Kündigte die Gewerkschaft im Sommer noch einen „Heißen Herbst“ an, um die historischen Lohn- und Kaufkraftverluste der anhaltenden Hochinflation mehr als nur zu kompensieren, ist diese Ankündigung schon zu KV-Verhandlungsbeginn Makulatur. Während sich Österreich seit Monaten als eines der Länder mit der höchsten Inflation in Europa auszeichnet, mimen die gewerkschaftlichen Chefverhandler mit der mauen Forderung nach +2% auf die zugrunde gelegte rollierende Inflationsrate (9,6%) die ‚Apotheker‘ der Gewerkschaftsbewegung.
Dabei haben die Beschäftigten in den letzten Monaten den größten Reallohn- und Kaufkraftverlust seit Beginn der Aufzeichnungen in den 1960er Jahren erlitten. Die Kaufkraft der Reallöhne ist auf das Niveau von 2012 abgerutscht und damit zu Herbstlohnrundenbeginn ein sattes Jahrzehnt an Wohlstandszuwachs ausgelöscht.
Eine umso entscheidendere Schlüsselrolle als Tarif-Lokomotive käme den MetallerInnen in ihrer Rolle als VerhandlerInnen des österreichischen „Leit“-KV denn auch zu. Weit über die Branche selbst hinaus und nicht zuletzt auch für die noch stärker hinterherhinkenden Niedriglohnbereiche.
Entsprechend warf die mit den nunmehrigen KV-Verhandlungen der Metaller beginnende Herbst-Lohnrunde schon im Vorfeld ihre Schatten voraus. Bereits im Juli begann der Ruf nach ‚Lohnzurückhaltung‘ zu erschallen. Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Christoph Neumayer, stimmte bereits zeitlich das altbekannte Einmaleins der Profitlogik an und richtete Gewerkschaften und Beschäftigten aus, er sehe wenig bis gar keinen Verhandlungsspielraum. Und die Phalanx der wirtschaftsliberalen Spitzen des WIFO, IHS und der OeNB sowie natürlich der Agenda Austria, aber auch etwa die „Grüne Wirtschaft“ stimmten zeitgleich – wenn auch im Detail je anders gestrickt – in den Chor nach ‚Lohnzurückhaltung‘ ein, bevor nun pünktlich zu KV-Auftakt die Wirtschaftsvertreter-Metall überhaupt den großen Katzenjammer anstimmten.
Allerdings vermag auch das mediale Gejammer der Wirtschaftsvertreter nicht darüber hinweg zu blenden, dass die Unternehmensgewinne laut Nationalbank – um Corona-Subventionen bereinigt – 2022 um satte 24% gestiegen sind. Die Profite der großen börsennotierten Konzerne gar um 42%. Desgleichen die Dividendenausschüttungen an Aktionäre. Und das Branchen-Flaggschiff Voest hat im Geschäftsjahr 2022/2023 überhaupt den höchsten Umsatz und das beste operative Ergebnis seiner Geschichte eingefahren und mit der zweithöchsten Gewinnausschüttung seit dem Börsengang 1995 die Sektkorken der Aktionäre knallen lassen. Daran vermag auch der ins Stottern geratende Konjunkturmotor wie sektoral differierende Lage nicht im Mindesten zu rütteln.
Zurecht legen PRO-GE und GPA gegen die öffentlich hochgekochte Panikmache, der KV-Runde denn auch die realen Daten sowie die enormen Produktivitätszuwächse der heimischen Industrie und weit unterdurchschnittlichen Lohnstückkosten zugrunde. Allerdings verbeißen sie sich dabei in die irrige Auffassung der sogenannten „Benya-Formel“, mit ihr ließe sich eine Art „gerechter“ oder „richtiger“ Lohn in beiderseitiger Ausgewogenheit ausmachen, für den man zudem auch noch gleichsam objektive Kriterien an der Hand habe.
Der Lohnstreit und die Lohnfindung entziehen sich aber einer solchen „Versachlichung“. In derartigen „Zauber-Formeln“ reflektiert sich folglich nur eine falsche Interpretation der Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital. In Wirklichkeit bedeuten die reine Nachäffung der Inflation und Arbeitsproduktivität als quasi buchhalterisches Kriterium der Lohnentwicklung bereits eine Parteinahme im Lohnkampf auf Seiten des Kapitals. Sie betrachtet den Lohn darin vorrangig als Kostenfaktor der Unternehmen und geht wie selbstverständlich von der unausgesprochenen Voraussetzung aus, dass die Lohnquote am Volkseinkommen konstant zu bleiben habe.
Ja, selbst eine Durchsetzung der noch ein Stück darüber hinausgreifenden und sich am sog. „neutralen Verteilungsspielraum“ orientierenden „produktivitätsorientierten Reallohnentwicklung“ (der zufolge die Reallöhne in Höhe der Inflationsrate plus des unverkürzten jährlichen Produktivitätszuwachses steigen sollen), würde am Verteilungsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit nichts ändern. Zwar höbe sie sich sicherlich wohltuend von der herrschenden Lohnzurückhaltung, vorherrschenden lohnpolitischen Richtlinie und aktuellen Apothekerei ab und würde zumindest der ständigen Verschlechterung der Verteilungsverhältnisse Einhalt gebieten.
Einer neuen Primärverteilung zwischen Kapital und Arbeit vermag aber weder diese noch jene zum Durchbruch zu gereichen. Der Lohnstreit ist denn auch keine, nach sozusagen statistischen Parametern bestimmbare Angelegenheit, sondern eine Frage des Klasseninteresses und Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. In diesem Zusammenhang ist auch der an sich nicht unrichtige Verweis auf die Stärkung der Kaufkraft und Binnennachfrage nur ein flankierendes Hilfs- und Zusatzargument.
Ohne entsprechend ambitionierte Kampfziele und gewerkschaftlichen Druck wird sich indes nichts bewegen. Geschweige denn Substanzielles verändern. Über die maue Forderung der Gewerkschaft zeigten sich bei Forderungsübergabe selbst die Wirtschaftsvertreter der Metalltechnischen Industrie sichtlich erstaunt, hatten doch auch sie mit deutlich höheren Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaft gerechnet. Auch wenn IV-Präsident Georg Knill am Wochenende pflichtgemäß selbst noch die bescheidenen Forderungen der MetallerInnen zurückwies. Entsprechend ist es auch allerhöchste Zeit für einen einzig den Arbeits- und Lebensinteressen der Beschäftigten verpflichteten, kämpferischen Kurswechsel von ÖGB und Fachgewerkschaften – in konsequenter Mobilisierung und Einbeziehung der Beschäftigten, sowie der entsprechenden Konfliktbereitschaft und gewerkschaftlichen Kampfformen. Der Unmut und die Kampfbereitschaft unter den Kollegen und Kolleginnen wäre hoch. Denn die sozialen Verhältnisse erodieren regelrecht. Mit lauen Forderungen, 10minütigen Menschenketten und traditionellem Säbelrasseln als „höchster Kampfform“, anstatt der nötigen Konsequenz und Konfliktbereitschaft, indes, lässt sich kein progressiver Ausweg, gar eine soziale Wende bewerkstelligen.