Nach den österreichweiten „Preise runter!“-Demonstrationen des ÖGB, stehen wir mit dem nunmehrigen Auftakt der Herbst-KV-Runden im Land gewerkschaftspolitisch wie auch lohnpolitisch vor neuen Herausforderungen. Unter gewerkschaftlicher Perspektive liegt in den bevorstehenden KV-Auseinandersetzungen geradezu die Feuerprobe der Gewerkschaften. Insbesondere für MindestlohnbezieherInnen und NiedriglöhnerInnen. Und während Wirtschaftsminister Martin Kocher für „moderate Lohnabschlüsse“ appelliert rückt die EU-Kommission in der tiefsten sozialen Krise der Geschichte der EU durch die Hintertür schon mal dem Streikrecht zu Leibe.
Im Juli verzeichneten wir (sogar nochmals um einen Zehntelpunkt nach oben revidiert) mit 9,4% die höchste Teuerungsrate seit Februar 1975. Ja, der Teuerungsschub des Wocheneinkaufs sprang gar um irrsinnige 19% empor. Und die Teuerungswelle hält an. Im August lag die Inflation abermals bei 9,3%. Ohne die Preisvolatilität bei Benzin und Diesel im August wäre sie laut Statistik Austria bereits auf 9,9% gesprungen bzw. hätte dem bisherigen Aufwärtstrend folgend schon die 10%-Mauer gerissen. Im weiteren Verlauf des Herbstes und Winters wird sie sämtlichen Prognosen zufolge auch in der Tat zweistellig. Dazu lässt sich hinsichtlich des immer wieder herangezogenen Inflationsvergleichsjahr 1975 herausstellen: Damals erwirkten die Gewerkschaften immerhin noch eine Lohnerhöhung von 13% und wurde im selben Jahr „nebenbei“ auch die schrittweise Einführung der gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung auf 40 Wochenstunden (von vormals 45 Stunden) abgeschlossen. Beides zusammen (also einschließlich Arbeitszeitverkürzung) ergab ein Plus von 18,6%.
Anders als in der Hochinflationszeit der 1970er Jahre hinken die Löhne und Gehälter heutzutage allerdings der Teuerung deutlich hinterher. Die Folge, wie der Ökonom Alfie Stirling jüngst prognostizierte: „Dieses Jahr erleben wir den schärfsten Rückgang des Lebensstandards in der jüngeren Geschichte“.
Die traditionelle Verhandlungsbasis der KV-Runden bildet die zurückliegende Jahresinflation, also die Teuerung der vergangenen 12 Monate. Diese liegt bei derzeit 6,3%, die aktuelle Teuerung der letzten Monate allerdings bereits bei über 9%. Die Beschäftigten erwarten sich denn auch einen Schutz vor Einkommensverlusten und eine Sicherung ihrer Kaufkraft wie Lebensstandards.
Vor diesem Hintergrund hat die KV-VerhandlerInnen-Konferenz am 7.9. öffentlich „ein klares Signal gesetzt“, wie der ÖGB betont: „2.000 Euro Mindestlohn und -gehalt in allen Kollektivverträgen!“ Ob und inwieweit dies über eine mediale Absichtserklärung auch konkret in alle Branchen seinen Niederschlag finden wird, bleibt abzuwarten. „Wir halten zusammen und kämpfen gemeinsam für die Kollektivvertragsabschlüsse, die ArbeitnehmerInnen verdient haben“, hielt ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian in branchenübergreifender Absicht immerhin einmal fest.
Und das ist trotz der heterogenen Lage, nicht nur aus Sicht der Arbeitenden unumgänglich, sondern entgegen dem nun angestimmten Katzenjammer des Kapitals auch angezeigt. Neben den exorbitanten „Übergewinnen“ der Energie- und Mineralölkonzerne sowie des Gros der Energieversorger, fahren auch andere Krisen- und Kriegsgewinner-Branchen und Sektoren aktuell horrende „Windfallprofits“ ein und weisen goldene Bilanzen auf. Entsprechend haben Österreichs Börsenunternehmen gerade Rekorddividenden ausgeschütteten und bereits 2021 Rekordgewinne einstrichen.
Vom neu ausgerufenen KV-Mindestlohn würden von den 4 Millionen Beschäftigten im Land auf einen Schlag über 800.000 Lohnabhängige profitieren. Vor allem Frauen, aber über die erhöhten Stundenlöhne auch das immer weiter ausufernde Heer von Teilzeitbeschäftigten und „Zwangs“-Teilzeitlerinnen. Der mehr und mehr zur dauerhaften Massenerscheinung im Land werdenden Lohnarmut (Stichwort: Working poor) würde entgegengesteuert. Bereits vor Ausbruch der Corona- und Wirtschaftskrise gaben rund die Hälfte aller Arbeitenden in Österreich an, mit ihrem Einkommen „nicht oder gerade noch“ über die Runden zu kommen. Aufgrund der durch die Lande schwappenden Inflationswelle müssen mittlerweile bereits 35% der Haushalte ihre Ersparnisse anzapfen oder sich verschulden, da sie ihre Rechnungen nicht mehr aus ihren Einkommen bezahlen können.
Dagegen braucht es denn auch mehr als ein „Ringen am grünen Tisch“ und das übliche Säbelrasseln, sondern wird es in einem gewerkschaftlichen Kurswechsel notwendig sein, offen den gewerkschaftlichen Arbeitskampf aufzunehmen. Das Ergebnis des heurigen Lohnstreits wird damit mehr denn je eine Frage der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, der Konfliktbereitschaft in konsequenter Mobilisierung und Einbeziehung der Beschäftigten, sowie der gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen und ihrer Kampfformen.
Der EU-Kommission liegen die sozialen Verwerfungen und die Zuspitzung der sozial-politischen Lage in der Union, sowie der zunehmende Druck von unten klar vor Augen. Für die Herrschenden geht das „Gespenst“ eines aufbrandenden Klassenkampfs „durch Europa“. Durch die Hintertür geschummelt, klammert denn auch der Verordnungsentwurf über ein Binnenmarkt-Notfallinstrument (SMEI) zum Schutz des EU-Binnenmarktes das bislang explizit garantierte Streikrecht aus. Dieser würde als Krisen-Regelwerk damit einen Frontalangriff Brüssels auf das Streik- und Arbeitskampfrecht sondergleichen ins Werk zu setzen versuchen. Entsprechend erbost reagierte denn auch ÖGB-Chef Katzian in einer Presseaussendung des ÖGB auf den Verordnungstext oder gar heimlich geplanten Coup aus Brüssel: „Keine Krise dieser Welt darf das Streikrecht außer Kraft setzen“. „Es ist absurd, dass es ausgerechnet in Krisenzeiten außer Kraft gesetzt werden soll.“ Wenngleich Arbeitskämpfe in Österreich selbst ein bekanntlich stiefmütterliches, „sozialpartnerschaftlich“ gedämpftes Dasein fristen, würde es den Arbeitenden und Gewerkschaften Europas mit ausgeprägteren Kampftraditionen und auch einer unumgänglichen kämpferischeren Wende des ÖGB schlicht das höchste gewerkschaftlichen Kampfmittel aus den Händen schlagen. Denn alles entscheidend in der akuten tiefen sozialen Krise sind die Klassenkräfte- wie gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die Konfliktbereitschaft der Gewerkschaften und Werktätigen, sowie ihre Kampfformen. Völlig zu Recht denn auch die zumindest grundsätzliche Kampfansage Katzians: „Das wäre eine Einschränkung, die es mit allen Mitteln und vereinten Kräften zu verhindern gilt.“
Deswegen sagen wir: Es reicht! Heute übergeben das heimische Zugpferd und die gleichsam den „Leit-“KV setzenden Metaller und die SWÖ-VerhandlerInnen ihre Forderungen. In einem Monat beginnt dann bereits die KV-Runde im Handel, der gleichermaßen beschäftigungsstärksten wie traditionellen Niedriglohnbranche. Parallel fordert auch die vida zurecht zeitgleiche Sonder-Kollektivvertragsverhandlungen allen voran für die ebenfalls besonders stark von den Teuerungsschüben betroffenen Beschäftigten im Verkehrsbereich.
Wir fordern als KOMintern:
# Robuste, flächendeckende kollektivvertragliche Mindestlöhne von mind. 2.000 Euro brutto, um der zunehmenden Lohnarmut einen Riegel vorzuschieben, der Inflationswelle entgegenzutreten und die Lebensqualität Beschäftigter mit niedrigem Einkommen zu heben! Sowie saftige Erhöhungen der gesamten Lohntabellen & Ist-Gehälter!
# Zusätzlich braucht es endlich eine Anhebung der Einkommen für Teilzeitbeschäftigte und „Zwangs-“Teilzeitlerinnen (Stichwort: kurze Vollzeit mittels Arbeitszeitverkürzung). Denn auch sie zahlen ganze Energierechnungen, Einkäufe und Mieten, und haben durchschnittlich auch eine höhere Stundenproduktivität!
# Es reicht! Für eine branchenübergreifend kämpferische Herbst-Lohnrunde mit entsprechenden Reallohnsteigerungen!
# Das Streikrecht mit allen Mitteln und vereinten Kräften gegen den Angriff der EU-Kommission verteidigen!