MAN Steyr – Motor & wirtschaftlicher Pfeiler der gesamten Region

Am Freitag, 26.3., findet die entscheidende Betriebsversammlung bei MAN Steyr über die Zukunft des Werkes bzw. Kampfmaßnamen statt. Eine Betriebsversammlung, die nicht „nur“ für die 2.300 Beschäftigten selbst, sondern für die gesamte Region enorme Bedeutung hat. Wir dokumentieren dazu – obschon uns in den Kampfperspektiven unterscheidend –  in stark gekürzter Form die nichts desto trotz äußerst lesenswerte Reportage aus Arbeit und Wirtschaft vom November 2020. Hier die gesamte Reportage

Notfalls müssen die Riemen fallen

Nur einen Kilometer vom Stadtplatz entfernt, erstreckt sich auf 500.000 Quadratmetern das gigantische Areal des MAN-Werks. Lastwägen mit roten und weißen Fahrerhäusern wuseln durch das Gelände, auf einem Parkplatz warten Dutzende Lkws auf ihre Auslieferung. „Pro Tag produzieren wir hier neunzig Lastwägen“, erzählt Erich Schwarz, Vorsitzender des Arbeiter*innenbetriebsrats. Die Auftragsbücher sind voll, die Produktion läuft auf Hochtouren. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass hier das Aus droht. „Notfalls müssen die Riemen fallen und für einige Stunden der Betrieb lahmgelegt werden“, meint Erich Schwarz.

Fehlwirtschaft ist schon lange bekannt

Im Jänner 2020 unterzeichneten die Aufsichtsratsmitglieder der MAN Truck & Bus Österreich GmbH den sogenannten Beschäftigungs- und Standortsicherungsvertrag. Damit garantierten sie die Fortführung des Standorts bis 2030. Nach nicht einmal zehn Monaten kündigte der Vorstand den Vertrag einseitig auf. Die Produktion sei zu teuer, der Konzern müsse sparen. Zukünftig soll in Polen und in der Türkei produziert werden. Den Vertragsbruch wollen die Betriebsrät*innen keinesfalls hinnehmen. Derzeit prüfen sie, ob eine einseitige Kündigung überhaupt möglich ist.

Was aber das Vertrauen betrifft, da ist viel Porzellan zerbrochen. „Den Vertrag haben wir ja nicht einfach so bekommen. Im Tausch haben wir flexiblen Arbeitszeiten zugestimmt und produzieren zwei Lkws pro Tag kostenlos“, so Schwarz. Die wirtschaftliche Schieflage im Konzern ist schon länger bekannt. Die kleinen und mittleren Lkws, die in Steyr produziert werden, werfen kaum noch Gewinne ab – auch wenn die Zahlen immer schwarz waren. Hinzu kommt: Bis 2025 muss laut EU-Verordnung der CO2-Ausstoß um 15 Prozent reduziert werden, sonst drohen Strafzahlungen. In Zukunft sollen die Lastwägen daher vor allem mit Strom oder Wasserstoff fahren. Der übliche Dieselantrieb ist in der Form nicht zukunftsfähig.

Das Problem dabei: Die neuen Antriebstechnologien müssen erst entwickelt werden, und das sei immens teuer. „Es werden Dinge verlangt, für die es noch gar keine Infrastruktur gibt. Da muss die Politik einschreiten“, fordert Schwarz, „hier in Steyr sitzt seit 100 Jahren geballtes Know-how. Fast jeder, der am Bandl steht, ist Facharbeiter. Wir in Steyr können die Produktion in die Zukunft fahren.“ Verzichte der VW-Konzern auf dieses Know-how, brülle der Löwe in fünf Jahren nicht mehr, und zwar nirgendwo, spielt Schwarz auf das Firmenlogo an. Denn bis die Produktion in Polen oder der Türkei anlaufe, sei es zu spät. Es brauche Jahrzehnte, um die Abläufe zu optimieren.

Die Ungewissheit – wie ein Stein im Bauch

Die Ungewissheit sei das Schrecklichste, meint Fritz, „wie ein Stein im Bauch“. Fritz, 51 Jahre alt, arbeitet seit 31 Jahren im Werk. Er und seine Kolleg*innen sind enttäuscht und wütend. Viele haben Angst um ihre Zukunft. „Ich bin 46 Jahre alt, gelernter Mechaniker und seit 14 Jahren bei MAN“, erzählt Thomas. „Wer nimmt mich denn noch?“ Der Arbeitsmarkt sei eng, die umliegenden Betriebe könnten nie und nimmer alle Mitarbeiter*innen beschäftigen. „Wenn MAN zusperrt“, so Manfred, „ziehen auch die Kinder weg. Was heißt das für die Region?“

 „Da passt so viel nicht zusammen“, schüttelt auch Christoph den Kopf. „Der Konzern sagt, er muss sparen, und gleichzeitig schüttet er hohe Dividenden an Aktionäre aus.“ Erst kürzlich wurde Leihpersonal aufgenommen, um die vielen Aufträge zu stemmen. „Wir haben letztes Jahr nicht nur Überstunden gemacht, wir haben sogar freiwillig unseren Betriebsurlaub um eine Woche verkürzt, um Lieferzeiten einzuhalten“, erinnert sich Thomas. „Wenn uns der Betrieb gebraucht hat, waren wir immer da.“ Die meisten Beschäftigten arbeiten seit Jahrzehnten hier, wie schon ihre Eltern und Großeltern. Von klein auf hat es geheißen: „Wennst zu MAN gehst, hast einen sicheren Arbeitsplatz.“ Dass in den letzten Jahren einiges besser hätte laufen können, ist auch den Mitarbeiter*innen nicht entgangen: „Wir haben mal ein Konzept ausgearbeitet, wie wir effizienter produzieren könnten. In München waren sie nicht erfreut über unsere Initiative. Ob wir ihnen etwa erklären wollen, wie sie arbeiten sollen, hat es dann geheißen.“ Damit war die Sache gegessen.

5.000 Arbeitsplätze wackeln

Auf dem Spiel stehen nicht nur die 2.300 Arbeitsplätze bei MAN. Unmittelbar am Werk hängen viele Zulieferbetriebe und die regionale Wirtschaft. 5.000 bis 6.000 Menschen könnten von der Schließung betroffen sein. An der Zufahrt zu MAN liegt die Pizzeria Mido von Gabriela Daaboul. Bei Schichtwechsel macht sie ihr Hauptgeschäft. „80 Prozent meiner Kund*innen kommen von MAN“, sagt Gabriela. Wöchentlich werden 100 bis 200 Pizzen allein für MAN in den Holzofen geschoben. Für sie hätte eine Schließung unmittelbare Folgen.

Ein paar Meter weiter betreibt Patrick Lederer eine Trafik. Seit sieben Jahren leitet der 29-Jährige das Geschäft. Die Beschäftigten sind ihm ans Herz gewachsen. „MAN, das ist wie eine zweite Familie für mich.“ Kurz nach fünf Uhr morgens, vor Schichtbeginn, kommen die ersten Arbeiter*innen zu ihm. Die Stimmung sei momentan mies, das bekommt er natürlich mit. „Bei vielen geht es um die Existenz. Einige schlafen nachts nicht mehr, wissen nicht, wie sie zukünftig ihre Kredite zurückzahlen sollen. Wie kann man nur so ein Zugpferd schließen wollen?“ Dabei sind erst vor zwei Jahren 60 Millionen Euro in die größte Kunststofflackieranlage Europas bei MAN investiert worden – ein deutliches Signal nach außen, dass es fortschrittlich in die Zukunft geht. Für den Elektriker Andreas Tisch war die Inbetriebnahme der Anlage das bisher forderndste Projekt seit seiner Zusammenarbeit mit MAN. Seit über zwanzig Jahren gehen er und sein Team von EGB Steyr bei MAN ein und aus, warten die Maschinen, installieren Brandmelder und Zutrittskontrollen, versorgen das Unternehmen mit allen nötigen Elektroinstallationen. „Uns verbindet eine enge Partnerschaft“, so Tisch. Wenn MAN zusperrt, verliert auch EBG einen wichtigen Kunden.

Klimafreundlich in die Zukunft fahren

Zurück zum Stadtplatz, wo das historische Rathaus thront. Hier verwaltet Bürgermeister Gerald Hackl seit elf Jahren die Geschäfte der Stadt. Der gebürtige Steyrer ist mit der Lkw-Produktion tief verwurzelt. Als Jugendlicher hat er hier in den Sommerferien gutes Geld verdient. Steyr ohne MAN, das will er sich gar nicht vorstellen. „Wir gehen davon aus, dass dieser Worst Case nicht eintreten wird.“ Hackl kämpft an der Seite der Betriebsrät*innen um den Erhalt des Werks. Gemeinsam mit 24 Bürgermeister*innen aus der Großregion hat er einen offenen Brief an den MAN-Vorstand verfasst und signalisiert: Wir sind bereit, MAN zu unterstützen. Der Standort habe immer schwarze Zahlen geschrieben, mit der E-Mobilität sei ein wichtiger erster Schritt gesetzt. „Wir sind für die Zukunft sehr gut aufgestellt. Ich bin überzeugt, dass Produktion und Entwicklung in Steyr eine Fortsetzung finden können und sollen.“

Die Betriebsrät*innen von MAN Österreich und Deutschland fordern in einem offenen Brief an Ministerien und Abgeordnete ein Hilfsprogramm für die Entwicklung klimafreundlicher Antriebe. Wenn die Politik nicht rasch handle, finde die gesamte Entwicklung von Zukunftstechnologien ohne Österreich und Deutschland statt. „Die Politik muss sich festlegen, in welche Richtung es gehen soll: Brennstoffzellen, E-Antrieb oder effizienterer Dieselantrieb. Alles auf einmal geht nicht.“ Der Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen wäre nicht nur ein Versagen des Managements, sondern auch der Politik. Erich Schwarz und Thomas Kutsam kämpfen in der Zwischenzeit weiter – voller Zuversicht: „Wenn wer für die Zukunft bauen kann, dann wir in Steyr!“

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