Teil 3: Zum westlichen Amoklauf ausufernder Wirtschaftskriege – ABC der Embargologie und Sanktionitis III

Nach der näheren Herausarbeitung des Charakters der ausufernden Wirtschaftskriege, ökonomischen Erpressungen und wirtschaftlichen Strafmaßnahmen als einer bevorzugten bzw. eingebetteten hybriden Waffe imperialistischer und kolonialistischer Großmächte und Bündnisse, gilt es in Teil III noch einen Blick auf die zur Erdrosselung auserkorenen peripheren Ländern und aufsteigenden Schwellenländer zu werfen. Und ein solcher zeigt, in den Worten des vormaligen pakistanischen Premiers Imran Khan, eindringlich: Die Länder des Globalen Südens wollen nicht mehr länger „Sklaven des Westens sein“. Einen unmissverständlichen Ausdruck fand dieses Bestreben jüngst in der medial wenig beachteten Abstimmung des UN-Menschrechtsrat über die Forderung einer umfassenden Beendigung der westlichen Sanktionspolitik. Dass US-Präsident Joe Biden kurz vor Abstimmung noch bemerkenswert freimütig prahlte: „Diese Wirtschaftssanktionen sind eine neue Art wirtschaftlicher Staatskunst, die Schaden anrichten kann, der es mit militärischer Macht aufnehmen kann“, sagt diesbezüglich wohl wiederum hinsichtlich des ‚Empires‘ alles.

The West Against the Rest

Und die bereits einleitend angedeutete Absage an den westlichen Sanktionswahn betrifft beiweilen nicht bloß die gemeinhin im medialen Fokus stehenden, besser: ins Visier genommenen „üblichen Verdächtigen“, sondern eine vereinte globale Front. Nachdem die übergroße Mehrheit der Länder der Welt – trotz massiven Drucks des Westens und fast schon verzweifelten Einforderungen des gewohnten, quasi kolonialen Hörigkeitsverhältnis – schon den Wirtschaftssanktionen gegen Russland die Zustimmung und Gefolgschaft verweigerte, forderten sie vor wenigen Monaten demgegenüber viel weitergehend und grundsätzlicher ein Ende der Sanktionspolitik westlicher Länder.

Den „Qualitäts-“ und Leitmedien kaum eine Fußnote wert, votierte am 3. April dieses Jahres dergestalt eine überwältigende Mehrheit der 47 nach Regionen gewählte Mitglieder des UN-Menschenrechtsrats mit der „Resolution zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Wahrung der Menschenrechte“ für die umgehende Abschaffung des von den USA und der EU quer über den Globus verhängten Sanktions-Amoklaufs.

Eingebracht vom immerhin neuen „Energiepartner“ der EU, Aserbaidschan, im Namen der Bewegung der Blockfreien Staaten (für 120 Staaten stehend) stimmten sämtliche Länder Asiens, Afrikas, der Karibik und Lateinamerikas (bis auf den US-Anrainerstaat Mexiko, der sich enthielt) – gegen die USA, EU-Staaten, Großbritannien sowie Vertreter Osteuropas und die Ukraine – geschlossen dafür, „keine einseitigen Zwangsmaßnahmen mehr zu ergreifen, beizubehalten, durchzuführen oder einzuhalten”. Zumal diese „einseitigen Zwangsmaßnahmen“ des ‚Wertewestens‘, wie die Resolution unterstreicht, „gegen die Charta der Vereinten Nationen und die Normen und Grundsätze für friedliche Beziehungen zwischen den Staaten verstoßen” – wozu das Dokument auch nochmals zahlreiche frühere Resolutionen der Generalversammlung und des Menschenrechtsrates sowie Berichte des Hochkommissariats für Menschenrechte zitiert, die einseitige Sanktionen bereits ebenfalls verurteilten. Unter den ebenso verschiedenste politische Systeme wie politische Ausrichtungen im Einzelnen repräsentierenden Staaten der Forderung nach einem Ende der westlichen Sanktionspolitik finden sich dabei auch etwa die vom Westen gegenwärtig heiß umworbenen Länder Indien, Marokko, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate oder auch der traditionelle westliche Verbündete Costa Rica wieder. Denn hinsichtlich der umgehenden Abschaffung der ökonomischen Kriegsführung des Westens stimmen sie mit Kuba, Bolivien, China, Südafrika, Argentinien, Pakistan oder Algerien und anderen Mitgliedern des UN-Rats aus dem Globalen Süden ausnahmslos überein.

Weiters und in nochmals prinzipieller Absicht heißt es in dieser mit einer überwältigender 33:13 Mehrheit (bei besagter Enthaltung Mexikos) gegen den „Kollektiven Westen“ und seiner willfährigsten Vasallen angenommen Resolution: „(Wir) verurteilen aufs Schärfste die fortgesetzte einseitige Anwendung und Durchsetzung solcher Maßnahmen durch bestimmte Mächte [sprich: die USA und EU] als Druckmittel, einschließlich politischen und wirtschaftlichen Drucks, gegen jedes Land, insbesondere gegen die am wenigsten entwickelten Länder und die Entwicklungsländer, mit dem Ziel, diese Länder daran zu hindern, ihr Recht auszuüben, aus freien Stücken über ihr eigenes politisches, wirtschaftliches und soziales System zu entscheiden.“

Zudem zeigen sich die VertreterInnen des Globalen Südens und Mehrheit der Staatengemeinschaft sowie Weltbevölkerung „alarmiert über die unverhältnismäßigen und unterschiedslosen menschlichen Kosten einseitiger Sanktionen und ihre negativen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf Frauen und Kinder, in den Zielstaaten“, mit zumal ebenso „besonderen Folgen für … ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen“, die zu „schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte der betroffenen Bevölkerungsgruppen“ führen.  

Inhalt und Abstimmungsergebnis des UN-Menschenrechtsrates veranschaulichen im hiesigen Kontext des westlichen Sanktionswahns eindringlich die diesbezügliche Isolation Washingtons und Brüssels, das rasant stärker werdende Bestreben des Globalen Südens und der Mehrheit der Weltbevölkerung sich aus den selbstherrlichen ökonomischen Erpressungen und Strafmaßnahmen der imperialistischen Kernstaaten zu befreien, sowie den Umstand, dass der Westen in seiner abklingenden Weltgeltung und des zunehmenden Verlusts seiner unerträglichen, angemaßten globalen Richtlinienkompetenz selbst bei Abstimmungen in den Vereinten Nationen immer öfter isoliert gegen den Rest der Welt steht. Da mögen sich mediale Verblendung, hanebüchene Narrative und imperiale Selbstgefälligkeit noch so abmühen dem westlichen Publikum ein X für ein U vorzumachen.

Mit dem IStGH-Richter Kai Ambos gegen die „postkoloniale Verwendungsweise“ des Begriffs der „internationalen Gemeinschaft“

Und darin fügt sich, in den Tagesnachrichten geradezu gegen den Strich gebürstet, auch die weitestgehend geschlossene Weigerung der Mehrzahl der Länder dem „Kollektiven Westen“ Washingtons und Brüssels und dessen allerengsten Satelliten wie Australien, Kanada, Neuseeland und Südkorea ein, sich am Wirtschaftskrieg gegen Russland zu beteiligen. Unabhängig ihrer jeweiligen Sicht auf das Kriegsgeschehen in der Ukraine. Sprich: aus prinzipieller Ablehnung selbstherrlicher, nicht vom UN-Sicherheitsrat verfügter Sanktionen. Aber auch, wie Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar gegenüber der EU unterstrich: „Europa muss sich von dem Glauben befreien, die Probleme Europas seien die Probleme der Welt, aber die Probleme der Welt sind nicht die Probleme Europas“. Pointiert wendet selbst der – gegen jeden Vorhalt eines „Putin-Verstehers“ wahrlich gefeite –, Göttinger Völkerrechtler Kai Ambos, Richter am Kosovo Sondertribunal in Den Haag, Verteidiger am Internationalen Strafgerichtshof, gegen das verklärende mediale Bild ein: „Mich stört in diesem Zusammenhang übrigens immer sehr das Narrativ von der internationalen Gemeinschaft, die Russland geschlossen isoliert habe. Das ist eine permanente Beleidigung des Globalen Südens … Wir sind weder die Welt noch die internationale Gemeinschaft“ und verwehrt sich in seinem Büchlein „Doppelmoral“ mit Nachdruck gegen diese „im Mainstream unreflektiert und fast postkolonial“ gebrauchte „eingeschränkte Verwendungsweise“ des Begriffs der „internationalen Gemeinschaft“, die „nur die USA mit ihren (westlichen) Verbündeten umfasst“. Der UN-Menschenrechtsrat jedenfalls hat mittels der Resolution mit dem sperrigen Dokumentennamen A/HRC/52/L.18 hierzu sowie zur Sanktionspolitik des Westens unzweideutig Stellung bezogen.

Dass der eindeutige Beschluss des Menschrechtsrats den „Kollektiven Westen“ indes von dessen selbstverfügter „Art wirtschaftlicher Staatskunst, die Schaden anrichten kann, der es mit militärischer Macht aufnehmen kann“, abzubringen vermag, ist freilich nicht anzunehmen. Denn, wo er die Vereinten Nationen nicht zu instrumentalisieren vermag, werden diese regelmäßig marginalisiert, ignoriert oder auch offen suspendiert. Das krachende Votum, das sich die USA seit 30 Jahren regelmäßig in UN-Vollversammlungen ob ihres Sanktionsregimes gegen Kuba als Klatsche einfängt und eine regelrecht unvergleichliche Abfuhr auf weiter Flur bildet, mag hier abschließend als Symbol stehen. 2016 fiel das Abstimmungsergebnis gegen den völkerrechtswidrigen US-Wirtschaftskrieg gegen die Rote Insel mit 191:0 (!) überhaupt geradezu historisch aus (die USA enthielten sich einmalig), letztes und vorletztes Jahr wiederum blieb Washington allein mit Israel gegen 185 bzw. 184 Stimmen der internationalen Gemeinschaft. In den Machtzentren von „God’s Own Country“ ficht das freilich ebenso wenig jemanden an, wie die Forderung des UN-Menschenrechtsrats nach einem generellen Ende der westlichen Sanktionspolitik, die Hauptstädte des „Wertewestens“ in ihrer Selbstherrlichkeit und ökonomischen Kriegsführungen weiter tangiert.

Bild: »UN Human Rights Council, Geneva«, United Nations Photo/Jean-Marc Ferré

Licence: CC-BY-NC-ND 2.0

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