„Bezahlt wird nicht!“ Dario Fo vor einer Renaissance?

Der durch die EU brausende, erdrückende Inflations-Tsunami frisst europaweit regelrecht die Löhne, Gehälter, Transferleistungen und Pensionen sowie hart ersparte Rücklagen der Arbeitenden und Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf. Die Bevölkerungen ächzen quer durch den Kontinent um noch über die Runden zu kommen. Die Union ist in die tiefste soziale Krise seit ihrem Bestehen gerutscht. Und anders als in der Hochinflationszeit der 1970er hinken die Löhne und Gehälter heutzutage der Teuerung hilflos hinterher. Als Folge prognostizierte der Ökonom Alfie Stirling jüngst: „Dieses Jahr erleben wir den schärfsten Rückgang des Lebensstandards in der jüngeren Geschichte“. Eine der eher unorthodoxen Antworten auf die zunehmende soziale Misere weist dabei auf das einst äußerste populäre, aber auch hart in die Mangel genommene Bühnenstück des Literaturnobelpreisträgers Dario Fo „Bezahlt wird nicht!“ zurück.

Sollte es den Gewerkschaften und Massen in harten Arbeitskämpfen und sozialen Protesten nicht gelingen, noch eine soziale Wende, entsprechende Löhne und ein leistbares Leben für alle zu erringen, bleibt vielen Arbeitenden und einfach EU-BürgerInnen – im hiesigen Kontext überspitzt in Szene gesetzt – wohl nicht viel mehr, als sich in ihrer sozialen Not wieder einmal am äußerst populären Theaterstück des Nobelpreisträgers Dario Fo „Bezahlt wird nicht!“ („Non si paga!“) zu inspirieren.

Das Stück entstand im Sommer 1974 als Antwort auf die zunehmende soziale Misere und hohen Lebenshaltungskosten: Eines Tages ziehen die Kunden in „Non si paga!“ in kostenfreier „Selbstbedienung“ unter der Losung „Bezahlt wird nicht!“ einfach an den Supermarktkassen vorbei und zahlen nicht mehr. In Fo’s unnachahmlichem Stil und seiner Pointensicherheit überzeugen die Frauen im Stück schließlich ihre in Bezug auf die Formen des Klassenkampfs – für Fo – gleichsam traditioneller geprägten Männer von der neuen Taktik im Klassenkampf bzw. dem „Wert dieser neuen Form des Streiks“.

Fo wurde daraufhin wegen Anstiftung zur „Plünderung“ angezeigt, mehrmals auf offener Bühne verhaftet, erntete jahrelanges Auftrittsverbot im Fernsehen und wurde von Washington bis 1984 mit einem Einreiseverbot in die USA belegt. Dabei unterstrich der Schriftsteller selbst im Vorwort: „Wir sind überzeugt, dass im Gelächter, im Grotesken der Satire, der höchste Ausdruck des Zweifels liegt, die wichtigste Hilfe der Vernunft.“ „Deshalb haben wir als Mittel und Instrument unserer Arbeit als Theatermacher im Dienst des Klassenkampfs die Farce gewählt.“

Gleichsam konkrete, organisierte Gestalt angenommen hat Dario Fo’s Bühnenstück des „sozialen Ungehorsams“ gleichviel zunächst zwei Jahre später in den Stadtrand-Ghettos der italienischen Städte, in denen die Bewohner aus Protest ihre Zahlungen für Strom, Gas und Miete einstellten und die Realität die Bühne mit der Erfindung des „Einkaufs zu angemessenen Preisen“ einholte.

In Großbritannien wiederum soll „No si paga!“ aufgrund der drastischen, massenhaften Energiearmut heute sozusagen in Form der „Don’t Pay“-Kampagne ihre Renaissance feiern. „Das Ziel der Kampagne ist, dass eine Million Menschen ihre Bereitschaft zum Boykott deklarieren“, so Lisa Mittendrein in ihrer näheren Ausleuchtung der Kampagne. „Nur dann rufen die Initiator:innen auch tatsächlich dazu auf, die Rechnungen nicht zu bezahlen. Denn in der Masse liegt Sicherheit: Wollen die Energieanbieter den Boykottierenden die Versorgung abdrehen, müssen sie abertausende Kund:innen kontaktieren. Sie müssen Fristen setzen, Zahlungspläne vorschlagen, gerichtliche Befugnisse beantragen. … Im Endeffekt soll der Boykott die Regierung zwingen, mit den Energieanbietern zu verhandeln und die Preise auf ein gerechtes Niveau zu senken.“ Und auch die als Stuss von Truss jüngst auf den Weg gebrachten unzureichenden Ausgleichs-Peanuts und Ankündigung einer vermeintlichen “Energiepreisgarantie” konnten den Zuspruch bislang nicht mindern. Und die ersten kleinen Zugeständnisse werden von „Don’t Pay“ zurecht als erste kleine Zugeständnisse gegenüber der Dynamik der Kampagne verbucht sowie als „Schwindel“ bewertet.

Allerdings kennt Großbritannien, worauf natürlich auch Mittendrein verweist, auch ein konkretes, erfolgreiches eigenes „Bezahlt wird nicht!“-Vorbild im Geiste Fo’s. „Eines der Vorbilder von Don’t pay ist die Kampagne gegen die ungerechte ‚Poll tax‘ in den 1980ern und 90ern – eine für alle Brit:innen gleich hohe Kopfsteuer, unabhängig von Einkommen und Reichtum“, so nochmals die Autorin. „Nach Jahren neoliberaler Reformen brachte diese ungerechte neue Steuer das Fass zum überlaufen. 17 Millionen Menschen weigerten sich, sie zu zahlen, es gab Massenproteste und eine breite lokale Organisierung. Die Bewegung gewann, die Steuer wurde abgeschafft, Thatcher ging.“

1997, also vor genau einem Vierteljahrhundert, verlieh die Schwedische Akademie Dario Fo den Literaturnobelpreis, allerdings ohne sein Kulturschaffen „im Dienst des Klassenkampfs“ zu erwähnen, welches durch ihre „neue revolutionäre Kunst“ das Proletariat darin zu unterstützen sucht, „sein Klassenbewusstsein zu entwickeln“. „Bezahlt wird nicht!“ war zugleich ein Stück gegen die immer stärkere Integration der KPI ins System (Stichwort: „Eurokommunismus“ und „historischer Kompromiss“ unter Berlinguer), in dessen Zuge sich diese scharf von der außerparlamentarischen Linken, rebellischen Bewegungen und Aktionen des zivilen Ungehorsams abgrenzte, einem sakrosankten Legalismus huldigte, und Fo selbst sich schließlich von ihr abwendete. Während der große Anarchist, Literat und Spielmann, der seine „Arbeit immer in den Dienst der Klassenbewegung stellen“ wollte, wie er betonte, 2016 verstarb, könnte seinem Stück „Bezahlt wird nicht!“ auf den Bühnen der Theater und als Graswurzelbewegung im realen Leben ein unvorhergesehenes Revival bevorstehen.

Bild: Theater Akzent

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