichs u. a. bessere Arbeitsbedingungen, mehr Schutz, und einen Sechsstundentag. Zudem kritisierten sie das Regime lautstark wegen dessen Corona-Politik und skandierten: »Nicht die Pandemie, das System bringt um!«.

Repressionswellen bis hin zum drohenden Verbot der HDP

Nachdem in den vergangenen Jahren bereits über 16.500 Mitglieder und AktivistInnen der linksdemokratischen HDP inhaftiert wurden, Abgeordnete und BürgermeisterInnen reihenweise ihrer Ämter enthoben wurden bzw. ihr Mandat entzogen wurde, fordert der Vorsitzende der faschistischen MHP und Koalitionspartner Erdoğans, Devlet Bahçeli, seit Anfang dieses Jahres vom Obersten Gerichtshof der Türkei das direkte Verbot der oppositionellen HDP. Die Mission der von Alparslan Türkeş1969 gegründeten MHP – die das Land einst mit ihren paramilitärischen Todesschwadronen überzog – besteht seit ihrer Gründung im rabiaten Kampf gegen die türkische und kurdische Linke. Wenig später wetterte dann auch der 1. Berater von Erdoğan – Fahrettin Altun – in dieselbe Richtung, flankiert von einer kurz drauf durch Innenminister Süleyman Soylu (AKP) losgetretenen, breiten medialen Hetzkampagne gegen die Partei der Völker.

Mit dem jüngst von der Erdoğan und Bahçeli hörigen Oberstaatsanwaltschaft der Türkei eingereichten Verbotsantrag gegen die HDP beim Kassationsgerichtshof, droht folglich schlicht der finale institutionelle Frontalangriff gegen die linke Partei der Völker – um sich damit der stärksten linken und parlamentarischen Opposition zu entledigen und die pro-kurdische Linke für die Präsidentenwahlen 2023 auszuschalten.

Der Widerstand in den Gefängnissen

Zunächst, um die Isolation Öcalans auf Imralı zu durchbrechen und ihre Aufhebung zu erreichen, sind die PKK- und PAJK-Gefangenen in den türkischen Gefängnissen seit 27. November 2020 bis heute in einen gruppenweise, wechselnden Hungerstreik getreten – der in Solidarität auch immer wieder von weiteren Gruppen von RevolutionärInnen und Linken mitgetragen wird und sich mittlerweile zugleich auch gegen das forcierte Verbot der HDP richtet und ausdehnt.

Wie in anderen Ländern hat auch die Türkei im Vorjahr eine Änderung des Strafvollzugsgesetzes vorgenommen, die die Freilassung von bis zu 100.000 der über 400.000 Gefangenen wegen der hohen Ansteckungsgefahr und zur Vorbeugung gegen das Covid-19 in türkischen Gefängnissen vorsah. Darunter: gemeine Verbrecher, Mörder und Vergewaltiger.

Explizit ausgeschlossen davon waren und sind allerdings politische Gefangene – die dem AKP/MHP-Regime zufolge damit einfach von der Seuche hingerafft werden können. Eine menschenverachtende Diskriminierung und verhängtes „Feindstrafrecht“, über die sich auch der Europarat „entsetzt“ zeigte. Wenig überraschend forderte dieses offene „Feindstrafreicht“ denn auch bereits zahlreiche Opfer und Tote.

Alle zusammen gegen den Faschismus

Vor diesem Hintergrund hat das „Bündnis demokratischer Kräfte“ (Europäische Kräfteplattform), beginnend mit letzten Samstag, 10. April, eine langfristige, weltweite Kampagne „Alle zusammen gegen den Faschismus“ gestartet, die am heutigen 17. April unter der Losung steht:

Hände weg von der HDP – Solidarität mit der linken Opposition in der Türkei!

Rede der Demokratischen Gemeinschaftsplattform:

ALLE ZUSAMMEN GEGEN DEN FASCHISMUS

Seit ihrer Gründung hat die Demokratische Volkspartei (HDP) eine Politik gegen den faschistisch-kolonialistischen türkischen Staat und die Regierungsparteien betrieben und begonnen, einen gemeinsamen Kampf der Unterdrückten aufzubauen. Die HDP überwand die Zehnprozenthürde, die der faschistische Staatsblock bei den Wahlen am 7. Juni 2015 insbesondere gegen die Kurdinnen und Kurden verwendet hatte. Mit dieser Gründung, die den Faschismus herausfordert, erweiterte die HDP nicht nur die Front der Unterdrückten, sondern stärkte auch ihren Anspruch, die einheitliche demokratische Front der Völker zu sein.

AKP und Erdogan erklärten jedoch wieder den Krieg gegen die antifaschistische Einheit der Unterdrückten und gegen die HDP. Erdogan und AKP, die 2015 die absolute Macht verloren hatten, ließen die Wahlen wiederholen. Im November 2016 ließen sie viele Abgeordnete, darunter die HDP-Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, verhaften. Mit diesem politischen Putsch wollte Erdogan die gemeinsame Kampffront der Unterdrückten, Frauen, Jugendlichen, LGBTI+ -Personen und Arbeiter:innen auflösen. Durch die sich nicht beugende Haltung der HDP gelang dies jedoch nicht!

Während die AKP-Erdogan-Diktatur in den letzten 6 Jahren weitere Schritte zu ihrer Stärkung unternommen hat, haben die HDP und andere revolutionäre Kräfte ihren Kampf für die politische Freiheit entschlossen fortgesetzt. Nachdem AKP-Erdogan durch koloniale Kriegspolitik und politische Völkermordattacken den Widerstand nicht verhindern konnte, droht er jetzt mit dem Verbot der HDP. Tausende Mitglieder der HDP, darunter ehemalige Ko-Vorsitzende, Parlamentarier, Bürgermeister:innen, Provinz- und Bezirksverwalter:innen, werden derzeit in Gefängnissen festgehalten. Das Recht auf Repräsentation von Millionen von Wähler:innen, die in Europa und der Türkei leben, wird versucht zu rauben. Die HDP, die Partei der Völker, Frauen und Unterdrückten, ist jedoch entschlossen, sich faschistischen Angriffen nicht zu beugen!

9 HDP-Abgeordnete wurden gefangen genommen, als sie ihre Sitze im Parlament verteidigten. Dutzende Bürgermeister:innen wurden durch Zwangsverwalter abgesetzt, entlassen und später inhaftiert. HDP-Gebäude werden faschistisch angegriffen, und jeder HDP-Aktivist wurde mindestens einmal festgenommen oder verhaftet.

Schließlich wurde der Menschenrechtsverteidiger und HDP-Abgeordnete Ömer Faruk Gergerlioğlu mit Folter inhaftiert. Gergerlioğlu wurde während der Festnahme verletzt und ins Krankenhaus gebracht. Er wurde sogar mit Handschellen ans Patientenbett gefesselt.

Als in Österreich lebende HDP-Wähler:innen und Antifaschist:innen erklären wir heute, dass wir gegen all diese Angriffe nicht schweigen werden!

Wir verurteilen erneut die politischen und wirtschaftlichen Verhandlungen der Europäischen Union mit Erdogan. Wir laden alle Antifaschist:innen ein, auf die jüngsten Gespräche, insbesondere die Verhandlungen über Geflüchtete, zwischen der EU und Diktator Erdogan zu reagieren. Wir wissen, dass diejenigen, die mit einem faschistischen Staat am Tisch sitzen, sich nicht von ihnen unterscheiden werden.

Der Austritt des türkischen Staates aus der Istanbuler Konvention, die die Errungenschaft des Frauenkampfes darstellt, durch die Allein-Entscheidung des Diktator Erdogan; mit dem AKP-MHP-Erdogan-Regime, das die demokratischen Universitäts- Forderungen von Boğaziçi-Studenten nicht einmal tolerieren konnte; Seite an Seite mit der türkischen Bourgeoisie zu stehen, die die Interessen des Kapitals wertvoller findet als das Leben der Arbeiter: das bedeutet nur Akzeptanz des Faschismus. Wir möchten darauf hinweisen, dass Gespräche mit einem Diktator heißt diese antidemokratischen Praktiken von türkischen Staat gutzuheißen.

Von den Angriffen gegen die HDP betroffen sind heute Kurd:innen und alle unterdrückten Völker, die ihre Forderung nach freier und gleichberechtigter Staatsbürgerschaft nicht aufgeben, Alevit:innen, die seit Jahrzehnten ihre Glaubensgleichheit zum Ausdruck bringen, LGBTI+ -Personen, die ihre sexuelle Orientierung und Identität frei leben wollen. Frauen, die sagen, wir wollen nicht sterben, Student:innen, die eine freie demokratische und wissenschaftliche Universität wollen, diejenigen, die ihre Natur verteidigen, und auf Arbeiter:innen, die ihre Arbeit gegen das Kapital verteidigen.

Als in Europa lebende HDP-Wähler:innen, Revolutionäre und Antifaschisten wollen wir alle Demokrat:innen in Europa aufrufen:

– Alle Beziehungen der EU zum faschistischen Erdogan und zur AKP-MHP-Regierung sind abzulehnen

– Seien Sie solidarisch mit den antifaschistischen Migrant:innen, die sich den faschistischen Angriffen des türkischen Staates und der türkischen Regierung widersetzen!

– Nehmen Sie Stellung gegen die Pläne für Attentate und faschistische Angriffe, die von den nationalistisch-grauen Wölfen in Europa durchgeführt werden können!

Wir sind sowohl in der Türkei und in Kurdistan als auch in Europa und wollen unseren gemeinsamen Kampf der internationalen Front gegen den Faschismus überall verstärken. Weder in der Türkei/ Kurdistan, noch in irgendeinem anderen Land in Europa werden die faschistischen Regierungen ihre Ziele erreichen!

Wir werden den Faschismus gemeinsam besiegen!

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