Patente freigeben – ohne Wenn und Aber!

Mit einem Virus lassen sich keine Kompromisse schließen!

„Niemand ist sicher vor COVID-19, bevor nicht alle davor sicher sind. Selbst wer das Virus in seinen eigenen nationalen Grenzen besiegt, bleibt Gefangener dieser Grenzen, solange es nicht überall besiegt ist“, eröffnete der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den WHO-Gipfel in Berlin vor einem Jahr.

Ebenso stellten Wissenschaft und WHO bereits von Anfang an klar: Die Corona-Pandemie lässt sich nur global überwinden. Und wie, als ob es dafür noch eines gesonderten Beweises bedurft hätte, tritt aktuell gerade die (wohlweislich) nochmals ansteckendere Corona-Variante Omikron ihren Seuchenzug um den Globus an und hat zugleich den WTO-Patentegipfel gekippt.

Die unerträgliche globale Ungleichverteilung der Covid-Impfstoffe

In diesem wiederum zeigt sich wie in einem Brennspiegel allerdings nicht nur die globale Vernetzung der Welt, sondern zugleich auch die gesellschaftliche und gesundheitspolitische globale Ungleichheit – nicht zuletzt die Corona-Impfstoffe betreffend. Und diese globale Ungleichheit der Impfstoffverteilung ist ungebrochen schockierend. Die großspurige Ankündigung der imperialistischen Kernländer, einen weltweiten „fairen“ Zugang zu Impfstoffen zu gewährleisten, ist für die große Mehrheit der Weltbevölkerung nach wie vor in weiter Ferne.

Neben der darin zum Ausdruck kommenden rigorosen Abmauerung einer eigentlich unabdingbaren, international koordinierten Pandemiebekämpfung, wird darin auch die verheerende globale Dimension wieder ein Stück weit virulent. Corona hat ungebrochen weite Weltteile fest im Griff, rafft zu Hunderttausenden und Millionen deren Bevölkerungen dahin und in vielen ärmeren Ländern kollabieren weiterhin die Gesundheitssysteme.

Während die reichen, zahlungskräftigen Länder sich mit einem Vielfachen der benötigten Impfstoffe versorgt haben und regelrecht überschüssige Impfdosen horten, sind Vakzine in ärmeren Ländern immer noch krasse Mangelware. „Es ist unerträglich, dass in einer andauernden Pandemie manche Länder Millionen Dosen zu viel einkaufen und Impfstoffe teilweise sogar verfallen lassen, während andere noch nicht einmal Hochrisikogruppen und das gesamte Gesundheitspersonal schützen können“, empörte sich zuletzt denn auch eine Impfstoffexpertin von „Ärzte ohne Grenzen“.

Dieser globalen Impfstoffverteilung nach der ökonomischen Potenz der Länder entsprechen korrespondierend auch die schlicht an Zahlkraft und Profit-Logik ausgerichteten Vertragsabschlüsse und Impfstoff-Lieferstrukturen der Pharmaindustrie. Das überwältigende Gros der Vakzine geht an die reichen Länder, teils auch noch an die sogenannten „Middle Income-“Staaten. Die Länder des Globale Südens müssen sich hingegen mit kläglichen Tropfen auf den heißen Stein begnügen bzw. schauen bislang überhaupt durch die Finger. An sie gingen seitens Pfizer und Biontech bis heute weniger als 1% ihrer Impfstoffe, Moderna hat an sie überhaupt gerade einmal 0,2% seiner Vakzine geliefert. Viel krasser könnte die Zugangsungleichheit kaum liegen.

Verschärft unterstrichen wird dies noch dadurch, dass südafrikanischen Seuchenexperten wie Salim Abdool Karim davon ausgehen, dass auch die bereits existierenden Impfstoffe bei Omikron vor schwere Krankheitsverläufen schützen würden.

Ein Impfstoff-Nationalismus, der der Profit-Logik des Metropolenkapitalismus und der globalkapitalistischen Vermachtung strukturell eingeschrieben ist und nur in breiter und konsequenter Gegenmacht durchbrochen werden kann – sollen der Globale Süden und Großteil der Weltbevölkerung nicht neuerlich unter die Räder geraten, wie schon in der Vogelgrippe 2009.

Um eine gebotene Versorgung mit Vakzinen zu erreichen, ist daher eine unverzügliche Freigabe der Patente (bzw. Lizenzvergaben und die temporäre Aussetzung des herrschenden Patentsystems sowie Technologietransfers) von Nöten. Dies scheitert bisher allerdings immer noch an weltmarktbeherrschenden Pharmakonzernen und ihren Regierungen – auch wenn deren Phalanx etwas ins Bröckeln gekommen ist.

Die Pharmaindustrie: 1.000 Dollar Gewinn in der Sekunde & neues Technologiemonopol

Die Pharmaindustrie ihrerseits wiederum gehört sowohl zu den profitabelsten wie (mit) zu den am Höchsten konzentrierten Industrien der Welt. Meist teilen sich drei bis vier Pharma-Riesen den Markt in den jeweiligen Produktsegmenten.

Und in der Pandemie hat Big Pharma zudem eine regelrechte neue Chance einer zusätzlichen Lizenz für Monopolprofite entdeckt. Denn eigentlich werden Impfstoffe von der Pharmaindustrie eher stiefmütterlich behandelt oder fallen aufgrund ihrer ungewissen, oft geringeren Rentabilität ganz durch den Raster. Renditeerwartungen und Profite sind im kapitalistischen System nun mal wichtiger als Menschenleben und Seuchenprophylaxe. Und so steuern auch die Gewinnerwartungen, nicht die medizinisch-gesundheitlichen Bedarfe, das Gesamtgeschäft. Novartis etwa hat den Geschäftsbereich daher 2014 gänzlich abgestoßen. Roche wiederum ist im Impfstoffbereich gar nicht tätig. Die für Infektionskrankheiten bzw. zoonotische Seuchen relevanten Forschungen finden demgegenüber gewöhnlich vornehmlich in öffentlich finanzierten Universitäten und Forschungseinrichtungen statt. Noch 2017 lehnten die europäischen Pharmakonzerne eine EU-Initiative in Richtung Impfstoffentwicklung rundweg ab: zu wenig profitabel. Aufgrund der mit der Corona-Pandemie in die Entwicklung eines Serums gepumpten milliardenschweren Subventionen und Förderungen, sowie der staatlich garantierten weltumspannenden Absatzmärkte, ist unter den Pharmariesen allerdings eine regelrechte Goldgräberstimmung ausgebrochen und die bislang nachhinkende kommerzielle Impfstoffentwicklung ins Gegenteil umgeschlagen. Und das hat sich für die Pharmaindustrie gelohnt.

So hat die deutsche Regierung beispielsweise der Pharmaindustriesofortige 750 Millionen Euro für die Impfstoffentwicklung bereitgestellt. An Steuergeld versteht sich. Und davon allein 375 Millionen Euro Subventionen in die Mainzer Firma Biontech gesteckt. Heute gehört Ugur Sahin, zusammen mit seiner Frau Özlem Türeci, GründerInnen des Pharmaunternehmens, zu den 500 reichsten Menschen der Welt. Die mit dem US-Pharmariesen Pfizer verbundene Firma kassierte denn auch allein im ersten Halbjahr 3,9 Milliarden Euro. „Keine Frage“, resümierte die deutsche „FAZ“ dazu bereits am Jahresende des Vorjahrs, „Biontech hat davon profitiert, dass der Staat Grundlagenforschung finanziert. Die beiden Gründer sind Professoren der Universität Mainz, das Unternehmen hat Kredite und Fördergelder von der öffentlichen Hand bekommen. So funktioniert gute Marktwirtschaft in der Theorie seit Jahren. Grundlagenforschung finanziert lieber der Staat, die Produktentwicklung überlässt man lieber gewinnorientierten Unternehmen“ (27.12. 2020).

Weltweit beliefen sich die staatlichen Ausgaben für Covid19 Impfstoffe und Therapeutika Schätzungen zufolge auf mindestens 93 Milliarden Euro, „ohne dass die Regierungen dies [Anm.: von vereinzelten Ausnahmen abgesehen] an Bedingungen wie Zugang, Preistransparenz und Wissenstransfer knüpften.“ (Anna Weber)

Entsprechend beklagte der holländische Virologe Peter Rottier schon zu Pandemie-Ausbruch: „Wir schlagen uns jetzt mit einem Virus herum“, das seit den Erfahrungen der SARS-Epidemie 2002/2003 der Wissenschaft weitgehend gut bekannt ist. „Bis vor kurzem haben wir noch vergeblich versucht, Geld für die Erforschung von Impfstoffen und Therapien gegen das Sars-Virus zu bekommen.“ Die auf diesen teils jahrzehntelangen Arbeiten beruhenden Forschungsergebnisse und das Know-how der Unis und Forschungsinstitute wurden den Pharmainstituten zur schnellst möglich gebotenen Entwicklung eines Serums natürlich quer über den Globus zur Verfügung gestellt und von diesen in nun eiligst gesuchten Kooperationen für ihre Verwertungszwecke angeeignet.

Zugleich erwies sich die Corona-Krise als die ultimative Chance für die neue RNA-Technologie. Die großen Pharmariesen hatten diese eigentlich vor wenigen Jahren, obwohl vielversprechend, aus verschiedenen Gründen schon mehr oder minder zur Seite gelegt. Nur wenige kleinere Firmen, wie Biontech und Moderna, blieben unbeirrt dran. Mit der Covid-19-Pandemie hat der mRNA-Impfstofftechnik nun in der Tat die Stunde geschlagen. Die Zentren des Metropolenkapitalismus, EU und USA, setzten von Anfang an alles auf diese Serum-Methode. Zwischenzeitlich ist in der Pharmaindustrie, unterstützt von ihren jeweiligen staatlichen Heimatbasen, ein regelrechtes Wettrennen und Wettrüsten an der RNA-Front ausgebrochen. Die die letzten Jahre wieder etwas ins Hintertreffen des Fokus von Big Pharma getretene Technik erweist sich jetzt als regelrechter Goldesel und Zukunftstechnologie.

Und während die Pandemie ungebrochen Hunderttausende dahinrafft, verteidigt die Pharmaindustrie denn auch ihre Lizenz für Monopolprofite mit Zähnen und Klauen und schürft Extraprofite geradezu perversen Ausmaßes damit. Das Bündnis People’s Vaccine Alliance hat auf Grundlagen der Geschäftsberichte, Konzernangaben und Pharma-Daten jüngst die Profite mit den Vakzinen genauer berechnet – und das Ergebnis ist selbst für den Otto-Normal-Kapitalismus einfach ebenso abartig wie astronomisch: Pfizer, Biontech und Moderna machen mit ihren Covid-Impfstoffen pro Sekunde einen Gewinn von mehr als 1.000 Dollar. In Worten: mehr als Tausend Dollar jede Sekunde oder genauer: 65.000 Dollar in der Minute.

Entsprechend seines Finanzberichts weist Biontech 2021 denn auch eine Gewinnquote von 77% vor Steuern aus. Diese Profitmaschine hat während der Pandemie neben Ugur Sahin so auch noch 4 weitere neue Milliardäre hervorgebracht, denen die Seuche zusammen annähernd drei Dutzend Milliarden Dollar Nettovermögen in die Hände spülte.

Patente sofort per Beschluss des WTO-Generalrats freigeben & Corona-Impfstoffe als globales öffentliches Gut bestimmen

Ab heute Dienstag hätte, wie eingangs angedeutet, eigentlich der WTO-Gipfel zur Patentfreigabe stattfinden sollen. Auf Initiative von Südafrika und Indien fordern schon seit geraumer Zeit eine überwältigende Mehrheit der WTO-Mitgliedsländer (unterstützt von hunderten internationalen NGOs und Gewerkschaften, sowie auch der UN-Menschenrechtskommission, der WHO, der UNESCO und über 140 ehemaligen Regierungschefs und NobelpreisträgerInnen) die Freigabe der Impfstoff-Patente (bzw. Lizenzvergaben und die temporäre Aussetzung des herrschenden Patentsystems sowie Technologietransfers). Aber während die Mehrheit der Mitgliedsländer und Wissenschaft nachdrücklich für die zeitweise Suspension der Patentrechte votiert, sperren sich die politische Pharmalobby gegen die dringend nötige Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe. So auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und die Wirtschaftsvertreter des Fachverbands der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO).

Dass der WTO-Gipfel zur Patentfreigabe gerade aufgrund der grassierenden neuen Corona-Variante Omikron, die zahlreichen Delegierten auf Grund der Einreisebeschränkungen die Teilnahme am Genfer-Gipfel verunmöglicht hat, auf unbestimmte Zeit verschoben werden musste, zeigt nur, welch Feuer am Dach ist.  

Großspurig und mit besorgter Mine hatten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron für „Team Europa“ den Corona-Impfstoff einst als „globales öffentliches Gut“ tituliert. Seit es ums Eingemachte geht, haben sie, die EU (inklusive Österreich), Großbritannien und die weiteren üblichen Verdächtigen des Metropolenkapitalismus, freilich mit aller Macht jeden Schritt der WTO in diese Richtung blockiert.

Um der Pandemie endlich Einhalt zu gebieten und das Massensterben zu beenden, reichen allerdings keine paar Brosamen, eventuelle Preisnachlässe, ein Revival des von Anbeginn zum Scheitern verurteilten Covax-Projekts, freiwillige Spenden ablaufender Impfstoffe, bevor sie im Müll entsorgt werden, oder irgendwelche Kompromiss-Übereinkünfte etc., als ob sich mit einer Seuche ein Kompromiss schließen ließe. Es braucht vielmehr eine unverzügliche Freigabe der Impfstoff-Patente (sowie auch der geistigen Eigentumsrechte aller weiteren notwendigen Mittel von Medikamenten bis zu technischen Instrumenten wie Beatmungsgeräte) ohne jedes Wenn und Aber und der Bestimmung des Corona-Impfstoffes als „globales öffentliches Gut“.

Der Generalrat der WTO hat auch die Befugnis diesen Beschluss trotz Ausfall des WTO-Gipfels umgehend und wenn es sein muss auch per Online-Meeting zu fällen. Wann, wenn nicht jetzt?

Foto: Iris Frey, Attac Österreich

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