Im Handel hakt es wieder mal. Auch die 3. KV-Runde brachte kein Ergebnis. Die Gewerkschaften fordern +3,5% und eine Beendigung der „Ungerechtigkeiten, vor allem für weibliche Angestellte“ der vorwiegenden Frauenbranche. Zu Recht. Die Forderung allein wird aber nicht reichen.
Nach den 3,55% der MetallerInnen und den 3,7% der EisenbahnerInnen, verfallen die Wirtschaftsvertreter des Handels jedoch in den alljährlichen Katzenjammer zu KV-Verhandlungsrunden und strapazieren gegebene Unterschiede zur angeblich prinzipiellen Unvergleichbarkeit mit anderen Branchen: Der höhere Personalkostenanteil im Handel, die im Vergleich zur warenherstellenden Industrie geringeren Produktivitätszuwächse, die noch ausgeprägtere Heterogenität der Branche. Aktuellst wird auch noch der von der Regierung erlassene 10-tägige Lockdown für Ungeimpfte in den Talon geworfen.
Was die Handelsvertreter in alledem – sieht man von internationalen Onlinehandelskonkurrenten – geflissentlich unter den Tisch kehren, ist der Umstand, dass nicht nur die heimische Konjunktur wieder boomt und sie in ihrem Geschäftsfeld en gros auch mitnichten einem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, sondern zudem, dass Kollektivverträge u.a. auch regeln, dass es einheitliche Gehälter gibt. Es gibt daher in einer wie dem Handel strukturierten Branche und notorischen Niedriglohnsektor auf KV-Niveau keine Lohnkonkurrenz. Höhere Gehälter für alle ändern daher nichts an der Konkurrenzsituation. Und in diesem Kontext ist auch die Heranziehung des Lockdowns für Ungeimpfte fehl am Platz. Deren Nachfrage bricht, was die wirtschaftliche Folge- und Begleitwirkung anbelangt, damit nicht weg (wie seitens der Handelsvertreter suggeriert), sondern verschiebt sich zeitlich. Und auch das nicht über den Kamm geschoren durch die Bank, denn die Alltagseinkäufe bleiben davon auch in der unmittelbaren zeitlichen Frist unberührt.
Der Handelsverband und dessen Sprecher, SPAR-Chef Fritz Poppmeier, beschwören freilich wirtschaftliche Schreckgespenster an die Wand. Dabei gehört gerade der Lebensmittelhandel zu den Krisengewinnlern der Wirtschafts- und Coronakrise, der satte Sonder-Profite einfuhr. Entsprechend sank auch die Gewinnausschüttung der Branche lediglich um mickrige vier Prozent. Und das von einem Niveau, welches zahlreiche große Handelsketten und bekannte Flaggschiffe der Branche vor 2020 um zuletzt sagenhafte 20% an Dividenden-Ausschüttungen an die Anteilseigner erhöht haben.
Die Kapitalgesellschaften im Handel haben aber 2020 auch insgesamt einen stabilen Jahresüberschuss erzielt. Nicht zuletzt dank der von der öffentlichen Hand finanzierten Kurzarbeit und den Corona-Hilfen. Ja, mit Corona-Unternehmenssubventionen von fast 5% des BIP steht Österreich sogar an der einsamen Spitze der EU, was die staatlichen Ausschüttungen an das Kapital betrifft. Im relativen Vergleich mit etwa Deutschland beliefen sich diese Subventionen sogar auf das sage und schreibe dreifache.
Zugleich ist – was auch WKÖ-Handelsobmann Rainer Trefelik nur mit Verrenkungen zu relativieren vermag – wie gesagt gleichzeitig der Konjunkturmotor wieder kräftig angesprungen und finden wir uns inmitten eines steilen Wirtschaftswachstums von heuer deutlich über 4% und prognostizierten 5% im nächsten Jahr.
Umgekehrt ist allerdings die von manchen ÖkonomInnen schon fast totgesagte Inflation zurück. Die Teuerungen ziehen wieder stark an. Aktuell kletterten die Preise im Monats-Jahresvergleich mit 3,6% im Oktober gerade auf ein Zehnjahreshoch. Und das WIFO prognostizierte jüngst eine bevorstehende Jahresinflation von knapp 3%. Um noch ein gutes Stück mehr zogen die für einfache Beschäftigtenhaushalte nochmals viel aussagekräftigeren Preise der Güter des täglichen Bedarfs an, die ohnehin einiges über der von der GPA und dem Handelsverband den Lohnverhandlungen zugrunde gelegten (im KV-Kontext zurückliegenden) Inflationsrate in der Höhe von 2,1 Prozent liegt.
Die einstig großspurig angekündigten Sofortprämien wie der Corona-1.000er, verbindliche Gefahrenzulagen sind (abgesehen von werbewirksamen freiwillige Brotsamen) ebenso großspuriger Schnee von gestern wie die unumgängliche Aufwertung dieser wahrhaft systemrelevanten Sektoren durch kräftige Lohnerhöhungen und mittelfristige Schließung der sektoralen Lohnspreizungen, weitreichende Arbeitszeitverkürzung und umfassende Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, sowie ein leichterer Zugang zur 6. Urlaubswoche in dieser zudem stark von, mehrheitlich weiblichen, Fluktuationen gekennzeichneten Branche.
Vor eineinhalb Jahren, zu Beginn der Corona-Pandemie, noch als „HeldInnen des Alltags“ gefeiert und mit Applaus auf den Straßen und von Balkonen dafür bedacht, dass sie das öffentlichen Leben und unsere Grundversorgung am Laufen hielten, ist es heute gesellschaftlich wieder merklich still um die Handelsbeschäftigten und die ihnen gebührende finanzielle Anerkennung ihrer Arbeit und rahmenrechtliche Verbesserungen geworden.
Für einen kurzen Augenblick flackerten im damaligen Scheinwerferlicht auch die miserablen Löhne und Gehälter sowie schlechten, vielfach katastrophalen Arbeitsbedingungen und Belastungen dieser in vielen Sektoren vorwiegenden „Frauenbranche“ mit ihrer rund halben Million Beschäftigter auf. Allem voran im Lebensmittelhandel mit seinen 78% weiblicher Beschäftigter, die zudem überwiegend in Teilzeit bzw. „Zwangs-“Teilzeit arbeiten und in einer Vielfalt struktureller Benachteiligung stehen.
Dem nicht genug, ziehen zu den ohnehin schon rigoros flexibilisierten Arbeitsverhältnissen im Handel, noch immer entgrenztere Arbeitszeiten ein. So werden – wie Anita Palkovich, Chefverhandlerin der GPA, hinsichtlich der teils regelrecht unwürdigen Praxen in der Branche drastisch hervorhebt – , Beschäftigte immer früher in die Filialen beordert, um Einkäufe ab sechs Uhr morgens zu ermöglichen. Parallel werden für Aktionstage bereits um zwei oder drei Uhr Nachts die Regale bestückt und im Akkord Wurstplatten für die Öffnungszeit belegt. Hinzu zu dieser völligen Entgrenzung der Arbeit kommen begleitend noch besonders miese Zuschlagsregelungen der Mehr- und Nachtarbeit im Handel.
Während der Handelsverband auf eine neuerliche billige Abspeisung der Beschäftigten drängt, ist zur bekannten Misere der Arbeit im Handel – aufgrund der in der Branche aktuell auch rund 20.000 MitarbeiterInnen fehlen –, denn auch nochmals in Erinnerung zu rufen, dass es in der Tat gerade auch die Heldinnen, darunter nicht zuletzt zahlreiche migrantische, im Lebensmittelhandel und anderen Handelssparten, waren, die unsere Grundversorgung und das öffentliche Leben in der Pandemie unter nochmals erschwerten Arbeitsbedingungen aufrecht erhielten und einer verstärken Ansteckungsgefahr ausgesetzt waren und sind.
Der von der BetriebsrätInnenkonferenz der Handelsbeschäftigten beschworene „Appell an die Arbeitgeber ihr Angebot zu erhöhen“, wird aber nicht ausreichen. Dahingegen gilt es vielmehr Tacheles zu reden und in aktiver Einbeziehung der Beschäftigten entsprechende Ergebnisse zu erkämpfen.