Am Dienstag jährt sich der 11. Jahrestag der von langer Hand vorbereiteten Morde an Sakine Cansız, Mitbegründerin der PKK und führende Repräsentantin der kurdischen Frauenbewegung, der Vertreterin des Kurdischen Nationalkongresses Fidan Doğan, und der Aktivistin der kurdischen Jugendbewegung Leyla Şöylemez. Die drei Revolutionärinnen wurden am 9. Januar 2013 in den Räumlichkeiten des Pariser Kurdistan-Informationsbüros durch gezielte Kopfschüsse aus nächster Nähe regelrecht hingerichtet. Mit dem heimtückischen Anschlag von Dezember 2022 auf das Ahmet-Kaya-Kulturzentrum gewinnt der Jahrestag nochmals zusätzlich an Brisanz.
Demo in Wien diesen Samstag, 6.1. 2023, Treffpunkt: 15:00 vorm Parlament.
Erschossen wurden die drei Revolutionärinnen vor einem Jahrzehnt von Ömer Güney, ein in die kurdischen Strukturen eingeschleuster Anhänger der faschistischen Grauen Wölfe, auf direkten Mordbefehl aus Ankara. Zwischenzeitlich bekannt gewordene Dokumente und Aussagen erweisen eindeutig, dass die Operation zur Ermordung von Sakine Cansız – die schon unter der Militärdiktatur in der Türkei zwölf Jahr in Haft verbringen musste – von dem Funktionär des türkischen Geheimdienstes MIT, Sabahattin Asal geleitet worden war.
Die seinerzeit 54-jährige Cansız galt schon zu Lebzeiten als Legende. Ihre in zwei Bänden erschienen Erinnerungen „Mein ganzes Leben war ein Kampf“ wiederum geradezu als ein ‚Muss‘ für alle, die sich ein ansatzweises Verständnis des Konflikts, der Verhältnisse und des kurdischen Freiheitskampfes verschaffen wollen.
Der Prozess gegen den allerdings einzig Angeklagten (obwohl in der Anklageschrift schon damals eine Tatbeteiligung des türkischen Geheimdienstes eingeräumt wurde) und den französischen Behörden bekanntermaßen schwer kranken Ömer Güney wurde jedoch so lange verschleppt, dass dieser im Dezember 2016 wenige Wochen vor dem beständig verschobenen und zuletzt für den am 23. Jänner 2017 angesetzten Termin unter bis heute rätselhaften Umständen verstarb. Genauer gesagt wurde er aufgrund seiner Krankheit am 19. Dezember 2016 aus der Haft entlassen und war kurz darauf tot. Offiziell verstorben an einem Gehirntumor. Das Verfahren wurde daraufhin eingestellt, womit die Hintermänner und Hintergründe dieser extralegalen politischen Hinrichtung mitten im Herzen Europas im Detail im Dunkeln blieben und Frankreich einem Konflikt mit der Türkei sowie weiteren internationalen Verwicklungen ausweichen konnte.
Erst 2019 wurden die Ermittlungen, nunmehr auch explizit gegen den türkischen Geheimdienst, wieder aufgenommen – bislang jedoch ohne Ergebnis und Aufklärung, obwohl eine Reihe Hintermänner auch namentlich bekannt sind. Denn die Ermittlungsakten und Geheimdienstdokumente werden von Frankreich bis heute als geheim klassifiziert und unter Verschluss gehalten. Was mit der neuen Bekleidung des Amts des türkischen Außenministers durch den langjährigen MIT-Chef und seinerzeitigen obersten Geheimdienstler Ankaras, Hakan Fidan, nochmals an zusätzlicher Brisanz gewonnen hat.
Zur dahinter nur umso ungeschminkter hervorlugenden Doppelmoral und NATO-Kumpanei genügt es schon, die Reaktion Frankreichs und der EU auf die extralegale politische Hinrichtung der drei kurdischen Aktivistinnen mitten in Europa mit jener zum bis heute undurchsichtigen Fall des – gescheiterten – Giftanschlags auf Sergej Skripal 2018 zu vergleichen. So mysteriös der Skripal-Anschlag bis heute ist: auf die Stunde wurden Dutzenderweise Botschafter und Diplomaten Moskaus ausgewiesen und auch Sanktionen verhängt. Skripal überlebte den bis heute intransparenten Anschlag bekanntlich. Seine Strafe für Hochverrat hatte er schon vor seinem Austausch gegen FBI-Agenten verbüßt. Aktuelle militärische Geheimnisse des GRU kannte er mit Sicherheit keine mehr. Wie dem auch immer. Ankara jedenfalls braucht sich seinerseits um internationale Verwicklungen keinen Kopf zu machen. Zur Not gebührt Erdoğan und Fidan die westliche Doppel-Null, sprich: die Lizenz zum Töten á la 007.
Alljährlich gehen denn auch in Paris und quer durch Europa Tausende Kurdinnen und Kurden auf die Straßen, um gegen die Blockade der Ermittlungen zu protestieren und die vollständige Aufklärung der Morde zu fordern und der Straflosigkeit für die Verantwortlichen ein Ende zu setzen. In Wien diesen Samstag, 6.1. 2023, Treffpunkt: 15.00 Uhr vorm Parlament.